RESEARCH ARTICLE

Analyse der sozialen Folgen von digitalen Technologien für Betriebe in der kleinstrukturierten Landwirtschaft

Sara Anna Pfaff*, 1, Angelika Thomas1, Andrea Knierim2 https://orcid.org/0000-0002-4082-144X

* Corresponding author: sara.pfaff@hfwu.de

1 Institut für Angewandte Agrarforschung, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Nürtingen, DE

2 Fachgebiet Kommunikation und Beratung in ländlichen Räumen, Universität Hohenheim, Stuttgart, DE

Zusammenfassung  Bisher liegen nur wenige Erkenntnisse hinsichtlich der sozialen Folgen von digitalen Technologien für den Arbeitsalltag in der kleinstrukturierten Landwirtschaft vor. Gleichzeitig haben Landwirte oft wenig Informationen, um abschätzen zu können, was sie nach einer Investition in digitale Technologien erwartet. Informationen über Investitionsfolgen sind jedoch nötig, um Landwirte gezielt zu unterstützen und die Akzeptanz zu erhöhen. Der vorliegende Beitrag untersucht die möglichen Folgen am Beispiel Baden-Württembergs mithilfe der Vorgehensweise der Technikfolgenabschätzung. Die Basis hierfür bilden 38 qualitative Experteninterviews, welche qualitativ und inhaltlich analysiert wurden. Die Ergebnisse zeigen technologiespezifische soziale Folgen v. a. für Arbeit und Familie sowie Lösungsansätze für die (Familien-)Betriebe in der kleinstrukturierten Landwirtschaft auf. Daraus resultieren Hinweise für Industrie, Handel, Politik, Bildung und Beratung.

Analysis of social consequences of digital technologies for farms in small-scale agriculture

Abstract  So far, only few results are available regarding the social consequences of digital technologies for everyday work in small-scale agriculture. At the same time, farmers often have little information to assess what to expect after investing in digital technologies. However, information on possible consequences becomes more and more relevant to support farmers in a targeted way and to increase acceptance. This article examines the possible consequences using the technology assessment approach, taking Baden-Württemberg as an example. For this purpose, we conducted 38 qualitative expert interviews and analyzed them qualitatively and content-wise. The results show technology-specific social consequences (e.g. for work, family) and possible solutions for (family) farms in small scale agriculture. They provide useful information for industry, trade, politics, education, and consulting.

Keywords  digitalization, small-scale agriculture, social impacts, technology assessment, daily work

© 2022 by the authors; licensee oekom. This Open Access article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY).

TATuP (2022) Bd. 31 Nr. 3, S. 65–71, https://doi.org/10.14512/tatup.31.3.65

Recieved: Apr. 22, 2022; revised version accepted: Sep. 07, 2022; published online: Dec. 16, 2022 (peer review)

Einleitung

Die Digitalisierung ist in nahezu jeder Branche spürbar, dies gilt auch für die Landwirtschaft. Digitale Technologien in der Landwirtschaft sind vielfältig, lassen sich aber wie folgt in zwei Gruppen gliedern: (1) softwarebasierte Technologien (z. B. Farm Management Information Systeme, Apps) und (2) physische Technologien (z. B. Anbaugeräte am Traktor, automatische Lenksysteme, Sensoren) (Birner et al. 2021). In Betrieben in der kleinstrukturierten Landwirtschaft werden digitale Technologien teilweise zögerlich genutzt (Gabriel und Gandorfer 2020). Kleinstrukturierte Landwirtschaft steht im vorliegenden Beitrag für eine Agrarstruktur, welche im Vergleich mit anderen Agrarregionen Deutschlands durch eine geringe betriebliche Flächenausstattung, einen hohen Anteil an Familienarbeitskräften und Familienbetrieben, geringe Schlaggrößen und/oder heterogene Schlagformen, einen geringen Spezialisierungsgrad sowie einen hohen Anteil an Sonderkulturanbau geprägt ist. Baden-Württemberg zeichnet sich durch diese Agrarstruktur aus (Stala 2021). Aufgrund vielfältiger Studien zu Innovationsprozessen in der Landwirtschaft lässt sich annehmen, dass erwartete oder bereits erlebte soziale Folgen den Übernahmeprozess der Landwirte von Innovationen beeinflussen (Rogers 2003). Angelehnt an Rogers (2003) werden in dieser Studie soziale Folgen als direkte oder indirekte sowie erwünschte und unerwartete Veränderungen für Landwirte sowie für deren innerbetriebliches soziales Umfeld (das heißt Familienmitglieder, Arbeitskräfte) definiert.[1]

