Einführung in den Schwerpunkt

Schwerpunkt: Parasoziale Beziehungen mit pseudointelligenten Softwareagenten und Robotern

Intelligente Artefakte als Herausforderung für Soziologie und TA

Einführung in den Schwerpunkt

von Knud Böhle, ITAS, und Michaela Pfadenhauer, Institut für Soziologie, Medien- und Kulturwissenschaft, KIT

1     Eine Anfrage an die Soziologie

Technikfolgenabschätzung beschäftigt sich generell mit den Folgen wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen und ihres Einsatzes in unterschiedlichsten Feldern. Das Interesse an Folgen schließt intendierte Folgen, einkalkulierte Nebenfolgen und insbesondere auch nichtintendierte, häufig unerwünschte Folgen ein, die – so der Anspruch an TA – in einem frühen Stadium antizipiert werden sollen.

Technikfolgenabschätzung, die als Politikberatung auftritt, interessiert sich für wissenschaftlich-technische Entwicklungen unter dem Gesichtspunkt ihrer politischen Relevanz und Gestaltbarkeit. Politisch relevant in diesem Sinne sind etwa Entwicklungen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden oder konfliktträchtig sind. Von Interesse sind auch neue Technologien, die systemische Risiken bergen. Nicht selten geht es in der TA um wissenschaftlich fundierte Hinweise für die Förderpolitik.

Autonome, intelligente Artefakte sind ohne Frage ein relevanter Gegenstand für TA. Beiträge der Soziologie zu diesem Themenfeld sind sehr willkommen. Hilfreich sind insbesondere empirische Untersuchungen der Veränderungen, die intelligente Artefakte in konkreten Anwendungsfeldern bewirken. Darüber hinaus besteht ein Bedarf an soziologischer Diagnostik im Zusammenhang mit dem Anspruch der TA, gerade die nicht-intendierten Folgen abzuschätzen. Eine Soziologie, die Wissen über soziale Mechanismen, Komplexität und systemisch erzeugte Risiken bietet, ist dieser Art der Folgenabschätzung zuträglich. Eine Präferenz für eine bestimmte soziologische Schule ist damit nicht verbunden.

Die Debatte um intelligente (interaktive, adaptive, autonome, lernfähige) technische Artefakte, die letztlich allesamt Computeranwendungen darstellen, ist nicht neu, sondern lässt sich bis in die Anfänge der Kybernetik, Systemtheorie und Technikphilosophie zurückverfolgen.[1]

Auch die Soziologie hat sich immer wieder mit Entwicklungen der KI befasst.[2] Ende der 1980er Jahre wurde bereits die erste Debatte zur Frage der Interaktion von Mensch und PC geführt.[3] Noch länger gibt es einen anhaltenden Diskurs zur Handlungsträgerschaft von Technik.[4] Insgesamt kann ein zunehmendes Interesse in der Soziologie an den Beziehungen mit „non-humans“ konstatiert werden (Cerulo 2009).

Die steigende Leistungsfähigkeit solcher Artefakte, ihr zunehmender Einsatz in speziellen Anwendungsfeldern und insbesondere ihr Einzug in Bereiche des Alltagslebens markiert dennoch infolge der damit gesteigerten praktischen Relevanz ein neues Kapitel. In diesem Schwerpunkt werden aktuelle, theoretisch und empirisch anspruchsvolle soziologische Arbeiten (und eine philosophische) mit Relevanz für die Technikfolgenabschätzung versammelt, die sich den neuen Herausforderungen stellen.

Mit den Präfixen „para“ und „pseudo“, die wir absichtsvoll im Titel des Schwerpunkts verwenden, sollen – ebenso wie mit den häufig anzutreffenden Anführungszeichen – bereits die bei dem Thema mitschwingenden Fragen nach metaphorischer Redeweise, realer Zuschreibung und ontologischem Status unterschiedlicher intelligenter Artefakte anklingen.[5]

