E-mobility Berlin 2025. Die Wege in eine elektromobile Zukunft

TA-Projekte

E-mobility Berlin 2025

Die Wege in eine elektromobile Zukunft

von Ingo Kollosche, TU Berlin

Elektromobilität gilt als Hoffnungsträgerin sowohl als neues Geschäftsfeld als auch für die städtische Mobilität und die dabei zu reduzierenden Immissionen und Emissionen. Die politischen Ziele sind durch die Bundesregierung für das Jahr 2020 definiert: Eine Million elektrifizierte Fahrzeuge sollen dann auf Deutschlands Straßen rollen. Die Forschung widmet sich intensiv den kritischen Systemgrößen der Elektromobilität: Batterietechnologie, Fahrzeugentwicklung, IuK-Vernetzung und der Energienetze. Außen vor bei diesen Anstrengungen bleibt der zentrale Parameter der Elektromobilität: die NutzerInnen der Elektromobile. Das hier vorgestellte Projekt der TU Berlin „e-mobility – IKT-basierte Integration der Elektromobilität in die Netzsysteme der Zukunft“ (2009–2011) schätzt die Zukunft der Elektromobilität mittels Zukunftsszenarien ab und wirft den Blick auf bislang wenig berücksichtigte Kriterien.

1     Projektkontext

Die wissenschaftliche Betrachtung der Elektromobilität weist zwei eklatante Schwachstellen auf: Erstens wird unzureichend gefragt, wer sind die zukünftigen NutzerInnen der Elektrofahrzeuge? Zweitens wird der Diskurs um die Elektromobilität zu eng und fast ausschließlich in den Kategorien der Automobilität geführt. Zudem existieren neben den Einzelprognosen zu spezifischen Themen (Fahrzeuge, Energiebilanzen, Netzbelastung) keine systemischen Zukunftskonzepte, wie sich Elektromobilität in urbanen Zentren in den nächsten 10 bis 15 Jahren darstellen kann. Dies liegt einerseits an den institutionellen und fachspezifischen Frames, die den Horizont der Betrachtungsweise und der Prognosen einengen, und andererseits an der Verwendung traditioneller Techniken zur Zukunftsbeschreibung, die alternativen Entwicklungen keinen Betrachtungsraum lassen.

Das Fachgebiet „Integrierte Verkehrsplanung“ der TU Berlin widmet sich im Rahmen des Projektes nicht nur Fragen der konkreten Gestaltung der Infrastruktur für die Elektromobilität in Berlin, sondern auch der Verknüpfung der NutzerInnenerfahrungen mit Zukunftsprojektionen des Gesamtsystems. Das Verbundprojekt beschäftigt sich mit der Entwicklung und großtechnischen Demonstration einer Lade-, Steuerungs- und Abrechnungsinfrastruktur für E-Mobilität, die in das bestehende Elektrizitätsnetz integrierbar ist. Um einen Beitrag für eine gezielte Infrastrukturplanung zu leisten, ist das Projekt um eine politische Restriktionsanalyse ergänzt. Die Grundlage für das Projektdesign legte das Team um Christine Ahrend (TU Berlin) durch eine Szenario-Analyse zur Einführung der Elektromobilität in Berlin. Diese Regionalszenarien für das Jahr 2025 dienen der Langfristabschätzung der Auswirkungen der Elektromobilität und ermöglichen erstmals alternative und systemische Zukunftsbilder für Berlin.

2     Warum Szenario-Technik?

Die Szenario-Technik ist eine methodisch ausgereifte Methode der Zukunftsforschung. Ihre Stärke liegt in der kreativen und systematischen Analyse zukünftiger Entwicklungen, der Auseinandersetzung mit multiplen Zukünften sowie der kommunikativen Wirkungen auf die Beteiligten eines Szenarioprozesses. Zwei wesentlichen Kriterien der Zukunftsforschung entspricht diese Technik: Normative Betrachtungen über die Zukunft seitens der Beteiligten müssen weitestgehend aus dem Prozess ausgeschlossen sein und der Alternativität von Entwicklungen Rechnung getragen werden. Szenarien selber sind Darstellungen möglicher zukünftiger Situationen einschließlich der Entwicklungswege dahin. Diesen Darstellungen liegen spezifizierte Annahmen zu Grunde, die konstruktiv in die Zukunft projiziert werden. Die Annahmen sind zeitlich und räumlich begrenzt und ergeben einen Möglichkeitsraum, der sich wie ein Trichter der Zukunft hin öffnet (s. Abb. 1).

