Sozialität durch technische Systeme?

Schwerpunkt: Parasoziale Beziehungen mit pseudointelligenten Softwareagenten und Robotern

Sozialität durch technische Systeme?

von Mathias Gutmann, Institut für Philosophie, KIT

Zentrale begriffliche Strukturen der Rede über parasoziale Interaktionen werden herausgearbeitet und resultierende Engführungen nicht-rekonstruktiver Verwendung dargestellt. Auf der Grundlage dieser präskriptiven Strukturen wird die Möglichkeit der Überführung parasozialer in soziale Interaktionen durch den Einsatz technischer Systeme besonderer Form erörtert. Dies führt zu einer kritischen Würdigung der Überlegungen von Horton und Wohl (1956), die zugleich deren mögliche Aktualität deutlich werden lässt.

I

Die folgenden Überlegungen sind angeregt durch die Erwägung der Möglichkeit, technische Systeme als Medien der Überwindung parasozialer Beziehungen anzusprechen. Dabei soll das besondere Augenmerk weder auf einer korrekten Definition des Begriffes „parasozial“ noch seiner angemessenen empirischen Nutzung liegen, denn beides überstiege die Aufgabe philosophischer Reflexion. Zu deren originärem Anliegen aber gehört die Frage nach dem methodologischen Ort des Ausdruckes „Parasozialität“ und den damit verbundenen begrifflichen Vorentscheidungen. Einige Vorüberlegungen zur Klärung dieser – wissenschaftstheoretisch durchaus relevanten Frage – sollen im Weiteren entfaltet werden.

II

Sieht man von der – empirisch vermutlich gut begründbaren, aber systematisch kontingenten – Tatsache ab, dass ursprünglich bestimmte technische Medien[1] (etwa Fernsehen und dabei besondere Sendeformate) den Fokus der Bemühungen bei der Einführung des Ausdruckes „parasozial“ bildeten, lässt sich die damit verbundene Einschränkung seines Skopus auf zweierlei Weisen aufheben:

  1. Zum einen sind die von Horton und Wohl (1956) zumindest angedeuteten Charakteristika parasozialen Verhaltens kaum auf ein bestimmtes technisches Medium zu begrenzen.[2] Es lassen sich auch andere Formen der Bereitstellung von Personis denken, die in gewisser Hinsicht – als fiktionale Charaktere nämlich – ohnehin der einschlägigen Traditionslinie entstammen[3]; die größere „Lebensnähe“ des Mediums Fernsehen leitet in dieser Hinsicht möglicherweise die Anschauung fehl. Dies wird auch durchaus konzediert, wobei sich im Vergleich zum klassischen Drama sowohl Differenz wie Identität herausarbeiten lassen. Die Differenz zum „klassischen“ Drama bezieht sich im wesentlichen auf die „aesthetic illusion“, welche durch den Verlust der situativen Referenz zustande komme: 

    „The ‘personality’ program, unlike the theatrical drama, does not demand or even permit the aesthetic illusion – that loss of situational reference and self-consciousness, in which the audience not only accepts the symbol as reality, but fully assimilates the symbolic role. The persona and his staff maintain the parasocial relationship, continually referring to and addressing the home audience as a third party to the program; and such references remind the spectator of his own independent identity. The only illusion maintained is that of directness and immediacy of participation.” (Horton, Wohl 1956, S. 218f.)

    Hinzu kommen weitere Aspekte, wie etwa eine gewisse Okkasionalität des personality programs, die auf den Nutzungszusammenhang[4] anspielen:

    „The ‘personality’ program – in contrast to the drama – is especially designed to provide occasion for good-natured joking and teasing, praising and admiring, gossiping and telling anecdotes, in which the values of friendship and intimacy are stressed.” (Horton, Wohl 1956, S. 222f.)

