Reallabore in öffentlichen Räumen sollen langfristige Transformationsprozesse beflügeln. Meist sind solche Interventionen projektförmig organisiert. Projekte bringen jedoch ihre eigene Zeitlogik mit sich, die sich nicht mit der Zeitlogik der beteiligten Akteure, Stadtquartiere und Alltagswelten deckt. In diesem Beitrag rekonstruieren wir anhand von zwei Mobilitätsprojekten in München und Barcelona drei Dimensionen der Asynchronität und zeigen Spannungsfelder auf, die mit ihnen einhergehen: Erstens sorgten die Eingriffe schnell für Konflikte, während sich Mobilitätsroutinen hartnäckig hielten. Zweitens waren die Projekte an Förderzeiträume sowie Legislaturperioden gekoppelt. Akteure standen unter Druck, zu handeln und symbolische Erfolge zu erzielen, unabhängig von den Entwicklungen im Quartier. Drittens führte die Transfererwartung zu einer paradoxen Situation, in der lokale Besonderheiten und Beteiligungsversprechen mit der Entwicklung skalierbarer Lösungen vereinbart werden sollten.
Living labs in public spaces are intended to stimulate long-term transformation processes. Mostly, such interventions are organized as projects. However, projects entail their own temporal logic, which does not coincide with the temporal logic of the actors, urban neighborhoods, and residents’ everyday lives involved. In this paper, we examine three dimensions of asynchronicity based on two mobility projects in Munich and Barcelona and highlight the tensions arising from them: First, the interventions quickly created conflicts, while mobility routines persisted. Second, the projects were tied to limited-term funding and election cycles. Actors were under pressure to act quickly and achieve symbolic successes, regardless of developments in the neighborhoods. Third, the expectation of transferability led to a paradoxical situation in which local particularities and promises of participation had to be reconciled with the development of scalable solutions.
Klimaneutrale und intelligente Städte verlangen aus heutiger Sicht eine umfassende Transformation von Mobilitätsräumen. Wie sich dieses Ziel rechtzeitig erreichen lässt, ist umstritten. Um die Mobilität der Zukunft zu erproben und zu gestalten, kommen vermehrt Reallabore und Experimentierräume zum Einsatz (Beecroft und Parodi 2016; Engels et al. 2019). In einigen von ihnen zeigt sich die genuine Hoffnung nicht nur auf eine technikoptimistische Automatisierung und Elektrifizierung des Verkehrs (Wentland 2020), sondern auch auf eine tiefgreifende Umgestaltung städtischer Räume und Alltagswelten. Dabei wird versucht, diese langfristigen Transformationsprozesse projektförmig zu organisieren. Projekte führen jedoch ihre eigene Zeitlogik in den Prozess ein (Torka 2006), die sich nicht mit der Zeitlogik der Stadtquartiere, Alltagswelten und beteiligten Akteure deckt. Wie prägt diese Asynchronität das Interventionsfeld? Welche Spannungen gehen daraus hervor und wie gehen die Akteure damit um? Was bedeutet eine zeitsensible Perspektive für das Gesamtbild der Nachhaltigkeitstransformationen jenseits einzelner Interventionen (Sovacool 2016)?
In diesem Beitrag analysieren wir temporale Dimensionen von Interventionen im urbanen Raum anhand zwei kontrastierender Fallstudien – dem ko-kreativen Forschungsprojekt City2Share in München und den Superblocks in Barcelona. Beide Fälle zielen auf eine Neuordnung des urbanen Mobilitätsraums ab, unterscheiden sich jedoch ansonsten stark in ihrer Größenordnung, Organisation und ihrer Situierung in den jeweiligen Städten. Aufgrund ihrer Projektförmigkeit beobachten wir bei beiden Interventionen dennoch ähnliche Spannungen und Muster.
Im Folgenden geben wir zunächst einen kurzen Abriss über die für unsere Analyse relevante Literatur aus den Science and Technology Studies (STS), begründen unsere Fallauswahl und skizzieren unser qualitativ-komparatives Untersuchungsdesign. Im Anschluss arbeiten wir nacheinander die temporalen Aspekte von City2Share und den Superblocks heraus. Dabei identifizieren und diskutieren wir drei Dimensionen der Asynchronität: (1) Persistenz der Alltagswelten, (2) Inkongruenz der Zeitrahmen und (3) Druck zur Skalierbarkeit. Zum Abschluss reflektieren wir die Erkenntnisse unserer Studie mit einem Appell für eine zeitsensible Perspektive für verantwortungsvolle urbane Transformationsprojekte.
