Erwartungen an die Wissenschaft: Politikberatung, Unternehmensberatung, Beratung im Alltag

Tagungsberichte

Erwartungen an die Wissenschaft: Politikberatung, Unternehmensberatung, Beratung im Alltag

Bericht zur Tagung „Scientific Communication Research III“
Darmstadt, 26.–28. März 2012

von Vera Borrmann und Julia Hahn, ITAS

1    Hintergrund der Tagung

Die gegenseitigen Erwartungen von und an Wissenschaftler, Experten, Politik, Institutionen und Gesellschaft sind vielfältig, werden aber oft enttäuscht. Dies liegt zum Teil daran, dass die verschiedenen Akteure oft nicht voneinander wissen, in welcher Weise und in welchem Umfang ein Mitwirken an Problemlösungen zu erwarten ist. Im Mittelpunkt der Frühjahrstagung „Scientific Communication Research“ (SciCoRe III), die das Institut für Literatur- und Sprachwissenschaft der TU Darmstadt in Kooperation mit dem „Forum für interdisziplinäre Forschung“ veranstaltete, standen daher Kontexte der „Beratung“ und „Prognostik“. Diese Kontexte fokussierten auf Problemstellungen, die sich durch Unsicherheit und Pluralität innerhalb der Wissenschaft ergeben. Sowohl wissenschaftsextern als auch intern besteht Uneinigkeit darüber, welche Leistungen die Wissenschaft bezüglich Beratung übernehmen soll und kann. Wer gilt als Wissenschaftler, als Experte, wem können welche Kompetenzen zugesprochen werden? Einen wichtigen Punkt in diesem Themenfeld stellt die Kommunikation von und der Umgang mit Nichtwissen und Unsicherheit dar – im wissenschaftlichen Diskurs, aber auch gegenüber Medien, Politik und anderen Institutionen. Welche Spannungen ergeben sich hieraus? Und besteht die Gefahr, vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen zu werden, wenn gesellschaftliche Erwartungen, wie eindeutige Prognosen, Bewertungen oder Entscheidungen, nicht dem Profil entsprechen und somit nicht erfüllt werden können? Der folgende Überblick ist selektiv und beschreibt nicht alle Beiträge der Tagung.

2    Stichwort „Kompetenz“

Zunächst gilt es auszumachen, von wem gesprochen wird, wenn bei gesellschaftsrelevanten Fragen ein „kompetenter Experte“ zu Rate gezogen wird. Was genau zeichnet „Kompetenz“ aus? Andreas Gelhard (TU Darmstadt) beschrieb in seinem Vortrag, dass, entgegen der häufigen Assoziierung mit „Intelligenz“, „Kompetenz“ zunächst einmal nur die Fähigkeit bezeichne, Wissen oder Fertigkeiten anzuwenden. Sie könne also trainiert werden und setze nicht zwingend eine kognitive Leistung voraus. Es könne historisch nachvollzogen werden, wie Produktionslogik und Effizienzsteigerungen unter Begriffen wie „Kompetenz“ und „Kreativität“ in die Beratungsindustrie eingeflossen seien und selbstgesteuertes, „autonomes“ Problemlösen in Lebensbereichen wie Schule, Industrie und Alltag zu einer entscheidenden Kompetenz werde. Hier zeige sich der große Einfluss einer Wissenschaft und einiger ihrer Vertreter auf den Bereich der Beratungsindustrie, in der es, trotz Bekundungen der „Kreativität“ und „Flexibilität“, immer noch grundlegend um das Ziel der Produktivität gehe.

Im Zusammenhang mit der „Kompetenz“ stehe auch der Begriff der „Performance“ – die kommunikative Selbstdarstellung, welche ebenfalls in diesen Bereich fällt (Roderich von Detten, Universität Freiburg). Eine weitere Betrachtungsweise des Begriffs „Kompetenz“ sei diejenige als „Konstrukt“ (Christoph Hubig, TU Darmstadt) – denn letztendlich liege es im subjektiven Auge des Betrachters oder des Akteurs, eine Kompetenz anzuerkennen oder sich diese selbst zuzuschreiben.

