N. Gottschalk-Mazouz, N. Mazouz (Hrsg.), 2003: Nachhaltigkeit und globaler Wandel. Integrative Forschung zwischen Normativität und Unsicherheit.

Rezensionen und Kurzvorstellungen von Büchern

N. Gottschalk-Mazouz, N. Mazouz (Hrsg.): Nachhaltigkeit und globaler Wandel. Integrative Forschung zwischen Normativität und Unsicherheit. Frankfurt am Main, New York: Campus, 2003, 344 Seiten, ISBN 3-593-37300-9, Euro 34,90

Rezension von Achim Daschkeit, Geographisches Institut der Universität Kiel

Die Autoren des Sammelbandes haben einen breiten Fokus: Mit den Schlagwörtern Nachhaltigkeit, Globaler Wandel, Normativität, Unsicherheit und integrative Forschung erschlägt man große Teile der wissenschaftlichen Debatten. Die hier versammelten Beiträge beruhen auf der Tagung „Unsicherheit und Normativität in der Forschung zum Globalen Wandel“, die am 21./22. Februar 2002 in Stuttgart stattfand. Es handelt sich um das interessante Unterfangen, den Bezug zwischen Nachhaltigkeitsdiskurs bzw. Nachhaltigkeitswissenschaft und Global Change-Forschung einerseits und wissenschaftstheoretischen bzw. philosophischen Aspekten andererseits herzustellen. Die Leitfrage, unter der ich die Vorstellung dieses Bandes behandeln möchte, lautet folglich: Haben sich die beiden genannten Bereiche etwas zu sagen, ergänzen sich diese Bereiche auf fruchtbare Weise miteinander? Ich komme am Ende des Beitrages auf diese Frage zurück. Ich möchte es der Leserschaft und mir dabei ersparen, inhaltlich in die o. g. Schlagwörter einzuführen; erstens ist das auf diesem knappen Raum kaum möglich, und zweitens gehe ich (hoffentlich zu Recht) davon aus, dass gerade den Lesern dieser Zeitschrift die Inhalte der genannten Begriffe in etwa präsent sind.

In der Einleitung der Herausgeber wird zunächst ein Überblick über die Beiträge gegeben. Dabei fällt bereits auf, dass nur teilweise der Anschluss an die allgemeine Inter-/Transdisziplinaritätsdiskussion gesucht wird. Dies zeigt sich u. a. an der Begrifflichkeit - gesprochen wird von horizontaler (wissenschaftliche Disziplinen) und vertikaler Integration (wissenschaftliche Forschung und sozio-politische Prozesse, S. 9; soweit nicht anders vermerkt, beziehen sich Seitenangaben auf den o. g. Band). Bekanntermaßen ist die Debatte hierüber zum Teil schon einige Jahrzehnte alt - auf diesen Umstand wird lediglich am Rande Bezug genommen. Darüber hinaus wird zum Teil nicht deutlich differenziert zwischen Global Change-Forschung, Nachhaltigkeitsforschung und Nachhaltigkeit - obwohl die Zusammenhänge den Autoren präsent sind, wie man im weiteren Verlauf des Artikels unschwer erkennen kann. Auch aus meiner Sicht völlig richtig ist der Fokus auf die Aspekte Normativität und Unsicherheit - hier gibt es in der Tat nach wie vor viele offene Fragen - wie auch auf die notwendige Trennung normativer Aussagen einerseits und deskriptiv-analytischer Aussagen andererseits. Als Kernthesen werden formuliert, dass (a) integrative Forschung eine hohe deskriptive Unsicherheit beinhaltet, (b) Normativität bei integrativer Forschung überhaupt eine Rolle spielt und dass darüber hinaus (c) auch im Bereich des Normativen eine Unsicherheit besteht. Aus dieser Perspektive werden sinnvoller Weise einige begriffliche Grundlagen gelegt, z. B. die Definition von normativer Unsicherheit (S. 12) sowie verschiedene Arten von Normativität (S. 13), wie etwa: „Explizite Normativität findet sich in deutlichster Form in sich an die wissenschaftlich-prognostischen Überlegungen anschließenden, getrennt gehaltenen Bewertungen“ (S. 13, Herv. durch die Autoren). Die Herausgeber halten fest, dass normative sowie deskriptiv-analytische Aussagen im Bereich integrativer Forschung zumeist nicht deutlich getrennt werden, obwohl dies mehr als wünschenswert ist - kaum etwas belastet die Diskussion um Transdisziplinarität und integrative Forschung so sehr wie die unnötige Verquickung dieser Aussagetypen. Die Beiträge des Bandes werden sodann in verschiedene Kategorien sortiert: im Bereich Unsicherheit die Beiträge von N. Gottschalk-Mazouz, M.B.A. van Asselt et al., O. Renn und A. Klinke, C. Kempfert sowie R.S.J. Tol; für den Bereich Normativität stehen die Beiträge von K. Ott und von N. Mazouz, für den dritten Bereich Integrative Forschung die Beiträge von A. Grunwald, G. Petschel-Held, B. Blättel-Mink und H. Kastenholz sowie von Chr. Hubig.