2     Was jeder kennt – was auf uns zukommt

Auch wenn das Gros der Leserinnen und Leser dieser Zeitschrift noch keinen Serviceroboter für sich hat arbeiten lassen, dürften doch viele schon intelligenten Artefakten in ihrem durch Telekommunikation und Internet geprägten Alltag begegnet sein. Interaktionen mit Softwareagenten, die als personae auftreten, sind in Onlinespielen, „sozialen Netzwerken“ und Online-Computerspielen weit verbreitet. Den sich möglicherweise einstellenden Schauder absichtsvoll einkalkulierend, präsentieren zwei Psychologen in einem aktuellen Buch zur virtuellen Realität folgende zwei Begebenheiten: In dem einen Fall lässt ein Popcorn-Hersteller eine 1995 verstorbene werbewirksame Person (Orville Redenbacher) in seinen aktuellen Werbespots als synthetischen Charakter „lebensecht“ auftreten. Im zweiten Fall soll ein dreizehnjähriges Mädchen Selbstmord begangen haben, nachdem es feststellen musste, dass sie eine Online-Beziehung nicht mit einem Jungen, sondern mit einem computergenerierten Charakter unterhielt (Blascovich, Bailenson 2011, S. 4f.).

Nicht weniger folgenreich als die Perfektionierung solcher Täuschungsmanöver dürfte die sich abzeichnende Einbindung von Menschen und intelligenten Artefakten in quasi-kybernetische Regelkreise sein. Eine Forschungsrichtung, die sich damit befasst, ist als „affective computing“ (Picard 2003) bekannt geworden. Hier wird die Adaptionsfähigkeit der technischen Artefakte dadurch hergestellt, dass sie über Sensoren personenbezogene Daten erfassen, diese etwa per Mustererkennung psychischen Zuständen zuordnen und daraus situationsgerechte Reaktionen ableiten. Computer-generierte Charaktere mögen dabei ihrerseits Anzeichen von Gefühlen zur Darstellung bringen. Eine Steigerung erfährt diese Rückkopplung, wenn, wie dies beim physiologischen und neurophysiologischen Computing der Fall ist, vermehrt nicht bewusst gesteuerte Prozesse des menschlichen Körpers (Temperatur, Herzschlag, Atmung, Haltung, Hirnaktivitäten etc.) ausgewertet werden, um die Adaptabilität zu steigern.

Eine andere folgenreiche Entwicklung zeichnet sich in Forschungen ab, die von Mensch-Maschine-Interaktionen zu Mensch-Maschine-Beziehungen fortschreiten wollen, wie es etwa das erklärte Ziel des im Rahmen des Siebten Forschungsrahmenprogramms der EU geförderten „Companion-Projekts“ der Fall ist. Damit intelligente Artefakte Beziehungen mit Personen aufnehmen und auf Dauer durchhalten können, werden „personification technologies“ entwickelt.

„Personification technologies enable intelligent interaction with people in terms of speech and language, gesture and other forms of touch, and nonspeech audio. They are believable, intuitive, and convivial conversational partners. They are autonomous and personality rich. They will be sensitive to emotion in speech and will be capable of demonstrating emotional/affective behaviour through speech.” (Benyon, Mival 2008, S. 3658)

Ohne Dramatisierung und überschwängliche Rhetorik wird auch in der Soziologie die Diagnose gestellt, dass sich durch die Zunahme intelligenter Artefakte unsere Gesellschaft erheblich verändern wird.

In handlungstheoretischer Perspektive formuliert Ingo Schulz-Schaeffer die Erwartung, dass aufgrund bestimmter Fähigkeiten technischer Artefakte mit einer Zunahme einer Form der Akteursdeutung und der Handlungszuschreibung zu rechnen sei, die das „anthropologische Apriori des Handlungssubjekts“ nicht mehr voraussetzt:

„Mit der zu erwartenden weiteren Zunahme der Fähigkeit technischer Artefakte zur reflexiven Bezugnahme auf die eigenen Steuerprogramme und die Zunahme ihrer Fähigkeiten, unterschiedliche Situationen der Delegation hinreichend zutreffend zu erkennen (z. B. als Fähigkeit zur personalisierten Interaktion mit Nutzern), dürfte diese Reichweite [dieser Form der Handlungszuschreibung, d. A.] sich zukünftig beträchtlich ausweiten.“ (Schulz-Schaeffer 2007, S. 520)

In systemtheoretischer Perspektive äußert Dirk Baecker eine nur auf den ersten Blick ähnliche Erwartung, dass künftigen Computern eine bislang Menschen vorbehaltene Fähigkeit eignen werde:

„Wichtig ist, dass der gedächtnisfähige Computer, der in der Gesellschaft mitzukommunizieren beginnt, wie man dies bisher nur von Menschen kannte, für diese Kombination von rekursiver Selbstreferenz und robuster Intransparenz das Paradigma wird, an dem sich schult, was dann Struktur und Kultur der nächsten Gesellschaft heißen kann.“ (Baecker 2007, S. 9)

3     Zu den Beiträgen

In den Beiträgen dieses Schwerpunktes stehen drei ineinander verwobene Stränge technologischer Entwicklung im Vordergrund: Erstens geht es um „Softwareagenten“, die als Schnittstellen zu Computeranwendungen dienen, wobei die Anwendungszwecke variieren. Häufig fungiert der Softwareagent nur als Bedienhilfe und bietet einen einfachen Zugang zu den Leistungen eines komplexen Programms. In anderen Fällen wird ein Softwareagent eingesetzt, um ein menschliches Gegenüber im interaktiven Austausch in Bereichen wie Lernen, mediale Unterhaltung, Spielen, Konversation und Therapie zu substituieren.

Zweitens geht es um Roboter. Insbesondere bei jenen adaptiven, lernfähigen und mit Autonomiegraden ausgestatteten Robotern, die in so unterschiedlichen Feldern wie im Haushalt, in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen sollen, ist der Zweck der Substitution eine wesentliche Triebkraft der Entwicklung.

Ein dritter Entwicklungsstrang zielt auf intelligente Artefakte, die ohne unmittelbare Bedienung und Steuerung unauffällig in Handlungsumgebungen integriert werden sollen. In Leitbildern wie „ubiquitous computing“, „pervasive computing“, „ambient intelligence“ oder „augmented reality“ kommt diese Zielsetzung in unterschiedlichen Akzentsetzungen zum Ausdruck.[6]

Im Schwerpunkt folgen auf zwei theoretisch ausgerichtete Beiträge, die wir an den Anfang stellen, eine Reihe von Beiträgen, die sich – ebenfalls theoretisch ambitioniert – auf konkrete Artefakte beziehen, die wir nach deren „Materialität“ angeordnet haben – angefangen bei „augmented reality“ über Konversationsagenten, Fahrerassistenzsysteme und Serviceroboter bis hin zu neuen Waffensystemen. Gemeinsam ist den Beiträgen, dass in ihnen ein expliziter Bezug zur Technikfolgenabschätzung hergestellt wird.

Mathias Gutmann, mit dessen Beitrag wir beginnen, hat eine Professur für Technikphilosophie am KIT inne und leitet dort eine Forschergruppe zu „Autonomen technischen Systemen “. Als Philosoph lässt er sich dem „Methodischen Kulturalismus” zurechnen, der einen handlungstheoretischen Ansatz verfolgt.

Für seine Argumentation löst er das titelgebende Stichwort „parasozial“ aus dem engen Kontext der Fernsehforschung, in dem es in den 1950er Jahren entstanden ist, und reflektiert es im Hinblick auf interaktive technische Medien, die in der Rolle von menschlichen Akteuren auftreten, und auf technische Artefakte, denen menschliches Handlungsvermögen attribuiert wird. Die Terminologie könne eine der Substitution sein, was aber nichts daran ändere, dass es um eine metaphorische Beschreibung technischer Artefakte in der Form des „als ob“ gehe.

Die Rede von „parasozialen“ Interaktionen und Beziehungen setze soziales Handeln als Maßstab voraus und charakterisiere „parasoziale Interaktionen“ durch „intrinsische Asymmetrie“. Entscheidend sei, dass parasoziale Relationen immer in soziales Handeln eingebettet sind, was ersichtlich werde, wenn man den mikrosoziologischen Blick von der parasozialen Relation auf den Bereich der Zwecksetzungen der Hersteller entsprechender Artefakte lenke. Die Beurteilung des Einsatzes technischer Artefakte „als handelnde Akteure“ wäre dann etwa an der Einflussnahme auf soziales Handeln durch solche technischen Mittel zu orientieren. In solch einer Perspektive bliebe die Mittelstellung der Artefakte als technische Mittel sichtbar und wären Beurteilungen der Zweck-Mittel Relation möglich. Gutmann warnt aus sprachanalytischen Gründen davor, den Modus des „als ob“ auf der Beschreibungsebene aufzugeben, und äußert sich skeptisch gegenüber Ansprüchen, intelligente Artefakte etablieren zu wollen, bei denen die Technik nicht mehr technisches Mittel wäre.