Bisher sind für Landwirte in kleinen Strukturen keine umfassenden Informationen über den Einstieg in die Nutzung und die Auswirkungen von digitalen Technologien verfügbar (Cisternas et al. 2020). Ohne ausreichende Informationen fehlen den Landwirten Entscheidungsgrundlagen, um Alternativen, Konsequenzen und Risiken für sich einschätzen zu können. Mögliche Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsalltag sowie die innerbetriebliche Zusammenarbeit sind bislang nur teilweise wissenschaftlich untersucht (z. B. Zscheischler et al. 2022). Zu den relativ intensiv betrachteten Technologien gehört z. B. der Melkroboter (Schewe und Stuart 2015; Goller et al. 2021). Die bisherigen Erkenntnisse der Forschung zur Auswirkung der Digitalisierung werden nachfolgend kurz erläutert.

Innovationsbereitschaft und Technikaffinität, aber zum Teil auch das Alter der Landwirte, spielen eine wesentliche Rolle für die Nutzung digitaler Technologien.

Durch einen veränderten Wissens- und Kompetenzbedarf steigt der Bedarf an qualifizierten Facharbeitskräften (Sparrow und Howard 2021; Zscheischler et al. 2022), dies steht dem aktuellen Facharbeitskräftemangel gegenüber (Borges et al. 2017). Positive Effekte durch den Einsatz von Robotik werden in der Steigerung der Familien- und Freizeitaktivität (Sparrow und Howard 2021), der Flexibilisierung der Arbeit sowie der körperlichen Entlastung (Rohleder et al. 2020) festgestellt. In einer Fallstudie bezüglich der Nutzung von Melkrobotern im Norden Deutschlands bestätigen Goller et al. (2021) die genannten positiven Effekte. Gleichzeitig zeigen sie, dass Landwirte den Druck durch die ständige Erreichbarkeit und externe (Service-)Abhängigkeit negativ wahrnehmen. Auswirkungen durch die Nutzung sind zudem betriebsindividuell, lassen sich nicht vereinheitlichen und werden z. B. von der Einstellung der Landwirte (Schewe und Stuart 2015) und der Wahrnehmung der (Be-)Nutzerfreundlichkeit von digitalen Technologien (Michels et al. 2019) beeinflusst.

Der Implementierungsprozess und die Technikfolgenabschätzung (TA) für die kleinstrukturierte Landwirtschaft wurden bisher nicht im betriebsinternen Kontext untersucht. Die vorliegende Studie zielt darauf, einen Einblick in die möglichen sozialen Folgen auf einzelbetrieblicher Ebene zu gewinnen. Anhand von Experteneinschätzungen sollen innerbetriebliche Auswirkungen und Herausforderungen des Einsatzes von digitalen Technologien sowie zukünftige Strategien für den Umgang mit einzelbetrieblichen Schwierigkeiten und negativen Folgen ermittelt werden. Die qualitative Erhebung untersucht am Beispiel der kleinstrukturierten Landwirtschaft Baden-Württembergs folgende Forschungsfragen: Wie stellt sich der Implementierungsprozess von digitalen Technologien dar? Welche sozialen Folgen für die Landwirte im Betriebsalltag werden von Experten wahrgenommen? Welche Schwierigkeiten stellen sich demnach für die Landwirte im Implementierungsprozess? Wie können diese zukünftig gelöst werden?

