RESEARCH ARTICLE
Marius Albiez*, 1, https://orcid.org/0000-0002-5421-4990, Lisa Schmieder1, Nora Weinberger1 https://orcid.org/0000-0002-1148-7470, Markus Winkelmann1, Johanna Krischke1 https://orcid.org/0000-0003-2375-2486, Oliver Parodi1 https://orcid.org/0000-0002-8702-0690
* Corresponding author: m.albiez@kit.edu
1 Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe, DE
Zusammenfassung • Die Folgen der COVID-19-Pandemie wirken als Beschleuniger tiefgreifender sozio-technischer Transformationsprozesse. Wissenschaft im Allgemeinen und Technikfolgenabschätzung (TA) im Besonderen können und sollten eine wichtige Rolle spielen, um diese Transformationsprozesse zu untersuchen, zu bewerten und belastbares Orientierungs- und Handlungswissen für (politische) Entscheider*innen und die Öffentlichkeit bereitzustellen. Auf Basis zweier Online-Befragungen „Gesellschaftliche Folgen der Corona-Krise“ sowie der Daten eines Bürger*innendialogs untersucht dieser Beitrag die Einschätzung des Vertrauens in und die Erwartungen an die Wissenschaft seitens der TA-nahen Community und der Zivilgesellschaft. Anhand von induktiv abgeleiteten Themenclustern, wie beispielsweise dem Umgang mit unsicheren Wissensbeständen und Ambiguität oder der Diversität von Forschungsansätzen, werden Lehren für eine gelingende TA synthetisiert.
Abstract • The consequences of the COVID-19 pandemic are an accelerator of profound socio-technical transformation processes. Science in general and technology assessment (TA) in particular can and should play an important role in investigating and evaluating these transformation processes and providing robust orientation and transformation knowledge for (political) decision makers and the public. Based on two online surveys “Social consequences of the corona crisis” and data from a citizens’ dialogue, this article examines the assessment of trust in and expectations of science on the part of the TA-related community and civil society. Lessons for successful TA are synthesized on the basis of inductively derived thematic clusters, such as dealing with uncertain knowledge and ambiguity or the diversity of research approaches.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurden und werden manche sozio-technischen Transformationsprozesse gebremst, andere beschleunigt oder ausgelöst (Bär und Runkel 2020; Schneidewind und Fischedick 2020). Die damit einhergehenden negativen gesellschaftlichen Folgen, die sich teilweise gegenseitig verstärken, werden in der öffentlichen Debatte in ihrer Gesamtheit als Corona-Krise bezeichnet. Wissenschaft im Allgemeinen, im Besonderen aber die Technikfolgenabschätzung (TA) kann und sollte eine wichtige Rolle spielen, um diese vielfältigen Transformationsprozesse zu untersuchen und robustes Orientierungs- und Handlungswissen für (politische) Entscheider*innen und die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen (Grunwald 2022). Hierbei ist aufgrund der Vielzahl und Diversität an Akteursgruppen, die von krisenbezogenen Transformationsprozessen betroffen sind oder über deren Verlauf mitbestimmen, die Einbindung von gesellschaftlichen Akteuren in (TA-)Forschungskontexte geboten. Diese Bedarfe wurden teilweise in der Wissenschaft bereits aufgegriffen:
So beleuchten bspw. Tretter und Franz-Balsen (2020) die „Medialisierung der Wissenschaft“ (S. 32, Übersetzung der Autor*innen) im Rahmen der Pandemie und konstatieren, dass dies ein notwendiger Schritt in der Informationsversorgungskette war, da sowohl die Politik als auch die Medizin nahezu täglich Zugang zur Öffentlichkeit über die schnellen und weitreichenden Kanäle der Massenmedien benötigten. Wagner (2021) stellt weiterhin fest, dass Vertrauen in die Wissenschaft – insbesondere in Krisenzeiten – ausgesprochen wichtig ist. Als wichtigsten Grund für Misstrauen in Wissenschaft führt sie die Sorge davor an, dass Wissenschaftler*innen nicht unabhängig arbeiteten. Bromme (2020, S. 108) ergänzt, dass „Bürger*innen bei Fragen, zu denen eine ‚wahre‘ Antwort für sie wichtig ist, von Wissenschaftler*innen in einem epistemischen Sinne abhängig [sind].“ Vertrauen sei vor allem in Feldern notwendig, in denen eigenes Verstehen und Urteilen nur begrenzt möglich sind. Dies trifft aus Sicht der Autor*innen dieses Artikels auch und in besonderem Maße auf die COVID-19-Pandemie zu. Daher untersucht der Beitrag die Ergebnisse zweier im Corona-Kontext online durchgeführten Expert*innen-Befragungen sowie eines Präsenz-Bürger*innendialogs im Hinblick auf die folgenden Kernfragen:
Die Forschungsergebnisse basieren methodisch auf einem zweistufigen Ansatz (s. Tab. 1): In einem ersten Schritt wurden in einem semi-quantitativen Design zwei Befragungen unter TA-nahen Personen mit Blick auf ihre Zukunftseinschätzungen in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und etwaiger Wandlungstendenzen in Folge der Corona-Krise durchgeführt. In einem zweiten Schritt wurde das im Rahmen der Befragungen als hochrelevant eingestufte Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft in Krisenzeiten in einem qualitativ-explorativen Design untersucht. Es wurden demnach die Perspektiven von zwei Zielgruppen integriert: (i) die Sicht der TA-nahen Community auf die Rolle der Wissenschaft im Zuge der COVID-19-Pandemie und darauf aufbauend (ii) die Sicht von Bürger*innen auf Wissenschaft in Krisensituationen. Beide Gruppen lieferten Hinweise für die im Beitrag erörterten Fragestellungen.
