Grüne Gentechnik: Zwischen Forschungsfreiheit und Anwendungsrisiko

Tagungsberichte

Grüne Gentechnik: Zwischen Forschungsfreiheit und Anwendungsrisiko

Bericht von einer Klausurwoche des Instituts „Technik-Theologie-Naturwissenschaften“ an der LMU München
Gut Schönwag/Weilheim, 21.–26. Februar 2011

von Martin Knapp, ITAS

Das deutschlandweite Verbot der gentechnisch veränderten Maissorte MON810 hat in der Debatte um die Anwendung von Gentechnik im landwirtschaftlichen Kontext, die sog. Grüne Gentechnik, zu einer neuerlichen Thematisierung des Verhältnisses gesellschaftlicher Wahrnehmung von Risiken, wissenschaftlicher Forschung und politischer Entscheidungsfindung geführt. Dies nahm das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) zum Anlass, vom 21. bis 26. Februar 2011 im Tagungszentrum Gut Schönwag bei Weilheim in Oberbayern eine durch das BMBF geförderte wissenschaftliche Klausurwoche zum Thema „Grüne Gentechnik: Zwischen Forschungsfreiheit und Anwendungsrisiko“ durchzuführen. Hierzu kamen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler für sechs Tage zusammen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Grüner Gentechnik und gentechnisch veränderten Nutzpflanzen beschäftigen. Sie hatten im Rahmen der Klausurwoche Gelegenheit, sich im interdisziplinären Diskurs über die normativen Grundlagen der Forschungsfreiheit auszutauschen sowie angesichts einer konkreten Risikotechnologie deren gesellschaftlichen Wert zu begründen. Unter der Leitung von Stefan Schleissing und Herwig Grimm vom TTN sollten wesentliche Ergebnisse strukturiert und herausgearbeitet werden.[1]

1     Philosophische und naturwissenschaftliche Grundlagen der Forschungsfreiheit

Der erste Themenschwerpunkt der Klausurwoche war den Grundlagen der Forschungsfreiheit gewidmet, wobei zunächst die Sicht der Philosophie im Mittelpunkt stand. Torsten Wilholt, Privatdozent in der Abteilung für Philosophie der Universität Bielefeld, stellte im ersten Expertenvortrag grundlegende Zugänge und Begründungsansätze der Freiheit der Forschung im Diskurs um Risikotechnologien vor. Nach erkenntnistheoretischer Begründung schaffe nur diese die optimalen Bedingungen für die Erarbeitung wissenschaftlichen Wissens, nach politischer Begründung sei die Forschungsfreiheit notwendige Voraussetzung und Basis für möglichst rationale Entscheidungen. Anschließend diskutierte er beide Ansätze zusammen mit Argumentationen zur Begrenzung von Forschungsfreiheit in ihrer philosophischen Dimension und übertrug die so gewonnenen Erkenntnisse auf die konkrete Technologie Grüne Gentechnik. Als problematisch sah er dabei an, dass eine verlässliche Begründung des zu erwartenden Nutzens zurzeit nur durch Forschungsvorgänge erzeugt werden kann, deren Zuverlässigkeit selbst zur Debatte steht.

Thorsten Moos, Theologe an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. in Heidelberg, trug als erster Teilnehmender aus der Gruppe der Nachwuchswissenschaftler zu theologischen Aspekten der Forschungsfreiheit aus protestantischer Perspektive vor. Hierbei zeigte er auf, wie sich nach einer langen Tradition der innerkirchlichen Ablehnung von Forschungsfreiheit eine Haltung entwickelte, die die Freiheit des Geistes wertschätzt, zugleich aber der christlichen Ethik die Rolle eines Korrektivs gegenüber einem zu sorglosen Umgang mit der Schöpfung einräumt. Christian Dürnberger, Philosoph am TTN, referierte im Anschluss über die Bedeutung von Naturbildern in Technologiediskursen und die Problematik der Bewertung von Eingriffen in die Natur aufgrund verschiedener Definitionen des Naturbegriffs. Die normativen Implikationen, die mit dem Naturbegriff verbunden werden, spiegelten sich in den Diskussionen um die Grüne Gentechnik und erschwerten eine konfliktfreie Beurteilung von Eingriffen in die zwar als natürlich empfundene, aber kulturell überformte Umwelt. Der evangelische Theologe Moritz Menacher (Universität Heidelberg) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem spannungsgeladenen Verhältnis der Begriffe Natur und Schöpfung und diskutierte die Haltung der Kirchen und kirchlicher Funktionsträger zu Grüner Gentechnik. Natur sei als Wahrnehmung der Welt durch den Menschen definiert und als solche nicht gleichzusetzen mit der Schöpfung. Der biblische Bewahrungsauftrag könne vor diesem Hintergrund nicht dazu herangezogen werden, Forschung zu Grüner Gentechnik zu verbieten, da der ebenfalls in der Genesis begründete Herrschaftsauftrag nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Verpflichtung zur verantwortungsvollen Gestaltung impliziere.

