Technikfolgenabschätzung (TA) ist vor über 50 Jahren zur Unterstützung demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung entstanden. Sie hat sich seitdem in demokratischen Gesellschaften westlichen Typs weiterentwickelt und diversifiziert. Dieses Modell ist seit einigen Jahren mit Herausforderungen konfrontiert, darunter: (1) In fast allen westlichen Ländern wird anlässlich des Erstarkens populistischer Strömungen von einer Krise der Demokratie gesprochen. (2) Die Digitalisierung ermöglicht neue Kommunikations- und Mobilisierungsmuster weitab von den klassischen Formen demokratischer Meinungs- und Willensbildung. (3) Basisdemokratische und partizipative Verhandlungen werden für die Ausgestaltung und Akzeptanz von neuen Technologien immer relevanter. In dieser Einführung entfalten wir diese Herausforderungen und geben einen Überblick über die Beiträge des TATuP-Themas.
Technology assessment (TA) was established more than 50 years ago to support democratic opinion forming and decision making. Since then, it has developed and diversified in Western democratic societies. This model has faced a number of challenges in recent years, including: (1) In almost all Western countries, the rise of populist movements has led to talk of a crisis of democracy. (2) The ongoing digitalization enables new patterns of communication and mobilization far beyond traditional forms of democratic opinion forming and decision making. (3) Grassroots and participatory negotiations are becoming more and more relevant for the development and acceptance of new technology. This introduction unfolds these challenges and provides an overview of the contributions to the TATuP special topic.
Die Technikfolgenabschätzung (TA) ist vor über 50 Jahren zur Unterstützung demokratischer Institutionen entstanden, zunächst in den USA, dann vor allem in Europa. Sie hat sich in demokratischen Gesellschaften westlichen Typs weiterentwickelt und diversifiziert. Zwischen TA und Demokratie besteht somit in der Praxis eine lange Beziehung (s. u.). Auch theoretische Einordnungen der TA haben ihren Zusammenhang mit westlichen Demokratievorstellungen immer wieder hervorgehoben, so etwa im Verweis auf TA als Modell pragmatistischer Politikberatung in der Tradition von John Dewey und Jürgen Habermas (Saretzki 2015; Grunwald 2018). Jedoch haben sich die Kontexte der TA und damit ihre Erfolgsbedingungen in hohem Maße verändert: Seit Jahren verschärft sich die Krise vieler westlicher Demokratien angesichts des zunehmenden, häufig nationalistisch ausgerichteten Populismus; öffentliche und politische Debatten fordern durch die Digitalisierung mit demokratiefeindlichen Tendenzen heraus; geopolitische Verschiebungen gehen mit zunehmender Bewunderung des chinesischen Modells auch unter westlichen Eliten einher; Erwartung von Bürgern und Stakeholdern, bei Beratungen und Entscheidungsfindungen direkt involviert zu werden, steigen an. Die klassischen Formen politikberatender und partizipativer TA stoßen hier an Grenzen.
Gleichzeitig führt die Ausweitung der TA in viele Länder jenseits westlicher Demokratien zu weitreichenden Fragen an ihre normative Basis. Wie adaptiv und flexibel oder gar ‚opportunistisch‘ darf oder will TA sein? Es ist daher kein Zufall, dass in den lebhaften Debatten der letzten Jahre um die Normativität der TA (Delvenne et al. 2019; Nierling und Torgersen 2019, 2020) immer wieder auch die Verortung der TA in der Demokratie angesprochen wurde. Die Motivation für dieses TATuP-Thema speist sich einerseits aus dem Wunsch, die genannten Beobachtungen und ihre Relevanz für die TA besser zu verstehen, andererseits aus dem Interesse an konzeptionellen Antworten aus der TA auf die aktuellen Herausforderungen im Kontext der Demokratie.
