Meeting Report
In dieser Zeitschrift schrieben Peter Weingart und Holger Wormer im Jahr 2016 (Jg. 25, Heft 1) über eine „stärkere Demokratisierung der Wissenschaft, u. a. in Gestalt der Citizen Science“, und über die Chancen der sozialen Medien: letztere seien eine „verheißungsvolle Technik für eine intensivere Partizipation größerer Teile der Bevölkerung“. Schon ein Jahr später fand das erste Forum Citizen Science statt und wird seitdem jährlich als Veranstaltung von Wissenschaft im Dialog und dem Naturkundemuseum Berlin durchgeführt. Der Pandemie geschuldet fand das Forum Citizen Science vom 5. bis 7. Mai 2021 in Kooperation mit der TU Berlin komplett digital statt. 180 Teilnehmer*innen profitierten von einer gelungenen Übersetzung von Formaten aus der analogen in die digitale Konferenzwelt (inklusive Netzwerksabend mit Kneipen-Quiz).
Seit einigen Jahren ist die Wissenschaft nun auf der Reise, Bürger*innen stärker in die Forschung einzubinden: In manchen Projekten ist es gelungen, sie gleichberechtigt an der Auswahl des „Reiseziels“ und der Ausgestaltung der „Route“ zu beteiligen. Auch der Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), Staatssekretär Thomas Rachel, betonte dass Citizen Science (CS) einen wichtigen Beitrag leiste: Vertrauen in die Wissenschaft stärken, indem Forschung auch zur „gelebten Praxis“ für Bürger*innen wird.
„Vertrauen, Wirkung, Wandel: Citizen Science als Antrieb von Veränderung“, der Titel des diesjährigen Forums, zog sich stringent durch die zahlreichen Vortragsessions, Gesprächsrunden, Workshops und World Cafés. Dabei wurde einerseits über Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaftler*innen zu Bürger*innen reflektiert (und vice versa) als auch über Veränderungen in der Wissenschaft selbst, beispielsweise darüber, welche Anerkennung und Hürden Promovierende erfahren, wenn sie zu einem transdisziplinären Thema arbeiten.
Friederike Hendriks (WWU Münster), Martina Schäfer (Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin) und Johannes Vogel (Museum für Naturkunde Berlin) thematisierten in einer kurzweiligen Expert*innen-Runde, dass das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise nach wie vor verhältnismäßig hoch sei. Laut Wissenschaftsbarometer 2020 geben 60% der Befragten an, „Wissenschaft und Forschung eher oder voll und ganz zu vertrauen“. Dennoch, so Hendriks, sei immer wieder das Narrativ zu finden, Vertrauen in wissenschaftliche Expertise nehme ab. Ihrer Analyse nach beziehen sich derlei Aussagen eher auf einzelne Technologien (z. B. Atomenergie) oder aktuelle Entwicklungen (z. B. Vakzine).
Reicht es angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit aus, dass das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise seit Jahren „nur“ bei circa 60 Prozent liegt? Wie kann das Vertrauen in die Wissenschaft weiter erhöht und stabilisiert werden? Martina Schäfer leitete aus ihrer Erfahrung als transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforscherin ab, dass eine Öffnung der Wissenschaft hin zu mehr „Bürgerwissenschaft“ möglich sei. Allerdings müssten die Selbstansprüche derer, die transdisziplinär forschen, gesteigert werden hinsichtlich der Frage, wie die Wirkung dieses Forschungstyps auch belegt werden könne. Wenn transdisziplinäre Forschung besonders dafür geeignet sei, „Handlungswissen“ für die Lösung der drängenden Fragen zu erzeugen, dann müsse auch geklärt werden, wie dieser Anspruch und seine Wirkung gemessen werden kann. Vor diesem Hintergrund war es inspirierend, dass auf der Konferenz – im Sinne einer guten „Science of Citizen Science“ – auch Wirkungsmodelle und deren Anwendung in einzelnen Projekten vorgestellt wurden.
Johannes Vogel beschrieb die junge Community als eine Gemeinschaft von transdisziplinär Forschenden, die das Ziel habe, „gemeinsam um die besten Lösungen zu ringen“. Dieser Aufbruch sei insbesondere auch von Frauen angestoßen worden. Das möglicherweise schwindende Vertrauen in die wissenschaftliche Expertise trieb ihn (und andere Besucher*innen der Konferenz) um, denn das Vertrauen in die Wissenschaft sei „fragil“. Vogel empfahl angesichts dieser Problemanalyse, „Experimente“ zu wagen. Und dazu zähle er auch mutige CS-Ansätze. Ebenso gelte es, die Ansätze im europäischen Kontext weiterzuentwickeln.
„Stolpersteine in transdisziplinären Kooperationen“ thematisierten Kerstin Kurzhals und Katrin Uude (FH Münster), die in ihrem Session-Vortrag fragten, warum eine Vielzahl transdisziplinärer Projekte scheitere. Durch eine Literaturrecherche wurde zunächst theoretisches Wissen zu Transferhemmnissen zusammengetragen. Dieses wurden durch praktische Erkenntnisse aus 13 Teilprojekten angereichert und die erzielten Ergebnisse zeigen, dass insbesondere in Projekten mit einem Kontext zu Gesundheitsfragen Transferhemmnisse identifiziert werden konnten: fehlendes Bewusstsein gegenseitiger Kompetenzen (Projektbeginn), räumliche Distanzen (ländliche Räume, seit Pandemie noch verschärft zu räumlich-sozialen Distanzen) oder eine hohe Komplexität der Ergebnismessung (Schlussphase eines Projekts).
