TA-Fokus

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TATuP Bd. 29 Nr. 1 (2020), S. 6–8

 

Meldungen

POLITIK

Österreichisches Regierungsprogramm auf dem Prüfstand

Enthält reichlich Technikfolgenabschätzung: das Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung (Foto: ita/Peissl)

Seit Januar 2020 gibt es in Österreich erstmals eine Bundesregierung aus ÖVP und Grünen. Bemerkenswert aus Sicht der Technikfolgenabschätzung: Im Programm wird „konkret über die Notwendigkeit evidenzbasierter Politik bei technologie- und innovationspolitischen Entscheidungen gesprochen“, so Michael Nentwich. Der Direktor des Wiener Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) hat das Regierungsprogramm auf den Prüfstand gestellt. Er begrüßt den Willen der neuen Regierung, bei öffentlichen Digitalisierungsvorhaben, wie selbstfahrenden Fahrzeugen oder dem 5G-Netz, wissenschaftliche Erkenntnisse zu deren Technikfolgen zu berücksichtigen. Positiv sieht Nentwich auch, dass mit der TA verwandte Begriffe wie „Umweltfolgenabschätzung“ und „Wirkungsfolgenabschätzung“ wiederholt genannt werden. Zudem sei die Rede von ethischer Begleitung bei der Einführung von Technologien, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Auch „das wichtige Zukunftsthema ‚Künstliche Intelligenz‘ wurde von den Koalitionspartnern nicht nur als wirtschaftliche Chance begriffen“, stellt Nentwich fest. Vielmehr würden die Autorinnen und Autoren des Regierungsprogramms hier den großen gesellschaftlichen Diskussionsbedarf anerkennen.

www.oeaw.ac.at/ita

 

HISTORIE

Bundestag beschließt parlamentarische TA

Vor 30 Jahren entschied der Deutsche Bundestag darüber, eine parlamentarische Technikfolgenabschätzung einzurichten. Der historischen Entscheidung vom 16. November 1989 waren 16 Jahre parlamentarischer Diskussion und zwei Enquete-Kommissionen vorangegangen, die in der lebhaften Debatte über das Für und Wider verschiedener TA-Modelle mündete. Die Mehrheit der Abgeordneten folgte schließlich dem Vorschlag der damaligen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP, den Ausschuss für Forschung und Technologie zusätzlich mit der „Technikfolgen-Abschätzung“ zu betrauen und eine externe Forschungseinrichtung mit der wissenschaftlichen Arbeit zu beauftragen. Neun Monate später unterzeichnete der Deutsche Bundestag schließlich am 29. August 1990 den ersten Vertrag mit dem Kernforschungszentrum Karlsruhe für eine dreijährige Pilotphase – die Geburtsstunde des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Das TAB wird seitdem durchgehend vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) betrieben. Das KIT ist die Nachfolgeorganisation des Kernforschungszentrums Karlsruhe. Seit September 2013 sind auch das IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und der VDI/VDE Innovation + Technik als Partner beteiligt.

www.tab-beim-bundestag.de/de/ueber-uns/geschichte.html

Sitzungsprotokoll: https://dipbt.bundestag.de/doc/btp/11/11176.pdf

 

Fünf Fragen an:
Denise Riedlinger

Wissenschaftskommunikatorin, Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Was bedeutet TA für Sie?

Es ist ein langes Wort für etwas, was uns alle betrifft! Ich persönlich bin durch TA „aufgewacht“, sehe jetzt vieles anders. Ich wusste zum Beispiel lange nichts über Nanotechnologien oder darüber, wie Ältere oder Menschen mit Behinderungen von Innovationen betroffen sind.

Welche Forschungsfrage in diesem Feld finden Sie besonders spannend?

Sicherheit, Überwachung und Privatsphäre haben in Zeiten von KI und Gesichtserkennung hohe Relevanz. Wir haben ein Recht auf Privatsphäre, liefern uns aber gleichzeitig aus, indem wir über das Handy Daten an private Firmen übermitteln oder uns von „smarten“ Lautsprechern abhören lassen.

Welcher Zukunftstechnologie sollten wir mehr Aufmerksamkeit schenken?

