Biogene Gase – eine Konkurrenz für Erdgas?

Tagungsberichte

Biogene Gase – eine Konkurrenz für Erdgas?

Bericht von der Tagung „Perspektiven biogener Gase in Baden-Württemberg“
Stuttgart, 4. Juli 2011

von Gunnar Kappler, Stefan Kälber und Ludwig Leible, ITAS

1     Einleitung

In ihrem aktuellen Energiekonzept hat die Bundesregierung die Weichen für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien gestellt. Aufgrund bedeutender Rohstoffpotenziale und der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten nimmt die Bioenergie, und hier insbesondere die Bereitstellung von gasförmigen Brennstoffen aus Biomasse eine besondere Rolle bei der Entwicklung einer nachhaltigen Energieversorgung ein. Über die Aufbereitung biogener Gase zu einem Erdgassubstitut (SNG, Substitute Natural Gas) und dessen Einspeisung in das bestehende Erdgasnetz wird eine effiziente Verteilung/Speicherung und energetische Nutzung erreicht.

Ausgehend von der bedeutenden Rolle der Bioenergie für die zukünftige Energiepolitik, wurde bereits im Jahr 2006 von der Baden-Württembergischen Landesregierung der Aufbau einer „Bioenergie-Forschungsplattform“ initiiert. Diese setzt sich, neben zwei Ministerien (Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft), aus verschiedenen in diesem Themenfeld arbeitenden Forschungseinrichtungen des Landes zusammen; das KIT ist durch ITAS vertreten. Sie bündelt die in Baden-Württemberg vorhandene Forschungskompetenz in einem interdisziplinären Forschungsverbund.

Nicht zuletzt bedingt durch die begrenzten Fördermittel, ist die Arbeit der Bioenergie-Forschungsplattform zunächst ausschließlich auf die Bereitstellung und Nutzung biogener Gase ausgerichtet. Hierbei wird das Ziel verfolgt, das Potenzial und die Perspektiven der Erzeugung und Nutzung biogener Gase in Baden-Württemberg unter systemanalytischen Aspekten technologieübergreifend zu vergleichen und in die energiewirtschaftliche Situation Baden-Württembergs einzuordnen. Vor diesem Hintergrund wurde die Tagung „Perspektiven biogener Gase in Baden-Württemberg“ am 4. Juli 2011 im Haus der Wirtschaft in Stuttgart durchgeführt, bei der die wesentlichen Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten in Form von Referaten und Postern vorgestellt und diskutiert wurden.[1] Eingeladen hierzu waren neben Vertretern aus Wissenschaft und (Land-)Wirtschaft auch politische Entscheidungsträger. Veranstaltet wurde die Tagung vom Baden-Württembergischen Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) in Kooperation mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM) Baden-Württemberg.

2     Verlauf und Ergebnisse der Veranstaltung

Die Einführung in das Thema der Tagung wurde von Landesforstpräsident Max Reger (MLR) übernommen. Nach einer Darstellung der Situation zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg hob er insbesondere die Notwendigkeit eines verstärkten Ausbaus der Speichermöglichkeiten für erneuerbaren Energien hervor. Aktuelle Zahlen bescheinigen dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auch in Baden-Württemberg „gute Dienste“ geleistet zu haben, allerdings sei die Konkurrenz von stofflicher und energetischer Biomassenutzung zunehmend erkennbar, und es gäbe in Baden-Württemberg bereits Regionen mit ausgeschöpften Potenzialen. Bedingt durch den raschen Ausbau der Biogasproduktion seien auch steigende Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen zu beobachten, die wirtschaftlich negative Effekte insbesondere auf die Futtermittelproduktion und somit Milchviehwirtschaft haben.

Wie der Weg ins regenerative Energiezeitalter aussehen könnte, legte Frithjof Staiß (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg) dar. In seinem Vortrag wurde zunächst ein Überblick über die derzeit im Entwurf befindliche „EU Energy Road Map 2050“ (geplante Veröffentlichung: Ende 2011) gegeben, mit deren Maßnahmenvorschlägen Treibhausgas-Einsparungen von 80 bis 95 Prozent (bis 2050) erreicht werden sollen. Darüber hinaus stellte er die Ergebnisse der Konzeptstudie des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien (FVEE) vor, welche ein Szenario für eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland bis 2050 entwickelt hat. Demnach müssen bis dahin für den Mix aus erneuerbaren Energien jährliche Differenzkosten von rd. 20 Mrd. Euro getragen werden; dies entspricht rd. 8 Prozent der gesamten Energieausgaben des Jahres 2008. Problematisch sei allerdings, dass entsprechend der FVEE-Studie das Potenzial an Biomasse und Wasserkraft bis 2020 weitgehend ausgeschöpft sein dürfte. Besondere Herausforderungen entstünden durch die fluktuierenden erneuerbaren Energien (Erzeugungsschwankungen im Stromangebot), weshalb Maßnahmen zum kurzfristigen und saisonalen Strommanagement benötigt werden. Für den Ausgleich von Erzeugungsschwankungen werden neben Wasserkraft-Pumpspeichern und stationären Batteriesystemen insbesondere das regenerative Methan angesehen, welches die Speicherkapazität des Erdgasnetzes (Speicherkapazität bis 200 TWh, im Vergleich dazu das Stromnetz rund 0,04 TWh) zur zeitlichen Pufferung von Angebot und Nachfrage nutzt.