Material und Methoden

Zwischen März und Juni 2021 wurden 38 qualitative Experteninterviews im Rahmen des „DiWenkLa“-Projektes (Digitale Wertschöpfungsketten für eine nachhaltige kleinstrukturierte Landwirtschaft) in Baden-Württemberg durchgeführt. Die Expertenauswahl wurde anhand eines Stakeholder-Ansatzes getroffen: Um die Auswirkungen und Entwicklungsmöglichkeiten für die kleinstrukturierten Betriebe aus möglichst vielen Perspektiven zu erfassen, beinhaltet die Stichprobe Akteure aus den Bereichen Forschung (12), Handel und Beratung (2), Maschinenringe und Lohnunternehmer (2), Agrarverwaltung und Landesanstalten (8), Industrie (9), Weiterbildungseinrichtungen (1) und Landwirte (4). Die Akteure sind größtenteils im Implementierungsprozess der Landwirte involviert, wodurch differenzierte Einblicke möglich sind. Die Interviews wurden anhand eines Leitfadens geführt, aufgezeichnet und transkribiert. Anschließend wurde eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) mit der Software „MAXQDA“ durchgeführt und das Prinzip der deduktiven Kategorienbildung und strukturellen Inhaltsanalyse genutzt (Mayring 2015). Die Ergebnisse werden z. T. anhand der Häufigkeit der Nennungen der Experten dargestellt und diskutiert. Die dargestellten Antwortkategorien ergeben sich aus der qualitativen Inhaltsanalyse der Interviewtranskripte.

Im Rahmen des Beitrags wird auf die Vorgehensweise der TA nach Grunwald (2010) zurückgegriffen, um die sozialen Folgen zu analysieren. Die TA zeichnet sich durch einen transdisziplinären Ansatz v. a. für die Abschätzung von gesellschaftlichen Folgen aus. Das Vorgehen ist auf verschiedene Themengebiete anwendbar, ein Beispiel ist der Einfluss der Automatisierung auf den Bereich der Arbeit. Im Folgenden wird dieses auf die kleinstrukturierte Landwirtschaft übertragen, dabei steht die Nutzung von digitalen Technologien im Fokus. Der Schwerpunkt liegt auf der einzelbetrieblichen Betrachtung für den Landwirt. In Anlehnung an die oben genannte Vorgehensweise der TA erfolgt zunächst die Erläuterung der Problemstellung, die Beschreibung der Ausgangssituation der Nutzung von digitalen Technologien und der Folgen für die betroffene Personengruppe. Auf die dort genannten Technologieschwerpunkte bezieht sich die nachfolgende Analyse. Die Folgen auf den Arbeitsalltag und die innerbetriebliche Zusammenarbeit durch den Einsatz von digitalen Technologien werden anhand zusammengetragener Expertenmeinungen diskutiert. Darüber hinaus werden die einzelbetrieblichen Schwierigkeiten für die Landwirte im Implementierungsprozess betrachtet, um in einem letzten Schritt zukünftige Handlungsoptionen in Form von Lösungsansätzen zu entwickeln.

