Interview

Digitalisierung, Theologie und Technikfolgenabschätzung

Digitization, theology, and technology assessment

mit/with Gernot Meier

von/by Reinhard Heil

Gernot Meier

Landeskirchlicher Beauftragter für Ethik und Theologie der Digitalisierung; Stellvertretender Akademiedirektor, Mitglied des Institute for Machine Learning and Analytics (IMLA) der Hochschule Offenburg.

Keywords  artificial intelligence, technology assessment, theology, digital transformation

© 2023 by the authors; licensee oekom. This Open Access article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY).

TATuP 32/2 (2023)32/2, S. 58–61, https://doi.org/10.14512/tatup.32.2.58

Published online: 06. 07. 2023 (editorial peer review)

Die Digitalisierung der Gesellschaft betrifft auch die evangelische Kirche und fordert sie heraus. Gernot Meier, landeskirchlicher Beauftragter für Ethik und Theologie der Digitalisierung in der Evangelischen Landeskirche in Baden, spricht im Interview über das Verhältnis von Kirche und Technikfolgenabschätzung, die mit der Digitalisierung einhergehende Veränderung des Menschenbildes sowie über die Notwendigkeit und die Möglichkeit, die Zukunft offen zu halten und sie aktiv zu gestalten. Er versteht es als seine Aufgabe, das Denken in Alternativen gegen Normalisierungs- und Normierungsstrukturen zu verteidigen und zu zeigen, dass die evangelische Kirche dabei eine aktive Rolle spielen sollte.

Reinhard Heil: Gernot, Du bist landeskirchlicher Beauftragter für Ethik und Theologie der Digitalisierung in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ich denke, das ist etwas erklärungsbedürftig. Was sind Deine Aufgaben?

Gernot Meier: Beauftragte in der Kirche helfen kirchlichen Einrichtungen und Leitungsorganen zur Einschätzung, bei einer speziellen Entwicklung, eines Fachgebietes oder eine Gruppe von Menschen. Kurz gesagt: Diese Personen sind Spezialistin*innen für das, was da so ‚ihrem‘ Feld passiert. Sie halten Kontakt zu den Akteur*innen in ihrem Feld, analysieren Entwicklungen und partizipieren aktiv innerhalb der jeweiligen wissenschaftlichen Community, das heißt, sie übernehmen Verantwortung und beziehen eigenständig Stellung für ihre Einrichtung. Darüber hinaus unterstützen sie die Kirche bei ihrer Auseinandersetzung mit den anstehenden Fragen z. B. durch öffentliche Veranstaltungen, interne Gespräche und selbstverständlich auch durch Publikationen, Gutachten und Untersuchungen.

Beauftragte sind also Ansprechpartner*innen für die Personen in der Kirche und gleichzeitig sozusagen ‚Anwält*innen‘ der Themen und Menschen, die sie vertreten. Sie sind eigentlich Grenzgänger zwischen verschiedenen Welten, Sprachen, Arbeits-, Lebens- und Denkweisen. Oft haben die Beauftragten z. B. in der Evangelischen Landeskirche in Baden eine Doppelqualifikation: In universitärer Theologie (meist ausgewiesen durch theologische Examen) und einem wissenschaftlichen Fachgebiet, meist mit einer Promotion spezialisiert. Dazu kommen die klassischen ‚Insignien‘ wie wissenschaftliche Publikationen und Lehrbeauftragungen in ihrem Fachgebiet.

Und was zur Hölle versteht man unter ‚Theologie der Digitalisierung‘?

[lacht] Da triffst Du einen zentralen Punkt: Ich mache meinen Auftrag nicht nur als Wissenschaftler in einem Fachgebiet, sondern die Einschätzungen dessen, was da passiert sind theologisch grundiert und reflektiert. Ich verlasse dazu methodisch die analytisch geprägte Beschreibung von außen und positioniere mich als Theologe für meine Kirche in diesem Feld. Kirchlich gesprochen heißt das: die Themen des Feldes in der Begegnung mit dem Evangelium zu klären. Bei der analytisch geprägten Sicht erlebe ich ‚die‘ Technikfolgenabschätzung (TA) und ‚uns‘ mit unserem jeweiligen Vorgehen und den Methoden u. a. in hermeneutischen Fragen sehr ähnlich – hier können wir Partner in der Analyse von Gegenwartsphänomenen sein. Denn die TA, so wie ich sie in ihrer Multiperspektivität kenne gelernt habe, macht eben nicht halt an der Fachgrenze, sondern ist genauso eine Grenzgängerin wie wir als Kirche. Die Technikfolgenabschätzung hat – das mögen mir die anderen Fachbereiche verzeihen – wie die kirchliche Theologie immer direkt mit den Menschen zu tun. Hinsichtlich der theologischen Positionierung, die ja aufgrund der weltanschaulichen Neutralität gerade nicht von der Technikfolgenabschätzung eingenommen wird, hilft es mir, meinen Blick zu schärfen, wenn mir meine liberale Theologie einen Streich spielt. Und manchmal gibt es auch Gespräche mit Kolleg*innen aus der Technikfolgenabschätzung, die sehr theologisch werden, weil es – wie so oft – um das Leben in seiner ganzen Fülle geht.