CS nimmt im Bereich Gesundheit und Medizin eine besondere Rolle ein – auch hier tragen die beteiligten Bürger*innen zur Sammlung und Generierung von Daten bei, stellen darüber hinaus jedoch Untersuchungssubjekt und -objekt zugleich dar. Die Motivation der Teilnahme an einem Projekt basiert daher in der Regel eher auf dem gemeinsamen Leidensweg und der Sorge um die eigene Gesundheit. Patient*innen mit chronischen Erkrankungen sind Expert*innen für das Leben mit dieser Erkrankung; ihre Expertise für die Wissenschaft gewinnbringend. Um gute Voraussetzungen für einen wirklichen Einbezug von Patient*innen in die Forschung zu schaffen, gründete sich im Rahmen des Forums die Arbeitsgruppe CS in Medizin und Gesundheitsforschung. Erste Ziele der AG sind das gemeinsame Erstellen von Leitfäden und Arbeitspapieren, eine Wahrnehmung der Relevanz von CS in diesem Bereich in der Öffentlichkeit sowie eine Stärkung der Rolle der Patient*innen innerhalb der akademischen Forschung.
Citizen Science kann dazu beitragen, fragiles Vertrauen in die Wissenschaft zu stabilisieren.
Bereits bestehende Best-Practice-Beispiele, bei denen die beteiligten Bürger*innen als geleichberechtigte Co-Forschende verstanden werden, sind die Projekte TeQfor1, Patient Science und GestDiNa. Johanna Gardecki (Universitätsklinik Frankfurt) betonte in der Vorstellung des Projekts Patient Science, dass dieser Ansatz der gleichberechtigten Involvierung der Bürgerforscher*innen besonderes Potenzial habe, Handlungswissen eben nicht nur zu generieren, sondern auch umzusetzen.
Michael Strähle (Wissenschaftsladen Wien) reflektierte die Ergebnisse des EU-Projekts „CS Track“. Seine „metaethische Perspektive“ zur normativen Orientierung war eine, die auf der Konferenz sonst nicht häufig explizit eingenommen wurde. Ethik werde v. a. dort relevant, wenn es um Gesundheitsfragen geht. Theoretisch fundierte Reflexionen (zu Privacy, Fairness) fänden sich zumeist in CS-Projekten, die bio- und medizinethische Fragen problematisierten.
In der „Freiwilligenforschung“ wird u. a. untersucht, wie Bürger*innen über ihre eigene Beteiligung an einem Forschungsprojekt reflektieren. Das ist methodisch anspruchsvoll und wurde beispielsweise von Till Bruckmann (Leibniz Universität Hannover) im Projekt WTimpact untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Fähigkeiten zum „wissenschaftlichen Denken“ der Teilnehmenden zu Beginn eines Projekts positiv auf ihr Fachwissen am Ende des Projekts auswirken, aber das Fachwissen umgekehrt nicht das wissenschaftliche Denken beeinflusst. Könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass sich mehr Menschen beim Datensammeln beteiligen als beim Auswerten? Und wann werden Bürger*innen überhaupt angefragt, darüber zu reflektieren? Gerade diese Eigenreflexion könnte einen entscheidenden Beitrag leisten zur Weiterentwicklung einer reflexiven Science of Citizen Science.
Das Forum bestärkte den wachsenden Netzwerk-Charakter, insbesondere für jene, die selber CS-Projekte durchführen. So entstehen derzeit gemeinsam formulierte Leitfäden und ein Weißbuch, die frei verfügbar sein werden und zu deren Mitarbeit alle CS-Forschenden eingeladen sind.
Kritische Nachfragen zur (normativen) Interpretation der Ergebnisse blieben eher aus: Warum beispielsweise wurde häufig angenommen, dass Vertrauen in die wissenschaftliche Expertise erhöht werden könnte, wenn „besser“ kommuniziert würde? Wichtig wäre, dass tatsächlich neue Kommunikationsformate erprobt werden. Auch die Bandbreite der Methoden ist enorm und eine Methodenreflexion, die über die eigentliche projektbezogene Evaluation hinausgeht, ist eine besondere Herausforderung, der wir uns stellen sollten. Ganz im Sinne des Gedankens, CS weiter zu entwickeln und die Reise gemeinsam fortzusetzen, soll das nächste Forum im Mai 2022 dann auch internationaler werden.
U. a. Bürger schaffen Wissen (aktuell 121 Projekte): https://www.buergerschaffenwissen.de/projekte
Im medizinischen Bereich: TeQfor1 (https://www.buergerschaffenwissen.de/index.php/projekt/teqfor1-auswirkungen-technischer-systeme-auf-die-eigene-lebensqualitaet-von-menschen-mit), Patient Science (https://www.buergerschaffenwissen.de/index.php/projekt/patient-science-patienten-schaffen-wissen) und GestDiNa (https://www.buergerschaffenwissen.de/index.php/projekt/nachsorge-schwangerschaftsdiabetes-was-ist-wichtig)