Der erste Beitrag von N. Gottschalk-Mazouz beschäftigt sich mit wissenschaftstheoretischen Ausführungen zu Wissen, Ungewissheit, wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Wissen, Unsicherheit und Abduktion. Insbesondere der letzte Aspekte ist im Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Global Change-Forschung relativ neu und verspricht Interessantes. Es handelt sich bei der Abduktion (gegenüber Induktion und Deduktion) um den Rückschluss auf einen bestimmten Fall, wenn das Resultat und die Regel gegeben sind, wobei teilweise die Regel „lediglich“ vermutet wird (ein Schema auf S. 44 verdeutlicht dies). Dieser interessante wissenschaftstheoretische Beitrag bezüglich des Umgangs mit Unsicherheit rührt sicherlich an eines der Kernprobleme integrativer Forschung, wobei ich hier auf Einzelheiten nicht eingehen kann. Aber das Ziel dieser Herangehensweise bleibt wichtig: „Abduktionsanalyse zu treiben bedeutet, das explizit zu machen, was normalerweise einfach nur gemacht bzw. als unproblematisch unterstellt wird“ (S. 58). Spannend wird es, wo eine Anwendung der Abduktionsanalyse auf theoretische und praktische Diskurse (Tabelle 3 auf Seite 53) erfolgt. Es bleibt allerdings im Wesentlichen bei der wissenschaftstheoretischen Betrachtung. Es wäre sinnvoll und weiterführend, wenn dieses Schema anhand von Beispielen näher erläutert wäre, z. B. für das Thema Umweltbewertung.

Die folgenden Beiträge gehen grundsätzlich (van Asselt et al.) auf das Thema Normativität und Unsicherheit (Zusammenhang zwischen beiden, Befürworten einer pluralistischen Perspektive für Diskurse im Kontext von Integrated bzw. Pluralistic Assessment) ein bzw. betrachten spezifische Aspekte (Kemfert und Tol mit Blick auf ökonomische Aspekte im Rahmen von Integrated Assessment). Kemfert bspw. verweist auf die uncertainty explosion „in Integrated Assessment"-Modellen und diskutiert die Möglichkeiten der Berücksichtigung von Unsicherheit. Tol untersucht die Möglichkeiten und Grenzen der cost-benefit-analysis mit Hilfe des von ihm entwickelten FUND-Modells. Klinke/Renn stellen das durch das WBGU-Gutachten bekannte Schema der Risikoklassifikation vor und erläutern u. a. Grundlagen der Risikobewertung sowie deren Folgen für Risikodiskurse mit Fokus auf die „Integration gesellschaftlicher Wertvorstellungen und Präferenzen in den Abwägungsprozess“ (S. 109). Die erläuterten verschiedenen Phasen von Diskursen im Risikomanagement (zusammenfassend Abb. 3 auf S. 112) sind für die Ausgestaltung von Planungsprozessen sehr hilfreich - auch wenn natürlich viele der beschriebenen Aspekte anderweitig von den Autoren veröffentlicht und von daher (lange) bekannt sind.

Der Beitrag von Ott (Ethische Aspekte des Klimawandels) geht zurück auf frühere Arbeiten des Autors zu diesem Thema - umfassend dazu Schröder et al. (2002). So gut wie der Beitrag aus meiner Sicht verfasst und so anregend wie er auch ist - er weist m. E. relativ wenig Bezüge zum Thema des Bandes auf (dazu später mehr im Fazit). Im Wesentlichen geht es um Fragen der Klimapolitik in Verbindung mit ethischen Überlegungen - selbstverständlich ist damit auch das Thema Normativität gestreift, wenn es bspw. um die Frage geht, wie notwendige Wertentscheidungen in der Klimapolitik denn nun konkret getroffen werden müssen (z. B. S. 181). Lesenswert ist der Beitrag allemal, zumal ich es immer wieder erstaunlich finde, in welch kompakter Form der Stand der naturwissenschaftlichen Klima- und Klimafolgenforschung zusammengefasst wird (S. 173-181).

