Book review: Luks, Fred (2023): Ökonomie der Großzügigkeit. Wie Gesellschaften zukunftsfähig werden

Felix Wagner*, 1

* Corresponding author: felix.wagner@kit.edu

1 Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe, DE

© 2024 by the authors; licensee oekom. This Open Access article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY).

TATuP 33/2 (2024), S. 66–67, https://doi.org/10.14512/tatup.33.2.66

Published online: 28. 06. 2024

Luks, Fred (2023):
Ökonomie der Großzügigkeit. Wie Gesellschaften zukunftsfähig werden.
Bielefeld: transcript Verlag.
338 Seiten,
32 €,
ISBN 978-3-8376-7028-8

Das Buch von Fred Luks gibt im Untertitel konjunktivlos ein großes Versprechen, indem es aufzeigen will, „wie Gesellschaften zukunftsfähig werden“. Erfolgen soll dies anhand der titelgebenden „Ökonomie der Großzügigkeit“. Herausgekommen dabei ist ein umfangreiches Werk, das von einer sehr großen Belesenheit des Autors zeugt, rund um Themen der Nachhaltigkeit, der Technikfolgenabschätzung, der Ökonomie, bis hin zu erkenntnistheoretischen Schriften bekannter Konstruktivisten und anderer Philosophen – von Michel Foucault, Pierre Bourdieu zu Niklas Luhmann. Selbst ein Bezug zu Friedrich Nietzsche wird hergestellt, indem durch das Leitbild der Großzügigkeit „von der tristen zur fröhlichen Wissenschaft“ (S. 287) gelangt werden soll. Luks begründet dies damit, dass angesichts der Weltenlage und vor allem der Diskrepanz zwischen den notwendigen Reaktionen auf die aktuellen multiplen ökologischen und gesellschaftlichen Krisen und den real stattfindenden Veränderungsmaßnahmen verständlicherweise Frustration und Hoffnungslosigkeit naheliegen. Gerade deswegen bräuchte es für gelingende Transformation „Humor, Ironie und ja, Fröhlichkeit“ (S. 289), damit „Zukunftsfähigkeit zur Sache einer relevanten Anzahl von Menschen wird“ (S. 287). Schön – gerade auch im Sinne der Lesensfreude – wäre, wenn dieser unterstützenswerte Ansatz selbst deutlicher hervortreten würde, mäandriert Luks doch eher nüchtern durch das weite theoretische Spektrum.

Weder Effizienz noch Suffizienz

Die Grundmaxime des Buches besteht darin, die Annahme zu verwerfen, dass vornehmlich Effizienz, Expansion und technische Innovationen die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft(en) sicherten. Vor allem an dem Paradigma der Effizienz übt Luks Kritik, in seinem Sinne verstanden als eine maximale Verwertbarkeit und Rentabilität. Dass immerwährendes Wachstum und maximale Ausbeute innerhalb planetarer Grenzen (von Rohstoffen, Raum und ökologischen Kippunkten, etc.) nicht funktionieren kann, ist mittlerweile weitgehend Konsens. Nichtsdestotrotz verbleibt, gemäß dem Autor, in den meisten Fällen ein ‚Weiter so‘ als Modus Operandi und der wachsenden Knappheit wird mit Effizienzsteigerung und technischer Innovation begegnet.

Dieser Kritik zum Trotz ist Luks kein Anhänger von Postwachstumsdebatten, Suffizienz und vergleichbaren Ansätzen im Transformationsgeschehen. Diesen – ebenso wie der in wirtschaftsliberalen Kreisen weit verbreiteten Vorstellung der Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch (‚Stichwort ‚Grünes Wachstum‘) sagt er den moralinsauren Zeigefinger des Verzichtes als Hauptmittel des transformativen Agierens nach und konstatiert den Vertreter*innen dieser Ansätze eine gewisse Naivität, bezüglich Möglichkeiten der Umsetzung.

Mit dem Begriff der Großzügigkeit zum richtigen Maß

Luks konzipiert den Ansatz von Großzügigkeit als Balance zwischen den beiden Polen: Auf der einen Seite Effizienz, Expansion und Technikeuphorie und auf der anderen Seite Suffizienz, Einsicht und der Glaube an die kulturelle Gestaltungsmöglichkeit von Gesellschaft. In Anlehnung an Aristoteles sieht Luks Großzügigkeit als ‚Goldene Mitte‘ zwischen den beiden Extremen. Großzügigkeit soll somit verstanden werden als das richtige Maß zwischen Verzicht und Verschwendung, indem es weder um den vollständigen Verzicht auf die Nutzung von Möglichkeiten (im Sinne von Ressourcenverbrauch und Konsum), noch um deren völlige Ausschöpfung geht. So verstandene Großzügigkeit grenzt sich – sozusagen tolerant – gegen die beiden Extreme ab und findet die Lösung in einem bewussten Unterschreiten dieser Möglichkeiten. „Großzügigkeit verbietet keinesfalls, die Natur für ökonomische, soziale und kulturelle Zwecke zu nutzen. Sie verbietet es aber, dies gleichsam bis zur Neige zu tun. Es geht, wenn man so will, um die Nicht-Nutzung von Ressourcen, damit deren Erhaltung gesichert, das Überschreiten ökologischer Grenzen verhindert werden kann“ (Luks 2023).

Großzügigkeit orientiert sich damit nicht an Optimalität, sondern an Resilienz, Effektivität und Erhaltung (S. 211). Sie ist eine Voraussetzung (vermutlich im Sinn einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung) „für eine gute gesellschaftliche Zukunft“ (S. 11). Wie diese konkret aussehen soll, möchte der Autor hingegen nicht definieren, man müsse hier „epistemologische Großzügigkeit“ (S. 209) walten lassen, vor allem hinsichtlich der Frage, wie das Wissen um die notwendigen Veränderungen in gesellschaftliche Realität umgesetzt werden kann.