    Bei solchen Abgrenzungsversuchen ist allerdings zu bemerken, dass die Autoren lediglich bestimmte Typen des klassischen Dramas vor Augen haben konnten, welche vermutlich schon die Komödie in all ihren Spielarten kaum umfassen. Bedenkt man ferner die ganze Spannweite moderner Dramen- und Aufführungskonzeption, erscheint dies um so weniger hinreichend, als gerade die Überwindung der – zumindest für das bürgerliche Drama (das Musikdrama eingeschlossen) – konstitutiven Differenz von Zuschauer, Schauspieler und Autor bis hin zur echten performativen Interaktion, als wichtiges Anliegen verstanden werden kann.
  2. Zum zweiten ließen sich mühelos wenn nicht aktuelle so doch potenzielle Realisate von Medien anzeigen, welche die spezifischen Beschränkungen des Fernsehens weit hinter sich lassen. Folgt man einer Überlegung von Neuberger (2007), läge ein besonderes Potenzial gewisser Techniken, die ihrerseits nicht mehr nur konsumiert werden, sondern eine interaktive Struktur aufweisen, darin, die Differenz zur „direkten Kommunikation“ ebenso zu überwinden, wie jene zwischen „objektiven Eigenschaften eines Mediums und subjektiver Nutzerwahrnehmung“ (Neuberger 2007, S. 44). Dies legte es in der Tat nahe, parasoziale Verhältnisse im Rahmen geeigneter technischer Realisierung sozialen zumindest anzuähneln. 

Es kann hier weder die Aufgabe sein, Definitionsprobleme empirischer Disziplinen mit philosophischen Mitteln zu bearbeiten, die dem Erkenntnisinteresse dieser Disziplinen fremd sind. Noch ist es das Anliegen, die resultierenden Anwendungsprobleme durch Erweiterung der Nutzung jener Ausdrücke zu vergrößern, welche die angezeigten Schwierigkeiten erst erzeugten. Vielmehr sei für das Folgende ein Hinweis Neubergers (2007) aufgenommen, der die Unterscheidung von sozial und parasozial bezüglich der Struktur der investierten Technik selber betrifft.

III

Danach könnte mit der Einführung von Techniken, die in der Rolle von Agenten oder Akteuren aufzutreten scheinen, gerade jene Grenze überschritten werden, die dem „passiven“ Medium des Fernsehens eignet, und die es immer wieder zum Gegenstand mehr oder minder aufgeregter kulturkritischer Debatten werden lässt:

„So stellt sich die Frage, wie Simulationen interaktiver Kommunikation von Nutzern interpretiert werden, ob sie sich dadurch etwa täuschen lassen. Solche Simulationen sind bei einem menschlichen Gegenüber in der einseitigen Massenkommunikation als parasoziale Interaktion (…) oder auf maschineller Basis als ‚Künstliche Intelligenz‘ (‚Turing-Test‘) denkbar (…). In der ‚virtuellen Realität‘ soll sogar die Differenz zur direkten Kommunikation überwunden werden.“ (Neuberger 2007, S. 44)

Nun sind schon die Gelingensbedingungen eines Turing-Tests alleine methodologisch umstritten, – es sei dafür auf die vorhandene, gut dokumentierte Auseinandersetzung sowohl innerhalb der AI wie mit der AI verwiesen, ohne eine Klärung hier auch nur skizzenhaft vornehmen zu können.[5] Die Frage allerdings nach der Möglichkeit einer Überwindung der „Differenz zur direkten Kommunikation“ ist hier insofern von philosophischem Interesse, als sich aus begrifflichen Entscheidungen sachliche Voreinstellungen ergeben, die dann ihrerseits nicht mehr zum Gegenstand der Reflexion werden. Ein solcher Fall könnte mit der Frage nach dem Auftreten von Artefakten in Rollen von Personen oder deren Funktionen vorliegen; es ließe sich also fragen, ob und gegebenenfalls in welcher Form die Adressierung von Artefakten erfolgt und erfolgen kann, wenn wir die logische Grammatik von menschlichen Akteuren zugrunde legen.

IV

Da die Bearbeitung dieser Frage grundsätzlicher Natur ist und in der gebotenen Kürze systematisch nicht abgehandelt werden kann, sei hier lediglich auf einige begriffliche Schwierigkeiten verwiesen, die sehr leicht übersehen werden, deren Beachtung aber für die Beurteilung des Sachverhaltes von Relevanz sind. Zunächst ist der Ausdruck „parasozial“ definitorisch an „sozial“ angebunden – und dies geschieht ausdrücklich im Modus des „als ob“. Diese Wendung eröffnet die (von den Autoren aber nicht genutzte) Möglichkeit einer Modellierung[6] von artifizieller Performanz als einer solchen im Modus der Interaktion in der „primary group“. Da hier zudem von vornherein auf das ursprüngliche Erkenntnisinteresse der Untersuchung abgehoben wird, ergibt sich eine Entgegensetzung von (ortho-)sozial und parasozial unter Bezug auf Besonderheiten des (technischen) Mediums Fernsehen (und analoger Ferntechniken):

