INTERNATIONALE STUDIE
Wie arbeiten Parlamente in Europa und weltweit am Thema Digitalisierung und welche Wissensressourcen stehen ihnen dabei zur Verfügung? Diesen Fragen nachgegangen sind Forschende des Rathenau Instituuts mit Sitz in Den Haag im Auftrag des Komitees für Digitale Zukunft der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments (Generalstaaten). Nun liegt ihre Studie „More grip on digitisation. An international comparison of parliamentary working methods“ vor. Sie soll den Abgeordneten helfen, mit aktuellen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung besser Schritt zu halten. Während die Forschenden des Instituts in einer ersten Phase Arbeitsmethoden in zehn Parlamenten verglichen, vertieften sie die Analyse mit Interviews in fünf Ländern. In Deutschland wurden unter anderem Mitglieder von Bundestagsausschüssen sowie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag befragt. Die niederländischen Generalstaaten, so ein wichtiges Ergebnis der Studie, können bei Fragen der Digitalisierung bisher nur auf eine vergleichsweise geringe Unterstützung durch Wissenschaft und Verwaltung zurückgreifen.
www.rathenau.nl/en/knowledge-democracy/more-grip-digitisation
LEHRE
Für Studierende in Moskau hat im September das erste Semester eines neuen Studiengangs im Feld der Technikfolgenabschätzung begonnen. Das Master-Programm „Social Analysis of Technological Innovations and Risks“ ist an der Fakultät für Soziologie und Kulturwissenschaften der Bauman Moscow State University (BMSTU) angesiedelt, einer der wichtigsten technischen Universitäten des Landes. „Wir möchten Forscherinnen und Forscher ausbilden, die in der Lage sind, die Ambivalenz komplexer Technologien und technischer Systeme zu verstehen“, sagt die Initiatorin und akademische Leiterin Elena Gavrilina. „Unsere Absolventinnen und Absolventen“, so die international vernetzte TA-Expertin, „sollen öffentliche Technologiedebatten moderieren und mit ihrer Expertise bei der Entscheidungsfindung zur Technologieentwicklung helfen“. Mit dem neuen Studiengang will die Technikfolgenabschätzung der BMSTU auch ihre langjährige Kooperation mit Partnern in Deutschland intensivieren. So sollen künftig auch Gastdozentinnen und -dozenten vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe das Lehrangebot für die Masterandinnen und Masteranden ergänzen.
BUNDESTAG
Waffensysteme, die ohne menschliches Zutun Ziele auswählen und bekämpfen, waren vor nicht allzu langer Zeit noch Science-Fiction. Fortschritte in den Bereichen Robotik und künstliche Intelligenz haben diese Vision nun an die Schwelle zur konkreten Umsetzung gerückt. Anlässlich der Ende Oktober erschienenen Studie „Autonome Waffensysteme“ des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag informierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei einem öffentlichen Fachgespräch am 4. November 2020 im Bundestag über den Stand der technischen Entwicklung, ethische und völkerrechtliche Aspekte sowie sicherheitspolitische Fragen im Kontext von autonomen Waffensystemen. Einig waren sie sich mit den Abgeordneten aller Fraktionen darin, dass internationale Übereinkünfte zur Begrenzung autonomer Entscheidungen über Leben und Tod ohne angemessene menschliche Kontrolle vorangebracht werden müssen.
Dokumentation mit Videomitschnitt:
www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw45-pa-bildung-waffensysteme-798846
TAB-Projektseite „Autonome Waffensysteme“:
www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u30600.html
Direktor des Futuriums in Berlin
Welche Berührungspunkte haben Sie mit der Abschätzung von Technikfolgen?
Eigentlich haben wir alle den ganzen Tag mit Technik und ihren Folgen zu tun, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Gerade in der Pandemie – Stichwort Corona-Tracking – sieht man momentan deutlich, welche Chancen und Risiken Technik birgt.
Welche Forschungsfrage interessiert Sie dabei besonders?
Ich komme ja aus dem Bereich der Kunst und Musik und schaue fasziniert darauf, dass man KI zunehmend auch dort findet. Irgendwann in vielen Jahren wird man sich fragen, wie sich menschliche noch von maschineller Kreativität unterscheidet.
Das Futurium ist ein Ort der Kommunikation über Zukunftsthemen. Was kann Wissenschaft hier beitragen?
Wichtig ist zu fragen, was Kommunikation erreichen soll. Wenn es der Wissenschaft nicht um Marketing, sondern wirklich um den Austausch geht, sollte sie die Fragen oder Ideen von Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen und in der Forschung auch auf sie eingehen.
