Jonas Moosmüller1, Doris Allhutter2
1 Institute for Technology Assessment and Systems Analysis (ITAS), Karlsruhe Institute of Technology (KIT), Karlsruhe, DE
2 Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) (Österreich)
EUROPA
Bei der Suche nach Antworten auf zentrale Zukunftsfragen setzt das Europäische Parlament auch weiterhin auf die wissenschaftliche Expertise der European Technology Assessment Group (ETAG). Die Gruppe wissenschaftlicher Einrichtungen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Tschechien, Dänemark, Norwegen und Portugal wird vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) geleitet. Seit 2005 erstellt sie regelmäßig kurze Briefings und detaillierte Analysen für das aus 27 Europaabgeordneten bestehende ‚Panel for the Future of Science and Technology‘ (STOA) des EU-Parlaments – zuletzt etwa zu Handlungs- und Regulierungsoptionen im Umgang mit sogenannten ‚Deepfakes‘, oder zur Umsetzung der europäischen Wasserstoffstrategie. Nun hat sich die ETAG erfolgreich um einen neuen Rahmenvertrag beworben. „Die Beauftragung durch STOA zeigt, dass die Nachfrage nach fundierter wissenschaftlicher Beratung zur Gestaltung und Nutzung des soziotechnischen Fortschritts ungebrochen groß ist“, so Professor Armin Grunwald, Leiter des ITAS.
KONFERENZ
Damit unsere Gesellschaft funktioniert, sind Infrastrukturen für Energie, Nahrung, Mobilität, Wissen und Sozialleistungen unerlässlich. Die Energiewende und die Digitalisierung werfen fundamentale Fragen zur Veränderung dieser Versorgungssysteme auf. „Wie zukunftsfähig sind unsere Infrastrukturen und wie kann TA anstehende Transformationen begleiten?“, fragte deshalb das Institut für Technikfolgen-Abschätzung bei der TA23-Konferenz vom 5. bis 6. Juni 2023 in Wien. Über die vielfältigen Konferenzbeiträge hinweg wurde deutlich: Es ist wichtig, die sozialen Zusammenhänge, in die Infrastrukturen eingebunden sind, genau in den Blick zu nehmen. Die Optimierungsphantasien von BigTech würden ignorieren, was es braucht, um ein gutes Leben zu führen, so Medienforscherin Stine Lomborg in ihrer Keynote. Infrastrukturen, die eine klimagerechte soziale Praxis ermöglichen, sollten sich von quantitativer Versorgungssicherheit und dem Zwang zum Wachstum lösen, betonte auch die Risikoforscherin Cordula Kropp im zweiten Keynote-Vortrag. Zentrale Leitbilder müssten Versorgungs- und Verteilungsgerechtigkeit sein.
class="noTextIndent"www.oeaw.ac.at/ita
PARTIZIPATION
Mit der „Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung“ gibt es eine neue Anlaufstelle für den Austausch zwischen Wissenschaft und Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis. Am 10. Mai 2023 hat sich die Gesellschaft bei einer Gründungsfeier in der Technischen Universität Berlin vorgestellt. Sie versteht sich als Anlaufstelle und unabhängige Interessenvertretung für transdisziplinär und partizipativ Forschende, auch gegenüber Politik und Förderinstitutionen. Ihr Ziel ist es, das Potenzial dieses zunehmend populären Forschungsansatzes zu entfalten, Qualitätsstandards zu sichern und weiterzuentwickeln, die Lehre zu unterstützen und forschungspolitische Impulse zu geben. Initiiert wurde die Gesellschaft durch das vom BMBF geförderte Projekt tdAcademy.
INTERNATIONAL
Durch das EU-Projekt PACITA und die Aktivitäten des GlobalTA-Netzwerks angestoßen hat sich in den letzten Jahren ein europa- und auch weltweites Netzwerk von TA-Institutionen formiert. Darauf aufbauend hat das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nun eine Initiative gestartet, die sich auf Zentral- und Osteuropa konzentriert. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach spezifischen Ansätzen und Akteuren sowie nach geeigneten Aktivitäten, um den politischen Diskurs über die sozioökonomischen Folgen von Technologie und Innovation zu stärken. Über ihre spezifischen Erfahrungen und Herausforderungen berichten TA-Expertinnen und -Experten aus den 12 EU-Mitgliedsländern dieser Region – von Kroatien bis Estland, von Polen bis Rumänien – in einem ‚ITAManuscript‘.