(1) Online-Befragung (Semi-quantitatives Design) |
(2) Bürger*innendialog (Qualitativ-exploratives Design) |
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Hintergrund: Zwei Online-Umfragen aus den Jahren 2020 und 2021 |
Hintergrund: 24 Teilnehmende nahmen am 15. November 2022 am Dialog „Coronakrise – Energiekrise – Klimakrise: Was erwarten wir von der Wissenschaft?“ teil und widmeten sich im Diskurs der gesellschaftlichen Rolle und Funktion von Wissenschaft in Krisenzeiten sowie damit verbundenen Erwartungen und der Frage nach dem Vertrauen in die Wissenschaft. |
Teilnehmer*innen: Personen, die sich in ihrem beruflichen Handeln mit Zukunftsfragen befassen. Fachliche Verortung in der ersten Umfragerunde v. a. in den Gesellschafts-/Politikwissenschaften sowie in den Technik- und Naturwissenschaften und in der Philosophie/Ethik (Weinberger et al. 2020) |
Teilnehmer*innen: Personen aus der lokalen Bürger*innenschaft, die durch öffentliche Werbung (Plakate, Newsletter, etc.) angesprochen wurden. Die Altersspanne der Teilnehmenden reichte von 22 bis 72 Jahren. Rund zwei Drittel der Teilnehmenden ordneten sich dem männlichen Geschlecht zu, ein Drittel dem weiblichen. Rund die Hälfte verfügte über einen formal gehobenen Bildungsgrad (Master/Diplom). |
Hauptanliegen der Befragung: Herausarbeiten von mittel- bis langfristigen Fragestellungen und Lösungsansätzen, welche mit der COVID-19-Pandemie in Verbindung stehen und relevant für politische, gesellschaftliche und wissenschaftsbezogene Akteure sind (Weinberger et al. 2022). Anknüpfend an die theoretische Rahmung der TA von Grunwald (2022, S. 121) liefern die aus der Umfrage abgeleiteten Erkenntnisse Beiträge für eine „politikberatende TA“. |
Anknüpfung an Umfrage (1): Aufbauend auf den Erkenntnissen der Befragung sollten mit der Veranstaltung auch Beiträge für eine „TA im öffentlichen Dialog“ (Grunwald 2022, S. 121) geliefert und so der Adressat*innen-Kreis um die zivilgesellschaftliche Perspektive erweitert werden. |
Ablauf: Die Teilnehmenden bewerteten 21 Thesen zu pandemiebezogenen Themen hinsichtlich ihrer politischen und zeitlichen Relevanz sowie ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Thesen bezogen sich auf die Themenfelder Digitalisierung, gesellschaftliches Miteinander, Wirtschaft (Weinberger et al. 2022) sowie Klimaschutz und Energiewende (Weinberger et al. 2020). Elf der 21 Thesen wurden in einer zweiten Umfragerunde auf mögliche Änderungen in der Einschätzung der Teilnehmenden nach einem Jahr Pandemie untersucht (Weinberger et al. 2021). |
Ablauf: In einem mehrstufigen, insgesamt zweistündigen Prozess diskutierten die Teilnehmenden an spezifischen Thementischen. Detaillierte Angaben zum Ablauf finden sich im nachfolgenden Ergebnisteil. |
Forschungsteam: Die Auswahl und Entwicklung der Thesen erfolgte durch ein interdisziplinäres Team. Beteiligt waren ITAS-Mitarbeitende aus den Forschungsbereichen Nachhaltigkeit und Kulturwandel, soziotechnische Energiezukünfte, Gesundheit und Technisierung des Lebens und nachhaltige Bioökonomie. |
Forschungsteam: Die thematische, inhaltliche und methodische Ausgestaltung erfolgte maßgeblich durch das bereits für die Online-Befragung verantwortliche Forschungsteam. Für die Organisation und den Ablauf wurden zudem weitere Kolleg*innen am ITAS eingebunden. |
Tab. 1: Überblick zur Datengrundlage. Quelle: eigene Darstellung
Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse zu einer ausgewählten These aus der Online-Befragung analysiert, welche sich explizit auf das Vertrauen in die Wissenschaft bezieht. Ausgewertet wurden dabei die quantitativen Einschätzungen von 163 Personen im Jahr 2020 und 148 im Jahr 2021. Des Weiteren wurden insgesamt 184 Kommentare zu dieser These ausgewertet.