„One of the striking characteristics of the new mass media – radio, television, and the movies – is that they give the illusion of face-to-face relationship with the performer. The conditions of response to the performer are analogous to those in the primary group. The most remote and illustrious men are met as if they were in the circle of one’s peers; the same is true of a character in a story who comes to life in these media in an especially vivid and arresting way. We propose to call these seeming face-to-face relationship between spectator and performer a para-social relationship.” (Horton, Wohl 1956, S. 215)

Lassen wir wieder alle Spezifika beiseite, die sich aus der besonderen Fragestellung ergeben, so ist die relevante Entgegensetzung jene von „conditions of response (...) in the primary group“ auf der einen Seite und den parasozialen „face-to-face-relationship between spectator and performer“ auf der anderen. Das impliziert noch nicht, dass nicht auch „soziale“ Relationen vermittelt wären – sie wären es nur gegebenenfalls nicht in der gleichen Weise, wie parasoziale[7]. Folgt man dieser Einsicht, dann ist die Abgrenzung als Personae (im Sinne von Relaten parasozialer Relationen) auf der einen Seite von Personen (im Sinne von Relaten sozialer Relationen) auf der anderen nicht primär deskriptiv zu verstehen. Dies zeigt sich zunächst an der expliziten präskriptiven Charakterisierung von sozialen Relationen:

„Para-social relations may be governed by little or no sense of obligation, effort, or responsibility on the part of the spectator. He is free to withdraw at any moment. If he remains involved, these para-social relations provide a framework within which much may be added by fantasy. But these are differences of degree, not of kind, from what may be termed the ortho-social. The crucial difference in experience obviously lies in the lack of effective reciprocity, and this the audience cannot normally conceal from itself. To be sure, the audience is free to choose among the relationships offered, but it cannot create new ones. The interaction, characteristically, is one-sided, nondialectical, controlled by the performer, and not susceptible of mutual development. There are, of course, ways in which the spectators can make their feelings known to the performers and the technicians who design the programs, but these lie outside the para-social interaction itself. Whoever finds the experience unsatisfying has only the option to withdraw.“ (Horton, Wohl 1956, S. 215)

Das präskriptive Moment kommt auf zweierlei Weisen zum Tragen, nämlich zum einen durch die (übersehene) Modellierungsrelation (von sozialen Interaktionen als parasozialen) und zum zweiten durch die Charakteristika ortho-sozialer Beziehungen selbst zum Ausdruck. Denn diese sind (neben weiterem) v. a. durch das Eingehen von Verpflichtungen, den daraus resultierenden Verantwortlichkeiten – etwa für das eigene Handeln – und Reziprozität bestimmt. Diese Charakteristika „ergeben“ sich aber nicht aus einer Beschreibung des ansonsten – gleichsam beschreibungsinvariant – „einfach vorliegenden“ sozialen Handelns, welches soziale Beziehungen konstituiert (oder aktualisiert[8]). Ganz unabhängig davon, wie das Definiens selber bereitgestellt wird (ob über eine explizite diskurstheoretische, konstruktive, pragmatistische oder anerkennungstheoretische Struktur, um nur einige geläufige zu nennen), handelt es sich doch jedenfalls um präskriptive Aspekte interindividuellen Handelns. Mit dieser Explikation ist ein Standard etabliert, bezüglich dessen Typen sozialen Handelns konstruiert werden können. Erst auf diesen Standard bezogen, kann nun die eigentliche Modellierung erfolgen, die ihrerseits präskriptiver Natur ist.[9]

Die Beschreibungskovarianz von „sozialem Handeln“ darf nun nicht so verstanden werden, als sei damit der Beliebigkeit der Thematisierung das Wort geredet; vielmehr ist Darstellung „sozialen Handelns“ ein Instrument, mit dessen Hilfe interindividuelles Handeln (eben als „soziales“ Handeln) der Intervention[10] zugänglich wird. Akzeptiert man den präskriptiven Charakter von „sozialem Handeln“, ist damit zugleich auch zugestanden:

  1. dass die explizite Darstellung „sozialen Handelns“ selber als eine Form der Einflussnahme auf soziales Handeln verstanden werden kann und
  2. dass die Explikation sich auf einem metasprachlichen Niveau bewegt[11].

 

Insbesondere die letztgenannte Feststellung wird verdeutlicht durch die „Einbettung“ (dazu bei V mehr) parasozialer in soziale Relationen (da andernfalls das Wissen über die „feelings“ der Zuschauer den Programmachern und Technikern kaum zur Kenntnis gebracht werden könnten).

