TA-Fokus

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TATuP Bd. 29 Nr. 2 (2020), S. 6–8

 

Meldungen

TECHNIKBEWERTUNG

Ethiklabel für KI-Systeme

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in computerbasierten Systemen zählt aktuell zu den zentralen Themen technologischer Entwicklungen. Für die ethische Gestaltung solcher Systeme gibt es bereits zahlreiche Leitlinien – die Frage nach der praktischen Umsetzung ist bislang jedoch offen. Die von der Bertelsmann Stiftung und der Normierungsorganisation VDE ins Leben gerufene „AI Ethics Impact Group“ hat nun ein Ethiklabel für KI-Systeme entwickelt. Das optisch an das Energieeffizienzlabel für Elektrogeräte angelehnte Label „erlaubt eine Einstufung von KI-Produkten nach verschiedenen Werten wie Schutz der Privatsphäre, Nachhaltigkeit oder Transparenz“, sagt Paul Grünke, Koautor vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Dieses und weitere Werkzeuge, die zur Bewertung der ethischen Qualität von KI-Technologien genutzt werden können, stellen die Forschenden in ihrem Papier „AI Ethics. From Principles to Practice – An interdisciplinary framework to operationalise AI ethics“ vor. Ihre Werkzeuge werden nun in der Praxis erprobt und weiterentwickelt.

algorithmenethik.de

 

TA UND CORONA I

Wissen zu Folgen der Pandemie

Diverse TA-Institutionen in Europa haben sich mit den kurz- und langfristigen Folgen der Corona-Pandemie auseinandergesetzt. Die Schweizer Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-SWISS), unterstreicht etwa, dass „Technologie in der Bewältigung dieser Krise eine überaus gro[ß]e Rolle spielt“. Für verschiedene digitale Technologien entpuppe sich die Covid-19-Pandemie als regelrechter Testfall. So könnte beispielsweise bei dem bislang kontrovers diskutierten Mobilfunkstandard 5G ein Wendepunkt der öffentlichen Wahrnehmung erreicht sein, so die TA-SWISS. In mehreren Diskussionspapieren beschäftigt sich das Wuppertal Institut mit den Wechselwirkungen der Pandemie mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen. So beleuchtet beispielsweise das Papier „Covid-19 im Licht der Sustainable Development Goals“, welche Potenziale sich aus der aktuellen Krise für die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ergeben. Auch das britische Parliamentary Office of Science and Technology (POST) stellt Wissen zu vielfältigen Aspekten der Krise zur Verfügung. Im Auftrag von POST haben sich Forschende beispielsweise damit befasst, wie Datenschutz beim Einsatz von Tracing Apps sichergestellt oder wie Falschinformationen effektiv begegnet werden kann.

ta-swiss.ch/corona

wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/5061

post.parliament.uk/category/analysis/covid-19

PODCAST

Format für die zukunftsfähige Gesellschaft

Mit einer neuen Podcast-Reihe macht sich das IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung auf die Suche nach Ideen, die das Potenzial haben, die Gesellschaft robuster, anpassungsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. „Resilient Futures. Der Podcast für eine resiliente und zukunftsfähige Gesellschaft“ betrachtet die gegenwärtige Krise als Reallabor, in dem es herauszufinden gilt, wie wir in Zukunft mit wachsender Komplexität und Unsicherheit umgehen wollen. Gastgeber des neuen Formats sind der Hamburger Mobilitätsexperte und Podcaster Sebastian Hofer sowie Felix Beer, Techniksoziologe am IZT. Mit Gesprächspartnerinnen und -partnern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutieren sie darüber, wie die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens neu gedacht und die Gesellschaft resistenter und damit zukunftsfähiger gestaltet werden kann. Bis zum Redaktionsschluss sind sechs Episoden erschienen – unter anderem mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze (Grüner Neustart nach Corona), Klimaaktivistin Luisa Neubauer (Klimagerechtigkeit trotz Corona) und IZT-Direktor Stephan Rammler (Corona als Reallabor).

resilientfutures.de

 

Five questions to:
Elena Seredkina

Associate Professor and Head of the Human-Robot Interaction Department, Perm National Research Polytechnic University, Russia

Why do you practice TA?