Im Beitrag von Mazouz werden „philosophische Fragen der Bestimmung, insbesondere von Normativität, zum Ausgangspunkt genommen, um einige der Dissense in den Debatten um Nachhaltigkeit und globalen Wandel zu analysieren“ (S. 203) - es geht um eine „dissensfokussierte Diskursrekonstruktion“ (S. 205). Man sollte tatsächlich dem Hinweis der Autorin folgen (S. 203) und die ersten allgemeinen Teile (Normativität der Unsicherheit und Unsicherheit der Normativität; Gerechtigkeit, Inklusionsproblem und zukünftige Generationen; Verteilungsgerechtigkeit ...) überspringen, um gleich zu den Ausführungen zu Nachhaltigkeit und Globaler Wandel zu kommen. Es bleibt dann allerdings eine gewisse Ratlosigkeit: Warum muss ich die ersten, theoretisch konzipierten Teile nicht lesen? Kann ich dann die Ausführungen in Bezug auf die Diskursrekonstruktion überhaupt nachvollziehen? Sind die beiden Teile des Artikels nur „lose gekoppelt“? Letztlich bleiben einerseits abstrakte und gelegentlich nicht einfach zu verstehende Aussagen zu Nachhaltigkeit und Globalem Wandel (es wird jeweils unterteilt in „Begriffliches“ und „Konzeptionen“); und es bleibt oftmals beim Aufwerfen von Fragen bzw. der Diskussion grundsätzlicher Aspekte im Sinne einer philosophisch motivierten Diskursrekonstruktion. Andererseits sind scheinbar triviale Feststellungen zu lesen wie etwa: „Wenn wir nicht wissen, worum es geht, können wir uns darüber nicht verständigen“ (S. 232). Über so etwas mag man im ersten Moment zumindest verwundert sein, gleichzeitig zeigt ein Blick auf beispielsweise die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens in konkreten räumlichen Planungen, dass gerade die grundsätzlichen und trivialen Fragen gelegentlich gar nicht so trivial sind wie sie scheinen. Aus meinem Arbeitsfeld - Küstenzonenmanagement - ist es jedenfalls geläufig, dass es immer wieder Phasen im Planungsprozess geben muss, in denen man über die durchgeführten Aktivitäten reflektieren muss (oder zumindest sollte). Es bleibt aber die für mich offene Frage, ob die Ausführungen von Mazouz eine mögliche Wirkung im Nachhaltigkeitsdiskurs haben könnten - ich bin ehrlich gesagt noch skeptisch. Dazu mag beitragen, dass die Ausführungen von Mazouz vom „Stil“ her teilweise recht schwer verdaulich sind. Ich persönlich interpretiere den Text als Motivation zur Reflexion im Sinne einer Diskursrekonstruktion - nicht mehr und nicht weniger.

Die Ausführungen von Grunwald zu den Bedingungen und den (Qualitäts-)Kriterien integrativer Forschung sind (demgegenüber) sehr klar und übersichtlich strukturiert und stellen die Ansichten des Autors dar, die u. a. im Kontext des Nachhaltigkeitsprojektes der Helmholtz Gemeinschaft (HGF) sowie in Bezug auf Fragen des Klimawandels (nochmals: Schröder et al. 2002) gewonnen wurden. Ich kann - und will - die Details hier nicht ausführen; aber es wird nachdrücklich deutlich, dass Relevanzentscheidungen in verschiedenartiger Hinsicht entscheidend für die Qualität integrativer Forschung sind. Man kann diesen Aufsatz all denen wärmstens empfehlen, die sich entweder mit der Absicht eines integrativ orientierten Forschungsprojektes beschäftigen oder aber die Qualität von integrativer Forschung beurteilen müssen - und das sind sowohl die Kollegen aus der Wissenschaft selbst (Gutachter) als auch die Akteure aus der Forschungspolitik.

Der Ansatz von Petscheld-Held („Nomothese und Idiographie in den Nachhaltigkeitswissenschaften“) zeigt die Schwierigkeit der Global Change-Forschung auf, zwischen verschiedenen Zugangsweisen (eben nomethetisch oder idiographisch) wählen zu müssen bzw. die Zugangsweisen zu kombinieren. Genau darin liegt der Charme des vorgestellten Ansatzes, der eine Weiterentwicklung des so genannten „Syndrom-Ansatzes“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) darstellt. Petschel-Held stellt dar, wie man aus der Analyse und der Formalisierung von Fallstudienergebnissen Aussagen in globaler Perspektive ableiten kann. Besonders hoch anzurechnen ist, dass er an keiner Stelle Defizite des Ansatzes verschweigt bzw. Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert. Von daher ist der Ansatz aus meiner Perspektive originär interdisziplinär: nämlich als Verknüpfung einer bestimmten Problemlage mit einer Methode, die aus einem evtl. völlig entfernten (disziplinären) Kontext stammen kann.