Ergebnisse und Diskussion

Beschreibung der Nutzer digitaler Technologien und Implementierungsumfeld

In der Außenwirtschaft (d. h. Acker- und Gemüsebau) nehmen die Experten eine hohe Implementierungsrate bei sogenannten „Einstiegstechnologien“ wahr, z. B. bei automatischen Lenksystemen, Spurführungssystemen sowie Ackerschlagkarteien. Im Bereich der Innenwirtschaft (d. h. Tierhaltung) sehen die Experten aktuell eine erhöhte Nutzung von Melkrobotern, Sensorsystemen zur Verhaltensüberwachung (Brunsterkennung, Abkalbealarm) von Tieren (v. a. Milchvieh) sowie digitalen Technologien im Fütterungsbereich (Futterautomaten, Futteranschieberoboter). Diese Einschätzungen decken sich mit dem aktuellen Stand der Forschung zur Technologienutzung in Deutschland allgemein (Gabriel et al. 2021; Kehl et al. 2021) sowie in der kleinstrukturierten Landwirtschaft in Bayern (Gabriel und Gandorfer 2020). 21 Experten äußerten sich zum Ausmaß der Nutzung von digitalen Technologien für den Betrieb. Sieben Experten stufen den Einsatz von Digitalisierung als Ergänzung der bisherigen Arbeitsprozesse auf den Betrieben ein, die sich in den gewohnten Betriebsalltag eingliedert. 14 von 21 Experten sehen deren Einsatz als technologiespezifischen, komplexen Systemwechsel für den Betrieb, d. h., dass sich die bisherige Organisation des Arbeitsalltages grundlegend ändert. Zum Systemwechsel komme es vorwiegend bei Technologien, bei denen Arbeit durch Kapital substituiert wird, z. B. bei Melkrobotern oder Fütterungs- und Entmistungstechnologien. Für jeden Betrieb stellt sich die Einführung einer neuen Technologie individuell unterschiedlich dar und ist laut Experten v. a. geprägt von einem in der Regel hohen Zeitaufwand, nötiger externer Unterstützung durch Schlüsselpartner wie z. B. Handel, Hersteller oder Beratung sowie von einem hohen Kommunikationsaufwand. Auch sind vorherige Erfahrungen mit technischen Investitionen, die generelle Einstellung und Technikaffinität relevant für den Implementierungserfolg.

Die Experten charakterisieren die Landwirte, die digitale Technologien nutzen und somit von möglichen Implementierungsfolgen betroffen sind, größtenteils als junge, innovative Generation von technikaffinen Landwirten mit einem höheren Bildungsabschluss. Einzelne Experten halten fest, dass anstelle des Alters die Innovationsbereitschaft und Technikaffinität eine wesentliche Rolle spielen, was Hinweise für die gezielte Unterstützung der Nutzergruppe liefert.

Abschätzung sozialer Folgen und ihre Einordnung

Gemäß den Experten zeigen sich betriebliche Folgen insgesamt im Bereich der Arbeit, des Zusammenlebens und der Familie (siehe Abbildung 1). Insgesamt überwiegen die Nennungen von positiven Folgen mit 69 Nennungen die negativen Folgen mit 46 Nennungen. Deutlich ist, dass der Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung (24) eine hohe Relevanz zugeschrieben wird. Zwar ändert sich nicht zwingend die Gesamtarbeitszeit, allerdings lässt sich die Zeit flexibler einteilen (z. B. beim Melkroboter), da strikte Zeiten bei Routinearbeiten wegfallen oder Arbeitszeit ohne zusätzlichen Aufwand effizienter genutzt werden kann (z. B. beim automatisierten Lenksystem). Dadurch kann die erhöhte Stresswahrnehmung von Routinearbeiten (Umstätter 2018) reduziert werden, v. a. für kleinstrukturierte und gering spezialisierte Betriebe mit knappen Faktoren wie Zeit oder (Fremd-)Arbeitskraft zeigt sich eine erhöhte Brisanz.

Abb. 1: Wahrgenommene positive und negative Folgen aus Expertensicht. Quelle: eigene Erhebung