Sowohl in den Transition Studies (Köhler et al. 2019) als auch den Science and Technology Studies (Felt 2016) haben Autor:innen vermehrt die Frage von Temporalität in Nachhaltigkeitstransformationen diskutiert. Problematisiert wurden dabei neben der Heterogenität der Zielvorstellungen (Sovacool 2016) auch die rigiden Formate der Bürgerbeteiligung, die beispielsweise in Reallaboren eingesetzt werden (Felt und Fochler 2010). Ulrike Felt (2016) beschreibt Partizipationsinstrumente als „temporale Choreographien“, in denen die Vielzahl an Zeitverständnissen zu einer Asynchronität führt, die die rigide Choreographie stört. Die Art und Weise, wie für einen solchen Prozess Zeit bereitgestellt wird, und die Verständnisse von Fortschritt, Linearität und Effizienz, die dem Partizipationsprozess zugrunde liegen, gestalten diesen aktiv mit. Demnach muss verantwortungsvolle Partizipation immer auch ihre zeitlichen Bedingungen reflektieren (Felt 2016, S. 194). Die zunehmende Beschleunigung und Skalierung vordefinierter Beteiligungsprozesse indiziert zudem einen Trend weg von zivilgesellschaftlichen Werten der Mitbestimmung, hin zur Ergebnisorientierung (Delvenne und Macq 2020).
Zunehmende Beschleunigung und Skalierung vordefinierter Beteiligungsprozesse indiziert einen Trend weg von der Mitbestimmung, hin zur Ergebnisorientierung.
Im Kontext von Experimenten im urbanen öffentlichen Raum fokussieren wir uns auf die Temporalität der Projektförmigkeit solcher Interventionen, die bislang kaum systematisch adressiert worden ist. Die Mobilitätsinterventionen zielen – auch in zeitlicher Hinsicht – auf eine nachhaltige Entwicklung ab, die durch die Begrenzung der Projektzyklen erschwert wird. Marc Torka hat diesen Umstand der Projektförmigkeit ein „strukturelles Spannungsverhältnis“ genannt (Torka 2006, S. 66). Seine Studie zu Forschungsprozessen kritisiert die fehlende zeitliche Offenheit der Projekte sowie die Reproduktion der Projektform auf institutioneller Ebene, die dadurch zur Bewältigung größerer Herausforderungen ungeeignet wird. Da Pilotprojekte und Reallabore in ihrer Projektförmigkeit und dem formulierten Anspruch der räumlich-zeitlichen Ausdehnung dennoch als Lösungsansatz verhandelt werden (Engels et al. 2019), soll unser Beitrag diese Diskrepanz analytisch beleuchten.
In unserem empirischen Beitrag analysieren wir das Verhältnis von Zeitlichkeit und vordefinierten Interventionsmethoden anhand zweier Mobilitätsexperimente, in denen multimodal nutzbare Räume geschaffen wurden: das ko-kreative Forschungsprojekt City2Share in München und die politisch-programmatische Umsetzung der Klimastrategie Superblocks der Regierung Barcelonas. In beiden Fällen steht die Gestaltung von Shared-Spaces im Mittelpunkt, also die Beseitigung des Vorrechts für motorisierte Fahrzeuge zugunsten des Fußverkehrs und sozialer Begegnungsräume. Beide Projekte gelten in ihren Städten als Leuchttürme der Mobilitätswende. Die Fälle eignen sich für eine Gegenüberstellung, da sie sich trotz ähnlicher Anliegen radikal in ihrer institutionellen Einbettung unterscheiden. Daher zielt unser Untersuchungsdesign auf die Herausarbeitung ähnlicher Muster in zwei kontrastierenden empirischen Feldern ab.