Als Datenmaterial aus dem Bürger*innendialog wurden die an den Thementischen mit den Teilnehmenden gemeinsam erstellte schriftliche Dokumentation herangezogen. Als Einordnung dienten darüber hinaus die Beobachtungen der beteiligten Wissenschaftler*innen. Auf Grundlage des jeweiligen Datenmaterials wurde für beide Ansätze induktiv ein Schema von Themenclustern abgeleitet, das gemeinsam im Autor*innenteam entwickelt, diskutiert und schrittweise angepasst wurde. Im Anschluss wurden die Aussagen aus den empirischen Modulen den einzelnen Themenclustern zugeordnet.
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Analyse anhand der Dimensionen A) Vertrauen in Wissenschaft und B) Erwartungen an Wissenschaft sowohl aus Sicht der (wissenschaftlichen) Expert*innen der Online-Befragungen als auch aus Sicht der Bürger*innen vorgestellt.[1] Auffallend in der Analyse ist, dass sich die Kommentare der Befragten und aus dem Bürger*innendialog vor allem auf Aspekte beziehen, die das Vertrauen in die Wissenschaft tendenziell schwächen. Vertrauensbildende Aspekte wurden weit weniger geäußert.
Zunächst werden quantitative und qualitative Ergebnisse der Online-Umfragen zu folgender These vorgestellt: „Wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschende erfahren eine gesellschaftliche Aufwertung. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kompetenz von Wissenschaftler*innen und die Relevanz von Wissenschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme werden steigen“ (s. Abb. 1). In beiden Umfragerunden schätzten mehr als die Hälfte der Befragten den Eintritt der These als sehr oder eher wahrscheinlich ein (Runde 1: 55%, Runde 2: 62%). Die vorliegenden Ergebnisse können als Hinweis darauf dienen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft als mittel bis eher hoch eingeschätzt wurde.
Abb. 1: Einschätzung der Befragten zur These „Wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschende erfahren eine gesellschaftliche Aufwertung. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kompetenz von Wissenschaftler*innen und die Relevanz von Wissenschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme werden steigen“ und der damit verbundenen Frage: „Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die in der These beschriebenen Entwicklungen eintreten?“ Quelle: eigene Darstellung
Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass aus den vorliegenden Daten nicht hervorgeht, ob sich die Ergebnisse auf eine gesellschaftliche Aufwertung von Wissenschaft beziehen oder auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kompetenzen von Wissenschaftler*innen.
Ergänzend seien hier Einschätzungen aus der zweiten Umfrage 2021 genannt, die sich auf die persönlichen Auswirkungen hinsichtlich des Vertrauens in die Wissenschaft beziehen. Folgende Antwortoptionen konnten dabei ausgewählt werden: „negativ (1), neutral (2), positiv (3)“. Zwei Drittel der Befragten (64%) schätzten für sich persönlich die pandemiebedingten Auswirkungen auf das Vertrauen in die Wissenschaft als positiv ein. Lediglich 14% beurteilten die Auswirkungen als negativ, 22% wählten die Option neutral.
