Richard Paluch*, 1 , Claudia Müller1 , Marcus Garthaus2, Manfred Hülsken-Giesler2 , Elisabeth Stachura2
* Corresponding author: richard.paluch@uni-siegen.de
1 Wirtschaftsinformatik, insb. IT für die alternde Gesellschaft, Universität Siegen, Siegen, DE
2 Institut für Gesundheitsforschung und Bildung, Abt. Pflegewissenschaft, Universität Osnabrück, Osnabrück, DE
Die Sicherstellung der Pflege ist eine große Herausforderung für die Gesellschaft. Was kann die Robotik dazu beitragen? Auf welchem Stand ist die Forschung? Welche Aspekte gilt es zu beachten, um Robotik in die Handlungsfelder der Pflege einzubringen, damit sie Menschen sinnvoll unterstützt?
Die gängigen Vorstellungen über Roboter, die auch von Film und Fernsehen geprägt sind – beispielsweise Arnold Schwarzenegger als Terminator oder dem ‚Gesundheitsbegleiter‘ Baymax – entsprechen nicht deren tatsächlichem Einsatz im sensiblen Bereich der Pflege. Im Rahmen des zweiten Vernetzungs-Symposiums der BMBF-Förderlinie ‚Robotische Systeme für die Pflege‘ (2020–2023) präsentierten am 10. 02. 2022 zehn interdisziplinäre Verbundprojekte den aktuellen Stand ihrer Forschungen. Die Fachtagung wurde über das wissenschaftliche Begleitprojekt ‚Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege‘ (BeBeRobot) organisiert, über 300 Fachpersonen aus Wissenschaft, Praxis und interessierter Öffentlichkeit nahmen an der online-gestützten Veranstaltung teil.
Die präsentierten robotischen Systeme für die Pflege haben sehr unterschiedliche Einsatzbereiche und Erscheinungsformen. Vorgestellt wurden z. B. eine interaktive Puppe, die Menschen mit Demenz im eigenen Zuhause Informationen zur Orientierung und Aktivierung bietet (‚Welches Datum ist heute?‘; ‚Wollen wir ein Lied singen?‘), ein Service-Roboter, der in Form eines selbstfahrenden Nachttisches auf Aufforderung Getränke oder weitere Utensilien zum Patientenbett bringt und ein intelligentes Pflegebett, welches Physiotherapeut:innen und Intensivpflegekräfte in der Frühmobilisation von Intensivpatient:innen unterstützt. Alle zehn Projekte konnten nach der Hälfte des dreijährigen Förderzeitraums veranschaulichen, wie ein Robotikeinsatz in der Praxis der Pflege – in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und bei Anbietern häuslicher Pflege – zukünftig gestaltet werden könnte.
„Mit dem Fachtag wurde erstmals ein konkreter Einblick in die Breite der derzeit entwickelten robotischen Systeme für die Pflege gewährt, der aufzeigt, wie vielfältig robotische Unterstützungsmöglichkeiten für die Pflege sein können. Die Diskussionen zum Fachtag verdeutlichten aber auch, wie voraussetzungsvoll ein erfolgreicher Einsatz von Robotik in den konkreten Feldern der Pflegearbeit ist“, resümierte Manfred Hülsken-Giesler, der das wissenschaftliche Begleitprojekt BeBeRobot an der Universität Osnabrück koordiniert. In der Förderlinie wird dabei einem Leitbild guter pflegerischer Versorgung gefolgt, das Robotik als Unterstützung zur Verbesserung von Lebens- und Versorgungsqualität auf Seiten der Pflegeempfänger:innen und ihrer An- und Zugehörigen sowie von Arbeitsqualität und -zufriedenheit auf Seiten der Beschäftigten versteht.
Die Veranstaltung hatte vor diesem Hintergrund den Fokus auf das ‚Gestalten von IT-Systemen im Kontext der Praxis‘ gerichtet. Die Projektvorträge wurden jeweils durch eine Keynote von internationalen Fachwissenschaftler:innen zu den Themenfeldern ‚Robotische Systeme in Sorgenden Gemeinschaften‘ (Naonori Kodate, University College Dublin und Universität Hokkaido), ‚Werte-Orientierung in der Robotik-Forschung‘ (Astrid Weiss, TU Wien) und ‚Co-Design und interdisziplinäre Arbeit‘ (Kirsten Thommes, Universität Paderborn) eingeführt. Der rege Austausch und die Diskussionen in Chats, die um die Vorträge und Präsentationen entstanden, zeigten, wie sehr das Thema sowohl Forschung als auch Praxis umtreibt und wie fruchtbar gerade der disziplinübergreifende Austausch ist.
Das Besondere an der Förderlinie ‚Robotische Systeme für die Pflege‘ ist, ‚dass die Sichtweisen und Anforderungen von Pflegearbeit im Zentrum stehen und dass eben mit der Praxis für die Praxis entwickelt wird‘. Mit diesen Worten fasste Katrin Nostadt vom BMBF das Fachsymposium zusammen und hob zudem die Sicherstellung der Pflege als eine der großen Herausforderungen für unsere Gesellschaft hervor. Um diese zu meistern, sei die Weiterentwicklung einer auf Nutzende ausgerichteten Technik ein wichtiger Schritt.