In der Konzeption unserer Studie folgen wir der konstruktivistischen Grounded Theory (Charmaz 2006), einem Ansatz, der qualitative Erhebungsformen, eine induktive Forschungslogik und die interpretative Rekonstruktion sozialer Welten ermöglicht. Methodologisch greifen wir auf eine ethnografische Fallkonstruktion und Vergleichssystematik zurück, die induktiv von der dichten Beschreibung ausgeht und danach strebt, komparative Einsichten zu generieren, dabei aber die Komplexität und Situiertheit des Materials berücksichtigt. Unser empirisches Material umfasst 21 semi-strukturierte Interviews mit Projektakteuren und Anwohnervertreter:innen, sowie Aufzeichnungen aus teilnehmender Beobachtung und unterschiedliche Dokumente aus beiden Pilotexperimenten (vgl. Tabelle „Zitationskodierung“ im Anhang). Den Datenkorpus haben wir in einer QDA-Software für die spätere Auswertung erst in-vivo und anschließend axial kodiert, um die drei Dimensionen der Asynchronität in beiden Fällen parallel ausarbeiten und verdichten zu können.
City2Share ist ein Münchner Modellquartier, das mit der Umgestaltung öffentlichen Raums in einem dichten Bestandsviertel experimentierte. Das räumliche Zentrum bildet der Zenettiplatz. Die dort ausgewählte Parkfläche wurde – blumig betitelt als „Piazza Zenetti“ – zu einer Mobilitätsstation für Shared-Mobility-Angebote und zudem zu einem Aufenthaltsort für die Nachbarschaft während der Sommermonate der vierjährigen Projektlaufzeit (2015–2019) umgewidmet. Das an dem Projekt beteiligte Versandunternehmen UPS verlagerte seinen Lieferverkehr im Viertel auf Lastenfahrräder und machte damit in der Logistikbranche Schlagzeilen.
Während der Intervention im eng bebauten Viertel in München sorgte der Parkplatzwegfall für grundlegenden Protest gegen das Projekt, auch weil sich manche Anwohner:innen über das Projekt schlecht informiert fühlten. Das Projektteam berief sich hingegen auf seine offensive Kommunikationsstrategie in der Nachbarschaft über „starke Informationskanäle“ (IV01, s. u. „Zitationskodierungen“). Die verspätete Kenntnisnahme der neuen Shared-Spaces erscheint als ein Aspekt der Asynchronität, insbesondere da das Konsortium in einer Haushaltsbefragung überrascht feststellte, dass einige Nachbar:innen auch am Ende des Projekts keine Kenntnis davon hatten. Doch mit der Zeit gewannen die befürwortenden Stimmen die Oberhand – diese „Strategie des Aushaltens“ (IV02; IV03) anfänglicher Abwehrreaktionen begründen die Projektakteure mit Verweis auf andere, mittlerweile erfolgreiche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in anderen Münchner Stadtteilen. Auch die Bürger:innen wünschten sich in der aufsuchenden Beteiligung „mutige politische Entscheidungen, auch wenn diese erstmal weh tun“. Die Nachbarschaft würde „sich dann kurz darüber aufregen, aber dann Alternativen suchen“ (City2Share und Zebralog 2019, S. 10, 12).
Die beiden entstandenen Shared-Spaces – Mobilitätsstation und Aufenthaltsplatz – wurden während des Projektzeitraums jedoch noch nicht in die Mobilitätsroutinen der Anwohnerschaft aufgenommen. Auf dem Aufenthaltsplatz waren parkende Fahrzeuge zu beobachten und Privatautos wurden auf Car-Sharing-Parkplätzen abgestellt. Für diese Art des Falschparkens gab es während der Projektlaufzeit noch keine ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Wie ein Nachbar erläuterte, verkaufen die Anwohnenden nicht zeitgleich mit der Eröffnung der Car-Sharing-Angebote ihr Privatauto: „das kann 20 Jahre dauern, bis die Leute wirklich ihr Auto aufgeben“ (F01). Dieser Zeithorizont steht in einem Spannungsverhältnis zu einer Projektlaufzeit von vier Jahren. Die Diskrepanz war den Projektpartnern bewusst. Entsprechend war eine synchrone Transformation von Sharing-Infrastruktur und individuellen Mobilitätsroutinen nicht die Erwartung des Konsortiums. Vielmehr sollte die Nachbarschaft mit neuen Möglichkeiten nachhaltiger Mobilität zunächst in Berührung kommen. Da Maßnahmen im Mobilitätsbereich so lange verzögert wirkten, wende man aktivierende „Push-Ansätze“ an, wie ein Projektpartner erläuterte (IV01). Entsprechend problematisch sahen die Beteiligten jedoch das Projektziel, innerhalb der Laufzeit konkrete Wirkungen zu messen.