Abb. 1:   Der Zukunftstrichter

Der Zukunftstrichter

Quelle: TU Berlin, IVP

Der idealtypische Verlauf einer Szenario-Analyse erfolgt in sieben Schritten. Der erste Schritt besteht in der Problemanalyse, die eine eindeutige und von allen Beteiligten definierte Szenariofragestellung ergibt. Zudem muss das Szenariofeld in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht bestimmt werden. Danach erfolgt die Umfeldanalyse. Dabei werden alle relevanten Einflussfaktoren, die das Szenariofeld beeinflussen gesammelt und mit empirischen Daten aufgearbeitet. Das geschieht durch Experten für die jeweiligen Themen. Die Einflussfaktoren werden in einer Wechselwirkungsanalyse zueinander in Beziehung gesetzt und nach Einflussstärken und Unsicherheiten bewertet. Die daraus gewonnenen Schlüsselfaktoren (die Faktoren, die den stärksten Einfluss auf das Gesamtsystem haben und gleichzeitig in ihrer Entwicklung am unsichersten sind) werden alternativ projiziert. Die Projektionen werden aufeinander bezogen, auf ihre Konsistenz geprüft und dann zu widerspruchsfreien Projektionsbündeln verknüpft, welche die sog. Rohszenarien bilden. Ihre finale Gestalt finden die Szenarien in unterschiedlichen Formen. Ob als Prosatext, Grafik oder Film – der gestalterischen Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Im fünften Schritt werden die Szenarien auf Plausibilität und Widerspruchsfreiheit geprüft. Dem schließt sich eine Störereignisanalyse an. Der auch als Wild-Card-Analyse bezeichnete Arbeitsschritt analysiert mögliche, aber recht unwahrscheinliche Störereignisse, Trendbrüche oder unvorhersehbare Eventualitäten und überprüft die möglichen Wirkungen auf die jeweiligen Szenarien. Im siebten und abschließenden Schritt werden die Auswirkungen der Szenarien auf das Problem analysiert und entsprechende Handlungsoptionen, Leitbilder oder Strategien entwickelt.

Ziel des Szenarioprozesses innerhalb des e-mobility-Projektes war es, die zentralen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren für die Zukunft der Elektromobilität in Berlin im Jahr 2025 systematisch zu analysieren und die möglichen Wirkungen dieser Faktoren auf das künftige Mobilitätsverhalten und die Entwicklung der Elektromobilität zu beschreiben. Nach der ausführlichen Umfeldanalyse aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Technologie, Gesellschaft und Umwelt wurden die Faktoren in einer Wechselwirkungsanalyse aufeinander bezogen und mittels der Einfluss-Matrix nach ihrer Einflussstärke untersucht. Expertenbasiert wurden den Schlüsselfaktoren alternative Zukunftsausprägungen für das Jahr 2025 zugeordnet. Unterstützt durch das EIDOS-Softwareprogramm wurden dann die Rohszenarien gebildet. Diese wurden wiederum in einer Expertenrunde validiert und weiter ausgearbeitet.

3     Zukunftsbilder für Berlin

Szenario 1: It-Car-Elektromobilität[1]

Die Elektromobilität bleibt in der automobilen Nische. Eine nennenswerte Anzahl von E-Fahrzeugen ist lediglich im Premiumsegment zu verzeichnen. Aufgrund der immer noch sehr hohen Batteriepreise haben die E-Fahrzeuge das Wettrennen gegenüber den Verbrennungsmotoren verloren. Fahrzeuge mit optimierten Verbrennungsmotoren und Hybridfahrzeuge geben den Ton auf den Straßen Berlins an. Der Kostenvorteil ist hier die entscheidende Ursache. Die erhofften Veränderungen im Mobilitätsverhalten sind ebenfalls ausgeblieben. Die im Jahr 2010 gestarteten Versuche der Etablierung von neuen Carsharing-Modellen auf elektrischer Basis scheiterten an mangelnder Nachfrage. Batterieelektrisch betriebene Pkw werden in gut situierten Haushalten als Zweitwagen genutzt und haben sich als Statussymbol umweltbewusster Technikpioniere etabliert.

Szenario 2: E-Mikromobilität

Die Elektromobilität hat sich in Berlin etabliert. Allerdings nicht durch die Substitution der Verbrennungsmotoren durch batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge. Der Wandel im Mobilitätsverhalten und im Verkehr ist viel tiefgreifender. Individuelle Mobilität findet sich hauptsächlich im Kontext von Multi- und Intermodalität und auf der Basis eines ausdifferenzierten Angebots von Mobilitätsdienstleistungen. Elektrische Klein- und Kleinstfahrzeuge spielen auf den Straßen Berlins eine herausragende Rolle. Auf der Basis einer intelligenten, IT-gestützten Vernetzung der Verkehrsträger wurde die E-Mobilität fest in den Verkehr der Stadt integriert. Ursachen für diese Entwicklung sind nicht nur die gesunkenen Batteriepreise, sondern auch die aktive und systemische Förderung seitens der Politik und der Stadt. Zudem hat sich ein breites Spektrum an rentablen Mobilitätskonzepten etabliert, das den Besitz eines eigenen Fahrzeugs nicht mehr unbedingt notwendig macht. Die integrierte und nachhaltige Mobilitätspolitik der Stadt Berlin, die veränderten Mobilitätspräferenzen und das breit gefächerte Angebot an E-Mobilen hat Berlin zu der Pionierstadt in Sachen Elektromobilität gemacht, die positive Abstrahleffekte auf andere Metropolen hat.