Im zweiten Abschnitt standen mit der Risikoforschung im Bereich der Grünen Gentechnik die naturwissenschaftlichen Grundlagen für eine Bewertung der Forschungsfreiheit im Mittelpunkt. Inge Broer, Agrarbiotechnologin an der Universität Rostock, stellte in ihrem Expertenvortrag die Hintergründe der Züchtung und Zulassung von Pflanzensorten als Grundlage für biologische Risikoanalysen vor. In einem anschließenden Kurzworkshop wurde das so gewonnene Grundverständnis für die Methoden der Biosicherheitsforschung zur Grünen Gentechnik vertieft und anhand von Beispielen die Schwierigkeit verdeutlicht, unterschiedliche Ergebnisse naturwissenschaftlicher Untersuchungen zu bewerten und einzuordnen. Stefan Rauschen, Agrarökologe an der RWTH Aachen, verdeutlichte im Anschluss die Perspektive der angewandten Forschung zum Monitoring und zur Bewertung möglicher negativer Effekte der Freisetzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen, indem er die Voraussetzungen und praktische Vorgehensweise bei Risikostudien darlegte. Thomas Ott, Biologe am Genetischen Institut der LMU München, vertiefte dies mit einem Beitrag zur Grundlagenforschung zu MON810, in dem er neben möglichen ökologischen Risiken auch sozioökonomische Wirkungen thematisierte, wie z. B. die mögliche Abhängigkeit von Agrarkonzernen und den Zwang zum Saatgutkauf, wobei diese nicht immer gentechnikspezifisch seien, sondern oft mit der zunehmenden Technisierung der Landwirtschaft zusammenhingen. Christian Prasch, Biochemiker an der Universität Erlangen, behandelte in seinem Vortrag neben Anforderungen an die Gentechnik weitere naturwissenschaftliche Fragestellungen und thematisierte auch deren Stellenwert für die gesellschaftliche Debatte.

2     Öffentliche Wahrnehmung und rechtliche Bewertung Grüner Gentechnik

Die nachfolgenden Beiträge widmeten sich dem Risikodiskurs und der öffentlichen Wahrnehmung Grüner Gentechnik. In einem Expertenvortrag referierte der Soziologe Jürgen Hampel (Universität Stuttgart) über den Risikobegriff in der Debatte um Grüne Gentechnik und zur Divergenz von Experten- und Laieneinschätzungen. Während Risikoforscher versuchten, Risiken durch Dekontextualisierung objektivierbar und vergleichbar zu machen, verstärke eine subjektive individuelle Risikowahrnehmung in der Bevölkerung die Ablehnung Grüner Gentechnik, zumal ein potenzieller Nutzen auf kollektiver Ebene nicht gleichwertig wahrgenommen würde. Eine Einbeziehung sozioökonomischer Kriterien ins Zulassungsverfahren könne dem entgegenwirken, sei aber schwierig umzusetzen. Jobst Conrad vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin schloss sich mit Darstellungen zu Innovationsdynamiken und den sozialen Diskursen bei neuen Technologien an. Am konkreten Beispiel MON810 ging es hierbei besonders um die Diskrepanz von Risikobewertung und Risikowahrnehmung. Der Prozess der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen sei v. a. durch chancenorientierte Stakeholder-Diskurse geprägt, die der wissenschaftlichen Begründung geringen Risikos eher vertrauten, im Vordergrund des öffentlichen Risikodiskurses seinen jedoch als hoch empfundene Umwelt- und Gesundheitsrisiken dominierend.