Durch die Projektförderung über vier Jahre und städtische Sondergenehmigungen konnten die Münchner Akteure im öffentlichen Mobilitätsraum experimentieren. Da die ersten zwei Jahre für partizipative Maßnahmen, Planungen und Genehmigungen in Anspruch genommen wurden, blieben nur zwei weitere Sommer, um die eigentliche räumliche Intervention zu testen. Mehrere Nachbar:innen kritisierten in einem Online-Beteiligungsforum die einfach gehaltene, temporäre Gestaltung und wünschten sich kindergerechte Möbel und Sicherung sowie richtige Bepflanzung statt Wanderbäume – es bestand der Vorwurf, dies sei Aktionismus, „halbherzige Symbolpolitik“ statt eines „echten, gesteuerten Mobilitätswandels“ mit Gesamtplan (City2Share o. J.). Die Organisatoren konnten bei ihrem zweiten Versuch aus diesen Erfahrungen lernen und den Raum zusammen mit den Anwohner:innen neugestalten. Doch die Saison im darauffolgenden Jahr lag außerhalb des Förderrahmens.
Die Prägung des Experiments durch die Projektdauer zeigte sich auch im Verblassen der Rolle der lokalen Bevölkerung von initialen Ko-Kreator:innen über Rezipient:innen von Information über den Fortlauf hin zum Gegenstand der externen Evaluation des Projektes. Gegen Ende musste das Projektteam mit Blick auf die unklare Weiterfinanzierung und Rechtslage Entscheidungen treffen, die Wirksamkeit der Intervention evaluieren sowie innovative Ergebnisse dokumentieren und präsentieren. Trotz der projektinhärenten Abschlusslogik, waren Anwohner:innen und Projektteam daran interessiert, die Maßnahmen zu verstetigen. Erstere gründeten eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Zenettiplatzes und erhielten daraufhin eine Finanzierung für das Jahr 2020. Die Stadtverwaltung begrüßte die Bürgerinitiative und sah in ihrer Gründung einen „extrem guten Output, der sich aus dem Projekt ergeben hat“ (IV01). Die Selbstorganisation der Nachbarschaft war aus Sicht der Projektpartner ein „Glücksfall“ (IV03), da der Aufenthaltsplatz andernfalls vermutlich ohne diesen Legitimationshebel aus rechtlichen Gründen automatisch rückgängig gemacht worden wäre.
Mit Blick auf den Bereich e-Logistik hieß es im Projektplan, entstandene modellgestützte Planungsverfahren seien „aufgrund der wissenschaftlichen und analytischen Herangehensweise allgemeingültig und jederzeit auf andere Stadtviertel, Städte und Paketdienste übertragbar“ (BMUB 2016, S. 29). Angedacht war eine Replikation der Intervention in Hamburg. Die Konzeption ging sogar einen Schritt weiter. Die Erkenntnisse aus der angedachten Übertragung der entwickelten Maßnahmen von München auf Hamburg gewährleiste „die rasche Implementierung in weiteren Städten“ (BMUB 2016, S. 34).
Das Projektkonsortium verstand dementsprechend Handlungsleitfäden als elementaren Teil der Ergebnisse. Wie eine Projektpartnerin betonte, könne jedoch aufgrund der Komplexität in Mobilitätsräumen keine bestimmte Wirkung für vorgeschlagene Maßnahmen versprochen werden, sondern es komme auf ein übergeordnetes Gesamtkonzept der Skalierung an, das mehrere Maßnahmen gleichzeitig implementiert. Während der Laufzeit haderte das Projektteam mit den Limitierungen von City2Share, da Mobilitätsstationen aus ihrer Sicht ihren Wert erst im Netzwerk und bei langfristiger Verfügbarkeit gewännen. Der Push-Ansatz wirke weniger, wenn die Intervention nur an einem Bezugspunkt der Menschen erfolge. Viele Teilnehmende der Onlinepartizipation äußerten eine ähnliche Sichtweise: Die Gestaltung von Shared-Spaces solle in Zukunft in ganz München koordiniert werden.