Senior reseacher on medical technologies at the Rathenau Instituut (Netherlands)
Why do you practice technology assessment?
I think science, technology and innovation (STI) have great potential to improve human life, both on an individual as well as a societal level. But that does not happen by itself – as a society, we need to work in order to make sure that STI and the impact it has are aligned with our shared values. Technology assessment can help with that, by bridging STI and society.
As a science politician, what measure would be at the top of your agenda?
To open up science (even more) and to enable active engagement between science and society.
What research topic are you currently working on?
There are actually two: The first is the public deliberation on the governance of human germline genome editing – an example of a topic that is controversial and can play out in very different ways in the future. We try to help the public, stakeholders and policy makers with getting a grip on the developments. I also work on the topic of digitalization of health and healthcare – an example of where a lot is expected of technological innovation, while real improvement might need other (non-technological) solutions.
In your view, is there a research question that receives far too little attention?
In general, I think there is too little attention paid to practice-oriented research, where researchers work on questions raised by practitioners, or where they work on making their insights applicable to practical situations. For example: What interventions are effective in improving lifestyle and preventing disease in a population at risk of cardiovascular disease? Even if this knowledge is available, it may not reach the practitioners who are in the position to act on it.
Your institute places great emphasis on knowledge transfer with society. Why is that?
Because science is a part of society – therefore, society and the public have to benefit from it, or at least not be worse off. In order to do that, knowledge transfer is crucial, but so is engagement and dialogue with society on the aims of research and the activities of researchers that help to achieve them..
Source: Rudi Wells
detailed video interviews available at www.tatup.de/youtube
20.–23. 06. 2023, Augsburg
International Conference ‚Digitalization for sustainability transformations – Critical perspectives, lessons learned, and future prospects‘
www.weizenbaum-institut.de/news/digitalization-for-sustainability-transformations/
27.–28. 07. 2023, KARLSRUHE
Hybrid Workshop „Responsible Quantum Technologies“
www.itas.kit.edu/english/events_2023_responsible_quantum_technologies.php
03.–06. 09. 2023, Rapperswil-Jona
Konferenz ‚Mensch und Computer‘ (MuC)
muc2023.mensch-und-computer.de
04. 10. 2023, BERLIN
Forum Privatheit 2023: ‚Data Sharing – Datenkapitalismus by Default?‘
www.forum-privatheit.de/jahreskonferenz-2023/
06. 11. 2023, PADERBORN
Second TRR 318 Conference: Measuring Understanding
trr318.uni-paderborn.de/conferences/measuring-understanding
22. 11. 2023, Chemnitz
PartWiss ’23 – Zweite Tagung zur Vernetzung und Stärkung von Partizipation in der Wissenschaft
partizipation-wissenschaft.de
Weitere Termine unter www.openta.net/kalender
Politikberatung
KI-basierte Sprachmodelle haben seit der Einführung von ChatGPT im November 2022 weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Auftrag des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) nun eine umfassende Studie zu dieser Technologie vorgelegt. Das Hintergrundpapier beschreibt die Technik, auf der ChatGPT basiert, ihre Möglichkeiten und Grenzen, die potenziellen Anwendungen des Chatbots sowie mögliche gesellschaftliche Auswirkungen. „Es ist sinnvoll, jetzt eine breite Debatte darüber zu führen, wie wir mit KI-Systemen umgehen wollen“, fasst Studienautor Steffen Albrecht zusammen. „Die Gesellschaft“, so Albrecht, „muss sich klarmachen, auf was sie sich da einlässt und welche Regeln wir vereinbaren wollen.“ Es gibt eine Reihe plausibler Einsatzmöglichkeiten, etwa als einfach zu bedienende Schnittstelle zu anderen Computersystemen, aber auch Risiken, wie die Schwierigkeit, Aussagen der KI auf ihre Korrektheit hin zu überprüfen.