In einem weiteren Schwerpunkt wurden die juristischen Aspekte des Spannungsfeldes Forschungsfreiheit und Grüne Gentechnik thematisiert. Ino Augsberg, Philosoph und Jurist an der LMU München, referierte in seinem Expertenbeitrag über den grundgesetzlich verankerten hohen Stellenwert der Forschungsfreiheit und ihren gesellschaftlichen Nutzen. Er hinterfragte auch kritisch den Ansatz wissenschaftliches Wissen über Risiken der Grünen Gentechnik als alleinige Entscheidungshilfe für die Politik heranzuziehen, da mit zunehmender Sicherheitsforschung v. a. das Wissen über das bisherige Nicht-Wissen ansteige, was insofern eher zu einer Zunahme statt einer Abnahme der Unsicherheit führe. Anschließend erläuterte Sebastian Mielke, Jurist an der Uni Augsburg, die rechtlichen Möglichkeiten und Schwierigkeiten im Bezug auf eine Einbeziehung sozioökonomischer Kriterien in die Zulassungsentscheidung für gentechnisch veränderte Pflanzen. Hierbei spielten insbesondere die Vorgaben des Gentechnikgesetzes (GenTG) und die Implikationen für die Forschungsfreiheit eine Rolle. Thomas Schwabenbauer, Jurist an der LMU München, widmete sich dem verfassungsrechtlichen Umgang mit Ungewissheit bei Risikotechnologien. Am Beispiel des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum GenTG vom 24.11.2010 leitete er die juristischen Rahmenbedingungen für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen ab. Dieses räume dem Gesetzgeber im Hinblick auf die gesetzliche Vorsorgepflicht durchaus die Möglichkeit ein, Einschränkungen der Forschungsfreiheit vorzunehmen und damit die Schutzperspektive zu stärken, lasse aber – aufgrund der Konflikte zwischen Wissen, Werten und Interessen – gleichzeitig auch die notwendigen Spielräume.

Zwei nun folgende Beiträge befassten sich mit den politisch-ökonomischen Perspektiven: Zunächst beleuchtete Steffi Ober, Referentin für Gentechnik und Naturschutz des Naturschutzbunds Deutschland (NABU), die Rolle der Forschungsfreiheit in Fragen der Sicherheit von Grüner Gentechnik angesichts des Spannungsfeldes von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Sie betonte die Wichtigkeit unabhängiger Forschung vor dem Hintergrund aktueller politischer Strategien. Barbara Brandl, Soziologin an der LMU München, thematisierte die Rolle der Biotechnologie vor dem Hintergrund des historischen Transformationsprozesses der Landwirtschaft. Saatgut sei durch die Radikalisierung der Wandlungsprozesse landwirtschaftlicher Produktionssysteme, zuletzt auch durch den Einsatz Grüner Gentechnik, nicht nur von einem Allmendegut zu einem privaten Gut geworden, vielmehr sei zusätzlich auch noch das Wissen über Innovationen bei dessen Erzeugung in den Händen weniger Verantwortlicher konzentriert worden, was eine Art Wissenskapitalismus darstelle.

3     Zukunftsbilder, Szenarien, Wissenschaftskommunikation, Lobbying, Umweltethik

Der nächste Schwerpunkt widmete sich Zukunftsbildern und Szenarien künftiger Nutzungen Grüner Gentechnik. Zunächst betrachtete Rolf Meyer, Agrarwissenschaftler am ITAS (Karlsruhe), in seinem Expertenvortrag die Grüne Gentechnik im Kontext landwirtschaftlicher Entwicklung, den Beitrag der Technikfolgenabschätzung zur Reflexion gesellschaftlicher Kontroversen und zeichnete konkrete Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Umsetzung sozioökonomischer Bewertungen auf. Martin Knapp, Biologe am ITAS, stellte in seinem Vortrag konkrete Ergebnisse aus Szenario-Workshops zu Grüner Gentechnik vor und zog aus den analysierten Wahrnehmungen und Perspektiven der in den Laiendiskursen erarbeiteten Zukunftsszenarien Schlussfolgerungen für die zukünftige Forschung und Anwendung in der deutschen Landwirtschaft bis 2025. Eine höhere und stabilere Akzeptanz Grüner Gentechnik, wahrscheinlich nur in bestimmten Sparten, sei demnach nur bei erkennbarem individuellen Nutzen für Verbraucher oder Gesamtgesellschaft, mit einer dialogorientierten Politik, bei einer langfristigen Erhaltung von Alternativen zur Grünen Gentechnik und durch die Erhöhung der Anzahl der Akteure in Forschung und Wirtschaft denkbar.