Ferner betonen die Experten, dass es zu einer physischen und psychischen Entlastung im Arbeitsablauf (22) kommt, was sich z. B. beim Lenksystem durch einen hohen Fahrkomfort und besseren Konzentrationsgrad äußere. Auch lassen sich einige Routinearbeiten körperlich entlasten. In der bisherigen Forschung v. a. in großen Agrarstrukturen wurden bereits ähnliche positive Wirkungen, wie z. B. die körperliche Entlastung oder die Flexibilisierung, beobachtet (Rohleder et al. 2020; Goller et al. 2021). Dadurch, dass Landwirte teilweise mehr Freizeit bzw. Familienzeit haben oder diese besser einteilen können, ergeben sich laut der Experten positive Effekte für die Lebensqualität (7). Diese Steigerung der Lebensqualität sehen Sparrow und Howard (2021) ebenfalls durch Einsatz von Techniken der Robotik gegeben. Somit zeigt sich aber auch für den Bereich der Einstiegstechnologien in kleineren Agrarstrukturen ein ähnlicher Effekt wie bei komplexeren Technologien in großen Strukturen. Neben einer höheren Zufriedenheit mit der Präzision des Arbeitsergebnisses (5) sowie der Nachfolgesicherung durch ein positives Image für das Berufsbild (4) zeigen die Experten weitere positive Folgen auf. Vereinzelt wird betont, dass im Gemüsebau durch digitalisierte Arbeitsprozesse weniger und geringer qualifizierte (Saison-)Arbeitskräfte benötigt werden (3), womit Vorteile für den Betrieb verbunden sind. Den Experten zufolge begründet sich dies darin, dass v. a. die Maschineneinstellung oder fachspezifisches Wissen teilweise durch die Digitalisierung abgedeckt werden. Ferner ist für die Arbeitskomplexität eine positive, entlastende Folge, dass Informationen durch digitale Technologien gezielter an die Landwirte weitergegeben und aggregiert verarbeitet werden können (2). Zudem steigt das Sicherheitsgefühl z. B. vor Kontrollen durch eine gesicherte Dokumentation und weniger Fehlerquellen (2).

Eine negative Folge sehen die Experten vor allem im Bereich der höheren psychischen Stressbelastung durch die als ständig notwendig wahrgenommene Erreichbarkeit und Verfügbarkeit für die digitalen Technologien.

Eine relevante negative Folge sehen die Experten vor allem im Bereich der höheren psychischen Stressbelastung durch die als ständig notwendig wahrgenommene Erreichbarkeit und Verfügbarkeit für die digitalen Technologien (18), v. a. bei Notfallalarmen von Melkrobotern, Gesundheitsüberwachungs-, Fütterungs- oder Abkalbesystemen. Goller et al. (2021) deuten dies ebenfalls für mittlere Strukturen an. Allerdings betonen vereinzelt Experten der Industrie, dass der Grad dieser Belastung individuell stark variieren kann. Hinweise gibt es auch dazu, dass es zu sozialen Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Generationen kommen kann (6), z. B. bei Schwierigkeiten oder ausbleibenden Erfolgen in der ersten Zeit. Neben dem Konfliktpotenzial sieht ein Experte der Agrarverwaltung durch die Wertschätzung seitens der älteren Generation für die (digitalen) Kompetenzen und Affinitäten der jüngeren Generation einen positiven Effekt durch einen entsprechenden Respekt von altersspezifischen Fähigkeiten für den Generationenaustausch. Bei den positiven Folgen v. a. im Gemüsebau wird deutlich, dass niedrig qualifizierte Arbeitskräfte mit digitalen Techniken unterstützt werden und weniger Fachpersonal nötig ist. Allerdings zeigen Experten auf, dass dann der Wissensbedarf für das Management von digitalen Technologien v. a. für den Betriebsleiter ansteigt und damit auch die Qualifikationsanforderungen (5). In der bisherigen Forschung bestätigt sich diese Einschätzung vor allem für große bis mittlere Strukturen (Schewe und Stuart 2015; Sparrow und Howard 2021) sowie die Brisanz des Fachkräftemangels hierbei (Borges et al. 2017). Ferner werden Veränderungen der Kommunikation durch mehr Zweckgebundenheit und weniger soziales Miteinander im Rahmen der Kommunikationswege sowie die Gefahr des Ausschlusses von älteren Generationen gesehen (5).