„Dass der Klimawandel eine Klimakatastrophe ist, sagen wir – nicht die Natur.“

Im Bereich des Orientierungswissens nimmt Luks eine konstruktivistische Perspektive ein: „Dass der Klimawandel eine Klimakatastrophe ist, sagen wir – nicht die Natur“ (S. 215). Er versucht, dies mit einem Zitat von Niklas Luhmann zu belegen: „Es mögen Fische sterben oder Menschen […,] die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen, solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen“ (S. 215, in Verweis auf Luhmann 1990). Es lässt sich allerdings bezweifeln, dass eine Person, die beispielsweise von konkreten Folgen klimabedingten Hochwassers betroffen ist, einen Gewinn aus derartigen, theoretischen Überlegungen ableiten kann.

‚Schöne‘ Zukunftsvisionen, aber wie?

Gesellschaftliche Veränderungen werden gemäß Luks durch Debatten entfacht: Der kollektive Impuls zum Wandel entsteht demzufolge nur bei ausreichender Aufmerksamkeit für bestimmte Themen und Problemlagen. Positiv formuliert heißt dies, für eine Transformation zur Nachhaltigkeit ist demnach ein überzeugendes Narrativ notwendig, d. h. es muss ausreichend attraktiv oder mindestens interessant sein. Luks baut folglich auf „schöne“ Zukunftsvisionen (S. 208) und zitiert mehrfach Papst Franziskus, der in seiner „Enzyklika Laudato Si“‘ den Ausdruck „Schönheit der Herausforderung“ prägte (Papst Franziskus 2015, S. 15). Dabei attribuiert der Autor die Handlungsmacht zur Veränderung nicht einzelnen Personen, Großzügigkeit ist also nicht als Individualtugend angelegt, sondern als gesellschaftliches Regulativ, welches als kollektive Repräsentation normative und reflexive Rahmensetzung erschafft („transformative Großzügigkeit“ [S. 282]).

Auf den Versuch einer Operationalisierung von Großzügigkeit verzichtet der Autor bewusst und verweist stattdessen auf Beispiele wie das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 (Verpflichtung, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen) und das Artenschutzabkommen von Montreal 2022 (Vereinbarung, 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde bis 2030 zu schützen und verlorene Ökosysteme wiederherzustellen). Diese beiden Abkommen zeigen, dass im Kollektiv beschlossene Selbstbeschränkung möglich ist. Daraus Hoffnung für faktische Änderungen abzuleiten, kann – zumindest in Hinblick auf das bereits neun Jahre währende Pariser Abkommen – bislang nur mit großzügiger Interpretation erfolgen.

Fazit

Mit „Ökonomie der Großzügigkeit“ legt Luks eine breitgefächerte Oszillation um Begrifflichkeiten und Ideengeschichte zu Nachhaltiger Entwicklung, Transformation, ökonomischer Maximen und epistemologischen Betrachtungen vor. Der Reigen an Zitaten und Querverweisen geht allerdings zuweilen auf Kosten der Präzision des eigenen Argumentes. Die Absicht ist klar: Es soll ein Beitrag geliefert werden, zur „Verlangsamung der Knappheits-Effizienz-Wachstums-Endlos-Schleife“ (S. 219). Der Ansatzpunkt von Großzügigkeit als vermittelnder Instanz liegt hierbei nicht in konkreten Handlungsalternativen, eher in einer reflexiven Haltung, die dann in relevanten Bereichen gesellschaftlicher Realität und damit auch im konkreten Handeln (resp. gerade eben auch Nicht-Handeln) ihren Niederschlag finden will. Diese „nicht-naiven“ (S. 206 f.) Betrachtungen sollen neue Denkanstöße bringen und letztendlich zu einem kulturellen Perspektivenwechsel im Hinblick auf den menschlichen Umgang mit der Mit- und Umwelt führen.

Eine gewisse Bringschuld schwingt dem titelgebenden Anspruch des Werkes durchaus mit, welcher der Autor elegant zu entgehen versucht, indem er meint, dass es auch sinnvoll wäre, ‚l’art pour l’art‘ zu betreiben, da unsere Kultur in einem ungesundem Maße an „vernünftigen Zweck-Mittel-Relationen“ orientiert sei (S. 11 f.). Eine Aufwertung von „Fülle, Spiel und Schönheit“ (S. 20) im Transformationsgeschehen klingt attraktiv, angesichts zuweilen doch sehr spröde wirkender Debatten und Kampagnen, z. B. rund um Klimaschutzmaßnahmen.

Bleibt schließlich zu wünschen, dass eine Umsetzung so definierter Großzügigkeit konkret in gesellschaftlicher Realität stattfindet. In diesem Falle sollte allerdings auch der wörtlichen Bedeutung Rechnung getragen werden, eine entsprechende Umsetzung ‚groß‘ und ‚zügig‘ zu realisieren und dabei trotz aller notwendigen Stringenz und Regulation den Raum zu lassen für Reflexion, Kreativität, Freude und Wohlergehen.

Literatur

Luks, Fred (2023): Ökonomie der Großzügigkeit. Jenseits von Technikeuphorie und Ökomoralismus, 14. 10. 2023. Online verfügbar unter https://fredluks.com/nachhaltige-nachhaltigkeit/grosszuegigkeit_1, zuletzt geprüft am 22. 04. 2024.

Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Papst Franziskus (2015): Enzyklika Laudato Si’ von Papst Franziskus. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Vatikanstadt: Vatikanische Druckerei. Online verfügbar unter https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html, zuletzt geprüft am 13. 05. 2024.