I am so thrilled to be involved in shaping technology according to social values. CEOs and engineers of Russian innovative companies reach out to me for guidance and joint research.

Which research question from the field interests you the most?

Throughout this year, I have focused on technology assessment for human-robot interaction.

What future technology deserves more attention?

In the post-pandemic era, the spotlight should be on start-ups developing autonomous delivery vehicles. They drive and integrate three innovations: eco-friendly shuttles, artificial intelligence, and robotics. Such technologies are expected to reshape municipal infrastructure, labor markets, and traffic regulations.

As a science politician, what would be first on your agenda?

My first initiative would be the establishment of an International Office of Technology Assessment (IOTA), a kind of intergovernmental structure like the UN that aims to maintain TA practice as policy advice and transdisciplinary dialogue between policy makers, experts, and the public.

Russia has a long TA history, what would you wish for its future?

More focus should be given to country-specific models of TA implemented in Germany, the USA, and China. Russia is to strike the right balance between the citizen-driven governance by science and technology and the government-driven one. The issue of citizen science must also come to the fore.

PROJEKT

Neue Perspektiven für urbane Transformation

Was sind wünschenswerte Vorstellungen von urbaner Zukunft? Das Deutsche Institut für Urbanisitik und das Fachgebiet Freiraumplanung der Universität Kassel möchten Menschen ermutigen, bei der Debatte ausgetretene Pfade zu verlassen. Dazu entwerfen sie in einem von der Robert-Bosch Stiftung geförderten Projekt „Freiräume der Zukunft“, so genannte „Urbane Xtopien“. Diese sind extreme Visionen technologischer, ökologischer, städtebaulicher, ökonomischer oder gesellschaftlicher Art, gänzlich unabhängig von aktuellen Rahmenbedingungen. Die Projektverantwortlichen wollen mit diesem Werkzeug über die gegenwärtige transformative Forschung hinausgehen und einen „gedanklich-emotionalen Zugang zu möglichen Zukünften“ eröffnen. In einer zweiten Phase will das Projektteam die Xtopien zusammen mit städtischen Akteurinnen und Akteuren einem Praxistest unterziehen. Ob sie zum schöpferischen, gestalterischen oder auch kritischen Umgang mit Zukünften anregen, soll mit „einbeziehenden Formaten“ aus Kunst- und Zukunftsforschung oder aus der Bildung für nachhaltige Entwicklung überprüft werden.

difu.de/projekte/2020/urbane-xtopien-freiraeume-der-zukunft

 

Aus dem openTA-Kalender

21. 07. 2020, Karlsruhe (virtuell)
technik.kontrovers: Zukünfte des 3D-Drucks. Drucken wir die Welt, wie sie uns gefällt?
www.itas.kit.edu/technikkontrovers

18.–20. 08. 2020, Prag (virtuell)
EASST/4S-Konferenz: Locating and Timing matters. Significance and agency of STS in emerging worlds.
www.easst4s2020prague.org

18.–20. 08. 2020, Wien (virtuell)
11th International Sustainability Transition conference: Governance in an era of change. Making sustainability transitions happen.
ist2020.at

09.–11. 09. 2020, München
INUAS Konferenz 2020 – Urbane Transformationen. Ressourcen.
www.inuas.org/konferenz-2020/ueberblick-inuas-konferenz-2020

12.–13. 11. 2020, Berlin (ggf. virtuell)
Forum Privatheit Jahreskonferenz 2020: Selbstbestimmung und Privatheit – Gestaltungsoptionen für einen europäischen Weg.
www.forum-privatheit.de/jahreskonferenz-2020

25.–27. 11. 2020, Leipzig
Sustainable & resilient urban-rural artnerships – URP2020.
www.urp2020.eu