Du hast gerade angedeutet, dass die evangelische Kirche und die Technikfolgenabschätzung eigentlich natürliche Partner seien. Könntest Du das noch ein wenig erläutern?

So wie ich TA wahrnehme, geht es in diesem Forschungsgebiet um Fragen zur Zukunft: Wie werden wir leben? Welche Technologie wird welchen Einfluss haben? Welche Trends in Wissenschaft und Technik sind zu sehen? Welche Chancen und Risiken gibt es – wenn man eine ‚alte‘ binäre Formel aufgreifen möchte. Der Klassiker ‚Prognosen sind schwierig – vor allem wenn sie die Zukunft betreffen‘ gilt für die Technikfolgenabschätzung und genauso für die evangelische Landeskirche in Baden. Wies nicht auch Hans Jonas in seinem ‚Prinzip Verantwortung‘ in politischen Kontext darauf hin, dass wir zuständig sind für die Möglichkeitsräume in der Zukunft?

Für meine Kirche arbeite ich intern mit dem naturalistischen Bild des Zukunftsdeltas. Was näher ist, ist eher klarer. Das Fernere liegt nicht nur im Nebel, sondern ist auch bezüglich der Variationen der Entwicklung, der Aktionsräume und Zustände schwerer abzuschätzen. Auch in den Methoden gibt es viele Berührungspunkte zwischen TA und der ev. Kirche in diesem Feld: Problemdefinition, Erkundung der Technologie, Einschätzung der Folgen sowie Kommunikation und Beteiligung in den kirchlichen bzw. gesellschaftspolitischen Raum. Ich denke, dass das Bild des Menschen, das implizit bei technologischen Entwicklungen im Hintergrund steht, zurzeit neu konstruiert wird. Hier fragt der Theologe: Nach welchem Bild wird der Mensch neu konzipiert und neu erschaffen und welche Zukunft, für ihn, den ‚Homo Novus‘, gleich mit? Ein Bild, das durch Variantenreichtum und Ermöglichung von Potentialität geprägt ist? Oder hätten wir es lieber etwas überwachter, determinierter? Es dient ja nur zu seinem oder ihrem Besten.

Wenn ich Dich hier kurz unterbrechen darf. Es geht Dir also unter anderem um das, was Armin Grunwald als ‚Denken in Alternativen‘ bezeichnet, das ‚Offenhalten der Zukunft‘. Für nicht theologisch geschulte Leserinnen drängt sich hier die Frage auf, wie sich dieses ‚Offenhalten der Zukunft‘ mit der göttlichen Vorherbestimmung verträgt.

Ja, ja – die Prädestination in der Besten aller möglichen Welten und welchen Anteil an der Verwirklichung haben Menschen wirklich – oder wo haben sie es mal wieder versemmelt und Krieg, Gewalt, Rassismus ist dabei rausgekommen? An das Treibholz einer Metaphysik klammert sich heute in einem Narrativ der Infinität der Welt kaum noch jemand. Aber ohne Scherz: Das Denken in Alternativen ist eine zentrale Figur aus der christlichen Religionsgeschichte und aus dem Evangelium. Nun kann man fragen, ob biblisches Wissen für die Entwicklung von Lebenskompetenz, Lebensgewissheit und offenen Lebensgestaltungskonzepten und parallel die Einschätzung von Technologie tatsächlich bedeutsam ist. Ich denke klar: Ja.

Manchmal gibt es auch Gespräche mit Kolleg*innen aus der Technikfolgenabschätzung, die sehr theologisch werden, weil es – wie so oft – um das Leben in seiner ganzen Fülle geht.

Wie kommst Du zu dieser Einschätzung?

