STUDIE
Wie lässt sich prüfen, ob Informationen echt und vertrauenswürdig sind – gerade solche, die über das Internet verbreitet werden? Die Möglichkeit, Personen mit Hilfe künstlicher Intelligenz in täuschend echte neue Kontexte zu stellen, macht eindeutige Antworten immer schwieriger. Forschende aus Deutschland, den Niederlanden und Tschechien haben sich nun im Auftrag des STOA-Panels des Europaparlaments mit den potenziellen Gefahren so genannter Deepfakes beschäftigt. Ihr Fazit: Die Technologie kann dazu missbraucht werden, Fake News und Desinformationen zu streuen. Deepfakes können so Personen sowie ganze Organisationen diskreditieren und potenziell auch dem Vertrauen in demokratische Institutionen schaden. Die Forschenden empfehlen deshalb insbesondere, die digitalen Verbreitungswege von Deepfakes in den Blick zu nehmen und gesellschaftliche Fertigkeiten weiterzuentwickeln, um die Glaubwürdigkeit von Medieninhalten kritisch zu hinterfragen.
PODCAST
Was wäre, wenn es in Restaurants keine Rindersteaks mehr gäbe, sondern gegrillte Insekten? Wie nachhaltig wäre der Verzicht auf herkömmliche Fleischprodukte? Und wie würden die Gäste das Angebot annehmen? Mit solchen Fragen zu Zukunftsszenarien der Bioökonomie setzt sich der im Sommer gestartete Podcast bio:fictions auseinander. In insgesamt elf Folgen stellt der Podcast jeweils eine Person vor, die biobasierte Innovationen entwickelt oder vorantreibt. Die Spannbreite reicht von nachhaltigen Insekten-Snacks, über essbare Trinkhalme und Teller bis hin zu künstlichen Korallenriffen zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Hinter dem Podcast steht ein Projekt des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) im Wissenschaftsjahr 2020/21 des Bundesministeriums für Forschung und Bildung. Alle Podcastfolgen sind auf den gängigen Streamingplattformen erschienen und kostenfrei nachzuhören.
PANDEMIE
Arbeiten im Homeoffice, Ansteckungsgefahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, kaum mehr Urlaubsreisen: Die Corona-Pandemie hat die Mobilität der Deutschen auf den Kopf gestellt. Eine neue Studie des Fraunhofer ISI geht nun der Frage nach, ob sich die individuelle Mobilität dauerhaft verändern wird. Dazu befragten die Forschenden im August 2020 sowie im März 2021 deutsche Bürgerinnen und Bürger in Großstädten, wie sich ihre Wegezwecke (z. B. Dienstreisen, Freizeitwege) und die Wahl der Verkehrsmittel nach den Corona-Beschränkungen ändern würden. Die Ergebnisse legen nahe, dass die große Mobilitätsrevolution ausgeblieben ist: Im März 2021 stehen den knapp 12 Prozent der Befragten, die in Zukunft weniger mobil sein möchten, 38 Prozent an Befragten gegenüber, die künftig sogar mobiler sein möchten als zuvor. Als „kein gutes Zeichen für die Mobilitätswende“ wertet das Studienleiter Johannes Schuler. Es werde daher weiter strenge Push-out-Maßnahmen brauchen, um die Mobilität in Großstädten zu verändern.
KONFERENZ
Vom 20. bis 23. März 2022 treffen sich Forschende aus der Technikfolgenabschätzung und angrenzenden Feldern sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gesellschaft in Karlsruhe. Unter dem Titel „Digital Future(s): TA in and for a Changing World“ diskutieren sie bei der mittlerweile fünften Europäischen TA-Konferenz über digitale Transformationen und deren Herausforderungen für Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Keynote-Speakerinnen sind Payal Arora, Expertin für ethisches Design an der Universität Rotterdam, Doris Allhutter, Politikwissenschaftlerin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie Catrin Misselhorn, Professorin für Philosophie Vordenkerin im Bereich der Maschinen- und Roboterethik in Deutschland. Die Konferenz findet im Zentrum für Kunst- und Medien (ZKM) statt, einer der weltweit bedeutendsten Kunstinstitutionen, die selbst zu den Auswirkungen von Digitalisierung forscht. Gastgeber ist das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), das die Konferenz mit seinen Partnern im Netzwerk globalTA organisiert.
karlsruhe2022.technology-assessment.info
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB)
Warum betreiben Sie Technikfolgenabschätzung?