Das Superblock-Modell von Barcelona präsentiert sich als ein radikales stadtplanerisches Pilotprojekt. Das Konzept gilt als ein Kernstück der links-alternativen Programmatik der gewählten Bürgermeisterin Ada Colau. Mit ihrer Regierungsverantwortung erhielt Colaus Partei für den Zeitraum 2015–2019 die Möglichkeit Superblocks einzurichten. Im Zentrum steht die Verkehrsberuhigung und die Schaffung von Shared-Spaces in Verbindung mit dem integrierten orthogonalen Busliniennetz, das in der gesamten Stadt eingeführt wurde. Superblocks versprechen, den öffentlichen Raum der Stadt sicherer, gesünder und lebendiger zu gestalten. Das Modell ist durch zahlreiche Medienartikel weltweit bekannt geworden und hat bereits Nachahmer gefunden.
Ähnlich wie beim City2Share Projekt in München führte die Implementierung der Superblocks in Barcelona zu einer Destabilisierung der alltagsweltlichen Ordnung der Anwohner:innen. Der anfängliche Protest im Pilot-Superblock 2015 beinhaltete die breite parteipolitische Mobilisierung von Seiten der Opposition. Die hastige Umsetzung des Projekts war für die Nachbarschaft überraschend, denn von einem Tag auf den anderen entstand der erste Versuch eines Superblocks inklusive neu beschilderter Fahrspuren. Das Superblock-Team der Stadtverwaltung sprach von einer „Krise“, die durch nachträgliche Beteiligungsmaßnahmen gelöst werden sollte (F02). Die Nachbarschaft schloss sich zusammen – in eine Initiative für und eine gegen Superblocks. Auch in Barcelona wurden Autos auf den Shared-Spaces geparkt, Fußgängerbereiche befahren und Tempolimits missachtet. Letzteres stellt insbesondere eine Gefahr dar, da das Shared-Space-Konzept auch für Kinder einen sicheren Ort zum Spielen bieten soll, an dem Fahrzeuge nur sehr langsam und vorsichtig unterwegs sein dürfen.
Taktischer Urbanismus ist eine temporäre, leicht veränderbare Intervention, die Kritik und Vorschläge der Nachbarschaft zeitnah umsetzt.
Als Annäherung an eine Synchronisierung der Veränderung von öffentlichem Raum und Lebensrealitäten erprobte die Projektleitung den Ansatz des „taktischen Urbanismus“. Dies ist eine temporäre Intervention, die leicht verändert werden kann, sodass Kritik und Vorschläge der Nachbarschaft zeitnah umgesetzt werden können – die Beteiligten mussten sich nicht vorher auf ein endgültiges Design einigen. Dadurch erhoffte sich die Verwaltung von Barcelona, dass die öffentliche Diskussion auf Basis von erlebten Erfahrungen geführt wird und am Ende ein breiter Konsens entsteht (Ajuntament de Barcelona 2016). Nach vier Jahren sah die befürwortende Initiative den Protest tatsächlich abnehmen.
Die Einführung von Superblocks in Barcelona ist durch vierjährige Legislaturperioden getaktet. Das Konzept existierte bereits seit den 1980er-Jahren und wurde von der vorherigen Regierung unter Xavier Trias zum zentralen Baustein eines umfangreichen Mobilitätsplans für ganz Barcelona. Statt die lang geplanten Entwürfe zu realisieren, verwarf die neue Regierung die alte Planung zugunsten ihres eigenen, radikaleren Konzeptes, das mit dem Slogan: „Let’s fill the streets with life“ zu einem Markenzeichen wurde (Ajuntament de Barcelona 2016). Dementsprechend herrschte ein großer Erfolgsdruck auf dem ersten Superblock-Pilotprojekt, für das vorerst vier Regierungsjahre zur Verfügung standen, da der Partei mit einer Minderheit im Stadtrat jedes kontroverse Thema zum Verhängnis bei der Wiederwahl werden konnte (Zografos et al. 2020).