TA ist durch politische Nachfrage nach wissenschaftlicher Reflexion und Beratung über Technikfolgen in demokratischen Institutionen entstanden. Beginnend mit parlamentarischer Beratungspraxis hat sich eine Vielzahl enger Verbindungen von TA und Demokratie entwickelt. War TA zunächst im System repräsentativer Demokratie angesiedelt, so hat sich seit den 1980er-Jahren eine starke Komponente zivilgesellschaftlicher Inklusion etabliert. Die Nähe der TA zur Demokratie zeigt sich in mindestens drei Hinsichten (Grunwald 2018):
(1) Stärkung der Parlamente: Die Etablierung des Technology Assessment im US-amerikanischen Kongress erfolgte vor etwa 50 Jahren vor einem konkreten demokratiepolitischen Hintergrund. Neben dem allgemein erkannten Bedarf an wissenschaftlicher Politikberatung zu Fragen des technischen Fortschritts und seiner Implikationen für Handlungsfelder der Politik waren dies konkrete Sorgen um die in den USA konstitutionell starke Gewaltenteilung. Diese erschien durch die Asymmetrie im Zugang zu wissenschaftlicher Expertise zwischen Legislative und Exekutive bedroht. Parlamentarische TA (Bimber 1996) sollte diese Gewaltenteilung durch eine Stärkung des Kongresses wiederherstellen. Hierbei ging es also nicht nur um eine funktionale Notwendigkeit von Beratung, sondern um das demokratietheoretisch erforderliche Austarieren repräsentativer Demokratie. Dieser explizit demokratisch motivierten Argumentation folgte ab den 1980er-Jahren eine Reihe europäischer Länder (PACITA 2012). Die Intention, die Rolle der Parlamente als dem Anspruch nach zentralen Herzstück repräsentativer Demokratie gegenüber den Exekutiven zu stärken, prägt viele Einrichtungen parlamentarischer TA bis heute, z. B. im Berliner TAB (Petermann und Grunwald 2005).
(2) Die Abwehr technokratischer Herrschaftsansprüche: Bereits in der Anfangszeit der TA wurden Aushöhlung oder gar Ersatz demokratischer Debatten und Entscheidungsprozesse durch technokratische Expertenzirkel befürchtet (Krauch 1961). Demgegenüber besteht die TA auf einem demokratischen Gestaltungsanspruch im Umgang mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und seinen Folgen (Schomberg 1999). Damit verbunden ist die Diagnose, dass Zukunftsentscheidungen über Themen wie die Energiewende, den Einsatz von Pflegerobotern oder die Sicherstellung von Privatheit in der Digitalisierung grundsätzlich nicht nur faktenbasiert, sondern immer auch auf Basis normativer Überzeugungen wie Werten, Gesellschaftsentwürfen und Gerechtigkeitsvorstellungen getroffen werden. In der Abwägung von und Entscheidungen zwischen alternativen Zukunftspfaden haben sie damit genuin politischen Charakter. Ein technokratisches ‚Science knows best‘ (kritisch dazu Pielke 2007), etwa durch modellbasierte Optimierung, würde diesen politischen Charakter invisibilisieren und damit das Mandat der Wissenschaft überziehen. Der Technokratie stellt die TA ein Denken in alternativen Optionen als Modus wissensbasierter, aber demokratischer Deliberation entgegen (Grunwald 2019).
(3) Zivilgesellschaftliche Inklusion: Partizipative Verfahren mit Beteiligung von Bürgern und Stakeholdern sind seit den 1980er-Jahren allmählich zum Standard der TA geworden. Damit stellt sich TA hinter die Forderungen nach ‚starker‘ (Barber 1984) und deliberativer Demokratie (Habermas 1992). Die Inklusion von unterschiedlichen Werten, Interessen und Perspektiven, aber auch von Wissensbeständen, hat eine legitimatorische und eine epistemologische Funktion (Grunwald 2019): Resultierende Abwägungen und Bewertungen werden dadurch in verschiedene Richtungen anschlussfähig und können diese im Idealfall integrieren, was zur sozialen Legitimation der Ergebnisse beiträgt, weiterhin können Wissensbestände lokaler Akteure das Ergebnis epistemisch robuster machen. In dieser normativ anspruchsvollen Ausrichtung folgt die TA einem pragmatistischen Verständnis von Politik- und Gesellschaftsberatung, das über Habermas’ (1968) Modell einer ‚als ob‘-Beteiligung des „Publikums der Staatsbürger“ (S. 138) hinaus auf eine echte Beteiligung zielt.