Dirk Baecker ist einer der renommiertesten Soziologen Deutschlands und als Vertreter der soziologischen Systemtheorie bekannt. Derzeit forscht und lehrt er an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Immer wieder hat er sich auch mit techniksoziologischen Fragestellungen befasst (Baecker 1995; Baecker 2011).

Das Interesse gilt in seinem Beitrag einer Gesellschaft, in der nicht mehr nur Menschen – in einem anspruchsvollen Sinne und ohne Anführungszeichen – kommunizieren. Er geht davon aus, dass es die Kommunikationsmedien sind, die die Herausbildung gesellschaftlicher Strukturen und kultureller Formen entscheidend bestimmen. Wie die moderne Gesellschaft durch die Druckpresse geprägt sei, so die nächste Gesellschaft durch den Computer. Charakteristikum der neuen Formation werde es sein, dass in ihr nicht nur Menschen, sondern auch Computer die nötigen Voraussetzungen erfüllen, um zu kommunizieren und an Kommunikation teilzunehmen.

Baecker entwickelt in dem Artikel präzise das für seine Argumentation nötige begriffliche Instrumentarium: Selektivität, Rekursivität und Schließung für die Bestimmung von Kommunikation; Unabhängigkeit, Selbstreferenz und Komplexität als Bedingungen für die Teilnahme an Kommunikation. Ihm ist es gerade nicht darum zu tun, mit einem „verbilligten“ Kommunikationsbegriff die Eintrittsschwelle für Computer abzusenken – auch wenn das bedeutet, dass heutige Exemplare den Qualifikationstest wahrscheinlich eher nicht bestehen.

Die Autoren der Forschergruppe um Arno Bammé, der das Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität leitet, befassen sich nicht erst in jüngster Zeit mit der Handlungsträgerschaft von Technik (Berger, Getzinger 2009). Manchem dürfte noch der Titel „Maschinen-Menschen Mensch-Maschinen. Grundrisse einer sozialen Beziehung“, an dem Bammé maßgeblich mitwirkte, in Erinnerung sein (Bammé et al. 1983).

In ihrem Beitrag lenken sie die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Umwelt in menschlichem Denken und Handeln und stellen in diesem Zusammenhang anhand zweier Beispiele („augmented reality“ und „embodied conversational agents“) auf bestimmte Eigenschaften intelligenter Artefakte ab. Das Designziel bei der Entwicklung intelligenter Artefakte sei nicht per se Menschenähnlichkeit oder die perfekte Nachahmung einer natürlichen Umwelt, sondern eben die – implizite oder explizite – Identifikation und Nachahmung der für das Gelingen der Interaktion relevanten Eigenschaften. Das Quasi-Natürliche kann demnach der Interaktion unter Umständen dienlicher sein als eine zu weit getriebene Menschenähnlichkeit. Auch das Changieren zwischen sozialen und technischen Formen der Interaktion mit einem Konversationsagenten mag sich in bestimmten Situationen gerade als angemessen erweisen.

Der Beitrag Antonia Krummheuers schließt hieran nahtlos an. Sie ist seit 2009 Assistenzprofessorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt am Institut für Kultur-, Literatur- und Musikwissenschaft und befasste sich bereits in ihrem Promotionsprojekt wie auch für dieses Heft mit dem Austausch zwischen menschlichen Akteuren und virtuellen Agenten.

Der konkrete Gegenstand ihrer dem interpretativen Paradigma verpflichteten Analyse ist der an der Universität Bielefeld entwickelte Konversationsagent „Max“. Für das, was sie beobachtet, verwendet sie als Arbeitsbegriff den Ausdruck „hybrider Austausch“, um einerseits das flache Interaktionskonzept der Informatik zu vermeiden und andererseits Distanz zum soziologisch ausgearbeiteten Begriff „künstlicher Interaktion“ zu wahren, der ihr zu voraussetzungsvoll für das erscheint, was sich im Umgang mit Max beobachten lässt.