Als in Barcelona der Pilot-Superblock großen Widerstand erfuhr, wurde die dadurch entstandene Verzögerung im Zeitplan für die Wahlperiode mit einer Beschleunigung der weiteren Superblockprojekte kompensiert. Vor der Wiederwahl Ada Colaus im Jahr 2019 war der Fortbestand des Superblocks nicht sicher, weshalb an den Superblockrändern große Bremsschwellen gebaut wurden, die bautechnisch „nicht leicht rückgängig gemacht werden können“ (IV04).
Auch in Barcelona war die asynchrone Einführung der Superblocks bei noch nicht veränderter Fahrzeugnutzung ein Problem, da viele Teilnehmende einer Onlinediskussion den Lärm und die Verschmutzung an den Rand des verkehrsberuhigten Quartiers verschoben sahen. Damit hängt auch die unzeitgleiche Einführung der Superblocks auf Stadtebene zusammen. Nach Scudellari et al. (2020, S. 675) ist das Gelingen der „temporalen Synchronisation zwischen Stadtebene und Quartiersebene“ ein bedeutender Faktor für aufkommende Konflikte, wodurch die Stadtverwaltung zur Skalierung gedrängt wird.
Dieser Zeitdruck ist durch klare Zielvorgaben aufgrund von schlechten Luftwerten, heißeren Sommern und Klimaschutz festgeschrieben. Nach einer Berechnung des Instituto de Salud Global Barcelona könne das Superblockkonzept jährlich über 650 Menschenleben retten (Mueller et al. 2020). Durch den im Januar 2020 ausgerufenen Klimanotstand konnte Barcelona zusätzliche Ressourcen für die Umgestaltung der Mobilitätsräume zur Verfügung stellen, für die ein skalierbares Superblock-Konzept bereitstehen sollte.
Denn der Pilot-Superblock ist richtungsweisend für die Umstrukturierung des gesamten Mobilitätsraums der Stadt. Dementsprechend sind die Ergebnisse, die vor allem über die Erfahrung beteiligter Akteure weitergegeben werden, ein wesentlicher Bestandteil für die folgende Skalierung des Modells, das die Regierung in der zweiten Wahlperiode bis zum Jahr 2023 im gesamten Bezirk Eixample umsetzen will (IV05) – allerdings in einer flexibleren Form.
Die Gegenüberstellung von City2Share und den Superblocks zeigt, wie, trotz der starken Unterschiede in der institutionellen und alltagsweltlichen Einbettung der Interventionen, die in beiden Fällen wirksame Projektförmigkeit ähnliche Muster der Asynchronität hervorgebracht hat. Konkret haben wir durch die qualitativ-interpretative Verdichtung unserer Daten drei temporale Dimensionen identifiziert.
Während eingeübte Mobilitätsroutinen stabil und robust in den kollektiven Alltagswelten der Anwohner:innen verankert sind, zielen Interventionen meist auf kurzfristige und punktuelle Veränderungen ab. Die damit einhergehende Asynchronität äußerte sich sowohl in den regelmäßigen Regelverstößen in der Nutzung des Parkraums als auch in der kaum greifbaren Reduzierung der Privatfahrzeuge. Die ungleichzeitige Entwicklung zu den Temporalitäten der verschiedenen Alltagswelten in den Experimentierräumen zeigte zudem Konfliktpotenzial. Die Interventionen in die urbanen Mobilitätsräume zur Gestaltung von Shared-Spaces destabilisierten die sozio-materielle Ordnung der Quartiere und sorgten für großen anfänglichen Protest. Der Widerstand schlug in beiden Fällen zu mehrheitlicher Unterstützung der Maßnahmen um, was jedoch mit einem langwierigen Lernprozess der beteiligten Akteure einherging. Am Ende war es in beiden Fällen das Engagement der Bürgerinitiativen, das die Shared-Spaces erhielt. Inwiefern die „Push-Ansätze“ der Interventionen an den Orten einen langfristigen Wandel der Mobilitätskultur bewirkt haben, ließ sich schwer beobachten und bleibt umstritten, auch aufgrund zeitlich hinterherhinkender Maßnahmen auf gesamtstädtischer Ebene.