Nach dem einführenden Teil leitete Thomas Jungbluth (Universität Hohenheim, Institut für Agrartechnik und Bioenergie) zu den Forschungsarbeiten der Bioenergie-Forschungsplattform über. Im Vortrag von Wilhelm Claupein (Universität Hohenheim, Institut für Kulturpflanzenwissenschaften) wurden die Möglichkeiten und Grenzen für die Erzeugung biogener Gase anschaulich dargelegt. Der Mais, der als Hauptsubstrat für die Erzeugung von Biogas anzusehen ist, zeichne sich zwar durch hohe Methanerträge und optimierte Anbauverfahren aus, doch gehe der flächige Anbau in Monokulturen mit einem Verlust von Biodiversität einher. Zudem stießen die vielerorts sichtbaren Monokulturen auf eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung – hier werde von „Vermaisung“ oder gar von Mais als „Syphilis der Landwirtschaft“ gesprochen. Als Alternative böten sich der verstärkte Fruchtfolgewechsel oder (unter Ertrags- und Produktionskosten-Gesichtspunkten) auch perennierende, biogasfähige Dauerkulturen (Energieampfer, Topinambur, Silphie, u. a.) an. In jedem Falle erfordere die Biogaserzeugung die Betrachtung standortspezifischer Gegebenheiten und die Berücksichtigung naturräumlicher Bedingungen.

Hans Oechsner (Universität Hohenheim, Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie) referierte über verfahrenstechnische Optimierungspotenziale bei der Biogaserzeugung. Als Ansatzpunkte zur Effizienzsteigerung bei der fermentativen Produktion werden der kombiniert mechanisch-biologische Aufschluss des Substrates zur Änderung der Substratqualität, Maßnahmen zur Prozessstabilisierung (z. B. Einsatz von ProzesshilfsstoffenSpurenelementen) und Prozessgestaltung (z. B. Überwachung und Senkung des Eigenenergiebedarfs durch optimierte Verfahrenstechnik) gesehen. Vor allem letztgenannte Maßnahmen könnten eine effizientere Biogasproduktion erlauben und die Eispeisung von Bioerdgas ins Erdgasnetz auch für kleinere Anlagen wirtschaftlicher machen.

Einen Überblick über den Stand und die Perspektiven der Technik zur thermochemischen Bereitstellung (Vergasung) biogener Gase unter Nutzung von trockener Biomasse gab Mariusz Zieba (Universität Stuttgart, Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik). Im Mittelpunkt des Vortrags stand die techno-ökonomische Gegenüberstellung verschiedener Vergasungstechnologien. Aufgrund der Effizienz der Verfahren und Diversifizierung der Produkte (Strom, Wärme, Kraftstoff und Grundchemikalien), stellt die Vergasung aus Sicht des Referenten eine Schlüsseltechnologie in einem zukünftigen nachhaltigen Energiesystem dar.

Der Vortag von Michael Specht (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg) widmete sich der Erzeugung von Erdgassubstiut (SNG) aus biogenen Ressourcen. Dabei wurden neben den bekannten und in ihrer technologischen Entwicklung weit fortgeschrittenen Techniken der Fermentation und Vergasung auch neuartige innovative Ansätze/Routen gezeigt, durch die Biomasse in SNG überführt werden kann. Ein besonderes Augenmerk richtete er auf verschiedene Optionen zur langfristigen, saisonalen Speicherung in Form von Wasserstoff, SNG und Liquid Carbons. Hierbei standen die Ausführungen zum neuartigen Power-to-Gas-Konzept im Vordergrund, bei dem überschüssiger regenerativer Strom aus Wind- und Solarenergieanlagen über Elektrolyse in H2 umgewandelt, mit CO2 methanisiert und als SNG ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Vorteile hierbei seien die nahezu unlimitierten Speichermöglichkeiten im Gasnetz oder in unterirdischen Gaskavernen.