Die Blockchain wird unsere Gesellschaft verändern und globalen Handel auf eine neue Ebene heben. Das sollten wir uns bereits jetzt ansehen.

Gibt es einen Aspekt an TA, der besonders schwierig zu vermitteln ist?

Die Öffentlichkeit will Antworten, und sie hat ein Recht darauf. TA betrachtet viele Faktoren und befasst sich häufig mit schwer greifbaren Entwicklungen. Ein Tweet reicht da nicht immer aus, um zu vermitteln, dass und wie die Begleitung von Forschung und Innovation durch die TA der Gesellschaft nützt.

Warum ist gute (Wissenschafts-)Kommunikation zum Gelingen von TA nötig?

TA ist unabhängig. Wir liefern Wissen zu Dingen, über die oft noch nicht viel nach außen gedrungen ist. Eine gute Kommunikation ist wichtig, weil unsere Arbeit nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Gesellschaft und die Politik Bedeutung hat. Und weil wir verstanden werden wollen.

RANKING

Wuppertal Institut in Think-Tank-Spitzengruppe

Das „Global Go to Think Tank Ranking“ hat das Wuppertal Institut erneut zu einem der wichtigsten Forschungs- und Beratungsinstitute weltweit gekürt. Der jährliche Report des Think Tanks and Civil Societies Program (TTCSP) der University of Pennsylvania untersucht den Stellenwert von Politikforschungsinstituten für Regierungen und die Zivilgesellschaft. Weltweit 1700 befragte Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Journalismus und Wirtschaft wählten das Wuppertal Institut auf Platz neun in der Kategorie Umweltpolitik. „Wir freuen uns sehr, dass die Stimme des Wuppertal Instituts auch international Gehör findet und damit die Arbeit und das hohe Engagement der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts honoriert werden“, erklärte Manfred Fischedick, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Da viele der ökologischen Herausforderungen wie insbesondere der Klimaschutz nur auf globaler Ebene gelöst werden könnten, sei es für sein Institut von extrem hoher Bedeutung, wissenschaftliche Erkenntnisse so aufzubereiten, dass sie weltweit aufgegriffen werden können.

wupperinst.org

MEDIEN

Quartier Zukunft startet Podcast

Angewandt forschen ohne Laborkittel oder Schutzbrille, mitten drin im wirklichen Leben. Wie das geht, zeigt seit dem Jahr 2012 das Reallaborprojekt „Quartier Zukunft – Labor Stadt“ im Karlsruher Stadtteil Oststadt. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, Stakeholdern, Politik und Stadtverwaltung wird dort an einer nachhaltigen Transformation des Quartiers gearbeitet. Um über ihre Forschung zu informieren und Ideen für nachhaltigeres Handeln zu liefern, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun den Podcast „Labor Zukunft – Forschung ohne Kittel“ ins Leben gerufen, für den sie mit dem Campus Radio Karlsruhe zusammenarbeiten. „Wir wollen Wissenschaft erleb- und hörbar machen und Denkanstöße für eine zukunftsfähigere Stadt geben“, erklärt Helena Trenks, die den Podcast des Quartier Zukunft redaktionell betreut. Seine Premiere feierte das Format im Januar 2020 im Campus Radio Karlsruhe. Neue Ausgaben mit Einblicken in die transformative Nachhaltigkeitsforschung gibt es künftig im Zwei-Monats-Rhythmus auf UKW 104,8 in Karlsruhe oder als Stream im Netz.

www.campusradio-karlsruhe.de

 

Aus dem openTA-Kalender

04.–06. 05. 2020, GRAZ
Critical Issues in Science, Technology and Society Studies
sts-conference.isds.tugraz.at/event/10/

07.–08. 05. 2020, TÜBINGEN
Social Robotics and the Good Life: The Normative Side of Forming Emotional Bonds with Robots
uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/internationales-zentrum-fuer-ethik-in-den-wissenschaften/das-izew/

08.–10. 06. 2020, WIEN
Internationale Konferenz TA20 und NTA9: Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie
www.oeaw.ac.at/ita/veranstaltungen/aktuelle-veranstaltungen/ta20-nta9-konferenz/