Weitere Termine unter   www.openta.net/kalender

TA und Corona II

Digitales EPTA-Treffen

Das Frühjahrstreffen der Direktorinnen und Direktoren des Europäischen Netzwerks für Technikfolgenabschätzung für Parlamente (EPTA) fand diesmal aus naheliegendem Grund nicht wie geplant im ältesten Hotel Englands, dem Maids Head in Norwich, sondern erstmals in Form einer Videokonferenz statt. Das Treffen am 18. und 19. Mai 2020 leitete der amtierende EPTA-Präsident und Leiter des Parliamentary Office of Science and Technology (POST), Grant Hill-Cawthorne. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten insbesondere, vor welche Herausforderungen die Corona-Krise die Gesellschaften allgemein und die Technikfolgenabschätzung im Speziellen stellt. Es wurde deutlich, dass es bei den EPTA-Mitgliedern höchst unterschiedliche Herangehensweisen gibt: Einige Institute machen schlichtweg weiter mit ihren bisherigen Projekten, andere befassen sich aktuell praktisch ausschließlich mit COVID-19 bezogenen Aktivitäten. Die Teilnehmenden beschlossen, auch die EPTA Konferenz im Herbst auf dieses Thema auszurichten. Die Planungen laufen unter dem Arbeitstitel „Technology Assessment during a crisis“.

eptanetwork.org

BEFRAGUNG

Ambivalentes Verhältnis zu Bioökonomie

Welche Einstellung haben Deutsche gegenüber Technik? Damit beschäftigt sich der im Mai 2020 erschienene TechnikRadar der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Körber-Stiftung. Schwerpunkt der mittlerweile dritten Ausgabe sind Technologien im Bereich der Bioökonomie. Die repräsentative Umfrage ergibt unter anderem, dass es eine deutliche Mehrheit (88,4 Prozent) für sinnvoll hält, herkömmliches Plastik durch solches aus bioökonomischen Quellen zu ersetzen. Allerdings fürchten auch mehr als die Hälfte der Befragten (64,2 Prozent) durch den Anbau der Rohstoffe massive Auswirkungen auf die Landschaft. Ambivalent ist das Bild auch bei der Produktion von Biosprit aus Abfall- und Reststoffen. Eine Mehrheit (76,8 Prozent) hält dies für eine gute Sache. Allerdings geben 42,1 Prozent der Befragten an, Anlagen zur Biosprit-Gewinnung seien nahe an Wohngebieten nicht zumutbar. „Die Aussagen […] sind ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit beim Umweltschutz auseinanderklaffen“, kommentiert Cordula Kropp, Direktorin des für den TechnikRadar wissenschaftlich verantwortlichen Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart. Breite Ablehnung erfährt laut der Studie nach wie vor die Grüne Gentechnik: Ihren Nutzen erkennen nur 20,9 Prozent der Befragten, hingegen bewerten 66,4 Prozent ihre Risiken als hoch oder eher hoch.

acatech.de/publikation/technik-radar-2020

EDUTAINMENT

Computerspiel zu Biotechnologie

Als Serious Game bietet Battle for cattle spielerischen Zugang zur Biotechnologie. Quelle: Biofaction

Neue Zugänge zu den Themen Bakterien, Viren, Krankheiten und deren Behandlung eröffnet das Computerspiel „Battle for cattle“. Spielende schlüpfen in die Rolle von Forschenrinnen und Forschern, die auf einem Bauernhof mit übermäßigem Antibiotikagebrauch bei Kühen konfrontiert sind. Im Spielverlauf erfahren sie mehr über Antibiotika-Resistenzen und neue Wege zur Bekämpfung tödlicher Krankheiten, etwa mit Hilfe von synthetischer Biologie entwickelter Impfstoffe. „Unser Ziel war es, die komplexe Forschungstätigkeit der Wissenschaftler in ein unterhaltsames Spiel zu übersetzen, das einerseits wissenschaftliche Inhalte vermittelt, aber auch die Bedeutung der Forschung für die Gesellschaft hervorhebt“, erklärt Markus Schmidt. Seine Firma Biofaction, die unter anderem in diversen TA-Projekten an der Schnittstelle von Biotechnik, Wissenschaftskommunikation und Kunst arbeitet, hat das Spiel im Rahmen des EU-Projekts MycoSynVac entwickelt. Erstmals vorgestellt wurde es im Mai 2020 bei den GamesDays, einer internationalen Konferenz an der TU Darmstadt für so genannte Serious Games. Battle for Cattle ist als kostenfreie App erhältlich und lässt sich online im Browser spielen.

