BERICHT

Wissenschaftskommunikation als Politikberatung

Wächst zusammen, was zusammen gehört?

Philipp Schrögel, Department für Wissenschaftskommunikation, Institut für Technikzukünfte (ITZ), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Kaiserstr. 12, 76131 Karlsruhe (philipp.schroegel@kit.edu) https://orcid.org/0000-0003-0892-8703

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TATuP Bd. 29 Nr. 3 (2020), S. 85–86, https://doi.org/10.14512/tatup.29.3.85

Mit Blick auf die gegenwärtige Covid-19-Pandemie und den daraus resultierenden Bedarf an wissenschaftlicher Gesellschafts- und Politikberatung hätte das Forum Wissenschaftskommunikation 2020 kaum einen aktuelleren Schwerpunkt wählen können. Dabei wurde das Motto „Einmischen erwünscht!? Wissenschaftskommunikation und Politik“ schon vor einem Jahr vom Programmbeirat gesetzt, der damit womöglich „seherische Fähigkeiten bewiesen hat“, wie Markus Weißkopf von Wissenschaft im Dialog in einer Videobotschaft zur Tagung mit einem Augenzwinkern anmerkte.

Dieser humorvolle Einstieg wäre normalerweise nicht weiter berichtenswert, aber in diesem Fall zeigt er zwei die Tagung prägende Aspekte auf. Einerseits zeigt das genutzte Medium die ganz praktischen Auswirkungen der Pandemie, denn die Konferenz fand als reine Online-Veranstaltung statt. Andererseits hat die Anmerkung einen wahren Kern, denn es gilt dasselbe, was schon so häufig in Analysen zu den Folgen der Covid-19-Pandemie festgestellt wurde: Die Krise verstärkt oder zumindest verdeutlicht schon länger bestehende Probleme und Herausforderungen. So ist die Kommunikation an und mit Politik zwar eigentlich schon länger Teil der theoretischen Fassungen des Feldes der Wissenschaftskommunikation, wurde aber sowohl in der Forschung als auch in der Praxis bisher kaum thematisiert. Dabei hatten auch schon vor der Covid-19-Pandemie zentrale Themen der Wissenschaftskommunikation eine wichtige politische Dimension, sei es zum Beispiel der Klimawandel oder die Gentechnik.

Kommunikation zur Covid-19-Pandemie

Dennoch prägte die gegenwärtige Pandemie verständlicherweise die Beiträge und Diskussionen. Vor diesem Hintergrund wurde von vielen Teilnehmenden – unter anderem Ernst Dieter Rossmann (Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung) – die zentrale Rolle des Journalismus betont, Informationen bereitzustellen. Ebenso häufig Thema war das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft, das insgesamt laut einer Befragung des Wissenschaftsbarometers nicht geringer wurde, auch wenn die große mediale Präsenz von Verschwörungsgläubigen anderes vermuten lässt. Allerdings merkte der Psychologe Rainer Bromme dazu an, dass es hier durchaus gilt, themenspezifisch genau nachzufragen.

Neben dem Wissenschaftsbarometer in Deutschland gab es ähnliche Befragungen auch in Schweden und Italien.[1] Neben den sehr unterschiedlichen Verläufen der Pandemie in diesen drei Ländern zeigte sich eine interessante Gemeinsamkeit: Hauptquellen für Nachrichten waren überall die klassischen Medien wie Fernsehen, Zeitungen und Radio, danach die offiziellen Webseiten öffentlicher Behörden und Institutionen. Social Media hat sogar an Bedeutung verloren laut der Befragungen. Dagegen wurde allerdings in weiteren Fragen der Berufsgruppe der Journalist*innen durchgängig am wenigsten Vertrauen zugesprochen. Weiterhin zeigt sich in allen drei Ländern, dass bei bis zur Hälfte der Befragten zwei Aspekte kritisch gesehen werden: die Uneinigkeit und Unsicherheiten in wissenschaftlichen Bewertungen und Empfehlungen. Letzteres ist keine überraschende Erkenntnis, sollte aber Anlass geben, sich dieser beiden Aspekte in einer sich weiter wandelnden medialisierten Realität anzunehmen – eine Perspektive, die auch Technikfolgenabschätzung (TA) jenseits formalisierter Beratungsstrukturen stärker bedenken sollte.

Wissenschaftskommunikation entdeckt Politik

Das Forum Wissenschaftskommunikation ist primär eine Veranstaltung, die sich an Praktiker*innen, zum Beispiel in Kommunikationsabteilungen von Hochschulen, richtet. So wurden in einem praxisorientierten Workshop zu Public Affairs Methoden und Formate vorgestellt und diskutiert. Nur wenige Kommunikator*innen haben angegeben, vorher schon in dem Bereich aktiv gewesen zu sein, auch wenn manche der Methoden wie Medienkampagnen genauso in der Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt sind. Die grundlegenden Fragen aber blieben offen – inwiefern Hochschulen überhaupt politisch strategiefähig sind und sein sollten und wie dortige Entscheidungsprozesse für oder gegen gezielte politische Einflussnahme ablaufen sollen.

