Editorial

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TATuP 32/3 (2023), S. 3–3, https://doi.org/10.14512/tatup.32.3.3

published online: 13. 12. 2023

Technikfolgenabschätzung (TA) widmet sich der Analyse möglicher Folgen neuer Technologien und neuer soziotechnischer Infrastrukturen. Sie versucht Entwickler:innen, Anwender:innen, Politiker:innen und Bürger:innen möglichst früh relevantes Wissen bereitzustellen, um eine informierte Meinung bilden und kluge Handlungen setzen zu können. So weit, so gut. Die damit einhergehende starke Zukunftsorientierung wirft allerdings auch lange Schatten, insbesondere wenn sie auf strategisch überzogene Versprechungen und Befürchtungen trifft. Leicht kann TA hier unkritisch befeuern, was der nüchternen Betrachtung bedürfte; leicht kann sie den Fokus auf kaum relevante Nebenschauplätze lenken, wenn die Bearbeitung drängender gesellschaftlicher Problemlagen eventuell ganz anderer Ansätze bedürfte. Dementsprechend werden schon länger Rufe nach kritischer Distanz und stärkerem Gegenwartsbezug durch ‚hermeneutische TA‘, ‚Technologien der Bescheidenheit‘, ‚nüchterne TA‘ oder eine ‚Soziologie der Hoffnungen und Erwartungen‘ in TA und Wissenschafts- und Technikforschung laut.

Die Realisierung solcher Programme erweist sich allerdings als voraussetzungsreich. Längst sind in westlichen Innovationssystemen – in akademischen Karrieren, kompetitiver Forschungsförderung und medialer Darstellung von Technowissenschaft – überzogene (Selbst-)Darstellungen und Versprechungen die Norm geworden. Und nicht nur das: Sie sind diesen geradezu funktional eingeschrieben.

Bescheidenheit mutet hier nicht nur seltsam an, sie gerät schlichtweg zum Störfaktor. Längst sind wir alle ‚exzellent‘ geworden und längst trägt jede technowissenschaftliche Neuerung gleichsam im Alleingang zur Rettung der Welt (oder auch ihrem Untergang) bei. Solch überzogene Darstellungen sind einerseits funktional notwendig (zunehmend gilt nur exzellente und ‚High-Impact‘-Forschung als förderwürdig), sie sind andererseits aber natürlich auch wirklichkeitsverzerrend und dysfunktional. Nicht zuletzt können sie das Interesse der Öffentlichkeit nur kurzfristig anfeuern und gefährden langfristig das Vertrauen in Innovationseliten, ihre Vertreter:innen, Institutionen und Interventionen.

Welche Möglichkeiten gibt es nun für TA, solch überzogenen Ansprüchen dort entgegenzuhalten, wo sie offensichtlich dysfunktional werden? Wie funktionieren ‚Hypes‘ und welche Wirkung entfalten sie im Detail? In dieser Ausgabe von TATuP finden sich aktuelle Antworten auf diese Fragen, mit denen wir uns bestimmt noch länger auseinandersetzen werden.

Ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre!

Karen Kastenhofer

Karen Kastenhofer

Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, AT (kkast@oeaw.ac.at)