Wie wir künftig leben wollen, ist eine zentrale Frage Ihres Hauses. Wie finden wir darauf gute Antworten?
Ich bin überzeugt, dass sich bei großen Zukunftsentscheidungen so viele Menschen wie möglich über den Weg dahin verständigen müssen. Und das bedeutet – ganz klassisch – Kompromissfähigkeit. Die müssen wir uns erhalten, um als Gesellschaft zu nachhaltiger Transformation in der Lage zu sein.
Das Futurium wie die TA sprechen gerne von „Zukünften“. Welche mögliche Zukunft scheint Ihnen erstrebenswert?
Eine in der wir das Prinzip der Nachhaltigkeit auf vielen Ebenen umgesetzt haben und die gleichzeitig Freiräume für die Menschen belässt – ohne Dauerüberwachung und Daueroptimierung. Das klingt nach der Quadratur des Kreises, aber schließlich ist der Weg das Ziel!
AUSFÜHRLICHES VIDEO-INTERVIEW UNTER www.tatup.de/youtube
[Bildquelle: Jan Windszus]
JUBILÄUM
Was wissen wir heute über die Technikfolgen von morgen? Wie können die Risiken des technischen Fortschritts minimiert und gleichzeitig seine Potenziale genutzt werden? Seit mittlerweile 25 Jahren beschäftigen sich damit Forschende am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe. Anlässlich des Jubiläums hat das Institut bei seiner Veranstaltungsreihe technik.kontrovers zu einer Reise durch 25 Jahre Technikfolgenabschätzung eingeladen. Unter dem Titel „Zurück in die Technik-Zukunft“ warfen Forschende am 17. November 2020 Schlaglichter auf ihre Arbeit zu nachwachsenden Rohstoffen (1990er-Jahre), der Verschmelzung von Mensch und Maschine (2000er-Jahre) und zu künftigen Mobilitätsformen (2010er-Jahre). Diskutiert wurden zudem Kontroversen, die die Technikfolgenabschätzung begleitet haben – und noch immer aktuell sind, etwa zur Positionierung der TA in gesellschaftlichen Debatten oder ihrem Anspruch, Wünschen und Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern Gehör zu verschaffen.
www.itas.kit.edu/technikkontrovers
FILM
Was treibt Menschen an, Maschinen nach ihrem Vorbild zu schaffen und so die Grenzen zwischen sich und der Technik aufzulösen? Antworten sucht der Dokumentarfilm ROBOLOVE, der im Oktober in österreichischen Kinos gestartet ist. Der Film porträtiert Menschen, die sich mit der Entwicklung von humanoiden Robotern beschäftigen. Zu Wort kommen der japanische Robotik-Guru Hiroshi Ishiguro oder die US-Amerikanische Transhumanistin Natasha Vita-More. Die Regisseurin Maria Arlamovsky will jedoch keine Ängste schüren: „Es geht […] darum, in Ruhe zu überlegen, was da auf unser Privatleben zurollen könnte und ob wir als Gesellschaft dafür gewappnet sein werden“. Die Technik, so die Filmemacherin, falle nicht vom Himmel. „Wir Menschen sind es, die Technik bauen, Programme programmieren, unsere Vorurteile unbeabsichtigt in Algorithmen speichern.“ Robolove wurde beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm ausgezeichnet.
INSTITUTION
Mit dem THE NEW INSTITUTE engagiert sich seit September 2020 ein neuer Akteur auf dem Feld transformativer und transdisziplinärer Forschung. Initiiert vom Hamburger Unternehmer Erck Rickmers versteht sich die Denkfabrik als „interdisziplinäre und transsektorale Plattform für lösungsorientierte Denker“. Ziel ist es, neue Lösungen für die drängendsten ökologischen, ökonomischen und politischen Herausforderungen zu entwickeln und den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Maja Göpel, der bisherigen Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Das THE NEW INSTITUTE, so die Politökonomin, sei ein ideales Forum, um Brücken zwischen Disziplinen und politischen Lagern zu bauen und in Zeiten großer Unsicherheit Wege in eine positive Zukunft aufzeigen. Im Herbst 2021 will das Institut mehrere neoklassizistische Stadthäuser im Zentrum Hamburgs beziehen. Dort sollen bis zu 35 Fellows aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik temporär zusammen leben und arbeiten.