17.–19. 06. 2020, LOGROÑO
ethicomp 2020: Paradigm Shifts in ICT Ethics: Societal Challenges in the Smart Society
www.unirioja.es/ethicomp/2020/

18.–21. 08. 2020, WIEN
Governance in an Era of Change – Making Sustainability Transitions. 11th International Sustainability Transition conference, WU Wien
ist2020.at

18.–21. 08. 2020, PRAG
Locating and Timing Matters: Significance and Agency of STS in Emerging Worlds, Chech Technical University
www.easst4s2020prague.org/venue/

Weitere Termine unter www.openta.net/kalender

ENERGIEWENDE

„Storylines“ für das Energiesystem

Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie als gesamtgesellschaftliches Projekt organisiert wird. Doch wie genau das aussehen soll, wird selten klar formuliert. Das Kopernikus-Projekt ENSURE setzt hier an und zeigt vier mögliche Entwicklungspfade für das deutsche Energiesystem im Jahr 2030 auf. Entstanden sind die so genannten „Storylines“ in Stakeholder-Dialogen unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern aus Industrie, Gewerkschaften und Umweltschutz. Organisiert wurden die Veranstaltungen von der Deutschen Umwelthilfe und dem Öko-Institut gemeinsam mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). „Zum ersten Mal hat eine vielfältige Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft über einen so langen Zeitraum zusammengearbeitet, um gemeinsam auszuformulieren, welche Pfade der Energiewende sie mitgehen würden“, erklärt Witold-Roger Poganietz vom ITAS. Ausführlich erläutert werden die Entwicklungspfade in der im Januar 2020 erschienenen Broschüre „Transformation des Energiesystems bis zum Jahr 2030“, die als PDF kostenlos zur Verfügung steht.

www.itas.kit.edu

STUDIE

Automatisiertes Fahren in der Schweiz

Notbremsen, Spur halten, Einparken – schon heute können Autos vieles besser als die Menschen am Steuer. Was, wenn Fahrzeuge vollständig autonom unterwegs sind? Potenziale und mögliche negative Folgen hat die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS für die Schweiz untersucht. Gesellschaft und Politik, so die Empfehlung der jetzt vorgelegten Studie, müssen diskutieren, wie weit der Staat in die künftige Mobilität eingreifen soll. Falls selbstfahrende Autos in Zukunft nur wenig reguliert werden, verspreche das einen hohen Grad an individueller Freiheit. Da Autos dann voraussichtlich auch häufig leer unterwegs sind, drohe aber ein weiter wachsendes Verkehrsaufkommen. Alternativ ließe sich mit Hilfe von selbstfahrenden Autos als Taxi- oder Busersatz in Städten der Verkehr und der Parkplatzbedarf reduzieren. Sollten gemeinsam genutzte Fahrzeuge auch auf dem Land bereitstehen, müsste die Verkehrsplanung voraussichtlich sogar von einer zentralen, staatlichen Stelle geleitet werden – was wiederum besondere Anforderungen an den Datenschutz stelle.

www.ta-swiss.ch

WISSENSTRANSFER

Bürgerwissenschaft zu Typ-1-Diabetes

Citizen Science bindet Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in die Forschung mit ein. In der Regel beschränkt sich deren Rolle auf das Beobachten von Naturereignissen oder das Sammeln von Daten, etwa bei Vogelzählungen. Das Projekt TeQfor1 denkt Citizen Science einen Schritt weiter. Es stellt Menschen mit Typ-1-Diabetes, die selbstentwickelte Erweiterungen kommerzieller Systeme zur automatisierten Insulinabgabe nutzen, wissenschaftliche Methoden zur Verfügung. Diese versetzen sie in die Lage, die von ihnen eingesetzte Technologie nach eigenen Kriterien zu bewerten. „Bisher gibt es kaum Studien zur Wirksamkeit dieser automatisierten Erweiterungen. Die Lücke sollen in unserem Projekt die Bürgerinnen und Bürger schließen, die selbst mit Typ-1-Diabetes leben und diese Systeme nutzen“, erklärt die Projektleiterin Silvia Woll vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Durch ihren täglichen Umgang mit dem eigenen Diabetes hätten diese nicht nur eine besondere Expertise, sondern seien auch am besten in der Lage, Kriterien für Lebensqualität von Menschen mit Typ-1-Diabetes festzulegen. Erste Projektergebnisse werden im kommenden Jahr erwartet.