Im Studium habe ich eine TAB-Studie zu Netzöffentlichkeit und digitaler Demokratie gelesen und war so beeindruckt von ihrer Vielseitigkeit und Weitsicht, dass ich dachte: Sowas will ich auch mal beruflich machen. Und heute bin ich überzeugt: Menschen, die interessengetrieben über Technik reden, gibt es genug, aber interdisziplinäre Technikanalysen könnte es ruhig noch mehr geben.
Welche Forschungsfrage interessiert Sie besonders?
Gerade arbeite ich zu Gene Drives, einer Gentechnologie, bei der durch Freisetzung einzelner transgener Lebewesen ganze Populationen geändert werden sollen. Das ist ein ziemlich ambivalenter Anspruch und deshalb sehr interessant. Grundsätzlich finde ich das Feld von KI und Digitalisierung aber auch spannend, weil es Auswirkungen auf den Alltag so vieler Menschen hat.
Am TAB beraten Sie Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestags. Sollten die mehr auf Sie hören?
Nein! Oft ist es sogar besser, nicht auf mich zu hören. Aber ganz im Ernst: Das hieße ja, dass sie extrem leicht durch externe Positionen beeinflussbar wären. Wir als TAB geben zwar mitunter Handlungsempfehlungen, möchten aber in erster Linie möglichst breit und fundiert informieren.
Sie forschen und lehren zu politischen Beteiligungsformaten. Wie sähen die denn idealerweise aus?
Informiert, inklusiv und verbindlich: also mit ausreichend Sachkenntnis, einer möglichst breiten Beteiligung auch von klassisch Unterrepräsentierten und mit einem klaren politischen Output.
Welche Rolle sollte Wissenschaft in gesellschaftlichen Debatten spielen? Einmischen oder raushalten?
Unbedingt einmischen! Der öffentliche Diskurs kommt nicht aus ohne informierte und sachliche Stimmen.
AUSFÜHRLICHES VIDEO-INTERVIEW UNTER www.tatup.de/youtube
NETZWERK
Das europäische Netzwerk für parlamentarische TA (EPTA) hat zwei weitere Mitgliedsinstitutionen aufgenommen. Neu dabei ist als 13. Vollmitglied die Oficina de Ciencia y Tecnología. Das parlamentarische Büro für Wissenschaft und Technik ist im März 2021 vom Congresso de los Diputados, dem Unterhaus des spanischen Parlaments, und der Stiftung FECYT gegründet worden. Teil des EPTA-Netzwerks ist künfig – als 12. assoziiertes Mitglied – auch das Committee for the Future of Lithuania des litauischen Parlaments.
BETEILIGUNG
Wo halten Bürgerinnen und Bürger den Einsatz von KI-Anwendungen für sinnvoll – und wo nicht? Welche Hoffnungen und Erwartungen verbinden sie mit der Technologie, was sind ihre Befürchtungen und Sorgen? Nach Antworten hat das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) mit dem Bürgerdialog „Künstliche Intelligenz in unserem Alltag“ gesucht. Bei der Veranstaltung im Programm der ersten Science Week des Karlsruher Instituts für Technologie diskutierten über 30 Teilnehmende einen Tag lang untereinander und mit Expertinnen und Experten über den Einsatz von KI für Energieversorgung, Autonomes Fahren und Robotik. Entstanden sind dabei eine Liste konkreter Wünsche in Bezug auf die künftige Forschungsagenda des KIT. Der Präsident der Forschungsuniversität, Holger Hanselka, versicherte den Bürgerinnen und Bürgern, ihre Ideen in Kürze in die KIT-Gremien einzubringen.
