Aus dem Netzwerk TA

This is an article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License CCBY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

TATuP Bd. 29 Nr. 3 (2020), S. 89

Praxis

Computermodellierung für die Politikberatung

Anja Bauer, Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Universitätsstraße 65–67, 9020 Klagenfurt (anja.bauer@aau.at) https://orcid.org/0000-0003-2197-1925

Daniela Fuchs, Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) https://orcid.org/0000-0002-2202-1027

Titus Udrea, ITA/ÖAW https://orcid.org/0000-0002-1684-7340

Leo Capari, ITA/ÖAW https://orcid.org/0000-0002-7867-4975

Ob Klimawandel, Energiewende oder aktuell die Covid-19-Pandemie – Computermodellierungen spielen eine zentrale Rolle in der Information und Unterstützung politischer Entscheidungen. Auch in der Technikfolgenabschätzung wird sowohl ein kritischer Umgang mit Computermodellen als auch deren aktive Anwendung für die Politikberatung zunehmend Thema (siehe z. B. TATuP 26 (3) zu agentenbasierter Modellierung und Simulation).

Während Computermodelle wichtiges Orientierungswissen für Politik und Gesellschaft liefern, ist ihre Anwendung in der Politikberatung mit spezifischen Herausforderungen hinsichtlich ihrer Rolle, Autorität und Wirkmächtigkeit verbunden. Computermodellierungen bewegen sich in Spannungsfeldern zwischen Expert*innenwissen und politischer Aushandlung, zwischen wirklichkeitsgetreuen Abbildungen, notwendigen Reduktionen und Abstraktionen und Datenverfügbarkeit und -qualität sowie zwischen wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und politischer Relevanz und Legitimität.

Diesen Spannungsfeldern widmete sich das Projekt CoMoPA (Computational Modelling for Policy Advice) am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) (2018–2020, gefördert durch den Innovationsfond der Österreichischen Akademie der Wissenschaften). Anhand dreier Politikfelder (Energiewende, Freihandelsabkommen, Nano-Risiko-Governance) wurden Computermodellierungen und Simulationen als gleichermaßen epistemische und politische Instrumente und Praktiken untersucht.

Als allgemeine Trends zeigen sich sowohl eine stetige Verbreitung von Computermodellen in Wissenschaft und Politik – einhergehend mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Modellen und Modellierungsgemeinschaften – als auch die Tendenz, einzelne Modelle in komplexe Modellierungs-Frameworks einzubetten. Die im Projekt durchgeführten bibliometrischen Analysen sowie quantitative und qualitative Textanalysen wissenschaftlicher Literatur illustrieren, wie Modelle Wissensgemeinschaften strukturieren und eng mit spezifischen Institutionen, Autor*innen, Zitationsnetzwerken, Themen und spezifischen sozio-politischen Diskursen (z. B. Klimawandel, Energiesicherheit, Wohlstandssteigerung, Gesundheits- und Umweltschutz sowie Beschäftigungssicherheit) verwoben sind.

Sechs Fallstudien lieferten wichtige Erkenntnisse darüber, wie Modelle die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft strukturieren und wie sie Relevanz, Glaubwürdigkeit und Legitimität erlangen. Bei der Entwicklung von Low-Carbon-Strategien in Portugal und Großbritannien diente das gleiche Modell der Koordination verschiedener Akteure, wobei in Portugal sowohl Wissenschaft als auch gesellschaftliche Stakeholder stärker eingebunden waren als in Großbritannien, wo die Modellierung großteils ministeriumsintern stattfand. In Bezug auf Freihandelsabkommen der EU wirkte eine institutionelle Verschiebung der Modellierung weg von externen Beratungsinstitutionen hin zu in-house Modellierung innerhalb der Europäischen Kommission auf die politische Relevanz, aber auch auf die wahrgenommene Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit zurück. Weiters zeigte sich exemplarisch, wie sich bestimmte wissenschaftliche und auch sozio-politische Vorstellungen (etwa bestimmte Perspektiven auf Risiko in der Risikobewertung von Nanomaterialien) durch Modelle technisch verfestigen. Damit tragen Modelle wiederum zur Öffnung oder Schließung von politischen Entscheidungsoptionen bei.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Computermodellierungen gestalten sich somit altbekannte Fragen der Unabhängigkeit, Transparenz, Legitimität und Glaubwürdigkeit am Wissenschafts-Politik-Nexus neu aus und verlangen nach einem reflektierten Umgang mit Modellen in politischen Entscheidungsprozessen und der gesellschaftlichen Meinungsbildung.

Weitere Informationen

Projekt CoMoPA: https://www.oeaw.ac.at/ita/projekte/2020/computermodellierungen-fuer-die-politikberatung

TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 26 (3), S. 10–57: https://www.tatup.de/index.php/tatup/issue/view/4.

In dieser kostenpflichtigen Rubrik informieren NTA-Mitglieder über ihre Aktivitäten und unterstützen TATuP.
www.tatup.de/index.php/tatup/JournalSections