battleforcattle.com

PUBLIKATION

Praxishandbuch Datenschutz-Folgenabschätzung

Martin, Nicholas; Friedewald, Michael; Schiering, Ina; Mester, Britta; Hallinan, Dara (Hg.) (2020):
Die Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO. Ein Handbuch für die Praxis.
Karlsruhe: Fraunhofer Verlag, 68 S., ISBN 9783839615942

Um frühzeitig Risiken der Verarbeitung von Daten zu erkennen und Abhilfe zu schaffen, sind europäische Unternehmen und Organisationen seit 2018 in bestimmten Fällen zu einer Datenschutz-Folgenabschätzung verpflichtet. Unterstützen will sie dabei ein vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung veröffentlichtes Praxishandbuch. Datenschutzbeauftragte sowie Verantwortliche in Unternehmen und Verwaltung erfahren darin Schritt für Schritt, wie sich eine Datenschutz-Folgenabschätzung praktisch umsetzen lässt. Das Verfahren hierzu wurde im Forschungsverbund „Forum Privatheit“ entwickelt und anhand unterschiedlicher realer Datenverarbeitungen – zum Beispiel der Corona-App der Bundesregierung – getestet. „Uns war wichtig, dass [es] vom großen bis hin zum kleinen Unternehmen praktikabel ist und sich auch bei innovativen Verfahren etwa aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz die Risiken effektiv ermitteln und bewerten lassen“, so Michael Friedewald. Der Leiter des Geschäftsfelds Informations- und Kommunikationstechniken am Fraunhofer ISI und Projektkoordinator des „Forum Privatheit“ hat sich bereits in TATuP 1–2/2017 (doi.org/10.14512/tatup.26.1-2.66) ausführlich mit den Chancen, Grenzen und der Umsetzung von Datenschutz-Folgeabschätzungen auseinandergesetzt. Das Handbuch kann kostenfrei heruntergeladen werden.

bookshop.fraunhofer.de

 

Personalia

Miranda Schreurs und Armin Grunwald sind als neue Vorsitzende des Nationalen Begleitgremiums (NBG) zur Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle gewählt worden. Die 2016 gegründete Institution soll die Standortsuche unabhängig, transparent und bürgernah begleiten. Miranda Schreurs, Professorin für Umwelt und Klimapolitik an der Hochschule für Politik der TU München, wurde in ihrem Amt bestätigt. Armin Grunwald, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), folgt auf den früheren deutschen Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Nach erfolgreicher Aufbauarbeit komme es nun darauf an, „im Geflecht der Institutionen der Standortsuche […] eine stärker proaktive Rolle ein[zu]nehmen“, so Armin Grunwald. Miranda Schreurs betonte, das NBG müsse sich insbesondere der Frage stellen, wie ein für die Öffentlichkeit vertrauenswürdiger Prozess gestaltet werden kann. Die Diskussion über Fragen der Endlagersuche müsse zudem auch auf internationaler Ebene geführt werden. [Bildquelle: NBG/Aygül Cizmecioglu]

Uwe Schneidewind wurde im April 2020 nach zehn Jahren als Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts verabschiedet. In seine Amtszeit fallen erfolgreiche Evaluationen durch den Wissenschaftsrat, die zukunftsweisende Arbeit in Reallaboren und die Positionierung des Instituts als einer der führenden internationalen Think-Tanks zu gesellschaftlicher Transformation. Der Grund für Schneidewinds Abschied ist seine Kandidatur für das Amt des Wuppertaler Oberbürgermeisters, der im September dieses Jahres gewählt wird. Darüber hinaus bleibt er Lehrstuhlinhaber für „Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit“ an der Bergischen Universität Wuppertal. [Bildquelle: Wuppertal Institut/Annette Etges]