Im Selbstverständnis der TA ist die Orientierung am Modell pragmatistischer Politikberatung tief verankert.
Die TA war in ihrer Entwicklung an demokratischen Idealen orientiert und ein Kind der westlichen Demokratien. In der Frühzeit der langen Beziehung zwischen normativ anspruchsvoller Demokratie und der TA sind durchaus auch technokratische TA-Modelle diskutiert worden wie z. B. japanische Vorstellungen von TA als einem politischen Technikmanagement im Rahmen des Ministry of Trade and Industry (Moniz und Okuwada 2016) und Ansätze der OECD (Jantsch 1967). Diese haben freilich keine Strahlkraft entwickelt und sind rasch wieder verschwunden. In den früheren kommunistischen Ländern oder anderen Diktaturen hat es nichts der TA Vergleichbares gegeben. Freilich wäre ein öffentliches und inklusives Debattieren über nicht intendierte Folgen und mögliche Alternativen zum Umgang mit ihnen in einem totalitären oder planwirtschaftlichen System nur schwer vorstellbar.
Im Selbstverständnis der TA ist die Orientierung am Modell pragmatistischer Politikberatung tief verankert, wobei immer wieder John Dewey (1927) und Jürgen Habermas (1968) als Autoren genannt werden. Diese Ausrichtung führte die TA früh in das Umfeld der seit den 1990er-Jahren ‚deliberativ‘ genannten Demokratie. Damit gewinnt TA eine demokratiefördernde Dimension über ihre Beiträge zum Funktionieren staatlicher Organe hinaus.
Wenn gegenwärtig von einer Krise der Demokratie die Rede ist, dann ist in der Regel eine Variante des Modells einer liberal verfassten, repräsentativen Demokratie gemeint, wie sie in den meisten westlichen Industrieländern institutionalisiert ist. Was die TA und ihre Beratungsaufgaben in Bezug auf die Meinungs- und Willensbildung in der Demokratie betrifft, so erscheinen insbesondere solche Krisendiagnosen diskussionswürdig, denen zufolge die deliberativ ausgerichtete Form dieses repräsentativen Demokratiemodells und damit nicht zuletzt die Idee des Parlaments als öffentliches Forum der Demokratie in den letzten Jahren vor allem von zwei Seiten unter Druck geraten ist.
Öffentlich wahrgenommen und kritisch kommentiert werden populistische Mobilisierungen, die in vielen Fällen nationalistisch eingefärbt sind, mit Ressentiments gegenüber Minderheiten und dem Establishment spielen und ihre politischen Strategien mit einer einfachen Entgegensetzung der Interessen ‚korrupter Eliten‘ und einem vermeintlich offenkundigen ‚wirklichen Volkswillen‘ zu legitimieren suchen. Unter Druck gerät die Idee einer offenen Meinungs- und Willensbildung in den Institutionen einer repräsentativen Demokratie und insbesondere in den Parlamenten vielen Diagnosen zufolge aber auch durch den weiter wachsenden Einfluss von Expertennetzwerken, wie sie insbesondere im Rahmen der Europäischen Integration beobachtet wurden. Der ‚Aufstieg der Ungewählten‘ wird von einigen Policy-Expertinnen und Experten mit Hinweisen auf die Relevanz ihrer ebenso unverzichtbaren wie vermeintlich unabhängigen Expertise begründet und im Rahmen einer erweiterten Gewaltenteilungslehre als „fünfte Gewalt“ gerechtfertigt (Vibert 2007). Angesichts der Bedeutung, die dem rationalen Umgang mit wissensbezogenen Fragen in der Theorie deliberativer Demokratie zugewiesen wird, haben einige Europaforscher die Koordination und Entscheidungsfindung in den Gremien der EU, bei der Expertennetzwerke eine große Rolle spielen, als empirische Verkörperung eines Modells deliberativer Demokratie interpretiert (Joerges und Neyer 1997). Solche Charakterisierungen empirisch beobachtbarer Beratungsprozesse als Ausdruck deliberativer Demokratie stellen sich für kritische Stimmen hingegen als unangemessene Legitimierung eines entstehenden ‚post-demokratischen‘ Systems dar, das treffender als technokratisch und ‚elitistisch‘ zu beschreiben und zu bewerten wäre. Die repräsentative Form von Demokratie läuft aus dieser kritischen Sicht nicht nur von einer, sondern von zwei Seiten Gefahr, ihre Institutionen auszuhöhlen sowie ihre Identität und ‚Figur‘ zu verlieren – und infolgedessen von innen und außen nicht mehr als ein politisches System erkennbar zu sein, das sich eindeutig von anderen unterscheidet (Urbinati 2014).