Ihre Analysen zeigen, dass die Unterstellung „künstlicher Interaktion“ derzeit nur punktuell für den Austausch mit Max zutrifft. Das mag sich mit der Zeit ändern und Konversationsagenten mögen sich für „künstliche Interaktion“ qualifizieren. Noch hängt der Erfolg des Austauschs häufig aber gerade davon ab, dass es den Nutzern gelingt, die Programmstrukturen des Agenten zu erkennen und sich diesen anzupassen. Krummheuer schlägt deshalb vor, sprachliche Mittel zu finden, die den technischen Charakter des Austauschs weiterhin verdeutlichen, ohne dass dabei die Interaktivität des Agenten über- oder untertrieben wird.

Im darauffolgenden Beitrag befassen sich der Techniksoziologe und TA-Experte für Verkehrssysteme Johannes Weyer und der Informatiker Robin Fink, beide an der Technischen Universität Dortmund im Fachgebiet Techniksoziologie tätig, mit der Interaktion von Mensch und autonomer Technik.

Mit zunehmend autonomer werdender Technik ist auch die Frage nach der Handlungsträgerschaft von Technik neu zu stellen. Die Soziologie steht damit vor der Aufgabe, methodisch stimmige Modelle hybrider Akteurskonstellationen zu entwickeln, die aus einer Verschränkung von menschlichen Akteuren und nicht-menschlichen Aktanten bestehen. Es interessierten vor allem die Praktiken, mittels derer die Menschen der Technik Handlungsfähigkeit zuschreiben.

Um dies zu untersuchen erweitern Weyer und Fink das Modell soziologischer Erklärung von Hartmut Esser für hybride Systeme und implementieren es als Computersimulation. Damit schaffen sie eine Testumgebung, in der Hypothesen über Zuschreibungsprozesse empirisch untersucht werden können. Ihr Anwendungsfall ist die Interaktion mit einem Fahrerassistenzsystem. Damit wird der Anspruch verbunden, nicht nur die Mikroebene, sondern auch das Gesamtverhalten des hybriden Systems (Mesoebene) und künftig auch aggregierte Effekte auf der Makroebene des Systems Straßenverkehr (etwa ein Verkehrsstau) erforschen zu können.

In seinem Beitrag präsentiert Martin Meister, wissenschaftlicher Koordinator für Innovationsforschung am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der Technische Universität Berlin, Überlegungen im Anschluss an seine Promotionsarbeit zum Thema „Flexible Serviceroboter. Muster der Entstehung und Stabilisierung einer hochtechnologischen Innovationsarena“.

Obwohl der Einzug von Servicerobotern in unseren Alltag eine folgenreiche Entwicklung ist, die nach Beteiligung sozialwissenschaftlicher Begleitforschung ruft, findet derzeit, so seine Diagnose, ein produktiver Austausch zwischen den Ingenieurswissenschaften und den Sozial- und Geisteswissenschaften praktisch nicht statt. Dies liegt ihm zufolge nicht zuletzt daran, dass der Diskurs über Roboter bislang von zwei sich unvermittelt gegenüberstehenden Lagern dominiert wird, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht auf den Einsatz von Technik in konkreten Anwendungskontexten mit spezifischen Nutzern einlassen.

Die neuere Techniksoziologie habe das Potenzial, diese Kluft zu überbrücken. Theoretisch sind die Begriffe der verteilten Handlungsträgerschaft und der „Interaktivität“ (im Unterschied zu Interaktion) zentral. Sie ermöglichen eine Modellierung avancierter Roboter, bei der das Handeln der Menschen, die Aktionen des Roboters und die des Prozesses zwischen beiden als wechselseitige Anpassung beschrieben werden könnten. Damit diese techniksoziologische Perspektive nicht nur als kritischer Kommentar Niederschlag findet, sondern praktisch wirksam wird, seien Orte und Ansätze in der Roboterforschung zu suchen, die den Beitrag der Soziologie auch als nützlich für die eigenen Zwecke erkennen. Meister identifiziert und erläutert drei solcher Ansatzpunkte.

