Meeting report: „Privatsphäre, Datenschutz, Gemeinwohl: Ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung“. Conference, 2022, Karlsruhe, DE (hybrid)

Martina Baumann*, 1 https://orcid.org/0000-0003-0487-9975, Maria Maia1 https://orcid.org/0000-0002-3501-6876, Nora Weinberger1 https://orcid.org/0000-0002-1148-7470

* Corresponding author: martina.baumann@kit.edu

1 Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe, DE

© 2022 by the authors; licensee oekom. This Open Access article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY).

TATuP (2022) Bd. 31 Nr. 3, S. 82–83, https://doi.org/10.14512/tatup.31.3.82

Published online: Dec. 16, 2022

Wie kann Datenschutz und die Informierung von Patient*innen über die Nutzung ihrer Daten mit den Anforderungen der Forschungspraxis vereinbart werden? Welche rechtlichen Unklarheiten gibt es bei der Nutzung von Daten für Forschungszwecke? Wie steht es um Motivationen und gesellschaftliche Treiber für die Erhebung von Gesundheitsdaten im privaten Leben? Gibt es besonders vulnerable Gruppen für Datenmissbrauch und andere nicht-intendierte Nebeneffekte von Gesundheitstracking? Und wie kann man gesellschaftliche Diskussionen zu diesen Fragen bei den betroffenen Patient*innen und Bürger*innen mit innovativen Methoden, etwa künstlerischen Mitteln, anregen? Diese und weitere Fragen stehen im Zentrum des Verbundprojekts „DaDuHealth – Datenzugang und Datennutzung in der medizinischen Versorgung und im Bereich Gesundheit und Freizeit. Eine ethische, rechtliche und soziale Analyse“, das von 2020–2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.

Die Zusammenführung und Auswertung großer Mengen und verschiedener Arten von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke verspricht, schwer erreichbare Probandengruppen zu inkludieren, neue Erkenntnisse zu generieren und so eine bessere Versorgung in vielen Bereichen zu ermöglichen. Dabei fallen Gesundheitsdaten sowohl im Kontext der klinischen Behandlung von Patient*innen an als auch in zunehmendem Maße durch sogenannte Consumer-Health-Technologies (CHTs). Gemeint sind hiermit so genannte Wearables wie Fitnesstracker, Blutzuckermessgeräte und Apps, die vielfältige gesundheitlich relevante Daten, etwa über körperliche Aktivität und psychisches Befinden sammeln.

Am 07. und 08. April 2022 fand die Konferenz „Privatsphäre, Datenschutz, Gemeinwohl: Ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung“, in der Triangel in Karlsruhe statt. Insgesamt rund 80 Teilnehmer*innen aus Wissenschaft und Gesellschaft fanden sich vor Ort ein oder nutzten das hybride Format, um sich aus Deutschland und einigen benachbarten Ländern zuzuschalten.

Am ersten Tag der Konferenz wurden ersten Ergebnisse des Projekts vorgestellt und diskutiert. Svenja Wiertz vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin von der Universität Freiburg sprach über die informierte Einwilligung zur Datenfreigabe für Forschungszwecke aus ethischer Perspektive und betonte, dass für eine Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener Einwilligungsformen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entscheidend sei. Z. B. ist der sogenannte ‚broad consent‘ aus Sicht von Forschenden sehr vielversprechend, da er weitreichende Nutzungsrechte für gespendete Daten einräumt. Ob diese Einwilligungsform aus Sicht der Datenspender*innen auch ethisch akzeptabel ist, hängt jedoch u. a. von deren Fähigkeiten ab, die möglichen Folgen ihrer Datenspende abzuschätzen bzw. zu verstehen, sowie natürlich von der Sicherheit der Dateninfrastrukturen.

Martina Baumann vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie stellte eine Typologie von Nutzer*innen vor, die dabei helfen soll, vulnerable Nutzergruppen und Risiken der CHT-Nutzung in Abhängigkeit von psycho-sozialen Faktoren und der Nutzungsweise zu beschreiben. Dies stelle einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Verständnis und letztlich der Minimierung von Risiken der Nutzung von CHTs dar.

Zum Abschluss des ersten Konferenztages zeichnete Dirk Helbing von der ETH Zürich in einer Keynote ein recht dystopisches Bild einer Überwachungsgesellschaft, die aufgrund zu zaghafter Regulierungsbemühungen die beängstigenden Potenziale emergierender Technologien nicht mehr zu bremsen vermöge. Diese Einschätzung erfuhr sehr regen Widerspruch aus dem Publikum. Die Datenschutz-Grundverordnung sei eine gut durchdachte und wirksame Maßnahme auch in Anbetracht zukünftiger Herausforderungen. Eine Reproduktion der technischen Visionen aus dem Silicon Valley sei ethisch unter Umständen sogar bedenklich, da sie schlicht ein unrealistisches Bild zukünftiger Technologien zeichne, und damit eine Beschäftigung mit ihren ethischen Implikationen eher erschwere. Aus Sicht der Technikfolgenabschätzung ist das eine sehr interessante Kontroverse, die darauf verweist, dass das Thema Gesundheitsdaten auch für einen Vision-Assessment-Ansatz, also die Untersuchung von Folgen und Bedeutungen von visionären Technikzukünften, prädestiniert wäre.