Des Weiteren erhielten die Befragten bei beiden Online-Umfragen die Möglichkeit, Kommentare vorzunehmen, aus denen folgende Themencluster herausgearbeitet werden konnten:
Als weitere interessante Themencluster seien hier die Begrenztheit von Wissenschaft, wissenschaftlich gute und schlechte Praxis sowie die Einbindung außerwissenschaftlicher Akteure genannt.
Im Folgenden wird darauf eingegangen, welche Erwartungen an die Wissenschaft sich aus den Kommentaren zur obigen These herausarbeiten und ableiten lassen. Zur Einordnung wird auch hier auf die oben eingeführten Themencluster zurückgegriffen.
Die nachfolgenden beiden Aspekte spielten bei den Befragten hinsichtlich „Vertrauen in die Wissenschaft“ nur eine untergeordnete Rolle (siehe oben), wurden jedoch im Hinblick auf die Erwartungen dezidiert adressiert.
Generell betonten die Befragten die Relevanz der Wissenschaftskommunikation als ein entscheidendes vertrauensbildendes Mittel. Auf allen Ebenen und für alle Bevölkerungsgruppen solle eine verständliche Wissenschaftskommunikation gefördert werden.
Auf Grundlage der beiden Diskussionsrunden wurden folgende thematische Schwerpunkte aus dem Bürger*innendialog herausgearbeitet, die relevant für das Vertrauen in die Wissenschaft sind:
Im Zuge des Bürger*innendialogs konnten an allen drei Diskussionstischen implizit und explizit Hinweise zu Erwartungen an die Wissenschaft identifiziert werden, die mit Vertrauensaspekten einhergehen:
Im Zuge der Veranstaltung wurde sehr deutlich, dass die Anwesenden ebenfalls die Rolle der Wissenschaftskommunikation als bedeutsam einschätzen. Diese sei ein wichtiges Mittel, um das „gesellschaftliche Verständnis für Wissenschaft zu stärken“, welches bei entsprechender Ausgestaltung zu mehr Vertrauen in die Wissenschaft beitragen könne.
Sowohl auf Seiten der TA-nahen Community als auch auf Seiten der Bürger*innen finden sich Hinweise, die allgemein für ein hohes Vertrauen in die Wissenschaft sprechen. Wirft man einen Blick auf die Einschätzung der online Befragten zu den persönlichen Auswirkungen hinsichtlich des Vertrauens in die Wissenschaft können die Ergebnisse als Indiz verstanden werden, dass a) befragte Wissenschaftler*innen den Eindruck haben, dass ihnen und ihrer Arbeit vertraut wird oder b) dass durch die Pandemie das Vertrauen der Befragten selbst in die Wissenschaft gestiegen ist. Die Ergebnisse der Diskussionsrunden im Rahmen des Bürger*innendialogs deuten ebenfalls darauf hin, dass das Vertrauen in die Wissenschaft von Seiten der teilnehmenden Bürger*innen grundsätzlich als eher hoch eingeschätzt wird. Trotz dieser Basis finden sich sowohl bei den Befragten als auch bei den Bürger*innen Vorbehalte und Unsicherheiten was das Vertrauensverhältnis in die Wissenschaft angeht. Dies wird bspw. beim Themencluster „Unsichere Wissensbestände“ deutlich. Beide Seiten weisen darauf hin, dass sich der unzureichende Umgang mit Widersprüchen und unischeren Wissensbeständen vertrauensmindernd auswirken kann und erwarten, dass diese aufgezeigt werden. Aus den Ergebnissen geht zudem hervor, dass die Rolle von persönlichen Sichtweisen und Werten jeweils unterschiedlich wahrgenommen und adressiert wird. So sehen die Befragten einen Konflikt zwischen „Wissens- und Meinungsgesellschaft“. Hier stehen vor allem Teile der wissenschaftsexternen Öffentlichkeit im Fokus. Die Bürger*innen nehmen wiederum die Forschenden in die Verantwortung und erwarten, dass Werte und Normen der dort handelnden Personen transparenter gemacht werden.
Nicht zuletzt ist aus Sicht der Autor*innen überraschend, dass die „Finanzierung von Wissenschaft“ auch und gerade von den anwesenden Bürger*innen hervorgehoben wurde. Abschließend soll angemerkt werden, dass die hier dargestellten Ausführungen aufgrund der unterschiedlichen methodischen Zugänge nicht als Vergleich, sondern als Einordnung zu verstehen sind.