Hans Geser, dessen Beitrag den Schwerpunkt abschließt, lehrt seit 1986 am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Seine Aufmerksamkeit gilt immer wieder auch aktuellen technischen Entwicklungen: In den 1980er Jahren untersuchte er etwa die Interaktion von Mensch und Computer, es folgten eine Soziologie des Mobiltelefons, Arbeiten zur Identität in Second Life, zu Wikipedia, zur Partnersuche im Internet, zu virtuellen Gedenkstätten im Internet und zur „augmented reality“.

Ohne diesen Begriff zu gebrauchen, skizziert Geser die Linien einer Technikfolgenabschätzung zu semiautonomen Waffensystemen. Kriegsroboter, die als autonom handlungsfähige Gefechtsteilnehmer ernstzunehmen wären, seien heute und auch in absehbarer Zukunft nicht in Sicht. Vorstellungen von Robotersoldaten und Roboterarmeen verkennen ihm zufolge, dass moderne Kriegssituationen dafür besonders geringe Realisierungschancen bieten. Die Einsicht, dass gerade die Alltagswelt die KI und Roboterforschung vor größte Probleme stellt, die nur dadurch zu lösen sind, dass intelligente Agenten in klar abgrenzbaren und gut formalisierbaren Aufgabenbereichen zum Einsatz kommen, gilt noch weit mehr für Kriegssituationen, die durch ihre Unberechenbarkeit gekennzeichnet sind und „spontane“ Reaktionen auf der Basis persönlicher Intuition und Erfahrung erforderten. In der Realität kommt semi-autonomen Waffensystemen größere Bedeutung zu, die zumindest annäherungsweise als „derivierte“ Akteure betrachtet werden können, da sie in einem variablen, immer vom Menschen bestimmten Spielraum selbständige Wahrnehmungen und Entscheidungen vollziehen. Abschließend weist Geser auf drei Probleme im Zusammenhang mit dem Einsatz von Kriegsrobotern hin: Erstens verschärften diese Waffen den Asymmetriegrad kriegerischer Konflikte, zweitens könnten die Roboter die Verletzlichkeit des Angreifers insofern erhöhen, als die Roboter „gehackt“ werden könnten, und drittens ginge mit Kriegsrobotern eine nicht zu tolerierende unscharfe Diffusion der Verantwortlichkeit einher.

Die Beiträge insgesamt liefern erhellende Einblicke in unterschiedliche soziologische Zugänge zum Thema des Schwerpunkts. Aus ihnen wird aber auch ersichtlich, wo noch weitere Forschungsarbeit von Soziologie und Technikfolgenabschätzung zu leisten wäre. Entwicklungen in der Informatik wie „personification technologies“, „affective computing“, „embedded computing“ wären als Leitbilder (Böhle 2003) zu analysieren – bis in technische Fragestellung hinein, etwa derart, ob es bei „artifizieller Interaktivität“ um Simulationen oder Realisationen geht.[7] Desweiteren ist ein Forschungsbedarf im Mittelfeld zwischen Gesellschaftstheorie und soziologischer Interaktionsforschung erkennbar. Es besteht Bedarf an Untersuchungen, die sich den größeren Kontext der vielfältigen Perspektiven, Zwecksetzungen und Interessen bei Entwicklung, Einführung und Nutzung vornähmen. Ob das über Organisations- oder Konstellationsanalysen (Olhorst et. al 2007) oder aber über die Explikation der systemischen Mechanismen erfolgt, die den fortschreitenden Einsatz intelligenter Artefakte und die Entwicklung kommunikationsfähiger Computer erwarten lassen: Für die Technikfolgenabschätzung wären Ergebnisse hierzu aus allen Sparten der Soziologie von größtem Interesse.

Anmerkungen

[1]  Ein kurzer Abriss der Geschichte der KI und intelligenter Artefakte findet sich in Böhle et. al 2010. Zum Zusammenhang von Kybernetik und Technikphilosophie siehe etwa die Arbeiten von Erich Hörl, z. B. Hörl 2008.

[2]  Siehe etwa die Beiträge in Rammert 1995.

[3]  Siehe etwa Geser 1989 und Fuchs 1991.

[4]  Ausführlich dazu Schulz-Schaeffer 2007.

[5]  Zum aktuellen Stand der Forschung zu den parasozialen Beziehungen vgl. Hartmann 2010.