Die Frage also, ob etwa die Definition parasozialer Interaktion und Relation vollständig sei oder nicht, ob sie adäquat im Rahmen interaktionistischer, systemtheoretischer oder handlungstheoretischer Ansätze zu geben sei, ob und in welcher Form ferner empirische Messung solcher Interaktionen und Relationen möglich sind, lässt sich nur bezüglich des investierten Erkenntnisinteresses auf der einen Seite und bezüglich des präskriptiven Definiens auf der anderen beantworten (was, kaum überraschend, den besonderen Charakter der hier relevanten Form wissenschaftlicher Erfahrung betont, im Vergleich zu jener von im engeren Sinne empirischen Disziplinen, etwa der Naturwissenschaften).

V

Von Interesse ist nun die Frage, ob es sich bei parasozialer Interaktion und den entsprechenden Relationen um eine eigenständige Form der Interaktion handele und ob damit eine Degeneration sozialer Interaktion verbunden sei:

„Nothing could be more reasonable or natural than that people who are isolated and lonely should seek sociability and love wherever they think they can find it. It is only when the para-social relationship becomes a substitute for autonomous social participation, when it proceeds in absolute defiance of objective reality, that it can be regarded as pathological.“ (Horton, Wohl 1956, S. 223)

Diese Bestimmung zeigt, dass parasoziale Interaktion und die daraus resultierende Beziehung nicht von vornherein als pathologisch konzipiert sind. Daraus ist aber nicht einfachhin – gleichsam im Umkehrschluss – zu folgern, dass es sich um eine eigenständige Form der Interaktion handelte (s. Hippel 1992). Immerhin ist die intrinsische Asymmetrie parasozialer Relation definitorisch unaufhebbar, was sich an der oben so bezeichneten Einbettung derselben zeigte. Einen Hinweis darauf gibt die unterstellte Komplementaritätsthese zwischen Personis auf der einen und der resultierenden erzwungenen Rolle des Zuschauers auf der anderen Seite; denn für diese gelte:

„The chief basis of this guidance and control (of the parasocial interaction through the persona, MG), however, lied in the imputation to the spectator of a kind of role complementary to that of the persona himself. This imputed complementary role is social in character, and is some variant of the role or roles normally played in the spectator’s primary social groups.“ (Horton, Wohl 1956, S. 228)

Die Asymmetrie ist also sozialen Rollen keineswegs fremd, sie ist ihnen durchaus eingeschrieben; allerdings sind solche Rollen als soziale durch die Möglichkeit der Rollenspiegelung bestimmt. Die Metapher der Spiegelung zeigt an, dass die Asymmetrie keineswegs aufgehoben wird, sondern mit der gegenläufigen Asymmetrie (hier als Komplementarität beschrieben) in ein Verhältnis gesetzt (der Herr ist eben immer dieses, wie der Knecht jenes; s. Hegel 1985). Genau genommen handelt es sich damit nicht um eine Einbettung in soziale Relationen, sondern um die analytische Identifikation von Teilaspekten dessen, was oben als „soziales Handeln“ den definitorischen Standard parasozialer Interaktion abgab. Es handelte sich damit bei der Pathologisierung sozialer Interaktion weniger um eine Substitution einer Interaktionsform durch eine andere, als vielmehr um das Übergreifen eines Aspektes sozialer Interaktion bei der Herausbildung von Beziehung. Insofern ginge auch die innerhalb sozialen Handelns zu attribuierende Autonomie der Partizipienten verloren; sie agierten nicht mehr im strengen Sinne als autonome Personen.