Auch wenn in den letzten Jahren zunehmend allgemeinverständliche Fachbeiträge über Wissenschaftskommunikationsforschung ins Programm des Forums aufgenommen wurden, sind Wissenschaftler*innen weiterhin häufiger aufgrund eigener Kommunikationsaktivitäten oder als Funktionsträger*innen beteiligt. So in diesem Jahr unter anderem der Präsident der Leopoldina, Gerald Haug. Sein Keynote-Vortrag war eine eher anekdotische Perspektive auf die Rolle der Akademie in der Corona-Pandemie und einige grundlegende Gedanken, wie beispielsweise die auch von anderen auf der Tagung häufiger thematisierte Gemeinwohlorientierung wissenschaftlicher Politikberatung in Abgrenzung zu interessengeleitetem Lobbyismus. Leider wurde dies nicht weiter ausgeführt, dabei gäbe es schon zur Frage des Gemeinwohls und dessen Definition aus Expert*innengremien heraus viel zu diskutieren. Auch auf die Kritik, die sich die Leopoldina in diesem Jahr an ihrer Covid-19 Stellungnahme und insbesondere an der Zusammensetzung der Gremien anhören musste, ging Haug nur am Rande und mit wenig neuen Einblicken ein. Einen positiven Aspekt zum vergangenen Jahr gab es aber doch zu vermelden: Vor der Covid-19-Pandemie kannten nur 3 Prozent der deutschen Bevölkerung die Leopoldina – jetzt sind es 14 Prozent.

Abb. 1: Digitales Networking und Austausch auf Konferenzen in Zeiten der Covid-19-Pandemie ist, wenn sich ein Roboter mit einem Krokodil vor dessen virtuellen Stand unterhält. Quelle: Screenshot des Autors aus dem in Mozilla Hubs angelegten Konferenzraum

Immer wieder ließ sich im Verlauf der Tagung beobachten, dass die fehlende Einbindung sozial- und kommunikationswissenschaftlicher Expertise dazu führt, dass vermeintlich neue Debatten zur Rolle von Wissenschaft in der Politik- und Gesellschaftsberatung immer wieder geführt wurden, obwohl diese eigentlich mindestens seit dem Werturteilsstreit in der deutschen Soziologie Anfang des 20. Jahrhunderts mit allen Argumenten bereits auf dem Tisch liegen. Es gab aber auch Ausnahmen – so beispielsweise Georg Schütte, Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Er verwies explizit auf Ottmar Edenhofers Ausführungen zu Politikberatung in seinem Beitrag zur Eröffnungsdiskussion: „Wissenschaftskommunikation sagt nicht, wo man hingehen soll, sondern erstellt eine Landkarte, zeigt Wege auf. Dabei stellt sich auch die Frage, wer (welche Disziplin) an der Landkarte mitarbeitet.“

Wissenschaftskommunikation ist Technikfolgenabschätzung ist Wissenschaftskommunikation

Durch das Schwerpunktthema des Forums drängt sich mir mehr als zuvor schon die Frage nach den Gemeinsamkeiten und der künftigen Entwicklung der beiden Felder Wissenschaftskommunikation und Technikfolgenabschätzung auf. Sicher liegt der Fokus bei ersterem eher auf (massen-)medialen Phänomenen, den Kommunikationsprozessen und Formaten – in der Technikfolgenabschätzung eher auf den wissenschaftlichen Themen und ihren sozialwissenschaftlichen und philosophischen Implikationen, den (institutionalisierten) Beratungssettings oder kleineren deliberativen Teilöffentlichkeiten. Beide eint aber, dass sie sowohl Praktiken als auch Forschung sind und dass sie keine Disziplinen sind, sondern Felder, die sich methodisch und theoretisch aus einer Vielzahl an Disziplinen bedienen, fokussiert auf ihren Untersuchungsgegenstand. Gerade mit Blick auf die Überschneidungen würde sich eine künftig stärkere gemeinsame Entwicklung anbieten; viele der Diskussionen auf dem Forum Wissenschaftskommunikation hätten jedenfalls auch bei einer TA-Tagung geführt werden können.

Einer Online-Konferenz fehlt natürlich manches, wie das informelle Gespräch in der Kaffeepause. Aber die technische Umsetzung eröffnet auch neue Möglichkeiten zum Austausch, zum Beispiel durch kollaboratives Arbeiten in einem Online-Board oder die Nutzung der Chat-Funktion bei Videovorträgen für parallele Diskussionen.

Weitere Informationen

Dokumentation der Tagung https://www.wissenschaft-im-dialog.de/forum-wissenschaftskommunikation/dokumentation-fwk20/

Covid-19 Bevölkerungsbefragung Schweden: https://v-a.se/english-portal/projects/studies/the-public/corona/

Covid-19 Bevölkerungsbefragung Italien: https://www.observa.it/italian-citizens-and-coronavirus/?lang=en

Covid-19 Bevölkerungsbefragung Deutschland: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-corona-spezial/

Fußnote

[1]   Offenlegung: Der Autor des Tagungsberichtes war Moderator der Session zu diesem Thema.