13.–20. 01. 2021, DELFT
Philosophy of Responsible Innovation 2021.
www.ozsw.nl/activity/philosophy-of-responsible-innovation-2021
23.–26. 02. 2021, PORTO ALEGRE (online)
Fourth ISA Forum of Sociology: Challenges of the 21st Century. Democracy, environment, inequalities, intersectionality.
www.isa-sociology.org/en/conferences/forum/porto-alegre-2021
03. 03. 2021, TÜBINGEN (online)
Konferenz – Faire Medizin durch künstliche Intelligenz? Möglichkeiten, Herausforderungen, Konsequenzen.
uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/zentrum-fuer-gender-und-diversitaetsforschung-zgd
23. 03. 2021, KARLSRUHE
Symposium – Re-imagining the futures of 3D printing in society.
www.itas.kit.edu/veranstaltungen_2021_re-imagining_futures_of_3d_printing
22.–23. 04. 2021, BERLIN
Fachkonferenz 2021. Zivile Sicherheit im demokratischen Staat.
www.sifo-dialog.de/veranstaltungen/fachkonferenz-2021
Weitere Termine unter www.openta.net/kalender
PUBLIKATION
Hengstschläger, Markus; Rat für Forschung und Technologieentwicklung (Hg.) (2020):
Digitaler Wandel und Ethik.
Wals bei Salzburg: Ecowin, 441 S.,
ISBN 9783711002716
[Bildquelle: Benevento Publishing]
Heute bestimmen oft Ängste den Diskurs über die Digitalisierung – vor der Monopolmacht großer Konzerne, der Benachteiligung durch Algorithmen oder vor staatlicher Überwachung. Markus Hengstschläger, Genetiker und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des österreichischen Rates für Forschung und Technologieentwicklung, erteilt jedoch „alarmistischen Untergangsszenarien“ eine Absage. In dem von ihm herausgegeben Sammelband „Digitaler Wandel und Ethik“ plädiert er für eine Versachlichung der Diskussion über Risiken und Chancen der Digitalisierung. Die Autorinnen und Autoren des Bandes kommen aus der Informatik, Wirtschaft, Soziologie und Philosophie. Mit Alexander Bogner und Stefan Strauß sind auch zwei Wissenschaftler des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) in Wien vertreten. Sie untersuchen in ihrem Beitrag „Demokratische Herausforderungen im Zeitalter des digitalen Wandels“.
www.ecowin.at/produkt/digitaler-wandel-und-ethik/
STUDIE
Das Freisetzen von neuartig gentechnisch veränderten Tieren und Pflanzen in die Umwelt könnte unüberschaubare Wechselwirkungen mit Ökosystemen auslösen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Pilotstudie, die sich mit der Folgenabschätzung von Neuer Gentechnik – sogenannten Gene Drives – beschäftigt. „Der Gene-Drive-Mechanismus soll dafür sorgen, dass sich gentechnische Veränderungen möglichst schnell in wildlebenden Populationen ausbreiten“, erläutert Arnim von Gleich, Leiter des Fachgebiets „Technikgestaltung und Technologieentwicklung“ im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen und Projektkoordinator der Studie. Von Gleich und seine Ko-Autorinnen und -Autoren haben anhand von Fallstudien zu Gene-Drive-Anwendungen bei Olivenfliegen und Raps untersucht, ob Kipp-Punkte erreicht werden, bei deren Überschreiten Ökosysteme unwiederbringlich verändert werden – etwa indem Nahrungsketten unterbrochen oder andere Systemleistungen verloren gehen. Die Forschenden plädieren für das Vorsorgeprinzip: Das Ausmaß an Unsicherheiten und die Grenzen des Wissens sollten Anlass sein, solche Freisetzung sorgfältig zu überdenken und abzuwägen und nach risikoärmeren Alternativen zu suchen.
PODCAST
Auf welche Weise könnte Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln? Und was würde das für uns bedeuten? Insgesamt zwölf Folgen nimmt sich der Forschungspodcast „Selbstbewusste KI“ Zeit, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen. „Es geht darum, das Thema aus der Geheimnisecke herauszuholen und so darzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, womit sie es dabei zu tun haben“, sagt Karsten Wendland, der am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) zum Thema Computer und Bewusstsein forscht und die Reihe initiiert hat. In dem Podcast beleuchtet er mit internationalen Gesprächspartnerinnen und -partnern aus der Robotik, Psychologie, Philosophie, Jura, Technikgeschichte, Neurowissenschaften oder Theologie das Thema aus vielfältigen Perspektiven. Entstanden ist der Podcast aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Abklärung des Verdachts aufsteigenden Bewusstseins in der Künstlichen Intelligenz“. Die Forschenden untersuchen und kartieren darin, welche wissenschaftlichen Gruppen wirtschaftlich und weltanschaulich zum „aufsteigenden Bewusstsein“ in der KI arbeiten.