Meeting report: „Genome Editing“. Symposium, 2022, Vienna, AT

Jonas Poschenrieder*, 1

* Corresponding author: jonas.poschenrieder@stud.ku.de

1 Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), Eichstätt, DE

© 2022 by the authors; licensee oekom. This Open Access article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY).

TATuP 31/2 (2022), S. 80–81, https://doi.org/10.14512/tatup.31.2.80

published online: Jul. 18, 2022 (editorial peer review)

Der Eingriff in die menschliche Keimbahn in Form von genome editing beschränkt sich längst nicht mehr auf die Lektüre von Science-Fiction-Romanen. Im Gegenteil: Spätestens mit dem ersten geklonten Schaf Dolly zeigte sich, wie weit die Entschlüsselung eines tierischen Genoms fortgeschritten war. Dr. He Jiankui war der Erste, welcher 2018 mittels CRISPR/Cas menschliche Zwillingsschwestern pränatal gegen HIV zu immunisieren versuchte. Die Empörung war deshalb groß, da das Verfahren sowohl mit Blick auf die Off-target- wie auch On-target-Effekte als deutlich zu risikoreich galt. Im Zuge dessen stellen sich Fragen, wie risikoreich ein technischer Eingriff in die menschliche Keimbahn sein kann und wie sich diese Entscheidung auf die Menschheit und auf die Gesellschaft auswirkt.

Grundsätzlich beschreibt Genomeditierung den Prozess, mittels technischer Instrumente in die Keimbahn von Organismen einzugreifen und deren DNA generationsübergreifend zu verändern. Man kann Basenpaare reparieren, Gensequenzen deaktivieren oder jeden beliebigen Punkt in der Doppelhelix gänzlich verändern. Dadurch bringen Genome-editing-Verfahren wie CRISPR/Cas auch enorme Chancen mit sich: Krankheiten, welche sich mit der Präimplantationsdiagnostik nicht ausselektieren lassen, lassen sich durch einen gezielten Eingriff in die Keimbahn generationsübergreifend ausmerzen. Die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas 2014 durch Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna verdeutlicht die Notwendigkeit, sich mit der Genomeditierung als einer technischen Möglichkeit ethisch und als Gesellschaft auseinander zu setzen. Das Symposion „Genome Editing: Über die normativen Dimensionen von Eingriffen in die menschliche Keimbahn“ (11.–12. März 2022 in Wien) näherte sich dieser Frage auf einer grundsätzlichen Ebene an und adressierte dazu spezifisch normative Fragestellungen.

Die Vorträge

Den Anfang machten die Vorträge zu den Fragen risikotheoretischen Abwägungen in der klinischen Anwendung- und Forschungspraxis. Während Bettina Schöne-Seifert (Münster) die positiven Auswirkungen des genome editings mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen betonte und auf die stetig wachsende Zielgenauigkeit verwies, die der Keimbahneingriff mittlerweile durch das neu entwickelte HHGE (heritable human genome editing) im Vergleich zu früheren Verfahren erziele, führte Dieter Birnbacher (Düsseldorf) eher grundsätzliche Abwägungen aus der Risikoethik an. Dabei skizzierte Birnbacher mehrere Risiken, welche im Laufe des Symposions immer wieder zur Sprache kamen: Wie wirkt sich der Eingriff auf die nachfolgenden Generationen aus? Wie ist es um soziale Fairness bestimmt? Welche Rolle spielt die Natürlichkeit? Beide Referierenden betonten einerseits die Chancen, die Genomeditierung zur Krankheitsbekämpfung in der Medizin bietet. Andererseits zeigte sich Birnbacher skeptisch, da weder Risiken noch mögliche Nutzen bislang hinreichend bekannt seien. Entsprechend schloss Birnbacher mit dem skeptischen Fazit, dass es fraglich erscheine, ob die Aussicht auf eine sichere Anwendung der Keimbahneditierung so verlockend sei, um den steinigen Weg dorthin einzuschlagen.

Was treibt uns als Menschheit wirklich an, in unsere Erbanlage einzugreifen, und was bedeutet dies für das Selbstverständnis künftiger Generationen?