VI

Wir können nun zur Frage zurückkehren, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Techniken einer bestimmten Struktur die Grenzen parasozialer Interaktion zu transzendieren gestatteten. Durch die Attribution menschlicher Handlungsvermögen treten rein grammatisch Techniken in der Rolle menschlicher Akteure oder Agenten auf. Die systematische methodologische Rekonstruktion der logischen Grammatik solcher Beschreibungen zeigt nun, dass durchaus sinnvoll technische Artefakte in dieser Form beschrieben werden können (Gutmann 2010). Allerdings ist dabei eine grundlegende Asymmetrie zu bedenken, die semantisch an der Ansprache von etwas als einem technischen Mittel festgemacht werden kann (s. Gutmann 2004). Die Beurteilung des Gelingens und des Erfolges des Einsatzes technischer Artefakte als handelnde Akteure oder Agenten erfolgt im Lichte der Zwecksetzungsautonomie des Herstellers dieser Artefakte. Der Übergang von sozialer Interaktion und den entsprechenden Relationen hin zu bestimmten Formen der technischen Interaktion findet also zwar in der Terminologie der Substitution statt; es ist dies jedoch zunächst eine metaphorische Beschreibung technischer Artefakte in der Form des „als ob“. Wird die nur regulative Wendung als konstitutive missverstanden, so entsteht der Eindruck, technische Substitute agierten veritabel „wie“ Personen – und in der Verlängerung dieses Missverständnisses läge dann allerdings auch die Vermutung nicht weit, es ließen sich technische Artefakte etablieren, welche parasoziale Interaktionen in soziale zu transformieren gestatteten. Dies kann aber – folgt man der hier vorgeschlagenen Argumentation – nur dann statthaben, wenn schon soziale Interaktionen vorliegen, die einen entsprechend gelingenden und erfolgreichen Einsatz solcher Techniken qua Zwecksetzung überhaupt erst ermöglichen. Selbst die Aufgabe der Zwecksetzungsautonomie wäre noch Ausdruck eben dieser Autonomie und bliebe unaufhebbar mit der Mittelstellung der Artefakte verknüpft – zumindest dann, wenn diese eben das sein sollen, was wir von ihnen als Mittel erwarten, nämlich „technisch“!

VII

Versteht man TA nicht als rein technisches Verfahren, mit dessen Hilfe im wesentlichen Risikoanalysen um den Aspekt der Akzeptanzforschung erweitert würden, sondern als Versuch einer systematischendass die Explikation sich auf einem metasprachlichen Niveau bewegt[12] – u. a. handlungstheoretisch fundierten – Rekonstruktion vorhandener und der Erschließung und Entwicklung gleichsam zuhandener technischer Möglichkeiten, so wäre einer – etwa kulturphilosophischen oder sozialwissenschaftlichen – Bewertung von Techniken im Zusammenhang der Parasozialität zunächst eine Analyse der sozialen Handelns vorzuschalten, wie sie ganz und gar anfänglich hier angedeutet wurde. Es erhielte damit TA eine Funktion, die im Bereich der Wissenschaften durch die Wissenschaftstheorie zumindest dann wahrgenommen wird, wenn dieses Unterfangen Wissenschaftskritik nicht als Missverständnis diskreditiert, sondern ernstnehmen will.dass die Explikation sich auf einem metasprachlichen Niveau bewegt[13].

Anmerkungen

[1]  Der Ausdruck „Medium“ wird dabei rein technisch verstanden; zu einem entfalteten Begriff des Mediums s. Gutmann (2010).

[2]  Hierzu etwa Hartmann et al. 2004.

[3]  Die Tatsache, dass uns Heutigen die dramatis personae des Plautus, Terenz oder Aristophanes als lebensweltlich nicht mehr parallelisierbar erscheinen, hängt neben dem Hiat der künstlerischen Ausdrucksform (als Komödie etwa gegenüber den Formaten der Fernsehwelt) v. a. eben mit der Transformation dieser Lebenswelt und ihren Formen zusammen.

[4]  Im Überblick etwa Boden 2006; nur exemplarisch etwa Dreyfus 1979; Dreyfus 1992; Searle 1984; Janich 2006.

[5]  Eine offene Frage bleibt, was genau der Status der Darstellung bei Horton und Wohl (1956) eigentlich sein soll; auch wenn regelmäßig der Eindruck der „Beobachtung“ erzeugt wird, liegt eine Struktur zugrunde, die sich begrifflicher Unterscheidung verdankt. Ein solcher deskriptivistischer Ansatz wird etwa bei Schramm et. al (2002) zugrunde gelegt. Es sei aber hier schon auf die Notwendigkeit präskriptiver Investitionen hingewiesen, da es zunächst um eine Darstellung von Mediennutzung „als“ Form interindividuellen Handelns zu tun ist. Das „als“ wird hier regulativ zu verstehen sein, wenn man denn nicht das einfache Gegebensein der Beschreibungsmittel vermuten will. Deren Bereitstellung ist aber notwendig auf die Identifikation von Beschreibungszwecken und mithin (etwa Erkenntnis-)Interessen angewiesen, um die Adäquatheit der Beschreibung selber beurteilen zu können (s. dazu Abschnitt 3).