Sabine Gerber-Hirt, Kuratorin für Umwelt und Medizintechnik am Deutschen Museum in München, führte die Teilnehmenden im Rahmen einer halbtägigen Exkursion durch die Ausstellung „Nanotechnologie und Biotechnologie“ und leitete im Anschluss daran einen Workshop zum Thema Wissenschaftskommunikation, in dem ausgehend von einer kritischen Diskussion der Exponate diskutiert wurde, wie wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Technologien am besten vermittelt werden können. Im letzten Expertenvortrag der Klausurwoche referierte Juliana Veit, Politikwissenschaftlerin an der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft und Recht in Berlin, über eine politikfeldbezogene Untersuchung der Ressourcen und Einflussnahme von Interessensgruppen durch Lobbying im Bereich der Grünen Gentechnik auf EU-Ebene. Ausgehend von - aus Ressourcen- und Institutionentheorie entwickelten - Einflussfaktoren beleuchtete sie dabei die Rolle der gentechnikkritischen NGO Greenpeace und eines Interessenverbandes von Gentechnikunternehmen, EuropaBio, beim politischen Aushandlungsprozess zur Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen.

Axel Siegemund, Theologe und Referent bei der sächsischen evangelischen Landeskirche in Dresden, widmete sich mit dem Ansatz vom Risikodiskurs als Weltaneignung der Bedeutung und der Rolle von Technik und des Wissens über die Technologie für zukünftige Entwicklungen Grüner Gentechnik. Daniel Gregorowius, Umweltethiker an der ETH Zürich, betrachtete die Forschungsfreiheit im Spannungsfeld zwischen konsequentialistischen und deontologischen Positionen und stellte das Konzept der Umwelttugendethik als Möglichkeit zur Lösung dieses Spannungsfeldes vor. Die abschließenden Diskussionen befassten sich mit dem Verständnis von Ethik und naturwissenschaftlichem bzw. theologischen „Weltbild“ und ihrer Rolle bei der Urteilsbildung im Risikodiskurs um Grüne Gentechnik.

4     Fazit

Am konkreten Beispiel der Grünen Gentechnik wurde von Vertretern verschiedenster Disziplinen im Lauf der Klausurwoche ein schwieriges Spannungsverhältnis thematisiert. Dieses entsteht einerseits durch eine Einschränkung der Beforschung und Nutzung einer Technologie aufgrund bestehender oder möglicher Anwendungsrisiken und andererseits durch die grundgesetzlich verankerte Freiheit der Forschung, die eine Weiterentwicklung derselben erlaubt und gebietet. In den Vorträgen und Diskussionen wurde der hohe Wert deutlich, den die Forschungsfreiheit für eine Gesellschaft darstellt, und die daraus resultierende Schwierigkeit nachvollziehbar, auf die als gravierend empfundene Risiken im Zusammenhang mit Grüner Gentechnik in adäquater Weise einzugehen.

Andererseits führte die Betrachtung der Problematik in einem multidisziplinären Ansatz auch zu einer Erweiterung der Perspektiven und ließ dadurch mögliche Lösungsansätze für eine Auflösung des Dilemmas deutlich werden. Insbesondere fokussierten sich die Diskussionen während der Klausurwoche auf die Frage, inwieweit und auf welche Weise die Einführung sozioökonomischer Kriterien in die Bewertung Grüner Gentechnik Eingang finden kann, welchen Beitrag die jeweilige Disziplin hierfür zu leisten imstande ist und welche Vorteile und Schwierigkeiten sich hieraus ergeben könnten. Wesentliche Schlussfolgerungen und Lösungsansätze werden daher auch Eingang in den Tagungsband finden, der im Nomos-Verlag in der zweiten Jahreshälfte 2011 erscheinen wird.

Anmerkung

[1]  In Thesenpapieren hatten die 14 Teilnehmenden zuvor jeweils die Problemrahmung aus Sicht ihrer Disziplin verschriftlicht. Diese Thesen wurden im Lauf der Klausurwoche vorgetragen, kommentiert und diskutiert. Sieben Referate externer Experten ergänzten wesentliche Aspekte zu einzelnen Themenschwerpunkten.