[6]  Dazu grundlegend und im Überblick Wiegerling 2011; s. auch Friedewald et al. 2010.

[7]  Vgl. zu dieser Unterscheidung im Anschluss an Howard Pattee Mehler 2010.

Literatur

Baecker, D., 1995: Über Verteilung und Funktion der Intelligenz im System. In: Rammert, W. (Hg.): Soziologie und künstliche Intelligenz. Produkte und Probleme einer Hochtechnologie. Frankfurt a. M., S. 161–186

Baecker, D., 2007: Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt a. M.

Baecker, D., 2011/i. E.: Technik und Entscheidung. In: Hörl, E. (Hg.): Die technologische Bedingung: Wissen und Existenz in hypertechnischer Welt [Arbeitstitel], Frankfurt a. M.; http://www.dirkbaecker.com/Technik.pdf (download 4.4.11)

Bammé, A.; Feuerstein, G.; Genth, R. et al., 1983: Maschinen-Menschen. Mensch-Maschinen. Grundrisse einer sozialen Beziehung. Reinbek

Benyon, D., Mival, O., 2008: Landscaping personification technologies: From interactions to relationships. Conference on Human Factors in Computing Systems. Florence, Italy, April 05–10, 2008 – Proceedings. New York, S. 3657–3662

Berger, W., Getzinger, G. (Hg.), 2009: Das Tätigsein der Dinge. Beiträge zur Handlungsträgerschaft von Technik. Wien

Blascovich, J.; Bailenson, J., 2011: Infinite Reality: Avatars, Eternal Life, New Worlds, and the Dawn of the Virtual Revolution. New York

Böhle, K., 2003: Über eCash und elektronisches Bargeld. Zum Verhältnis von Innovation und Leitbild. In: Dittrich, K.; König, W.; Oberweis, A. et al. (Hg.): Informatik 2003. Innovative Informatikanwendungen. Beiträge der 33. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik, 29.9.–2.10.2003, Frankfurt a. M., S. 128–136

Böhle, K.; Coenen, Chr.; Decker, M.; Rader, M., 2010: Engineering of Intelligent Artefacts. In: European Parliament STOA (Hg.): Making Perfect Life. Bio-Engineering (in) the 21st Century. Brüssel 2010, S. 128–167

Cerulo, K.A., 2009: Nonhumans in Social Interaction. In: Annual Review of Sociology 35 (2009), S. 531–552

Friedewald, M.; Raabe, O.; Koch, D.J. et al., 2010: Ubiquitäres Computing. Das „Internet der Dinge“ – Grundlagen, Anwendungen, Folgen. Berlin

Fuchs, P., 1991: Kommunikation mit Computern? Zur Korrektur einer Fragestellung. In: Sociologia Internationalis 29/1 (1991), S. 1–30

Geser, H., 1989: Der PC als Interaktionspartner. In: Zeitschrift für Soziologie, 18/3 (1989), S. 230–243

Hartmann, T., 2010: Parasoziale Interaktion und Beziehungen. Baden-Baden

Hörl, E., 2008: Die offene Maschine. Heidegger, Günther und Simondon über die technologische Bedingung. In: Modern Language Notes 123/3 (2008), S. 632–655

Mehler, A., 2010: Artifizielle Interaktivität. Eine semiotische Betrachtung. In: Sutter, T.; Mehler, A. (Hg.): Medienwandel als Wandel von Interaktionsformen. Heidelberg

Ohlhorst, D.; Nölting, B.; Meister, M. et al., 2007: Handbuch Konstellationsanalyse: Ein interdisziplinäres Brückenkonzept für die Nachhaltigkeits-, Technik– und Innovationsforschung. München

Picard, R.W., 2003: Affective Computing: Challenges. In: International Journal of Human-Computer Studies 59/1–2 (2003), S. 55–64

Rammert, W. (Hg.), 1995: Soziologie und künstliche Intelligenz. Produkte und Probleme einer Hochtechnologie. Frankfurt

Schulz-Schaeffer, I., 2007: Zugeschriebene Handlungen. Ein Beitrag zur Theorie sozialen Handelns. Weilerswist

Wiegerling, K., 2011: Philosophie intelligenter Welten. München

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Knud Böhle, Dipl.-Soz., M.A.
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