Den Experten zufolge zeigt sich, dass v. a. positive Folgen wie eine flexiblere Arbeitsgestaltung, höhere Lebensqualität, gesicherte Hofnachfolge und neue Geschäftsmodelle für kleinstrukturierte (Familien-)Betriebe eine wichtige Rolle spielen, um langfristig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Gleichermaßen ist zu berücksichtigen, dass die obigen positiven Effekte auch auf großstrukturierte Betriebe zutreffen können, allerdings ist die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit kleinstrukturierter Betriebe u. U. limitiert. Daher kann die Digitalisierung in der kleinstrukturierten Landwirtschaft bei erfolgreicher Implementierung und der Ausnutzung der positiven Folgen als Hilfsmittel für die Zukunftsfähigkeit der Betriebe gesehen werden. Solche Effekte, wie auch das zunehmende Sicherheitsgefühl im Arbeitsablauf und der Dokumentation wurden in der Forschung zur Wirkung von digitalen Technologien auf (Familien-)Betrieben in der kleinstrukturierten Landwirtschaft bisher noch nicht untersucht. Negative Folgen wie höhere Stressbelastung durch ständige Erreichbarkeit, mögliche Spannungen durch veränderte Kommunikationsformen zwischen Generationen sowie Frustration bei Fehlfunktionen oder Funktionsausfällen können im familiäreren Rahmen an Dynamik gewinnen. Diesbezüglich wurden die möglichen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Generationen in der bisherigen Forschung noch nicht näher untersucht. Zwar sind die Folgen wie z. B. die flexible Arbeitsgestaltung unabhängig von der individuellen Technikaffinität und digitaler Kompetenz, sie kommen vielmehr von der Technologiebeschaffenheit selbst, dennoch sind diese aus Expertensicht relevant für den (zeitnahen) Implementierungserfolg und die damit verbundene psychische Stressbelastung. Grundsätzlich sind gemäß der Experten die früheren Erfahrungen mit Technologieinvestitionen ein wichtiger Faktor für das Ausmaß und den Umgang mit sozialen Folgen im Arbeitsalltag (Schewe und Stuart 2015). Der Anstieg von Wissensbedarf und digitaler Kompetenz sowie die mögliche Veränderung der Kommunikation stellen Folgen dar, die individuell sind und sich bei der älteren Generation zusätzlich negativ auswirken können.

Schwierigkeiten im Implementierungsprozess und entsprechende Handlungsoptionen

Zu strukturunabhängigeren einzelbetrieblichen Schwierigkeiten während der Implementierung zählen die Experten zunächst die fehlende digitale Kompetenz bei Landwirten, Händlern und anderen Akteuren (Berater, Ausbilder) bedingt durch fehlende Aus- und Weiterbildung. Daran anschließend zeigen die Experten auf, dass Traditionsbewusstsein, fehlende Veränderungsbereitschaft und eine generell skeptische Einstellung zu digitalen Technologien erschwerend im Implementierungsprozess wirken. Einzelne Experten weisen auf den Datenschutz und dessen rechtliche Rahmenbedingungen als weitere Herausforderung hin. Als spezifisch für kleinstrukturierte Betriebe werden dagegen deren mangelnde Kapazitäten betrachtet, dieser Problematik adäquat zu begegnen.

Weitere einzelbetriebliche Schwierigkeiten, v. a. auf kleinstrukturierten (Familien-)Betrieben, sind die Generationenkonflikte sowie die fehlende Unterstützung der Familie, fehlende technische Ausstattung und Angst der Landwirte vor externen Abhängigkeiten. Darüber hinaus bestehen den Experten zufolge erhöhte Schwierigkeiten in der fehlenden Systemkompatibilität, v. a. mit Blick auf die relativ hohe Markenvielfalt bei Technologien auf kleinstrukturierten Betrieben. Denn oftmals sind die Technologien hinsichtlich der Herstellerfirmen und des Investitionsalters sehr vielseitig. Auch wird deutlich, dass der hohe Zeitaufwand bei der Implementierung durch den hohen Komplexitätsgrad bei einer ohnehin hohen Arbeitsbelastung auf oftmals vielseitigen, kleinstrukturierten (Familien-)Betrieben ein grundlegendes Problem darstellt.