3    Was von wem erwartet werden kann

Transitive Beratung, die Orientierung gibt, eine starke öffentliche Akzeptanz erreicht, dabei aber recht dogmatisch wirkt? Oder eine reflexive Bewertung, deren Akzeptanz zwar nicht so hoch ist und welche auch „nur“ ein „sich orientieren“ ermöglicht, dafür aber eine maximale Auswahl an Alternativen und Kompensationsangeboten bereitstellt? An diesem Verhältnis von Bewertung und Beratung zeigt sich der Konflikt, der sowohl zwischen den Disziplinen innerhalb der Wissenschaft als auch zwischen Wissenschaft und Außenwelt besteht. Petra Gehring (TU Darmstadt) sprach in ihrem Vortrag den Bereich der Ethik an, wo falsche Erwartungen an die Disziplin oft darauf basieren, dass Ethik mit Moral gleichgesetzt oder der Terminus „Ethik“ in andere Kontexte überführt und dort nicht mehr in der traditionellen Weise gebraucht werde. Das Zuständigkeitsfeld dadurch neu entstehender Disziplinen wie „Bioethik“ sei daher schwer zu fassen, denn ob hier die von außen gestellte Anforderung nach Entscheidbarkeit und Konsensfindung auch erfüllt werden könne, sei noch nicht belegt. Traditionell stelle die Ethik keine Reaktion auf konkrete, bereits vorhandene Probleme dar – dem Wunsch nach Konsens, Entscheidbarkeit oder gar einer Art „Rechtfertigung“ könne damit nicht entsprochen werden. Ähnlich argumentierte Vivien Behrens (UFZ Leipzig) für die Sozialwissenschaften, welche oft, v. a. vonseiten der Naturwissenschaften, nicht als Disziplin mit eigenen Forschungsfragen wahrgenommen würden, sondern eher als „Akzeptanzbeschaffungsforschung“. Den Wunsch der Naturwissenschaften nach öffentlicher Akzeptanz begründete Phillip Hertzog (TU Darmstadt) aus historischer Sicht. Dessen Aufkommen sei zwischen dem Fortschrittsglauben der 1960er Jahre und dem skeptischen Wertewandel der 1970er zu verorten: Seither sei eine Agitation im Hintergrund, ohne auch politisch in der Verantwortung zu stehen, für Ingenieure und Naturwissenschaftler nicht mehr möglich.

4    Rat bei Unsicherheit

Die Schwierigkeiten des Importierens von Methoden aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beschrieb Alexander Proelß (Universität Trier) aus mitunter praktischen Erfahrungen. So stellt das konkrete Beispiel „Climate-Engineering“ besondere Herausforderungen an die Rechtsberatung, da unter der Bedingung wissenschaftlicher Unsicherheit dennoch „Stellung bezogen werden“ müsse. Die Frage „darf man das?“ werde oft von politischer Seite an die Rechtsberatung, als eine Art „Mitteldisziplin“ zwischen Staat und Gesellschaft, gestellt, könne aber oft nicht abschließend beantwortet werden. Proelß betonte, dass Zurückhaltung geboten sei, v. a. bei großer Unsicherheit und im Umgang mit Risiken. Dies bleibe jedoch oft hinter den Erwartungen der Auftraggeber zurück, die konkrete Antworten erwarteten. Verfahren prozeduraler, experimenteller oder auch transdisziplinärer Art seien hier gefragt, zum Beispiel Öffentlichkeitsbeteiligung, durch welche diese Entscheidungen legitimiert werden könnten.