Durch die Anlage der Interventionen im urbanen Raum als zunächst auf wenige Jahre begrenzte Maßnahmen entstand eine rigide zeitliche Struktur, die an Förderzeiträume sowie Legislaturperioden gekoppelt und in den experimentellen Aufbau eingeschrieben war. Während die Limitierung der Projektzeiträume den Akteuren erst ermöglichte, in den Mobilitätsraum einzugreifen, reproduzierte sich die Projektförmigkeit in beiden Fällen in Form von Zeitdruck. Die Zeitspanne der Projektzyklen prägte den Ablauf, verpflichtete zum Erfolg und führte zu Beschleunigungseffekten. Das Auslaufen des Projektes (City2Share) oder der mögliche Abbruch durch einen Regierungswechsel (Superblocks) formte das jeweilige Erwartungsfeld der Akteure und Anwohner:innen. Zudem ging der Übergang vom Pilotprojekt zum Regelfall oder zwischen den Legislaturperioden mit politischen, rechtlichen und finanziellen Hürden einher, die innerhalb der Interventionsfelder kaum adressierbar waren. Die Geschwindigkeiten der Projekte standen einer an sich bereits asynchron getakteten Gesellschaft gegenüber, deren verschachtelte Zeitlogiken von den kurzfristigen Zwängen der Interventionen weitestgehend unbeeindruckt blieben.
Durch die Pilotprojekte sollten Erkenntnisse generiert werden, die die Übertragung und Ausweitung der neuen Mobilitätsräume ermöglichen. Das schiefe Verhältnis zwischen räumlichen Interventionen und sozialen Routinen wurde durch den Druck verschärft, schnell universell einsetzbare Erfolgsrezepte für eine urbane Mobilitätswende bereitzustellen. Obwohl diese Erwartung in beiden Fällen explizit in die Konzeptionen eingeschrieben war, blieb offen wie schnell eine solche Skalierung möglich oder überhaupt zielführend für eine Veränderung der Fahrzeugnutzung ist. Der Anspruch der Skalierbarkeit brachte die Akteure in eine paradoxe Situation: Einerseits sollten die Projekte den lokalen Besonderheiten und den hohen Ansprüchen der Bürgerbeteiligung gerecht werden. Anderseits mussten die Akteure Leitfäden für die Replikation in anderen Städten produzieren (City2Share) oder als „Proof-of-Concept“ die politisch-programmatische Transformation der Stadtquartiere Barcelonas legitimieren.
In diesem Beitrag haben wir anhand eines qualitativen Fallvergleichs drei Dimensionen der Asynchronität herausgearbeitet, die bei Interventionen im urbanen Raum kritische – aber durchaus auch generative – Momente der (De)stabilisierung hervorrufen können, in denen sich der Fortgang des Vorhabens entscheidet. Ein solches Verständnis temporaler Spannungen anhand konkreter empirischer Fälle ermöglicht eine zeitsensiblere Ausrichtung von Interventionen im öffentlichen Mobilitätsraum. Der europäische Vergleich verweist auf die unterschiedlichen politischen Kontexte, gesellschaftlichen Reaktionen sowie auf die Verschiedenheit bezüglich des Ausmaßes der Projekte und deren Dringlichkeit.
Wir sehen unsere Studie als Beitrag zu den anhaltenden Diskussionen um Verantwortung (Engels et al. 2019), Langlebigkeit (Sovacool 2016) und demokratische Robustheit (Delvenne und Macq 2020) von Transformationsprozessen in urbanen Nachhaltigkeitsexperimenten. Das Hervorheben der Zeitlichkeit ist dabei weder ein Aufruf zu temporären und hochdynamischen Interventionen, noch ein Plädoyer dafür, sämtliche Prozesse zu entschleunigen. Vielmehr geht es darum, die vielschichtigen zeitlichen Komponenten solcher Experimentierräume zu reflektieren und zu antizipieren, um Interventionen zugunsten einer im doppelten Sinne nachhaltigen Mobilität gestalten zu können.