Zwischen Populismus und Autoritarismus auf der einen, Expertenermächtigung und Technokratie auf der anderen Seite gibt es solchen kritischen Diagnosen zufolge nicht nur offenkundige Gegensätze, sondern auch Gemeinsamkeiten. Populismus und Technokratie verneinen den Pluralismus von Interessen und Werten in der Gesellschaft und richten sich gegen ihre Vermittlung durch politische Parteien und Parlamente. Beide beurteilen die Legitimität demokratischer Verfahren weniger am Grad der Gewährleistung von Prinzipien der offenen Meinungs- und Willensbildung unter Bürgerinnen und Bürgern, die sich wechselseitig als Freie und Gleiche anerkennen. Sie messen den Wert demokratischer Prozesse vielmehr in erster Linie an ihrem ‚Outcome‘ und verfolgen so ein Legitimitätskonzept, das demokratische Autorität nicht an demokratische Verfahren bindet, sondern von der Qualität anders bestimmter Ergebnisse abhängig macht. Demokratie erfährt in beiden Fällen keine intrinsisch begründete, sondern lediglich eine instrumentelle Rechtfertigung: Populisten stellen demokratische Institutionen und Entscheidungen unter den Vorbehalt der Übereinstimmung mit dem Willen eines homogen gedachten Volkes, der selbst außerhalb demokratischer Verfahren bestimmt wird. Befürworterinnen und Befürworter technokratischer Entscheidungsfindung, die sich auf epistemisch begründete Demokratietheorien berufen, interpretieren demokratische Verfahren in erster Linie als Wege auf der Suche nach Wahrheit, sehen sie in praktischer Hinsicht etwa als Instrumente bei der Herstellung von funktional mehr oder weniger erfolgreich benutzbarem robustem Wissen. Populistische wie technokratisch ausgerichtete Ansätze tragen, so die kritische Diagnose, von unterschiedlichen Seiten zur „Entpolitisierung“ demokratischer Prozesse bei und führen am Ende zur Vorstellung einer „unpolitischen Demokratie“, die angesichts ihrer normativen und politisch-praktischen Implikationen zu kritisieren ist (Urbinati 2014, S. 81–127).
Populismus und Technokratie verneinen den Pluralismus von Interessen und Werten.