www.itas.kit.edu

PUBLIKATION

Mehr Mitsprache durch E-Partizipation

Hennen, Leonhard; van Keulen, Ira; Korthagen, Iris; Aichholzer, Georg; Lindner, Ralf; Nielsen, Rasmus Øjvind (2020) (Hg.):
European E-Democracy in Practice. Studies in Digital Politics and Governance.
Cham: Springer International Publishing, 359 S., ISBN 9783030271831
link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-030-27184-8

Digitale Technologien ermöglichen es Menschen, einfacher an politischen Entscheidungen und Willensbildungsprozessen teilzuhaben. Insbesondere auf EU-Ebene könnte das Konzept der E-Partizipation dabei helfen, bestehende Demokratiedefizite zu verringern. Wie das Potenzial digitaler Werkzeuge und Sozialer Medien auf europäischer Ebene ausgeschöpft werden kann, analysiert der neu erschienene Sammelband „European E-Democracy in Practice“. Anhand ausgewählter Projekte untersuchen die Autorinnen und Autoren die Funktionsweise von Instrumenten wie parlamentarischem Monitoring oder E-Voting. Darüber hinaus schlagen sie unter anderem eine einheitliche europäische Beteiligungsinfrastruktur vor, die Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu sämtlichen Partizipationsangeboten der EU bietet. Das Open Access-Buch setzt den 2016 erschienenen Band „Electronic Democracy in Europe“ fort und basiert wie dieser auf Studien der European Technology Assessment Group (ETAG) im Auftrag des Europäischen Parlaments.

 

Personalia

Helge Torgersen hat sich zum Jahresende 2019 nach insgesamt 30 Jahren in der Technikfolgenabschätzung in den Ruhestand verabschiedet. Der promovierte Molekularbiologe war einer der ersten Mitarbeitenden der „Forschungsstelle für Technikbewertung“ in Wien und damit einer der ersten österreichischen TA-Experten überhaupt. Am 1994 aus der Forschungsstelle hervorgegangenen Institut für Technikfolgen-Abschätzung baute Helge Torgersen das Arbeitsfeld Biotechnologie auf. Darüber hinaus forschte er intensiv zum Verhältnis von Technikentwicklung und gesellschaftlicher Wahrnehmung und zuletzt zu theoretischen Fragen der Normativität in der TA. [Bildquelle: ITA/Peissl]

Manfred Fischedick, bisheriger Vizepräsident des Wuppertal Instituts, ist seit Anfang 2020 wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts. Die Aufgabe teilt er sich mit Uwe Schneidewind, der das Institut bisher alleine führte. Als Energie- und Klimaforscher leitete Fischedick über viele Jahre die Forschungsgruppe „Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen“. Er ist Professor an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal und Leitautor von Berichten des Weltklimarates (IPCC). Zudem berät Manfred Fischedick nationale und internationale Akteure in Politik und Wirtschaft bei der Umsetzung von komplexen Transformationsprozessen. [Bildquelle: Wuppertal Institut]

André Gazsó ist erneut zum Vorsitzenden des Nano-Beratungsgremiums des österreichischen Gesundheitsministeriums ernannt worden. Die Leitung der Nanoinformationskommission (NIK) übernimmt der Philosoph und Biologe mit Spezialgebiet Risikoforschung bis 2023. Das vielfältig zusammengesetzte Gremium berät über Themen wie Verbrauchersicherheit, neue Materialien für Lebensmittelverpackungen und Sicherheit am Arbeitsplatz. Ziel sei es „Transparenz und Überparteilichkeit zu schaffen, wenn es um Nanosicherheit geht“, so Gazsó, der am Institut für Technikfolgen-Abschätzung in Wien forscht und dort seit 2007 für das Projekt NanoTrust verantwortlich ist. [Bildquelle: ITA/Peissl]