PANDEMIE
Die Mitglieder des europäischen Netzwerks für parlamentarische TA (EPTA) haben analysiert, wie Regierungen und Gesellschaften auf die Covid-19-Pandemie reagiert haben. Im Fokus eines im November vorgestellten Berichts steht die Frage, wie Politikerinnen und Politiker wissenschaftliche Erkenntnisse, Technologien und Innovationen genutzt haben. Dabei untersuchten die Partnerinstitutionen des Netzwerks auch Schwächen und Stärken der Entscheidungsfindung während der Pandemie. Darauf aufbauend wurden sechs Themenbereiche identifiziert, die sofortige Aufmerksamkeit verlangen. Ganz oben auf die politische Agenda sollten aus EPTA-Perspektive etwa die Diskussion über eine integrative und faire Digitalisierung sowie die Frage, wie Arbeit von zu Hause aus verantwortungsvoll organisiert werden kann. Darüber hinaus müsste das Augenmerk auf Schwachstellen im Gesundheitswesen und in der technologischen Infrastruktur liegen. Um dieser und kommenden Pandemien besser zu begegnen, empfehlen die EPTA-Mitglieder zudem, medizinische Daten künftig international unter Wahrung der Privatsphäre auszutauschen. (vgl. ausführlich S. 88)
STUDIE
Digitale Technologien eröffnen Bürgerinnen und Bürgern neue Möglichkeiten der Partizipation, gerade auch bei politischen Prozessen. Die Schweizer Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) hat verschiedene Aspekte im Wechselspiel von Digitalisierung und Demokratie untersucht. In insgesamt drei Teilstudien betrachtet sie das Thema aus den Perspektiven von Forschung, Jugendlichen und der Kunst. In den im August 2021 veröffentlichten Studien analysiert die TA-Swiss Chancen und Risiken und spricht Empfehlungen aus, wie demokratische Systeme mit der zunehmenden Digitalisierung umgehen sollten. Eine große Chance bestehe beispielsweise darin, dass Politikerinnen und Politiker verschiedene Zielgruppen besser erreichen und ihnen einen umfassenderen Zugang zu politischen Informationen bieten können. Um der Gefahr von Fake News vorzubeugen, empfiehlt die TA-Swiss Faktenchecks durch Expertenplattformen. Zudem sollen die politisch Verantwortlichen Menschen dabei helfen, ihre Kompetenzen bei der Informationssuche und -verarbeitung im Internet zu verbessern.
www.ta-swiss.ch/digitale-demokratie
PUBLIKATION
Ob Impfdebatte, Corona- oder Klimakrise – viele politische Streitfragen werden heute als Wissenskonflikte verhandelt. Gesellschaftliche Akteure beschäftigen sich immer weniger mit normativen Aspekten und individuellen Handlungsoptionen, sondern streiten darüber, wer am genauesten mit den Ergebnissen der Wissenschaft übereinstimmt. Diese These verfolgt der österreichische Soziologe Andreas Bogner in einem aktuellen Essay zur gesellschaftlichen Fixierung auf Wissensfragen und ihre Folgen. Seine Diagnose: Die „Epistemisierung des Politischen“ ist gefährlicher für unsere Demokratie als das leicht durchschaubare Spiel mit Fake News und Filterblasen. Der Autor ist Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie.
Im Sommer ereilte die TA-Community eine schockierende Nachricht: Am 11. August ist Melanie Peters, seit 2015 Direktorin des niederländischen Rathenau-Instituts, im Alter von 55 Jahren gestorben. Ihre techniknahe, gleichwohl immer sensibel die Rolle von Technik in der Gesellschaft beobachtende wissenschaftliche Karriere umfasste unter anderem Stationen an niederländischen Universitäten, am Imperial College in London, an der University of Texas in Austin und bei Shell Research. In ihrer Leitungsfunktion am Rathenau-Institut in Den Haag lag ihr der offene und transparente Dialog mit Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft besonders am Herzen. Dies war insbesondere auf Veranstaltungen des EPTA-Netzwerks (European Parliamentary Technology Assessment) zu spüren, genauso wie ihre hohe kommunikative Kompetenz, die Fähigkeit des empathischen Zuhörens wie auch ihre Begabung, für dialogisch orientierte TA zu begeistern.
Die internationale TA-Community hat eines ihrer Vorbilder verloren. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren.
Armin Grunwald
(Vorsitzender der TATuP-Herausgeberschaft)