Der Beitrag von Blättel-Mink und Kastenholz wählt einen ganz anderen Zugang zum Thema des Bandes: Welche Bedingungen für Nachhaltigkeit und Transdiszplinarität sind in außeruniversitären Forschungseinrichtungen Baden-Württembergs erkennbar? Grundlage für die Diskussion von Diffusionsbedingungen institutioneller Innovationen (als solche wird Transdisziplinarität verstanden) sind Befragungsergebnisse, die Aufschluss über die hemmende bzw. fördernde Wirkung von kulturellen, strukturellen und persönlichen Faktoren geben.

Der letzte Beitrag des Bandes von Hubig ist wieder stärker wissenschaftstheoretisch orientiert, es geht um „Interdisziplinarität und Abduktionenwirrwarr“. Es werden verschiedene Formen des Abduzierens differenziert und in Bezug gesetzt zu Nachhaltigkeit und Global Change-Forschung. Ich will ehrlich gestehen, dass meine wissenschaftstheoretische Bildung nicht weit genug reicht, um alle Detailformen des Abduzierens nachvollziehen oder gar kritisch diskutieren zu können - ich überlasse das Feld anderen ... Ich finde es allerdings hervorhebenswert, dass Hubig immer wieder den Bezug zu den Themen Nachhaltigkeit und Global Change sucht; ich erwähne das deshalb, weil sich dieser Beitrag eigentlich sehr gut als „Synthesebeitrag“ zur Tagung bzw. zum Buch insgesamt geeignet hätte. Von daher wären entsprechende Hinweise in der Einleitung der Herausgeber hilfreich gewesen. Der Beitrag von Hubig hätte sich mit einem leicht verschobenen Fokus u. U. sogar als Einstiegsbeitrag empfohlen, um den Kontext des Bandes zu verdeutlichen. Ebenfalls sehr interessant sind die Ausführungen Hubigs zu „Wissenschaftsarchitekturen interdisziplinärer Forschung“. Es ist ein weiterer Versuch, die Begriffe Multi-, Inter- und Transdisziplinarität zu definieren und zu sortieren. Transdisziplinarität wird in dreierlei Hinsicht differenziert (S. 332f.): „Transdisziplinarität im Sinne einer Perspektivenerweiterung mit der Folge disziplinärer Grenzüberschreitungen. (...) Unter Transdisziplinarität kann ferner die Forderung nach einer transkulturellen Öffnung der Wissenschaften bzw. Wissenschaftsdisziplinen in externe Kontexte verstanden werden, wie sie von Verfechtern der so genannten Mode (2)-Wissenschaften unter der Idee einer ‚New Production of Knowledge' verstanden wird. (...) Ein radikaleres Konzept [von Transdisziplinarität; A.D.] fordert eine Öffnung der Disziplinen für eine Berücksichtigung von Ungewissheit überhaupt, bzw. den bewussten Verzicht auf den Anspruch, Ungewissheit zu überwinden und in Unsicherheit zu überführen.“ Und weiter mit Interdisziplinarität: „Interdisziplinarität im engeren Sinne wäre dann gegeben, wenn auf einer gemeinsamen Basis unterschiedliche disziplinäre Ausprägungen eben nur als unterschiedlich erscheinen könnten und in entsprechenden Komplementaritäts- und Kompensationsbeziehungen zu verorten wären. Dies setzt voraus, dass die internen Problemstellungen der Disziplinen ihrerseits problematisierbar sind auf der Basis einer gemeinsamen externen Problemstellung als Herausforderung. Dieser Herausforderung hätte eine gemeinsam geteilte methodische Ordnung (bis hin zu einer gewissen Arbeitsteilung) zu entsprechen, die die Weiterführung des Konzepts ‚Wissenschaft' als Kollektivsingular mit ihren unterschiedlichen disziplinären Ausprägungen in den Wissenschaften erlauben würde“ (S. 333 f., Herv. durch Hubig).

Einige Fragen drängen sich unmittelbar auf: 

Die Fragen deuten an, dass ich Hubigs Ausführungen zwar wirklich anregend finde (als Zusammenfassung: Tabelle 4 auf Seite 335), aber der fehlende Anschluss an die existierende Debatte macht es nicht unbedingt leichter, diese Vorschläge weiter zu transportieren.