Es geht biblisch oft um das ‚Posititionswechselmotiv‘ mit der Absicht, eine andere, vielleicht fremde Position eines anderen Menschen oder einer anderen Denkrichtung einzunehmen. Oder um die Frage, was Gerechtigkeit (bzw. das Gerechtigkeitsmotiv) im Möglichkeitshorizont des Wirklichen ist. Hier erkenne ich ein innerbiblisches Ringen, durchaus dargestellt in Dilemmasituationen, wie ich sie in der Technikfolgenabschätzung wiedererkenne. Ein Beispiel: Wie sehen Ideal und Wirklichkeit gelebten Lebens aus? Und was können wir dafür tun, um das Denken in Alternativen, welches oft anstrengend gegen Normalisierungs- und Normierungsstrukturen verteidigt werden muss, offen zu halten? Schließungen der Lebenswirklichkeiten – auch theologische – müssten dekonstruiert werden, um so Öffnung zu ermöglichen. Auch wenn das gefährlich ist. Aber niemand hat gesagt, dass Denken und Handeln im Zeichen- und Symbolsystem des Christentums für Herz, Hand und Hirn ungefährlich ist. Bei Christenmenschen kommt auch immer die Frage des Todes hinzu. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Begriffe ‚Denken in Alternativen‘ und ‚gelingende Lebendigkeit‘ passen schon gut zusammen. Ein weiterer Punkt wäre, dass Christenmenschen wissen: Ich habe zwar nichts zu verbergen – aber es geht euch trotzdem nichts an. Das Betrifft den Schutz der oder des Nächsten oder des Fernen. Viele Christenmenschen unterstützen bspw. von Internetsperren betroffene Menschen weltweit, indem sie mithilfe der Browsererweiterung ‚Snowflake‘ ihren Internetzugang als Proxy für den Zugang ins Tor-Netzwerk zur Verfügung stellen.

Es geht also um den Schutz der informationellen Selbstbestimmung und des Menschenrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit?

Absolut. Ich habe eine Reihe mit dem Namen: „Digitale Selbstverteidigung“ quer durch die Evangelische Landeskirche gemacht. Vorträge, Diskussion und selbstverständlich hands-on. Genau um diesen Schutz geht es. Wenn ich Aussagen der TA richtig interpretiere, machen die Wissenschaftler*innen hier auf etwas zentrales aufmerksam: Nicht nur die Großtechnologie muss uns zum Nachdenken bringen oder die Technologie, die nicht reibungslos funktioniert, sondern diejenige, die sich smart in unser aller Leben einfügt, großen Erfolg bewirkt, uns unmerklich nahekommt; Technologien, die in unsere Westen- und Handtaschen, in Hosentaschen der Jeans oder an die Handgelenke gewandert sind. Bei automatisierten Entscheidungen seitens der Technologie ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass eine Transparenz über den Entscheidungsvorgang technisch implementiert ist. Was bedeutet hier ‚Fairness‘ im Kontext der über mich gesammelten Daten? Und habe ich die Logik und die Auswirkungen sowie die Tragweite der über mich gesammelten Daten in diesem Kontext erkannt?

Als nächstes ist eine Veranstaltung zum Thema ‚Autonomes Fahren‘ geplant. Die Teilnehmer*innen lernen ein bisschen KI, wie z. B. Gesichtserkennung und Sensoren funktionieren, und wenden diese auf ‚Zumis‘ an, das sind kleine Fahrzeuge, die sie mit ihren Computern steuern. Da kann man viel über die Technologie lernen und über die Differenz von Vertrauen und Verlässlichkeit, von Verantwortungsdiffusion, Abhängigkeit und Kotrollverlust.

Was können wir dafür tun, um das Denken in Alternativen, welches oft anstrengend gegen Normalisierungs- und Normierungsstrukturen verteidigt werden muss, offen zu halten?

Ich arbeite manchmal mit christlichen Theologinnen in TA-Projekten zusammen. In den meisten Fällen, eigentlich immer, treten sie meines Erachtens nicht direkt als Theologinnen in Erscheinung, sondern als Ethikerinnen, als Vertreterinnen menschzentrierter Ansätze. Teilst Du meine Einschätzung und wenn dem so ist: Woher kommt das? Trägt eine genuin theologische Perspektive nicht? Ist sie nicht gewünscht?