Analyse von Handlungsoptionen

Bisher gibt es einzelne Hinweise, wie kleineren Betrieben der Zugang zur Digitalisierung erleichtert werden kann (Kehl et al. 2021). Unklar ist aber, welche Handlungsoptionen v. a. während der Implementierung für kleinstrukturierte Betriebe relevant sind. Wesentliche Ansatzpunkte der Experten hierzu werden in Abbildung 2 dargestellt und nachfolgend eingeordnet. Anzumerken ist, dass sich alle Ansatzpunkte grundsätzlich auch auf andere Agrarstrukturen übertragen lassen. Allerdings sind die folgenden Aspekte v. a. in der kleinstrukturierten Landwirtschaft relevant, da die betrieblichen Gegebenheiten, wie z. B. weniger (spezialisierte) (Fremd-)Arbeitskräfte und Zeit, Vielseitigkeit der Betriebsleiter, geringerer Spezialisierungsgrad, heterogene und/oder kleine Schläge oder hohe Markenvielfalt, die Situation im Umgang mit den Herausforderungen durch digitale Technologien verschärfen. Daher ist es wesentlich, v. a. in den Bereichen der Technologie, Wissenstransfer und Support, gezielt die (Familien-)Betriebe zu adressieren.

Abb. 2: Mögliche Lösungsansätze aus Expertensicht. Quelle: eigene Erhebung

Ein Großteil der Experten sieht wichtige Ansatzpunkte im Bereich der Technologie, so z. B. in der Optimierung der Bedienungsfreundlichkeit, Zuverlässigkeit und Zweckhaftigkeit (Michels et al. 2019). Weiterhin betonen die Experten technologiebezogene Lösungsansätze durch die Schnittstellenstandardisierung und die Kompatibilitätsverbesserung, diese Relevanz zeigen auch Gabriel et al. (2021). Zudem erachten v. a. Experten der Industrie den Einbezug der Landwirte in die Entwicklung durch Tests und Feedback sowie gezielte Bedarfsanalysen für höchstrelevant, hilfreich wäre z. B. die Einführung eines Qualitätschecks für digitale Technologien.

Experten erachten den Einbezug der Landwirte in die Entwicklung durch Tests und Feedback sowie gezielte Bedarfsanalysen für höchstrelevant.

Mit Blick auf die Adoptions- und Innovationsforschung wird die Relevanz des Einbezugs der Landwirte durch Higgins et al. (2017) und Kernecker et al. (2020) dargestellt. An zweiter Stelle sehen die Experten einen Ansatz im Wissenstransfer und Kompetenzaufbau. Überwiegend beziehen sie sich auf die klare Kommunikation des Mehrwerts der digitalen Technologien für die Landwirte durch weitere Ansätze für Beratung, Bildung, Veranstaltungen, Demonstrationen sowie Coaching. Zudem betonen die Experten den gezielten Erfahrungsaustausch zur Abmilderung der Schwierigkeiten während der Implementierung. Der Ansatzpunkt deckt sich damit, dass der Wissens- und Kompetenzstand der Landwirte sowie die Weiterbildung relevant für den Umgang mit digitalen Technologien sind (Farmbusiness Skillnet Ireland 2019; Goller et al. 2021; Zscheischler et al. 2022) und Landwirte den Erfahrungsaustausch bevorzugen (Gabriel und Gandorfer 2020). Ferner ist die fachliche Unterstützung während des Implementierungsprozesses ein weiterer Ansatzpunkt. Gezielte Konzepte sind vernetzte Support- und Kompetenzzentren mit Unterstützung bei der Einführung oder Digitalisierungschecks der Betriebe. Diesbezüglich ist der Gebrauchtwarenhandel über Dritte zu berücksichtigen, da hierbei der Startsupport der Herstellerfirmen ausbleibt. Insgesamt ist die gezielte Unterstützung der Landwirte durch Schlüsselpartner v. a. aus der Industrie und Beratung relevant, wobei z. T. die fehlende Kompetenz der Landwirte zu Beginn der Implementierung kritisch gesehen wird. Daher ist ein sukzessives Vorgehen mit Beachtung der bisherigen digitalen Ausstattung von Betrieben sinnvoll (Farmbusiness Skillnet Ireland 2019).