In solchen Diagnosen schwingt auch der Vorwurf mit, dass Theorien deliberativer Demokratie mit ihrer Akzentuierung der epistemischen Dimension von Demokratie und den darauf aufbauenden Demokratisierungsstrategien direkt oder indirekt zur Legitimation von institutionellen Reformen beitragen, die in der politischen Praxis zu einer spezifischen Entpolitisierung demokratischer Meinungs- und Willensbildung führen und damit Prozesse nach sich ziehen, an deren Ende die Etablierung einer technokratisch begründeten und elitistisch strukturierten post-demokratischen Ordnung erkennbar wird. Solche Diagnosen, die Ideen und Institutionen einer deliberativen Demokratie zumindest indirekt auch für die Entfremdung ‚einfacher‘ Bürgerinnen und Bürger von entpolitisierten technokratischen Formen der Entscheidungsfindung und darauf aufbauende populistische Proteste gegenüber elitistischen Strukturen verantwortlich machen, sind ihrerseits nicht ohne Widerspruch geblieben. So kann mit guten Gründen argumentiert werden, dass Entpolitisierung und technokratische Herrschaft in Theorien deliberativer Demokratien bei näherem Zusehen keine Rechtfertigung finden und weder technokratische noch populistische Ansätze überzeugende Antworten auf die ausgemachten Schwächen oder „Krisen“ der liberalen repräsentativen Demokratie bereitstellen, sondern den demokratischen Kern kollektiven Handelns verfehlen (Gaus et al. 2020, S. 2).
Wie andere Ansätze wissenschaftlich fundierter Policy-Analyse hat auch TA in ihrem Bereich auf erkennbare Grenzen des Expertenwissens und anhaltende Kritik an Formen technokratisch geprägter und elitistisch begrenzter Politikberatung mit einer „partizipativen Wende“ reagiert und mit einer Vielzahl von neuen Beteiligungsformen im Sinne einer „Demokratisierung von Expertise“ experimentiert (Saretzki 1997). Wie andere demokratische Innovationen, stehen angesichts vielfältiger Erfahrungen mit solchen Experimenten mittlerweile allerdings auch Ansätze partizipativer TA vor Legitimationsproblemen und praktischen Reaktionen auf partizipativ ausgerichtete Demokratisierungsstrategien, die theoretisch mit einigen Paradoxien demokratischer (Selbst-)Transformationen und praktisch mit der Aufgabe einer kontextbezogenen innovativen Balancierung von inklusiver Partizipation, rationaler Deliberation und effektiver Selbsteinwirkung verbunden sind (Schmalz-Bruns 2018).
Was bedeutet nun erstens die aktuelle Krise der westlichen Demokratie für die TA? Wie steht TA zu Bedrohungen westlicher Demokratiemodelle ‚von innen‘, insbesondere solchen, die im Rahmen demokratischer Wahlen entstehen? Ist TA Beobachterin oder muss sie Partei ergreifen (Delvenne et al. 2019)? Damit hängt die Frage zusammen, ob und inwieweit das pragmatistische Modell noch trägt oder ob es nicht obsolet geworden ist. Habermas selbst hat eingeräumt, dass die empirischen Voraussetzungen des pragmatistischen Ansatzes nicht erfüllt sind (1968). Dadurch wird freilich die normative, auf Demokratie zielende Grundierung der TA nicht falsifiziert, sondern es resultiert der Imperativ, an der Verbesserung der empirischen Bedingungen zu arbeiten, in deren Rahmen eine normativ anspruchsvolle TA in der Praxis Wirksamkeit entfalten kann. Indem TA sich inklusiv, transparent, argumentationsgeleitet und reflektiert mit Technikfolgen befasst, trägt sie, wie unvollkommen das auch immer sein mag, zur Schaffung oder Verbesserung der Bedingungen ihrer Möglichkeit bei. Dies weitergedacht würde als These bedeuten, dass TA sich bereits dann einmischt, wenn sie ihre Arbeit im Einklang mit den genannten Idealen macht (Grunwald 2019). Es bleibt die Frage, wie weit Ideal und Realität auseinanderklaffen dürfen, ohne das demokratietheoretisch anspruchsvolle Geschäft der TA als hoffnungslos naiv erscheinen zu lassen.