Zwar beziehen sich die dargestellten Ergebnisse alle auf Wissenschaft bzw. das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft im Allgemeinen, halten aber im Besonderen auch wertvolle Hinweise für eine gelingende TA bereit. Dies gilt umso mehr, da sich TA als wissenschaftliche Praxis versteht, die mittelbar und unmittelbar Gesellschaft berät und somit essenziell auf eine direkte und gelingende Wissenschaft-Gesellschaft-Beziehung angewiesen ist. Vor dem Hintergrund von „Objektivität und Subjektivität“ ist der Umgang mit Werten und Normen zentral für die TA und findet sich sowohl in der politikberatenden TA (siehe Befragung) als auch in der partizipativen TA (siehe Bürger*innendialog) wieder (Grunwald 2015). Hinweise aus der Diskussion mit Bürger*innen können genutzt werden, um das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität auch im Wissenschaftsbetrieb zu thematisieren. Weiter kann TA systematisch mögliche Folgen von (krisenbedingten) Transformationsprozessen untersuchen, indem sie den Möglichkeitsraum aus der Perspektive verschiedener Disziplinen und unter Einbezug von relevanten Akteuren wissenschaftlich ausleuchtet. Dabei kann sie auch beim Umgang mit unsicheren Wissensbeständen und Ambiguität helfen, indem sie (widersprüchliche) Wissensbestände vergleichend gegenüberstellt. Fraglich ist, ob diese Perspektive im Sinne des Vertrauens in die Wissenschaft und TA erweitert werden sollte. Es ist zu diskutieren, ob die TA Möglichkeiten, Unsicherheiten und Grenzen der eigenen Forschungsarbeit öffentlich noch deutlicher thematisieren sollte.
Die im Beitrag herausgearbeitete Ökonomisierung und der Finanzierungsdruck von Wissenschaft mit entsprechenden Abhängigkeiten (wie bspw. Drittmitteleinwerbung oder Publikationsdruck) sollte auch von Seiten der TA im Blick behalten werden. So ist die wahrgenommene fehlende Unabhängigkeit laut Wagner (2021) der wichtigste Grund für fehlendes Vertrauen in Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund, und durch die Orientierung der TA hin zu Politik und Öffentlichkeit (Grunwald 2022), ist die Transparenz von TA-Forschung und deren Rahmenbedingungen als vertrauensbildende ‚Basisarbeit‘ zu verstehen. Die Autor*innen bekräftigen den Wunsch sowohl der online Befragten (vgl. auch These 12 in Weinberger et al. 2020) als auch der Bürger*innen nach mehr Einbindung von außerwissenschaftlichen Akteuren. Obwohl dies die partizipative TA bereits in gewissen Formaten praktiziert, kann und sollte der Austausch und Einbezug von passenden Formaten wie Citizen Science (Bonn et al. 2022), der transdisziplinären Forschung (Bergmann et al. 2010) oder der Reallaborforschung (Parodi et al. 2022) intensiviert werden. Der Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten (open access) ist für die Bürger*innenschaft von besonderer Bedeutung. Zugleich sind der gesellschaftliche Zugang und Umgang mit diesen Daten Forschungsgegenstand für die TA. Des Weiteren sollten TA-Erkenntnisse selbst niederschwellig verfügbar sein. So könnten sich die Autor*innen dieses Artikels beispielsweise öffentlich zugängliche und kostenfreie TA-Forschungsdatenrepositorien vorstellen, in denen relevante Erkenntnisse bedarfsgerecht zur Verfügung stehen.
Wir möchten Meike Hebich, Nevin Karademir, Mert König, Christine Milchram und den weiteren Forschenden des ITAS-Projekts PaFo, Jonas Moosmüller, Julian Pfeiffer und Surya Ruff herzlich für die Unterstützung bei der Durchführung der Online-Befragungen sowie des Bürger*innendialogs danken.
Funding • This work received no external funding.
Competing interests • The authors declare no competing interests.
[1] Wenn im weiteren Verlauf von „Wissenschaft“ die Rede ist, so folgen die Darstellungen dem Verständnis der Befragten. Da die Befragten der Online-Studie einem breiten Spektrum an wissenschaftlichen Disziplinen und Praxen entstammen und die befragten Bürger*innen nicht wissenschaftlich tätig sind, sowie das Wissenschaftsverständnis weder bei der Online-Studie noch beim Bürger*innendialog (näher) hinterfragt wurde, bleibt dies hier zwangsläufig unscharf und im Kontext der beiden Studien auch weitgehend unhinterfragt.
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