Szenario 3: Katalysator Wirtschaftsverkehr

Die Elektromobilität setzt sich über den Wirtschaftsverkehr durch. Durch eine gezielte Angebots- und Nachfrageförderung seitens der öffentlichen Hand wurde dieser Prozess in Gang gesetzt. Finanzielle Anreize und die systematische Elektrifizierung der Fuhrparks und gewerblicher Flotten waren die wichtigsten Stellhebel dieser Entwicklung. Die Stadtentwicklungspolitik Berlins hat dabei nachhaltig Wirkung gezeigt. Im Zuge der Umsetzung des Masterplans „Verkehr“ wurde der Güterverkehr aus dem Innenstadtbereich im Bereich der Schwerlasttransporte entfernt und der mittlere Personen- und Güterwirtschaftsverkehr durch E-Transporter ersetzt. Dieser Prozess hatte letztlich auch positive Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung Berlins. Auf diesem Wege wurde die E-Mobilität nicht nur sichtbarer, sondern auch attraktiver für den privaten Individualverkehr.

4     Projektergebnisse

Innerhalb des Projektes hatten die Szenarien unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. Durch die Entwicklung alternativer Zukunftsbilder für Elektromobilität in Berlin wurden die zentralen Dimensionen der Zukunft von Elektromobilität als integriertem und IKT-basiertem Gesamtsystem systematisch analysiert und beschrieben. Neben dieser Analysefunktion stand die Anregungs- und Integrationsfunktion, wonach im Rahmen der NutzerInnenbefragung die Szenarien als Stimuli eingesetzt wurden, um bei den NutzerInnen Zukunftsvorstellungen hinsichtlich einer künftigen Mobilität anzuregen.

Die Szenarien haben im Sinne ihrer explorativen Funktion das Thema Elektromobilität nicht nur vertieft, sondern einen viel weiter reichenden Möglichkeitsraum für die Entfaltung der Elektromobilität im Verbund mit anderen Verkehrsmitteln und -systemen aufgespannt: „E-Mikromobilität“. Entwicklungen, die zu Beginn des Prozesses nur intuitiv angedacht waren, wurden systematisch analysiert und zusätzliche Optionen konnten dargestellt werden. So wurde ein bisher unterschätzter Diffusionsweg der Elektromobilität aufgezeigt: „Katalysator Wirtschaftsverkehr“. Mittlerweile wird diese Zukunftsoption auch in der Öffentlichkeit, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft ernsthaft diskutiert.[2]

Die Projektergebnisse legen für die Einführung der Elektromobilität in Berlin nahe, das Planungsspektrum um den wichtigen Entwicklungspfad des Wirtschaftsverkehrs zu erweitern. Die Einbeziehung aller elektrisch betriebenen Verkehrsmittel, wie sie im E-Mikromobilität-Szenario beschrieben wird, könnte zudem die gegenwärtig dominante Fixierung auf das Elektro-Auto auflösen und die Elektromobilität in einem größeren Zusammenhang sich verändernder Mobilität kontextualisieren. Mit dieser Eröffnung neuer diskursiver Möglichkeitsräume wurden nicht nur die Perspektiven der beteiligten Akteure verändert, sondern auch neue Impulse für die Stadtentwicklungspolitik und die Verkehrsplanung gegeben.

Anmerkungen

[1]  „It“ im Sinne von „mit dem gewissen Etwas“.

[2]  So testet Mercedes gerade eine Versuchsflotte eines batterie-elektrischen Transporters (Vito E-Cell) – Wirtschaft (http://www.auto.de/magazin/showArticle/article/41736/Mercedes-Vito-E-Cell-Emissionsfreier-Lieferwagen). Außerdem läuft gegenwärtig ein Projekt im Rahmen des Konjunkturprogramms zu Nutzung von E-Fahrzeugen in der Flotte (Future Fleet) – Wissenschaft (http://www.ikt-em.de/de/1124.php). Und in Berlin wurde der erste E-Dienstwagen in Betrieb genommen – Politik ( http://www.emo-berlin.de/sites/default/files/redaktion/3/dateien/110216_pi_sts_uebergabe_stromos_final.pdf).

Kontakt

Dipl. Soz. Ingo Kollosche
Sekr. SG 4
Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (IVP)
Institut für Land- und Seeverkehr
Technische Universität Berlin
Salzufer 17–19, 10587 Berlin
Tel.: +49 30 314-26313
E-Mail: ingo.kollosche∂tu-berlin.de