Fazit

Die vorliegende Studie hat die Einführung digitaler Technologien in der kleinstrukturierten Landwirtschaft am Beispiel von Baden-Württemberg zum Gegenstand und konzentriert sich auf Experteneinschätzungen zu deren einzelbetrieblichen Folgen, Schwierigkeiten und Lösungsansätze für den Umgang mit Herausforderungen. Deutlich wird die Vielfalt technologiespezifischer Folgen, die sich von Betrieb zu Betrieb stark unterscheiden können. Ergänzend zu bisherigen Studien im soziökonomischen Bereich zeigt sich für den Kontext der kleinstrukturierten Landwirtschaft, dass Folgen im Bereich der Nachfolgesicherung und des Sicherheitsgefühls der geleisteten Arbeit, aber auch Folgen im sozialen Spannungsfeld von Generationen und Kommunikationsveränderungen relevant sind. Um gezielte, individuell anpassbare Konzepte zu erarbeiten, ist es notwendig, soziale Folgen und potenzielle Lösungswege für die Übernahme der spezifischen Technologie aus Sicht der Landwirte quantitativ und qualitativ zu überprüfen. Diesbezüglich können qualitative Erfahrungen aus Sicht von Experten und Landwirten aus anderen Bundesländern mit kleinstrukturierter Landwirtschaft validierend unterstützen. Um dann mit den beteiligten Akteuren Lösungen zu entwickeln, lässt sich bereits aus der Situationsbeschreibung und Expertenbefragung schließen, dass Akteure von Industrie, Handel, Politik, Bildung, Beratung und Forschung gleichermaßen gefragt sind. Ferner bietet sich die Entwicklung von Entscheidungshilfen bei Investitionen sowie von Angeboten zur Begleitung und Unterstützung der Implementierung an. Diese Angebote sollten die technologiespezifische Unterstützung berücksichtigen, aber auch Aspekte wie z. B. den Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit und den veränderten Kommunikationswegen.

Funding  The project DiWenkLa is supported by funds of the Federal Ministry of Food and Agriculture based on a decision of the Parliament of the Federal Republic of Germany via the Federal Office for Agriculture and Food under the innovation support programme (grant reference 28DE106B18). DiWenkLa is also supported by the Ministry for Food, Rural Areas and Consumer Protection Baden-Württemberg.

Competing interests  The authors declare no competing interests.

Fußnote

[1]   Das im Folgenden verwendete generische Maskulinum soll im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter stehen.

Literatur

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Autorinnen

Sara Anna Pfaff

arbeitet seit 2020 im DiWenkLa Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HfWU und promoviert zu sozioökonomischen Fragen wie z. B. zu Wirkungen durch den Einsatz von digitalen Technologien.

Prof. Dr. Andrea Knierim

ist seit 2013 als Professorin am Institut für Sozialwissenschaften im Agrarbereich an der UHOH tätig und leitet das Fachgebiet Kommunikation und Beratung in ländlichen Räumen. Im DiwenkLa Projekt leitet sie das Teilprojekt zur sozioökonomischen Begleitforschung.

Dr. Angelika Thomas

ist seit 2017 akademische Mitarbeiterin an der HfWU und beleuchtet in der Lehre die landwirtschaftliche Bildung und Beratung. Im DiWenkLa Projekt ist sie u. a. für den Wissenstransfer zuständig.