IV01 |
06/2020 |
Angestellte:r der Stadtverwaltung |
IV02 |
06/2020 |
Begleitende:r Wissenschaftler:in im Bereich Verkehrsplanung |
IV03 |
07/2020 |
Stadtgestalterisch engagierter Verein |
IV04 |
03/2020 |
Mitglied der Pro-Superblock Initiative |
IV05 |
03/2020 |
Angestellte:r der Stadtverwaltung |
F01 |
07/2020 |
Ethnographische Beobachtungen Zenettiplatz |
F02 |
03/2020 |
Versammlung der Pro-Superblock Initiative |
Ajuntament de Barcelona (2016): Government Measure. Let’s Fill the Streets with Life. Establishing Superblocks in Barcelona. Barcelona: Commission for Ecology, Urban Planning and Mobility.
Beecroft, Richard; Parodi, Oliver (2016): Reallabore als Orte der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 25 (3), S. 4–8. https://doi.org/10.14512/tatup.25.3.4
BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit et al. (2016): City2Share. sozial – urban – mobil. Berlin: BMUB.
Charmaz, Kathy (2006): Constructing grounded theory. London: SAGE.
City2Share (o. J.): Piazza Zenetti. Online verfügbar unter https://www.beteiligung.city2share.de/dialoge/piazza-zenetti, zuletzt geprüft am 16. 09. 2020.
City2Share; Zebralog (2019): City2Share – Reallabor München. Auswertungsbericht zur Aufsuchenden Beteiligung 2019. Online verfügbar unter http://www.city2share.de/info/C2S_Auswertungsbericht.pdf, zuletzt geprüft am 03. 02. 2021.
Delvenne, Pierre; Macq, Hadrien (2020): Breaking bad with the participatory turn? Accelerating time and intensifying value in participatory experiments. In: Science as Culture 29 (2), S. 245–268. https://doi.org/10.1080/09505431.2019.1668369
Engels, Franziska; Wentland, Alexander; Pfotenhauer, Sebastian (2019): Testing future societies? Developing a framework for test beds and living labs as instruments of innovation governance. In: Research Policy 48 (9), S. 103826. https://doi.org/10.1016/j.respol.2019.103826
Felt, Ulrike (2016): The temporal choreographies of participation. In: Jason Chilvers und Matthew Kearnes (Hg.): Remaking participation. London: Routledge, S. 178–198.
Felt, Ulrike; Fochler, Maximilian (2010): Machineries for making publics. Inscribing and de-scribing publics in public engagement. In: Minerva 48 (3), S. 219–238. https://doi.org/10.1007/s11024-010-9155-x
Köhler, Jonathan et al. (2019): An agenda for sustainability transitions research. State of the art and future directions. In: Environmental Innovation and Societal Transitions 31, S. 1–32. https://doi.org/10.1016/j.eist.2019.01.004
Mueller, Natalie et al. (2020): Changing the urban design of cities for health. The superblock model. In: Environment International 134. S. 105132. https://doi.org/10.1016/j.envint.2019.105132
Scudellari, Jacopo; Staricco, Luca; Vitale Brovarone, Elisabetta (2020): Implementing the Supermanzana approach in Barcelona. Critical issues at local and urban level. In: Journal of Urban Design 25 (6), S. 675–696. https://doi.org/10.1080/13574809.2019.1625706
Sovacool, Benjamin (2016): How long will it take? Conceptualizing the temporal dynamics of energy transitions. In: Energy Research & Social Science 13, S. 202–215. https://doi.org/10.1016/j.erss.2015.12.020
Torka, Marc (2006): Die Projektförmigkeit der Forschung. In: Die Hochschule: Journal für Wissenschaft und Bildung 15 (1), S. 63–83. https://doi.org/10.5771/9783845220864
Wentland, Alexander (2020): Warum elektrische Utopien festgefahren sind. Das Imaginary Automobilität als Grenze der Verkehrswende am Beispiel der Elektromobilität in Deutschland. In: BEHEMOTH A Journal on Civilisation 13 (1), S. 70–82. https://doi.org/10.6094/BEHEMOTH.2020.13.1.1037
Zografos, Christos; Klause, Kai; Connolly, James; Anguelovski, Isabelle (2020): The everyday politics of urban transformational adaptation. Struggles for authority and the Barcelona superblock project. In: Cities 99, S. 102613. https://doi.org/10.1016/j.cities.2020.102613