BERATUNG
„Die Wissenschaft soll als ehrlicher Makler auftreten“ und „Wissenschaft soll informieren, nicht legitimieren“ lauten zwei von insgesamt neun ‚Wiener Thesen‘ zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft. Vorgestellt wurden die ‚Wiener Thesen‘ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina bei einer gemeinsamen Veranstaltung der beiden Akademien im Februar 2023. Sie sollen, so die Präsidenten der beiden Akademien, Heinz Faßmann (ÖAW) und Gerald Haug (Leopoldina), Aufgaben und Anforderungen an eine wissenschaftsbasierte Beratung zur Diskussion stellen und Erfahrungen während der Corona-Krise reflektieren. Zentral für die Rolle von Wissenschaft in der Beratung von Politik und Gesellschaft sei es, nicht eine einzige Option zu empfehlen, sondern verschiedene Wahlmöglichkeiten auf Basis von wissenschaftlicher Evidenz transparent aufzuzeigen. „Politischen Vertreterinnen und Vertretern darf durch die wissenschaftsbasierte Beratung die Entscheidungslast nicht abgenommen werden. Diese Kompetenz bleibt ausschließlich bei der Politik.“
www.leopoldina.org | www.oeaw.ac.at
STUDIE
Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Für eine ausgeglichene Treibhausgasbilanz ist die Alpenrepublik – wie ihre europäischen Nachbarn – auf Verfahren angewiesen, die CO2 aus der Atmosphäre binden und langfristig speichern, sogenannte Negativemissionstechnologien (NET). Im Auftrag von TA-Swiss haben Forschende des Öko-Instituts und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) nun fünf besonders vielversprechende NET untersucht. Dazu gehören u. a. die Speicherung von CO2 als Biomasse im Wald, die Abscheidung bei der Verbrennung von Biomasse oder die beschleunigte Verwitterung von Abbruchbeton und Gestein. Die Forschenden haben die Vor- und Nachteile der NET untersucht und allgemeine Empfehlungen ausgesprochen. So unterstreicht die Studie die derzeitige Vorreiterrolle der Schweiz bei der Entwicklung von Negativemissionstechnologien, warnt aber gleichzeitig davor, dass ein zu großes Vertrauen in die Technik dazu führen könnte, dass Bemühungen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen vernachlässigt werden.
PUBLIKATION
Anknüpfend an eine erfolgreiche Pilotphase hat das Institut für Technikfolgen-Abschätzung in Wien den Zuschlag für die Beratung von Bundes- und Nationalrat in Sachen Foresight und Technikfolgenabschätzung erhalten. Unterstützt wird es dabei vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. Die beiden Institutionen haben nun das erste gemeinsame ‚Monitoring für Zukunftsthemen‘ vorgelegt. Identifiziert und analysiert wurden in einem mehrstufigen Verfahren – das erstmals auch KI-gestützte quantitative Methoden einsetzt – soziotechnische Trends mit großem Innovationspotenzial und parlamentarischem Handlungsbedarf. Im Fokus stehen sechs Themen: Fortschritte bei Techniken zur Entwicklung von Embryonen oder Föten außerhalb des (menschlichen) Körpers, neue Medikamente zur Behandlung von Adipositas und Großwärmepumpen für den industriellen Einsatz, die Umweltauswirkungen der Raumfahrt, die Entwicklung von Strategien zur Dürreresilienz sowie die Folgen des Einsatzes generativer KI-Systeme in demokratischen Gesellschaften. Die öffentlich zugänglichen Monitoringberichte für das österreichische Parlament erscheinen künftig zweimal jährlich.
Gudowsky-Blatakes, Niklas; Kehl, Christoph; König, Harald; Krieger-Lamina, Jaro; Nentwich, Michael; Peissl, Walter; Riousset, Pauline; Weinberger, Nora
Foresight und Technikfolgenabschätzung: Monitoring von Zukunftsthemen für das österreichische Parlament
Bericht im Auftrag des österreichischen Parlaments. Wien: 2023, 50 S.
ISSN 1819–1320