Der Mensch der Zukunft – Hintergründe, Ziele, Probleme des Human Enhancement

Tagungsberichte

Der Mensch der Zukunft – Hintergründe, Ziele, Probleme des Human Enhancement

Tagung der Universität Leipzig und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
Leipzig, 17.–18. Februar 2012

von Vera Borrmann, ITAS

1    Hintergrund der Tagung

„Human Enhancement“, die „Verbesserung“ oder Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit, ist ein aktuelles Thema mit zunehmender Brisanz, welches seit einigen Jahren in verschiedenen Kontexten immer häufiger angesprochen wird: Vertreter der Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch der Technologiepolitik, Politikberatung und Technikfolgenabschätzung sowie verschiedene „Stakeholder“ (wie kirchliche Organisationen) befassen sich trans- und interdisziplinär mit diesem Thema. Über die akademische Auseinandersetzung hinaus wird mittlerweile auch in den Massenmedien kontrovers darüber diskutiert. Dabei wird nicht nur über den Status quo und die nähere Zukunft, sondern auch über ideengeschichtliche Verortungen und futuristische Aspekte des Themas debattiert. Dies wurde auch in der Einführungsrede der Leipziger Tagung durch Udo Ebert (Universität Jena) betont – einer Tagung, die vom „Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften“ der Universität Leipzig und der Kommission „Wissenschaft und Werte“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig veranstaltet wurde. Wegbereitende, gesellschaftsrelevante Themen der heutigen Debatte sind physische und kognitive Möglichkeiten der Leistungssteigerung, insbesondere mit Blick auf Sport und Hirnforschung. Die weiter reichenden Perspektiven werden oft an dem Stichwort „Nanotechnologie“ festgemacht bzw. an der postulierten Annäherung („Konvergenz“) der Nano-, Bio- und Informationstechnologien sowie der Kognitionswissenschaften und Neurotechnologien („converging technologies“); im Fokus stehen hierbei medizinische Anwendungen.

2    Menschenbilder, Normativität und ethische Probleme

Schwierigkeiten in der ethisch-moralischen Dimension der Debatte ergeben sich immer wieder aus der fehlenden Definition oder Eingrenzung der Termini „Enhancement“ und „Norm“, v. a. im Bezug auf die Gesundheit eines Menschen. Auch darüber, ob bereits bei einer Therapie zur Wiederherstellung eines „normalen“ Gesundheitszustandes eines Menschen von „Enhancement“ gesprochen werden darf oder ob dieser Begriff erst im Zusammenhang mit nicht therapeutischer Leistungssteigerung zu gebrauchen ist, herrscht kein Konsens, weder in einer wissenschaftlichen Disziplin noch fachübergreifend. Dies zeigte sich auch in Leipzig, wo sowohl Sprecher als auch Teilnehmer aus vielen verschiedenen Wissenschaften und Berufen zusammenkamen, also ein stark interdisziplinärer Diskurs geführt wurde. So war die Diskussion zwar sehr lebendig, eine Beziehung zwischen den Wortmeldungen herzustellen war aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Begriffsgrundlage jedoch oft schwierig. Auch die Definition von „Enhancement“ als eine Emanzipation von physischer und psychischer Natur umgeht dieses Problem nicht, und der Begriff der „Verbesserung“ bleibt ohnehin immer Auslegungssache (Armin Grunwald, ITAS). „Das“ Menschenbild, welches nur einer Norm entspricht, existiert ebenfalls nicht, da es sich bei Menschenbildern um soziokulturelle Konstrukte handelt, welche unter dem Problem der Beliebigkeit leiden können (Richard Saage, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig). Aufgrund dieser Problematik können bisher keine starken Argumente gegen Enhancement vorgebracht werden (Grunwald) bzw. ist grundsätzlich nichts gegen Enhancement einzuwenden (Karl-Siegbert Rehberg, TU Dresden). Damit steht einer Eingliederung des Human Enhancement in das gesellschaftliche Normverständnis – rein rational – nichts entgegen. Ähnlich verhält es sich mit der Natur des Menschen. Zwar muss in der technischen Verbesserung nicht ein Bruch mit dem Humanismus gesehen werden (Rehberg), jedoch stellt die Verknüpfung von kultureller und biologischer Evolution, wie es in der transhumanistischen Bewegung im Hinblick auf das angestrebte post-humane Dasein geschieht, eine gesellschaftliche Herausforderung dar. Obgleich in Europa diese Position oft im Bereich der Science Fiction verortet wird – wie auch in Leipzig festzustellen war –, sind solche Visionen v. a. in den USA populär genug, um politisch relevant zu erscheinen (Saage). Bei den radikalen Befürwortern handelt es sich – wie übrigens auch bei den militanten Gegnern – durchaus um eine reale Bewegung, die trotz ihrer geringen Größe bedeutend ist.