Über die verschiedenen Biogas-Blockheizkraftwerk-Technologien referierte Bernd Thomas (Hochschule Reutlingen, Reutlingen Research Institute). Er stellte detaillierte Messergebnisse über die Energiemengen, Wärmenutzung, Nutzungsgrade und Emissionswerte des Blockheizkraftwerk einer Forschungsbiogasanlage vor. Diese Anlage wird auf der Versuchsstation „Unterer Lindenhof“ in Eningen unter Achalm von der Universität Hohenheim betrieben. Entsprechend seiner Ausführungen bieten die vielerorts gebräuchlichen Verbrennungsmotor-Blockheizkraftwerke gute Wirkungsgrade und haben das Potenzial zu weiteren Effizienz-Steigerungen (z. B. Nach-Verstromung der heißen Abgase). Allerdings bestünde hinsichtlich Wartungsaufwand und Emissionswerte noch ein Optimierungsbedarf.

Einen Vergleich biogener Gase in der Nutzung stellte Ludwig Leible (ITAS) in seiner Präsentation vor. Einleitend veranschaulichte er die Verfahrensketten zur Bereitstellung und Nutzung von biogenen Gasen als Erdgas-Substitut. Im Mittelpunkt stand der techno-ökonomische Vergleich der SNG-Bereitstellung über die bio- bzw. thermochemische Verfahrenskette und dessen Nutzung für die Wärme-, Strom- und Kraftstoffbereitstellung, jeweils verglichen mit fossilem Erdgas. Insgesamt zeigten die dargestellten Ergebnisse, dass die Kosten der Energiebereitstellung aus biogenen Gasen für alle betrachteten Varianten deutlich über denen von Erdgas liegen.

Der Vortrag von Ludger Eltrop (Universität Stuttgart, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung) war auf die Darlegung bestehender und künftiger technischer Potenziale für biogene Gase in Baden-Württemberg ausgerichtet. Schwerpunkt hierbei war eine Szenarioanalyse unter Annahme unterschiedlicher Entwicklungen der Rahmenbedingungen für das Potenzial und die Nutzung biogener Gase in Baden-Württemberg im Jahr 2020. Er ging davon aus, dass biogene Gase bei nachhaltiger Bewirtschaftung der Biomasseressourcen etwa 2,5 bis 5 Prozent des Strombedarfs in Baden-Württemberg decken könnten.

Zum Abschluss der Veranstaltung gab Thomas Jungbluth ein zusammenfassendes Resümee. Er betonte hierbei, dass die praktizierte Verknüpfung von Grundlagenforschung und praxisnaher Forschung innovativ war und zu wertvollen Ergebnissen geführt habe. Eine vollständige Bewertung der Prozesskette biogener Gase sei mit speziellem Bezug zu Baden-Württemberg weitgehend abgebildet und durchgeführt worden. Allerdings hätten nicht alle Fragen beantwortet werden können, vielmehr hätten sich neue Forschungsfragen gestellt. Er plädierte dafür, wieder ein eigenständiges Forschungsprogramm für die Biomassenutzung und die Bioenergie aufzulegen, wobei der Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft über die nachhaltige Nutzung der Biomasse und die technische und gesellschaftliche Integration der Nutzung von Biomasse intensiviert werden müsse.

3     Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass insbesondere der Umgang mit dem Zielkonflikt Nahrungs- oder Energieproduktion auch im Mittelpunkt der Diskussion um biogene Gase steht. Die Experten waren sich einig, dass dieses Konfliktpotenzial umso geringer sei, je mehr Koppelprodukte (z. B. Stroh) bzw. Rest- und Abfallstoffe in die Energieerzeugung mit einbezogen werden. Einigkeit gab es auch in dem Punkt, das für Baden-Württemberg bestehende bis dato noch nicht ausgeschöpfte Biomassepotenzial für die Erzeugung von biogenen Gasen in jedem Falle nachhaltig zu nutzen. Im Rahmen der Diskussion wurden besonders die Ergebnisse und die Bedeutung der technischen Systemanalyse positiv hervorgehoben.

Wie mehrfach erwähnt, kommt im künftigen Energiesystem der Speicherung von Energie aus Fotovoltaik und Windkraft eine besondere Bedeutung zu. Den Ausführungen zufolge scheint die Bioenergie auf einem guten Wege zu sein, hierzu einen Ausgleich schaffen zu können.

Auch wenn unter den derzeitigen Rahmenbedingungen biogene Gase einem ökonomischen Vergleich zu Erdgas nicht standhalten können, wurde betont, dass für Baden-Württemberg als Innovationsmotor für nachhaltige Mobilität gerade alternative Kraftstoffe und Antriebe eine besondere Relevanz besäßen.

Schuldig blieb die Wissenschaft die Antwort auf die Frage, ob und wie die Technik denn nun in die Praxis kommen könne. Sicherlich ist auch hier die Politik gefragt. So bleibt abzuwarten, wie die aktuelle grün-rote Landesregierung, welche Baden-Württemberg laut Koalitionsvertrag zu den führenden Energie- und Klimaschutzregionen ausbauen möchte, sich diesen Fragestellungen annehmen wird.

Anmerkung

[1]  Die Vorträge sind unter folgendem Link abrufbar: https://www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/menu/1319705_l1/index.html.