Zweitens ist die pragmatistische Sicht normativ motiviert. Angesichts des chinesischen Erfolgs in der Wirtschaft und des amerikanischen Erfolgs in der Digitalisierung stellt sich die Frage, ob und für wen oder was dieses normativ orientierte Modell auch funktional ist. Der TA liegt implizit die nichttriviale Überzeugung zugrunde, dass mit einer auf demokratische Ideale zugeschnittenen Prozessqualität (Inklusion, Partizipation, Transparenz etc.) auch eine optimale Produktqualität verbunden ist. Letzteres wird jedoch von Teilen der westlichen Eliten zusehends sogar für die Demokratie als Ganzes angezweifelt. Sie sei zu langsam, zu mühsam, es werde zu viel geredet und zu wenig durchgesetzt. Die normative Stärke wird als funktionale Schwäche wahrgenommen. TA wäre demgegenüber nahe an dem, was manche als europäisches Modell der Innovation bezeichnen: kein blindes Vertrauen auf den Markt, hohe Priorität individueller Rechte, Vorsorgeprinzip (Siune et al. 2009). Hier ist die Herausforderung an TA, dieses Modell mit zu entwickeln, gleichzeitig sich aber nicht die Engführung auf ökonomische Funktionalität überstülpen zu lassen, sondern den Eigenwert der normativen Ausrichtung hochzuhalten.
Drittens sind grundlegende Herausforderungen der Demokratie durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und seine übergriffigen Tendenzen auf den Entscheidungsspielraum und die Handlungsfreiheit der Politik geblieben. Aktuelle Erwartungen, etwa mit Big-Data-Technologien und KI die mühsame demokratische Entscheidungsfindung auf rasche datenbasierte Optimierung mittels Algorithmen zu reduzieren, sie damit zu automatisieren und das noch als Gewinn an Objektivität und Effizienz zu schätzen, mögen nur der Gipfel weiterhin akuter technokratischer Tendenzen sein. Technokratievorstellungen äußern sich heute auch im teils naiven Vertrauen auf Daten und Statistiken und im grassierenden Syndrom vorgeblicher Alternativlosigkeit. Diese bislang wenig öffentlich thematisierte Neuauflage der Technokratie ist auf jeden Fall eine Herausforderung an die TA, deren Ansatz sie zum Denken in Alternativen verpflichtet. Es bleibt Aufgabe der TA, alternative Optionen für den Umgang mit technologischen und anderen Möglichkeiten der Problembearbeitung zu formulieren und eine öffentliche Debatte zu lancieren, um einen schleichenden Demokratieverlust zu verhindern.
Es bleibt Aufgabe der TA, alternative Optionen für den Umgang mit technologischen und anderen Möglichkeiten der Problembearbeitung zu formulieren.
Viertens sind nicht wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Meinung, dass die Demokratie ungeeignet sei, mit langfristigen Herausforderungen wie dem globalen Klimawandel umzugehen. Diagnosen eines Demokratieversagens in der Umweltkrise gehen dabei teilweise mit Forderungen einher, demokratische Verfahren im Namen der Überlebenssicherung außer Kraft zu setzen, alle notwendigen Maßnahmen auf der Basis des vermeintlich ‚richtigen‘ wissenschaftlichen Wissens zu planen und von einer entsprechend qualifizierten wissenschaftlichen ‚Wächterelite‘ in autoritären Managementstrukturen durchsetzen zu lassen. Solche generalisierenden Diagnosen eines grundlegenden Demokratieversagens und die radikalen Therapievorschläge, die auf dieser Basis angedacht werden, halten einer kritischen Überprüfung der vorgetragenen Argumentation nicht stand. Beim Auf- und Umbau der ökologischen Problemlösungsfähigkeit von Demokratien können wissenschaftlich qualifizierte Eliten auf die Vielfalt unterschiedlicher Fragen, die sich in solchen gesellschaftlichen Transformationsprozessen stellen, auf der Grundlage ihres spezifischen (Fach-)Wissens allein keine autoritativen Antworten geben (Saretzki 2011). Der Aufbau von Bewältigungskapazitäten für den Klimawandel und andere große Herausforderungen hat die TA-Community schon länger beschäftigt und steht zurzeit im Fokus der Aktivitäten zu einer global TA (Hahn und Ladikas 2019). Die meisten Regierungen demokratischer Industriestaaten haben auf die ausgemachten materiellen grand challenges bisher vor allem mit Programmen zur Förderung technischer Innovationen reagiert, sodass die Frage nach der Abschätzung und Bewertung der dabei zu gewärtigenden Folgen schon im Rahmen und in Fortsetzung ihres bisherigen Aufgabenprofils auf die Agenda der TA geraten ist (Decker et al. 2018).