Schnittstellen zwischen Politik, Gesellschaft und Wissenschaft waren das übergreifende Thema des Vortrags von Armin Grunwald (ITAS), der einen Überblick über die Entwicklung von Technikfolgenabschätzung, ihre verschiedenen Ziele und Erwartungen präsentierte. Technikfolgenabschätzung als Disziplin könne als eine Art „Paradebeispiel“ für die diskutierten Themen der Tagung gesehen werden. Die historische Entwicklung einer TA sei für den Kontext der „Erwartungen an die Wissenschaft“ und Aufgaben wie Politikberatung, öffentliche Debatten, Mitbestimmung und Mitwirkung an Technikgestaltung von großer Bedeutung gewesen. Grunwald sprach außerdem über die Unterscheidung von „Zukunft der Gegenwart“ und „gegenwärtiger Zukunft“. Durch Szenarien könnten verschiedene Zukünfte dargestellt werden, auf denen wiederum unterschiedliche Reaktions- und Herangehensweisen fundierten. Szenarien und ihre Annahmen könnten in Gestalt des „forecasting“ (aber auch des „backcasting“) als Art „Hermeneutik der Gegenwart“ verstanden werden. Teil der Diskussion war u. a. die Frage nach Darstellungsmöglichkeiten von Szenarien, um die Komplexität und Unbestimmtheit der Annahmen besser einzubeziehen, beispielsweise durch narrative Szenarien. Wie Grunwald betonte, müsse Unsicherheit nicht als defizitär angesehen werden, im Gegenteil: Durch Szenarien könne Komplexität transportiert werden, um Gestaltungsmöglichkeiten sichtbar zu machen.

Wolfgang Liebert (TU Darmstadt) sprach in seinem Vortrag über Nukleartechnologie und verschiedene wissenschaftlich-technische Ambivalenzen, die häufig unauflösbar blieben. Dabei stelle sich die Frage, wie mit Ambivalenzen bei politischen Entscheidungen und in der wissenschaftlich-technischen Arbeit umgegangen werden sollte. Im Falle der Nukleartechnologie sei dies schwierig, da sich in der Vergangenheit Experten nicht sichtbar genug gemacht hätten bzw. es schwer gewesen sei, unabhängige Expertise zu finden. Allerdings sei auch von politischer Seite nicht auf sie gehört worden. Auch hier stelle sich wieder die Frage, ab wann Expertise als Wissen gelte, das berücksichtigt werden müsse.

Dieses Themenfeld wurde während der Tagung immer wieder angesprochen: Wie geht man mit der politischen und gesellschaftlichen Anforderung an die Wissenschaft um, klare, abschließende „Urteile“ und Einschätzungen abzugeben, wenn dies nicht „gewissenhaft“ möglich ist? Wie werden wissenschaftliche Aussagen als Expertenwissen legitimiert und welche Rolle spielen die zunehmenden partizipativen Entscheidungsfindungen? Hierbei wurde u. a. von einer „Demokratisierung der Expertise“ gesprochen, beispielsweise durch Bürgerkonferenzen, die außerhalb des wissenschaftlichen Expertenkreises Einschätzungen und Sachverhalte mobilisieren sollen.

5    Ausblick

Zentrale Fragen in den Diskussionen, die trotz der Unterschiedlichkeit der einzelnen Vorträge immer wieder auftauchten, umfassten den Umgang mit Pluralität, Kontroversen und Konkurrenz in Beratungszusammenhängen und in der wissenschaftsexternen Kommunikation. Hierbei wurde häufig über die Rolle der WissenschaftlerInnen, den Umgang mit Nichtwissen und Unsicherheit bei der Beratung in Entscheidungskontexten und das Aufkommen von Spannungen bei unterschiedlichen Wertvorstellungen der Akteure gesprochen. Offene Fragen gab es hinsichtlich der Überlegung, welche Expertise als das Wissen gilt, das zu berücksichtigen ist, v. a. im Hinblick auf Pluralität und Konkurrenz verschiedener Positionen.

Diese Tagung war die Dritte ihrer Art; ihr gingen bereits zwei Tagungen im Frühjahr und Herbst 2011 voraus. Im September 2012 fand eine vierte Veranstaltung statt, bei der der Forschungsschwerpunkt „Scientific Communication Research“ die Ergebnisse der vorausgegangenen drei Tagungen auswertete.