Ich beobachte, dass Theolog*innen oftmals mit ethischen Positionen aus der theologischen Anthropologie argumentieren und dabei klassische Positionen aus der theologischen Ethik aufrufen, die das Menschenbild betreffen. Sie rufen Grundfragen des Lebens auf, wie z. B. dessen Gestaltung oder stellen Fragen nach Verantwortung, Handeln, Urteilskraft, Vernunft sowie Würde. So wie ich das Feld kenne – also in meiner Bubble – sind andere akteurszentrierte Ansätze, die auch nicht menschliche Akteur*innen im Blick haben, hin und wieder im Bereich Tier- oder Medizinethik zu finden. Positionen wie beispielsweise von Janina Loh u. a., die Akteurschaft völlig anders konstruieren, sind eher selten. Bruno Latour, Luciano Floridi oder Stuart Russel liest man im Feld eher wenig. Ich denke, einige Personen, die hier mit theologischen Fragen unterwegs sind, müssen sich auch erst noch an die technischen Gegebenheiten und Fragestellungen heranarbeiten.

Themen, die hier neu bedacht werden müssen, sind beispielsweise Privatheit in den Aspekten Intimität, Scham und Schutz des Eigenbereiches. Fürsorge als Uneigennützigkeit und Solidarität oder auch Sicherheit in seinen ganzen politischen Auseinandersetzungen. Normalerweise hat dieser Prozess dann einen gesellschaftszentrierten und einen biblisch orientierten Anteil der sehr religionsproduktiv sein kann. Dabei gibt es viele Themen, die dringend reflektiert werden müssen: Wie sieht es beispielsweise mit der Gabe oder dem Geschenk als Äußerung und Ereignis eben ohne Reziprozität als Teil des Lebens aus, um den späten Derrida aufzugreifen? Die freie Geste der Liebe ist hier eine Spur, der wir nachgehen sollten.

Lass uns hier mal noch ein wenig weiterdenken. Wie würde für Dich eine optimale Zusammenarbeit zwischen religiösen Institutionen, Gläubigen und der Technikfolgenabschätzung aussehen? Oder reichen Theolog*innen in den Ethikräten aus? Um es Dir nicht zu leicht zu machen, darfst Du gerne eine überkonfessionelle Perspektive einnehmen.

Ich denke, es ist gut, dass das Theolog*innen, Philosoph*innen oder Soziolog*innen in den Ethikräten sind. Und wenn diese in ihren jeweiligen Fachgebieten gut ausgebildet sind und regelmäßig Supervision für ihre Arbeit beanspruchen, dann ist das eine gute Sache und bringt die Gremienarbeit weiter. Die Ethikräte machen, so wie ich das verfolge, auch gute Hearings, Tagungen und Veranstaltungen und Papers. Ich würde aber von Akteur*innen in der Technikfolgenabschätzung und religiösen Institutionen, egal ob katholisch, evangelisch, orthodox etc., mehr erwarten: Arbeit mit den Sachen selbst sowie Arbeit mit den Personen, die an diesen Sachen forschen, Probleme lösen und auch ihr Geld verdienen. Ich sage es mal sehr pointiert: Reden, Papers schreiben und einen guten Satz im Fernsehen oder bei einer Konferenz sagen, das können alle. Aber sich den Themen und den Dilemmata ohne Netz und doppeltem Boden wirklich aussetzen, mal eine Programmiersprache zumindest in Ansätzen lernen und sich manchmal der ‚Kleinarbeit widmen, ist eine völlig andere Liga. Da muss man analytisch gar nicht so weit gehen wir Bruno Latour; vielleicht ähnlich der Ethikkommissionen in den Spitälern – da geht es um die Themen und die Menschen selbst. Das mag vielleicht eine gute Portion Aktivismus in unserem Feld bedeuten, aber das Feld, in dem wir uns beide bewegen, ist voll von sehr aktiven Akteur*innen, denen Hegemonie nicht unbekannt ist.

Wie viel Unterstützung erfährt die Theologie der Digitalisierung eigentlich in der Kirche?