[6]  Es ist ausdrücklich von „analogous“ die Rede, ohne dass dies systematisch aufgelöst würde. Die Unterstellung einer echten Modellierung erzeugte allerdings Geltungsansprüche, die von den Autoren nicht eingelöst werden (können). Diese Nicht-Beachtung der logischen Grammatik der „als-ob“ Rede führt dann in der Tat zu systematischen Engführungen (s. u.).

[7]  Es wäre also zu konzedieren, dass auch die (ortho-)soziale „face-to-face-communication“ nur als vermittelte und vermittelnde Form interindividuellen Handelns zu verstehen wäre. Dieser Gedankengang kann hier nicht verfolgt werden; er hat allerdings grundsätzliche Konsequenzen für den Begriff des Mediums (dann jedenfalls, wenn man diesen weder technisch noch symbolisch reduzieren will; hierzu etwa Gutmann 2004).

[8]  Dazu systematisch Gutmann 2010.

[9]  Der Unterschied wird relevant, wenn die Frage nach dem methodologischen Ort „sozialer Beziehung“ bestimmt werden soll; je nachdem, ob diese als eigentlich vorliegende oder erst herzustellende verstanden werden, ergeben sich die beiden Optionen. Es zeigt sich an dieser Stelle eine gewisse begriffliche Schwäche bei Horton und Wohl (1956), da zwischen Relation und Interaktion nicht systematisch unterschieden wird.

[10]  Dies ist wörtlich und nicht evaluativ gemeint.

[11]  Die Referenz auf Mead ist an dieser Stelle instruktiv, weil hier die „Beobachtbarkeit“ sozialer Interaktion unterstellt wird (Horton, Wohl 1956, S. 218). Es könnte sich aber bei den Meadschen Überlegungen auch um eine (pragmatistische) Rekonstruktion der Bedingungen der Ausbildung solcher Interaktionen handeln, wobei (zugegebenermaßen) mitunter die Differenz zwischen Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsmittel verloren geht (dazu Gutmann 2004).

[12]  Zu den Perspektiven einer solchen „konstruktiven TA“, welche dann in der Tat besser als Technikfolgenbeurteilung zu bezeichnen wäre, siehe Grunwald (1999).

[13]  Dazu etwa Janich 1997.

Literatur

Boden, M.A., 2006: Mind as Machine. Vol. 1–2. Oxford

Dreyfus, H.L., 1979: What Computers can’t do. New York

Dreyfus, H.L., 1992: What Computers still can’t do. Cambridge, MA

Grunwald, A. (Hg.), 1999: Rationale Technikfolgenbeurteilung. Konzepte und methodische Grundlagen. Berlin

Gutmann, M., 2004: Erfahren von Erfahrungen. Dialektische Studien zur Grundlegung einer philosophischen Anthropologie. 2 Bde. Bielefeld

Gutmann, M., 2010: Autonome Systeme und der Mensch: Zum Problem der medialen Selbstkonstitution. In: Selke, S.; Dittler, U. (Hg.): Postmediale Wirklichkeiten aus interdisziplinärer Perspektive. Hannover, S. 127–148

Hartmann, T.; Schramm, H.; Klimmt, C., 2004: Personenorientierte Medienrezeption: Ein Zwei-Ebenen-Modell parasozialer Interaktion. In: Publizistik 49/1 (2004), S. 25–47

Hegel, G.W.F., 1985: Phänomenologie des Geistes. Frankfurt

Hippel, K., 1992: Parasoziale Interaktion. Bericht und Bibliographie. In: Montage/AV 1/1 (1992), S. 135–150

Horton, D.; Wohl, R., 1956: Mass Communication and Parasocial Interaction: Observation on Intimacy at a Distance. In: Journal of Psychiatry 19 (1956), 215–229

Janich P., 1997: Kleine Philosophie der Naturwissenschaften. München

Janich, P., 2006: Was ist Information? Kritik einer Legende. Frankfurt a. M.

Neuberger, C., 2007: Interaktivität, Interaktion, Internet. In: Publizistik 52/1 (2007), S. 33–50

Schramm, H.; Hartmann, T.; Klimmt, C., 2002: Desiderata und Perspektiven der Forschung über parasoziale Interaktionen und Beziehungen zu Medienfiguren. In: Publizistik 47/4 (2002), S. 436–459

Searle, J., 1984: Minds, Brains and Science. Cambridge, MA

Kontakt

Prof. Dr. Mathias Gutmann
Institut für Philosophie
Karlruher Institut für Technologie (KIT)
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