3    Evolution, Gesellschaft, Recht und Ökonomie

Die Zusammenhänge und Abgrenzungen von Darwinismus und Eugenik und die Vision einer selbst gesteuerten Evolution des Menschen sind, v. a. in Deutschland, aus historischen Gründen heikle Themen. Da bei der Entwicklung des Menschen eine Rückwirkung der Kultur auf die biologische Evolution festzustellen ist (Thomas Junker, Universität Tübingen), stellt sich auch die Frage nach der Rolle der Technik in diesem Zusammenhang. Während es dem Darwinschen Evolutionsbegriff nach nicht um Perfektionierung und Leistungsverbesserung geht, sondern um bestmögliche Anpassung, werden in den gut hundert Jahre alten Visionen einer technischen Verbesserung oder Überwindung des menschlichen Körpers eben jene Ziele verfolgt (Christopher Coenen, ITAS). Weitgehende Einigkeit bestand in Leipzig darüber, dass die menschliche Entwicklung derzeit v. a. an dem bereits bestehenden gesellschaftlichen Optimierungszwang orientiert ist, bei dem es um dauernde dynamische Weiterentwicklung und Wachstum geht (Hartmut Rosa, Universität Jena). Dieser bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Sozialgefüge der Gesellschaft: Eine Verlängerung der Lebensspanne und damit der einzelnen Lebensabschnitte hätte erheblichen Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen, aber auch die Folgen einer flächendeckenden Fremdbestimmung der Reproduktion wäre für unser menschliches Zusammenleben gravierend (Thomas Junker, Nikolaus Knoepffler, Ethikzentrum Jena). Es stellen sich daher ganz reale politische Fragen: Wer kann und darf sich verbessern und wer bestimmt darüber? Das Problem der Verteilungsgerechtigkeit im Enhancement-Zusammenhang (Grunwald) und das – nicht nur aus den Medien – bekannte Szenario einer neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft (technisch optimierte versus nicht verbesserte Menschen) erschien vielen Tagungsteilnehmern durchaus nicht als bloße Fiktion: Die bereits bestehenden Nutzungsunterschiede relevanter Technologien wurden in der Diskussion als symptomatisch für umfassendere Tendenzen unserer Gesellschaft aufgefasst. Auf wirtschaftswissenschaftlicher Seite hielt man sich in diesen Zusammenhängen in Leipzig wegen des stark visionären Charakters des Diskurses eher bedeckt: Aus einer notwendigerweise „rein wirtschaftstheoretischen“ Sicht könne zu den Wertfragen von Human Enhancement nichts beigetragen werden (Uwe Cantner, Universität Jena). Mangels klar identifizierbarer Problemlagen steht auch die rechtswissenschaftliche Diskussion noch am Anfang (Josef Franz Lindner, Universität Augsburg): Vorausschauend sind in diesem Kontext negative wie positive Dimensionen eines möglichen Grundrechts auf Selbstoptimierung, der verfassungsrechtliche Schutz vor Selbstschädigung und staatlichem Enhancement-Zwang und der Schutz Dritter zu diskutieren.

4    Medizinische Möglichkeiten und gesellschaftliche Akzeptanz

Interessante Analogien bezüglich der Beurteilung „normaler“ (selbst erarbeiteter) und technischer Verbesserung können zwischen Doping im Sport und Enhancement zu beispielsweise beruflicher Leistungssteigerung gezogen werden (Rudhard Müller). Aufrichtigem Verhalten und fairem Wettbewerb („Sportsgeist“) kommt im Leistungssport ein hoher Wert zu, ein durch Doping erreichter Erfolg findet hingegen keine Anerkennung. Ähnlich erscheint die Wahrnehmung gesellschaftlichen Erfolgs durch Neuro-Enhancement: Dieser wird nicht als verdient eingestuft. Auch die Möglichkeit, durch einen so errungenen Sieg oder Erfolg Glück oder Zufriedenheit zu erlangen, wurde in der Podiumsdiskussion „Macht Enhancement glücklich?“ mehrfach bezweifelt oder vehement bestritten. Problemen solle auf natürlichem Wege statt mithilfe technischer Verbesserungen begegnet werden (Uwe-Frithjof Haustein, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig).

5    Fazit und Ausblick

Ein dominantes Thema dieser Tagung – wie auch der Podiumsdiskussion „Human Enhancement – ein Weg zum Glück?“ – war die Frage nach dem Ziel der technischen Verbesserung des Menschen und den Gründen für diese Zielsetzung. Ortrun Riha (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) sprach hierzu in ihrem abschließenden Vortrag von einem „Streben nach Vollkommenheit als anthropologischer Konstante“. Ein zentrales Ergebnis der Konferenz war die kategoriale Unterscheidung zwischen humanen „Vervollkommnungsbemühungen“ und posthumanem Perfektionsstreben – eine Differenzierung, ohne die es, wie auch in Leipzig anfangs zu beobachten war, zu erheblichen Missverständnissen kommen kann. Die Qualitätsstufen innerhalb dieser beiden Kategorien erscheinen allerdings fließend und das hier bestehende Spannungsverhältnis zwischen „Heil“ und „Heilung“ macht eine eingehende Auseinandersetzung mit politisch-regulatorischen Aspekten des Themas Human Enhancement dringend erforderlich (Riha). Uneinigkeit herrschte bis zuletzt darüber, ob trans- und posthumanistisches Gedankengut als utopisches Denken ohne Einfluss auf die Realität (Riha) oder als real wirkmächtig anzusehen und daher ernst zu nehmen sei (Saage, Coenen). Bemerkenswert oft wurde bei der Beleuchtung der Hintergründe des Enhancement-Diskurses kritisch auf das westliche Gesellschaftssystem verwiesen, dem ein Zwang zu Wachstum und Verbesserung immanent sei. Libertäre oder transhumanistische Positionen zum Human Enhancement wurden nicht vertreten, der Fokus der Diskussionen lag auf Problemen im Spannungsfeld zwischen staatlicher Regulierung und individueller Entscheidungsfreiheit unter Berücksichtigung historischer, gesellschaftstheoretischer und kulturkritischer Aspekte. Aufgrund der Vielfalt der disziplinären und beruflichen Hintergründe der Vortragenden, der thematischen Breite der Veranstaltung und der für die Enhancement-Debatte ungewohnten Perspektiven darf man auf den Sammelband zur Tagung gespannt sein, den die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig im kommenden Jahr veröffentlichen wird.