[nachdenklich] Wenn ich mir die Verteilung der knappen Mittel ansehe, spricht das schon für sich: Die IT-Infrastruktur, die Verwaltung, die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit teilen beinahe den ganzen Kuchen unter sich auf. Inhaltlich sind zwar fast alle der Meinung, dass die digitale Revolution bezüglich der Bedeutung mit dem Klimawandel vergleichbar ist. Aber wenn Stellen geschaffen werden, dann in den letztgenannten drei Bereichen. Personen, die sich mit operationalen Fragen befassen, gibt es viele. Es gibt aber leider nur wenige Personen in der Evangelischen Kirche Deutschland, zwei vielleicht drei, mit einer Beauftragung, die meiner ähnelt. So ist die badische Landeskirche und auch die bayrische mit meinem Kollegen Thomas Zeilinger schon etwas Besonderes. Sicherlich gibt es Personen in den Akademien und auch der Erwachsenenbildung, die sich damit befassen und gute Veranstaltungen machen. Aber dezidiert als evangelische Kirche Stellung zu nehmen und so intensiv in das Feld einzutauchen, das ist schon etwas Besonders in Baden. Da sind wir wieder bei der letzten Frage angekommen … mit den Veranstaltungen, Papers und Denkschriften und so. Sicher machen wir das auch – aber meine Landeskirche unterstützt die Arbeit zusätzlich massiv, z. B. durch die Aktivitäten in Forschung und Lehre in Offenburg am Institute for Machine Learning and Analytics oder an der Universität Heidelberg. Ich denke, ohne eine Anbindung, z. B. an eine Hochschule for Applied Science oder die Auseinandersetzung mit der Technikfolgeabschätzung, würde ich meine Themen nicht so pointiert weiterbringen. Die Diskussion mit Studierenden oder mit Personen aus Startups, die sich nicht einfach mit einem Podiumsargument zufriedengeben, hat manchmal eine Tiefe, die letztlich für mich als Vertreter der Kirche meine Arbeit beflügelt.

Der Sprung von GPT2 zu GPT3 und der Sprung zu GPT4 wird hier wieder zu kollektivem Erstaunen, rituellem Entsetzen, manchmal etwas Aktionismus, aber selten zu einer vertieften Diskussion führen.

Abschließend müssen wir auf jeden Fall noch eine Entwicklung diskutieren, die Medien wie auch die Fachwelt schon länger in Atem hält: Auf Sprachmodellen basierende Anwendungen wie ChatGPT (general pre-trained transformer) von OpenAI oder LaMDA (language model for dialogue applications) von Google, werden immer besser darin, Dialoge zu simulieren und Texte zu produzieren. Mal ganz spezifisch gefragt: Kannst Du Dir solche Programme in der Seelsorge vorstellen? Hast Du ChatGPT schon mal getestet oder eine Predigt schreiben lassen?

Klar habe ich das schon mit viel Freude getestet. Ich habe Gebete schreiben lassen (die waren gar nicht schlecht) und in einem Artikel einen Teil mit GPT geschrieben, verbunden mit der Wette (also eigentlich dem klassischen Turing-Test): Die erste Person, die mir sagen kann, welcher Teil von der Maschine ist, bekommt eine Flasche Cremant. Bisher steht die Flasche noch bei mir. Viele Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteursgruppen versuchen es und lassen sich beispielsweise mit einem anderen Programm einen Bach-Choral scheiben. Meist wird dann debattiert, was Intelligenz ist. Der Begriff wird erweitert um Attribute, von den man hofft, dass eine AI das einfach nicht kann. ‚Emotionale Intelligenz‘ oder ‚Intelligenz des Körpers‘ wird immer gerne genommen. Oder noch schlimmer ein verkürzter Begriff der ‚Resonanz‘. Wie geschickt! Ein Rechner hat ja keinen Körper. Endlich etwas, was nur wir Menschen haben. Diese Argumentationsfigur ist hinreichend bekannt: ‚Wenn die KI erst dies oder das geschafft hat, dann könnte man sich genauer überlegen …‘. Aber: Musik à la Bach zu erzeugen, ist für einen mittelgroßen Rechner und etwas KI etwas, was er in der Pause macht, wenn die Prozessoren gerade etwas Zeit haben. Juristische Texte? Werden analysiert und Vorschläge gemacht, wie man es noch besser machen kann oder sie werden gleich ganz geschrieben. Kunst? Liegt im Auge der Betrachter*in. Genauso bei Predigten oder Romanen. Bald wird unter der Predigt zu lesen sein: ‚Proudly presented by Google DeepMind‘. Und es werden KIs entwickelt werden, die Seelsorge auf einem Niveau leisten, die uns Menschen nicht möglich ist. Von dem ganzen Bildungsbereich ganz zu schweigen. Ich denke es fällt vielen Menschen schwer, sich exponentielles Wachstum vorzustellen. Aber in diese Richtung gehen wir. Der Sprung von GPT2 zu GPT3 und der Sprung zu GPT4 wird hier wieder zu kollektiven Erstaunen, rituellem Entsetzten, manchmal etwas Aktionismus aber selten zu einer vertieften Diskussion führen. Aber um Hans Jonas nochmals aufzugreifen: Wie kann Macht über die Macht der Technik gewonnen werden? Die Digitalisierung kommt nicht wie Sonne und Wind. Sondern es werden gerade digitale Pfade beschritten, die auch anders sein könnten, die wir gestalten können und müssen.