An den zuletzt genannten Punkt kann ich direkt mein Fazit anschließen:

Die Tagung, an der ich teilgenommen habe, war insgesamt interessant und spannend.

Die wissenschaftstheoretischen/philosophischen Überlegungen (Beiträge: Hubig, Mazouz, Gottschalk-Mazouz) lassen sich allerdings nur schwerlich und sehr punktuell in den anderen Beiträgen wiederfinden - das ist bedauerlich. Denn es wird ja immer wieder moniert, dass die Nachhaltigkeits- und Global Change-Forschung auch um ihre wissenschaftstheoretischen Grundlagen bemüht sein sollte. Der hier versuchte „Kontakt“ ist in meinen Augen nur teilweise zustande gekommen. Es kann (dies ist lediglich eine Vermutung) daran gelegen haben, dass die wissenschaftstheoretischen bzw. philosophischen Überlegungen „zu weit weg“ von der Praxis der integrativen Forschung sind. Ich habe das eben an dem Beitrag von Hubig schon zu verdeutlichen versucht, ich will ein weiteres Beispiel anführen: Im Beitrag von Mazouz wird u. a. auch auf die Problematik des Klimawandels Bezug genommen (z. B. S. 247). Es wird dort kurz die Frage nach der Natürlichkeit des Klimas aufgeworfen bzw. nach den menschlichen Einflussmöglichkeit darauf. Im Kontext dieser Debatte ist von Engels und Weingart (1997) der Ansatz einer „Anthropogenisierung des Klimawandels“ vorgeschlagen worden. Dieser Hinweis wäre für eine Diskussion des Themas Globaler Wandel bzw. die Art der Veränderungen sehr fruchtbar und bezieht sich eben auf die realen gesellschaftlichen Vorgänge - die wissenschaftstheoretischen Analysen hätten hier in gewisser Weise „geerdet“ werden können. Ich weiß, ich weiß: Das ist nicht die Aufgabe einer wissenschaftstheoretischen bzw. philosophischen Herangehensweise, aber: Wenn hier mittel- und langfristig eine gegenseitige Bereicherung stattfinden soll, muss halt jeder sein Kämmerlein jedenfalls ein Stück weit verlassen.

Trotz dieser leichten Einschränkungen ist der Band insgesamt sehr empfehlenswert, weil hier in unterschiedlicher Form die zentralen Fragen nach Normativität und Unsicherheit bezüglich Nachhaltigkeit und Global Change-Forschung gestellt werden - das allein ist löblich und auch schon anspruchsvoll genug. Dass die „Antworten“ vielleicht nicht immer 100 %-ig zufriedenstellend sind, ist kein Argument dafür, den Diskussionsprozess abzubrechen - im Gegenteil. Das Buch kann allerdings (nur) für diejenigen eine Bereicherung darstellen, die sich schon etwas länger mit der Gesamtthematik beschäftigen - als Buch „für Einsteiger“ oder als einführender Überblick ist es nur bedingt geeignet. Als Motto für künftige Kooperationen sollte in meinen Augen bedacht werden: „Integrative Forschung kann nur gelingen, wo die Fähigkeit zur Reflexion auf die Grenzen der Methoden und Disziplinen, aber auch auf die praktizierten Arten von Multi-, Inter- oder Transdisziplinarität und deren Grenzen vorhanden ist“ - so die Herausgeber in der Einleitung (S. 20).

Zitierte Literatur

Engels, A.; Weingart, P., 1997:
Die Politisierung des Klimas. Zur Entstehung von anthropogenem Klimawandel als politischem Handlungsfeld. In: Hiller, P.; Krücken, G. (Hrsg.): Risiko und Regulierung. Soziologische Beiträge zu Technikkontrolle und präventiver Umweltpolitik. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, S. 90-115

Luley, H.; Schramm, E., 2003:
Optionen in der Nachhaltigkeitsforschung. Hinweise für die Konzeption und Durchführung von Kooperationsprojekten mit Praxispartnern. Frankfurt am Main (Institut für sozial-ökologische Forschung, Materialien Soziale Ökologie MSOE 22)

Schröder, M.; Claussen, M.; Grunwald, A.; Hense, A.; Klepper, G.; Lingner, S.; Ott, K.; Schmitt, D.; Sprinz, D., 2002:
Klimavorhersage und Klimavorsorge. Berlin u. a. (Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung, Band 16). Berlin: Springer