Wenn die Diagnose richtig ist, dass die Demokratie nicht nur durch materielle Herausforderungen von außen, sondern auch von innen durch Prozesse der Entdemokratisierung bedroht ist, dann stellt sich die Frage nach dem Wechselverhältnis von wissenschaftlich-technischem Wandel und Demokratie angesichts veränderter gesellschaftlicher und politischer Bedingungen auch für TA dringlicher und anders, als das bisher im stabilen Rahmen eines etablierten und weithin anerkannten demokratischen Institutionensystems der Fall war. Im Fokus von TA stehen dann nicht nur vertraute Aufgaben bei der Analyse und Bewertung der Voraussetzungen, Gestaltungsbedingungen und möglichen Folgen von (neuen) Technologien. Ausführlicher und differenzierter zu behandeln wären auch Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen, die für einen demokratischen Umgang mit Technisierungsprozessen auf den Ebenen der Bürgerschaft (Werte, Normen, Interessen, Vertrauen, Solidarität), des politischen Vermittlungssystems (Parteien, Verbände, Nichtregierungsorganisationen) und des staatlichen Institutionensystems im engeren Sinne (Parlamente, Regierungen, Verwaltungen, Gerichte) in Rechnung zu stellen sind. Legt man ein reflexives Selbstverhältnis zu Grunde, dann steht auch TA im Hinblick auf ihre Beratungsaufgaben analytisch und praktisch vor einer Herausforderung zweiter Ordnung: der Herausforderung, große gesellschaftliche Herausforderungen unter veränderten Bedingungen nicht irgendwie, sondern im Rahmen legitimer demokratischen Verfahren und Institutionen zu bewältigen.
Stefan Böschen und Hans-Jörg Sigwart greifen in ihrem Beitrag die jüngere Debatte um die Neutralität und das damit verbundene Positionierungsproblem der TA auf. Um dieses Positionierungsproblem in ihren Bezügen zur Öffentlichkeit produktiver als bisher reflektieren und bearbeiten zu können, müsse TA über ihren Fokus auf Fragen politischen Könnens hinaus auch die im öffentlichen Raum bedeutsamen Semantiken des politischen Wollens und Sollens stärker berücksichtigen. In einem solchen dreidimensionalen Referenzrahmen ließen sich unterschiedliche Bezüge von TA zu einer stärker fragmentierten Öffentlichkeit auch in funktionaler Perspektive differenzierter interpretieren. Betrachtet man unterschiedliche Bezüge von TA zur Öffentlichkeit, bei denen diese als Adressatin, als Quelle von TA-Wissen oder als Interaktionspartnerin fungiert, im Lichte des vorgeschlagenen Referenzrahmens, dann erscheint das Positionierungsproblem der TA nicht mehr als unvereinbarer Grundkonflikt zwischen Neutralität und Parteilichkeit, sondern als Frage einer analytisch hinreichend differenzierten Reflexion und Verständigung über die eigenen Aufgaben und Bedingungen ihrer Bearbeitung.
Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche geraten nicht nur neue Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, sondern auch die damit verbundenen Folgen für erweiterte Überwachungs- und Kontrolloptionen auf die öffentliche Agenda. Harmut Aden und Jan Fährmann untersuchen den Einsatz neuer Datenverarbeitungstechnologien in dem grundrechtssensiblen Bereich der Polizei. Die Nutzung von IT-Anwendungen in der Polizeiarbeit setzt bei Risiken für die Freiheitsrechte von Betroffenen zwar eine rechtlich vorgeschriebene Folgenabschätzung im Hinblick auf den Datenschutz voraus. Bei deren weitgehend polizeiinterner Umsetzung zeigen sich in der Praxis allerdings erhebliche Defizite im Hinblick auf die Herstellung von Transparenz. Diese könnten den Autoren zufolge durch veränderte rechtliche Vorgaben, technische Maßnahmen und partizipative Ansätze abgebaut werden.
Philipp Frey, Christoph Schneider und Christian Wadephul erinnern daran, dass die Entwicklung und Nutzung von Technik zu großen Teilen in einer privatwirtschaftlich organisierten ökonomischen Sphäre erfolgt. Angesichts der Dominanz ökonomischer Akteure, die in den letzten Jahrzehnten durch Politiken der De-Regulierung und Privatisierung weiter gestärkt wurde, stößt die Idee einer Demokratisierung des technischen Wandels auf Grenzen, die durch die Verteilung von Macht und Entscheidungskompetenzen in dieser Sphäre und ihren Einfluss auf politische Prozesse bedingt sind. Die Autoren plädieren daher dafür, in der Diskussion über eine demokratische Gestaltung des technischen Wandels an Ideen einer Wirtschaftsdemokratie anzuknüpfen und in der Diskussion über die Rolle der TA entsprechend Position zu beziehen.
Immer wieder wurde in den letzten Jahren die zunehmende Bedeutung von Expertenkommissionen in der Politikberatung diskutiert und auch kritisiert. Jörg Radtke und Emily Drewing kontrastieren in ihrem Beitrag die Rolle von Expertenkommissionen in der Energiewende mit der partizipativen TA in Bezug auf die demokratische Legitimität. Sie werfen der Politikberatung durch Kommissionen technokratisches Denken, den Vorrang technisch-ökonomischer Logik, die mangelnde Berücksichtigung von Laienperspektiven und damit ein demokratietheoretisches Defizit vor. Als Gegenmodell fordern sie einen stärkeren Einsatz partizipativer Technikfolgenabschätzung nicht nur auf der lokalen, sondern auch der nationalen Ebene, um eine stärker responsive Governance der Energiewende zu befördern.
Der Beitrag von Ulrich Hartung, Jochen Müller und Jale Tosun befasst sich nicht mit TA direkt, sondern mit der Behandlung von Technikthemen im Parteiensystem. Am Beispiel der seit einigen Jahren vieldiskutierten neuen Techniken der Pflanzenzüchtung im Umfeld von CRISPR/Cas analysieren sie, wie diese Innovation bei Bündnis 90/Die Grünen diskutiert wird und wie der Meinungsbildungsprozess verläuft. Die zentrale und hoch kontroverse Frage ist, ob diese neuen Techniken zu einer zumindest teilweisen Neubewertung der Gentechnik in der Partei führen. Die Autoren und die Autorin zeigen, dass die Meinungsbildung auf den Umgang mit Risiken fokussiert und dabei argumentationsorientiert verläuft. Zur Erreichung eines Konsenses trotz fundamental unterschiedlicher Ausgangspositionen erachten sie TA als von zentraler Bedeutung.
Die großen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung, allen voran der Klimawandel, haben in manchen Kreisen Zweifel an der Eignung demokratischer Strukturen zur Problemlösungsfähigkeit geweckt. Vor allem die Dezentralität der Demokratie, das Mehrheitsprinzip und die durch den Wahlrhythmus implizierte Kurzfristigkeit politischen Handelns stehen in der Kritik. Armin Bangert untersucht von einem philosophischen Ausgangspunkt die Möglichkeiten von Verständigung in pluralen Gesellschaften zum Umgang mit Langzeitherausforderungen wie dem Klimawandel. Als Ergebnis empfiehlt er die stärkere Nutzung klugheitsethischer Herangehensweisen.
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