Abb. 1: Digitaler Austausch im ersten Workshop der Konferenz. Quelle: Maria Maia

Am zweiten Tag der Konferenz konnten sich die Teilnehmenden an zwei Workshops beteiligen. Der erste befasste sich mit ethisch-rechtlichen Fragestellungen und umfasste Beiträge von Martin Boeker (TU München), Christoph Schickhardt (Universitätsklinikum Heidelberg) und Fruzsina Molnár-Gábor (Heidelberger Akademie der Wissenschaften). Im Fokus standen einerseits praktische Fragen (z. B. der Zeitbedarf und die daraus folgenden Kosten für informierte Einwilligungsprozesse) und der Stand der Umsetzung des ‚broad consent‘ in Kliniken. Andererseits wurden auch grundsätzliche Fragen wie die ethische Vertretbarkeit einer sogenannten Opt-out-Lösung (eine Einwilligung wird erst einmal als gegeben unterstellt und muss aktiv zurückgezogen werden) für die Datenspende aufgeworfen. Jüngste Befragungsstudien, die eine hohe Datenspendenbereitschaft in der deutschen Bevölkerung aufzeigten, wurden als Argument hierfür angeführt.

Beim zweiten Workshop, unter dem Titel „Consumer Health Technologies: Nutzertypen, Gesellschaftliche Trends und Datenspende für die Forschung“, organisiert vom ITAS, diskutierten CHT-Nutzer*innen und Expert*innen aus der Versicherungsbranche, der Medizininformatik, der Soziologie, der Psychologie und der ‚Quantified-self‘-Bewegung in kleinen Gruppen über Risiken und Potenziale der CHT-Nutzung.

Angezweifelt wurde, ob eine Unterscheidung von Nutzer*innentypen, etwa die pragmatischen (zielorientierten) und die enthusiastischen (spielerischen und technikbegeisterten) Nutzer*innen, wie sie in der sozialwissenschaftlichen CHT-Literatur oft vorgenommen wird, überhaupt sinnvoll sei. Psychologische Mechanismen und der Kontext der Nutzung würden hier komplett vernachlässigt. Eine Typologisierung von Nutzer*innen sei immer nur für spezifische (Forschungs-)Zwecke möglich.

Zudem lag der Fokus in den Gesprächen auf den Risken und Nebenwirkungen der Nutzung von CHTs, z. B. einer drohenden Normierungsgefahr insbesondere im Zusammenhang mit Social Media und einer mangelhaften Nutzungskompetenz. Hier sei eine Vermittlung durch Fachpersonal gefragt; das Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis spiele eine wichtige Rolle. Ein Lösungsansatz wäre, Risikogruppen durch einige Fragen beim Start von Gesundheits- oder Fitness-Apps zu identifizieren, um unterschiedliche Modi der App auswählen oder in Form eines Disclaimers auf die besonderen Risiken für die jeweiligen Nutzer*innen hinweisen zu können.

Als Treiber für die CHT-Nutzung wurden verbesserte Datenqualität, Digitalisierung, und die steigende Verfügbarkeit von Apps gesehen, aber auch die Leistungsgesellschaft. Ein gesellschaftlicher Trend wurde auch im gestiegenen Bewegungsmangel durch die Corona-Pandemie identifiziert, gepaart mit einem erhöhten Gesundheitsbewusstsein durch Informationsangebote im Internet. Über die Frage, ob es sich bei der CHT-Nutzung vorwiegend um einen Trend der Datenerhebung oder auch der Datenanalyse durch Nutzer*innen handelt, also bürgerwissenschaftliche Elemente stark auftreten, herrschte Uneinigkeit bei den Diskutierenden.

Im Hinblick auf die Verwendung von Daten für Forschungszwecke war den Teilnehmenden die Mitbestimmung und Informierung über Verwendungszwecke ein wichtiges Anliegen. Der Gemeinwohlnutzen müsse geklärt sein, ehe Daten gesammelt würden. Außerdem müssten Patient*innen stärker an Entscheidungen zur Datennutzung beteiligt werden, etwa durch so genannte ‚use and access committees‘. Akteur*innen des Gesundheitswesens betonten, wie wichtig es sei, Datensilos (insbesondere bei CHT-Herstellern) zu vermeiden und Zugang zu Daten für alle Akteur*innen mit begründeten Interessen zu ermöglichen.

Kontrovers diskutiert wurde das Verständnis von Solidarität im Gesundheitswesen. Einerseits könnten CHT-Daten-basierte Bonusprogramme die Selbstfürsorge als Element solidarischen Handelns stärken. Andererseits wurde von den Teilnehmenden ein schmaler Grat zwischen Selbstermächtigung und Zwang zur Prävention identifiziert, was umso problematischer ist, da Gesundheit eine starke soziale, also nicht willentlich veränderbare Komponente habe. Aus praktischer Sicht sollte ferner bedacht werden, dass Krankenkassen-Bonusprogramme möglicherweise nicht die Zielgruppe erreichen (wenig aktive Versicherte), sondern diejenigen, die ohnehin Fitnesstracker nutzten. Für Kassen wäre es insofern interessant herauszufinden – und hier schloss sich der Kreis zum Thema der Nutzertypen wieder – welche Versichertengruppen nicht erreicht werden, welche aber profitieren könnten.

Weitere Informationen

https://www.itas.kit.edu/projekte_baum20_daduhealth.php