In Bezug auf das genome editing kommt rechtlichen Fragen ein zentrales Gewicht zu. Dies wurde durch die Vorträge von Christian Hillgruber (Bonn) und Reinhard Merkel (Hamburg) verdeutlicht. In rechtlicher Hinsicht ist im normativen Bezug auf Genomeditierung insbesondere Art. 1 Grundgesetz sowie der §5 Embryonenschutzgesetz entscheidend. In den Vorträgen und den teilweise sehr hitzigen Diskussionen zwischen Hillgruber und Merkel kristallisierte sich heraus, dass das entscheidende Problem in der Bestimmung der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde liegt, verbunden mit der Frage, wie weit sich ihr Schutzmantel erstreckt. Während Hillgruber die Genomeditierung als biotechnischen Zugriff auf die menschliche Persönlichkeit interpretierte und jenes somit kategorisch ausschloss, erklärte Merkel Keimbahneingriffe dann für legitim, wenn sie all-purpose means begünstigten, d. h. Eigenschaften, die für jeden denkbaren (späteren) Lebensplan vorteilhaft wären. Auch der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Peter Dabrock (Erlangen-Nürnberg) sah das zentrale Problem in der näheren begrifflichen Bestimmung menschlicher Würde. Indem Dabrock eine Differenzierung in ‚human life‘ und ‚human being‘ vorschlug, versuchte er, einen Mittelweg zwischen Hillgruber und Merkel zu entwickeln. Nachdem durch Geneditierung die ursprünglichen (auch bei der Präimplantationsdiagnostik noch vorliegenden) Probleme einer verbrauchenden Embryonenforschung grundsätzlich gebannt seien, genüge es, den rechtlichen Begriff von Würde auf den Embryo ab utero zu beschränken. Zudem erklärte er, dass Keimbahneingriffe als therapeutische und präventive Methodik dann zulässig sein sollten, wenn dabei nicht mit weiteren Risiken in anderen Bereichen zu rechnen sei. Demgegenüber sah die Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl (Augsburg) das genome editing aufgrund der Risiken, welche sich intergenerationell auswirken könnten und welche bisher auch klinisch nicht hinreichend bekannt seien, als grundsätzlich kritisch. Diese könnten die Freiheit der folgenden Generationen bedrohen. Gleichwohl wandte sich Schlögl-Flierl gegen einen Rigorismus, sodass sie Genomeditierung trotz der unbekannten und möglichen Risken nicht kategorisch ausschloss.

Die Ethiker Nikolaus Knoepffler (Jena) und Dieter Sturma (Bonn) betteten die Genomeditierung in die bioethische Diskussion um Therapie und Enhancement ein. Nach Knoepffler sind mehrere Probleme mit dem Eingriff in die Keimbahn verbunden: Wie verhält sich der Eingriff zu der Selbstbestimmung der Betroffenen und der nachfolgenden Generationen? Wie lässt sich genome editing gesellschaftlich gerecht einbetten, sodass nicht nur ein Teil davon profitiert? Wie wird sich der Eingriff auf gesellschaftliche Dynamiken auswirken, wenn beispielsweise durch Verlängerung des menschlichen Lebens noch mehr Generationen zusammenleben würden? Dieter Sturma sprach sich für die therapeutischen und präventiven Möglichkeiten der Genomeditierung aus, insofern diese einen Beitrag zu den biologischen und sozialen Bedingungen der Weiterentwicklung der Humanisierung der Lebenswelt leisten können.

Den thematischen Abschluss der Vorträge bildete die Frage nach Möglichkeiten und Perspektiven des genome editings. Hierbei griffen Sigrid Graumann (Bonn) und die frühere Vorsitzende des Deutschen und Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen (Bonn), Fragen ihrer Vorredenden auf, die sie in praktischer und theoretischer Hinsicht auf zukünftige Herausforderungen bezogen. Nach Graumann ist Genomeditierung als Verfahren der Fortpflanzungsmedizin weder alternativlos noch hochrangig genug, um künftige Kinder und deren Nachkommen unkalkulierbaren Risiken auszusetzen. Wenn das stimmt, sind weder die Erforschung noch die klinische Anwendung des genome editings medizinisch sinnvoll und ethisch vertretbar. Nachdenklich zeigte sich Christiane Woopen, die die Frage nach der Legitimität von Keimbahneingriffen vor dem Hintergrund einer Selbstvergewisserung reflektierte: Was treibt uns als Menschheit wirklich an, in unsere Erbanlage einzugreifen, und was bedeutet dies für das Selbstverständnis künftiger Generationen?

Abschlussdiskussion und Ausblick

Die Tagung wurde durch eine große Diskussionsrunde beschlossen, in welcher die argumentativen Stränge und Streitpunkte zusammengeführt und systematisch ausgewertet wurden. Einigkeit herrschte bei allen Teilnehmenden darüber, dass die Fragen nach Gerechtigkeit, Würde, Selbstbestimmung, Verantwortung und der weiteren Entwicklung des Forschungstandes eine große Herausforderung der nächsten Dekaden darstellen, die einer vertieften und kritischen Reflexion bedürfen.

Weitere Informationen

Informationen zu den Vortragenden und dem Programm: https://www.forum-st-stephan.at/home/_blog/genome-editing/Flyer_GenomeEditing.pdf