Die Fachtagung verdeutlichte, welche Relevanz die Reflexion von Werten für robotische Systeme in der Pflege hat und wie eine Robotik(-forschung) etabliert werden kann, um Pflegearbeit im Sinne einer ‚guten Pflege‘ zu unterstützen und zu entlasten. In ihrer Keynote ging insbesondere Astrid Weiss (TU Wien) auf diesen Aspekt ein. Zunächst berichtete sie aus den Erfahrungswerten des Hobbit-Projekts (2011–2015), die nahelegten, dass betroffene Stakeholder so stark wie möglich in sämtliche Phasen der Entwicklung von Robotern einbezogen werden sollten. Ein solcher Einbezug von Stakeholdern soll auch im fünfjährigen Projekt Caring Robots/Robotic Care (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, FWF) geschehen, welches im April 2022 gestartet ist. Das Team der TU Wien wird darin unterschiedliche Perspektiven und Werteorientierungen von Stakeholdern ermitteln und versuchen diese sinnvoll in den Technologieentwicklungsprozess zu integrieren. Darüber hinaus wird erforscht werden, wie Pflegende und Wissenschaftler:innen im Projekt am besten kooperieren können. Dazu wird ein gleicher Wissenstand in Bezug auf technische Möglichkeiten, tatsächliche Bedarfe, datenschutzrechtliche Grenzen und ethische Herausforderungen des Robotikeinsatzes fundamental sein. Aus dieser, alle Stakeholder einbeziehenden Methode resultiert ein neuer Fokus darauf, was die Technik soll, und weniger auf das, was sie kann.
Zentrale Fragen drehten sich darum, was eigentlich gute Pflege bedeutet und wie die Autonomie vulnerabler Gruppen erhalten werden kann.
Zentrale Fragen in den lebhaften Diskussionen während des Symposiums drehten sich auch darum, was eigentlich gute Pflege bedeute, in welchen Situationen Robotertechnologie eingesetzt werden sollte und wie dabei die Autonomie der vulnerablen Gruppe der zu Pflegenden erhalten werden könne. Immer wieder ließen sich diese Fragestellungen unter dem Begriff ‚Werte‘ zusammenfassen. Auf die Frage ‚Erfinden wir bei solchen Projekten immer das Rad neu?‘ entgegnete Astrid Weiss, dass zwar immer wieder die gleichen Narrative erzählt würden, wenn es um Roboter gehe, wie zum Beispiel, dass sie den Pflegenotstand lösen könnten. Davon seien wir jedoch noch weit entfernt und auf dem Weg dorthin werde noch einiges an Forschung nötig sein.
Die Frage bleibt, welche Rolle eine Werteorientierung zukünftig im Rahmen von Forschungsprojekten spielen wird, die sich mit robotischen Systemen in der Pflege beschäftigen. Allgemein lässt sich festhalten, dass der Aussage zuzustimmen ist, dass das Rad stets neu zu erfinden sei. Denn in jeder neuen Situation ist auszuhandeln, wie eine technische Unterstützung funktionieren kann und worauf zu achten ist, bevor eine Technologie in die Praxis überführt wird. Eine stetige Diskussion über Werte sollte Forschungsprojekte und Praxiserprobungen begleiten.
Dies lässt sich auch an den verschiedenen Facetten des Co-Designs sehen, die während der Veranstaltung angesprochen wurden. So wurde hervorgehoben, wie unterschiedlich eine Community-Orientierung in verschiedenen Ländern ausgeprägt sein kann und welche kulturellen Besonderheiten dabei zu berücksichtigen sind. Hierzu war insbesondere die Keynote von Naonori Kodate inspirierend, der über empirische Fälle in Japan sprach.
Es ist wichtig, weiterhin über diese Themen zu diskutieren und sie gleichzeitig auch zu operationalisieren. Zentral ist hierbei die Wertschätzung gegenüber den jeweiligen Akteur:innen, seien es die Pflegenden, Pflegeempfangenden, Entwickler:innen, Sozial- oder Pflegewissenschaftler:innen. Ein Thema könnte etwa sein, welche gemeinsamen Werte Projekte zu robotischen Systemen in der Pflege teilen und wie diese die Arbeit rahmen. Hierdurch könnten Orientierungspunkte ausgemacht werden, die dann zu einer verbesserten Kooperation, aber auch zu einer durch die Gesellschaft akzeptierten Einbettung von Robotern führen.
Diese Arbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über das Projekt BeBeRobot unterstützt.
Konferenzprogramm und weitere Informationen zu den Verbundprojekten der BMBF-Förderlinie ‚Robotische Systeme für die Pflege‘: https://www.pflege-und-robotik.de/fachsymposium-2022/
Verbundpartner BeBeRobot: Universität Osnabrück, SIBIS Institut für Sozial- und Technikforschung GmbH, OFFIS e. V. – Institut für Informatik, Deutscher Caritasverband e. V. und Universität Siegen.