Argumente für und wider „Climate Engineering“. Versuch einer Kartierung

Schwerpunkt: Climate Engineering: ein Thermostat für die Erde?

Argumente für und wider „Climate Engineering“

Versuch einer Kartierung

von Konrad Ott, Universität Greifswald

Der Beitrag stellt einen ersten Versuch dar, eine Kartierung der Argumente für und wider einen großmaßstäblichen technischen Eingriff in das Klimasystem der Erde vorzunehmen, um dadurch den Folgen des Treibhauseffektes entgegen zu wirken. Eine solche Kartierung ist eine Voraussetzung für einen globalen Diskurs, der angesichts der vielen Risiken und Unsicherheiten dringend geboten ist. Fokussiert wird eine bestimmte Option im Spektrum des Klima-Engineering, nämlich die Option, die obere Atmosphäre mit Sulfataerosolen anzureichern. Im Anschluss an die Darstellung der wesentlichen Argumente wird eine vorläufige Urteilsbildung versucht.[1]

1 Einführung

Die Debatte um „Climate Engineering“ (CE) nimmt Fahrt auf. Vor kurzem wurde in Asilomar (USA) eine Konferenz abgehalten. Deutsche Universitäten bieten Sommerkurse an. Medien greifen das Thema auf. In Deutschland hat sich eine Verantwortungsinitiative aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen gebildet, die bislang zu mehreren DFG-Rundgesprächen und zu einer Forschungsstrategie geführt hat, an der auch Philosophen und Ethiker mitwirken werden.

Wenn ich Studenten, Kollegen, Nachbarn und Bekannte über die neue Climate-Engineering-Debatte informiere, ernte ich immer ähnliche intuitive Reaktionen. Sie reichen von der Verwunderung darüber, dass „so etwas überhaupt diskutiert wird“ über eine politisch gefärbte Empörung darüber, dass ausgerechnet in den USA, die mit guten Gründen als klimapolitischer „Schurkenstaat“ bezeichnet werden können, diese Option favorisiert wird, bis hin zu fassungslosem Entsetzen über die Anmaßungen der Machbarkeit. Die hierzulande verbreiteten Intuitionen sprechen insofern die klare Sprache von Nein-Stellungnahmen. Ethisch betrachtet, sind moralische Intuitionen so etwas wie die Rohmaterialien praktischer Diskurse, die gewiss keine Sicherheit verbürgen, aber auch nicht als belanglos abgetan werden können. Dies sehen auch Befürworter von CE-Forschung ähnlich: „It is a healthy sign that a common first response to geoengineering is revulsive.“ (Keith et al. 2010, S. 427)

In naturwissenschaftlichen Kreisen werden immer ein Wissensdefizit und ein Forschungsdesiderat geltend gemacht. Ein moralisches oder politisches Urteil zu CE muss allerdings auf einer belastbaren wissenschaftlichen Informationsbasis über Möglichkeiten, Konsequenzen und, nicht zuletzt, Risiken von CE beruhen. Insofern sind Forschungsaktivitäten zu begrüßen. Allerdings wird auch unter Naturwissenschaftlern mehrheitlich anerkannt, dass großmaßstäbliche Feldversuche etwa mit Sulfatinjektionen in der Stratosphäre nicht durch das Prinzip der Forschungsfreiheit abgedeckt sind, da es sich um Handlungen in und an der Realität handelt. Der Habitus vieler deutscher Naturwissenschaftler ist generell eher vorsichtsorientiert. Auch die Deklaration, die am Ende der Asilomar-Konferenz verabschiedet wurde, betont die Prinzipien von Verantwortung, Transparenz und Partizipation (Committee 2010).

In ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Kreisen neigt man dazu, CE-Optionen anhand der gängigen Entscheidungsschemata zu beurteilen, also anhand (1) von Kosten-Nutzen-Analysen oder (2) anhand einer „Rational-Choice“-Theorie in Verbindung mit einer Portfolio-Konzeption aller Möglichkeiten, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu begrenzen. Im Bericht der Royal Society werden „harte“ von „weichen“ Kriterien der Bewertung unterschieden (Royal Society 2009). Hierzu habe ich an anderem Ort gefordert, den vermeintlich weichen ethischen Kriterien größere Bedeutung beizumessen (Ott 2010, S. 61). Die Unterscheidung zwischen sog. harten technischen und ökonomischen und sog. weichen ethischen Kriterien ist keineswegs selbstverständlich und sollte den Diskurs nicht präjudizieren. Die CE-Optionen dürfen auch nicht stillschweigend dahingehend bewertet werden, ob sie besser in den Rahmen des Konzepts namens „science“ passen. Dies wäre ein Szientismus, der wissenschaftsethisch zwar längst widerlegt ist (Ott 1997), aber immer noch wirksam zu sein scheint.

Es ist insofern keineswegs klar, welche Entscheidungsschemata zur Beurteilung herangezogen werden sollten (und welche nicht). Es geht also zunächst nicht um die Details einzelner Schemata (wie die Wahl der Diskontrate oder die Monetarisierung ökologischer Schäden), sondern um die Wahl der geeigneten Schemata selbst. Mit Immanuel Kant kann man derartige grundsätzliche Fragen mit Hilfe der Unterscheidung von Verstand und Vernunft näher fassen: Der Verstand entwickelt vielfältige Maximen des Handelns und Schemata der Beurteilung, während die Vernunft diese Maximen und Schemata kritisch reflektieren können muss. Unterbleibt solche Reflexion, können die Leistungen des Verstandes ethisch in die Irre führen. Eine Möglichkeit besteht darin, die verschiedenen Schemata der Technikethik und der Technikfolgenabschätzung (Grunwald 2002; Ott 2005) auf CE zu beziehen. CE wäre ein Musterbeispiel für den Einsatz von TA-Konzepten, darunter auch solchen, die partizipative Elemente fordern (Skorupinski, Ott 2000).

Die Charakteristika des jeweiligen Problems sollten bei der Auswahl der Schemata eine gewichtige Rolle spielen dürfen. Armin Grunwald (2010) hat nun darauf aufmerksam gemacht, dass einige CE-Optionen Charakteristika aufweisen, die ein besonders hohes Maß an Vorsicht rechtfertigen: dazu gehören z. B. globale Skalierung, mögliche Irreversibilität, unabsehbare Nebenwirkungen, Risikotransfer in die Zukunft. CE ist aufgrund dieser Merkmale ein Musterbeispiel für „post normal science“: Entscheidungen von enormer Tragweite müssen auf einer unsicheren Wissensbasis moralisch und politisch verantwortet werden. Es handelt sich bei einigen CE-Optionen um den Risikotypus, für den Hans Jonas (1979) seine Heuristik der Furcht und das Primat der Unheilsprognose entwickelt hat. Nun können wir die Verantwortungsethik von Jonas nicht einfach in Gänze übernehmen; vielmehr müsste es darum gehen, die CE-Optionen in einer Verbindung aus Diskurs- und Verantwortungsethik zu thematisieren, wie sie u. a. Karl Otto Apel und Dietrich Böhler für die Epoche der ökologischen Krise vorgeschlagen haben (siehe Apel 1990, S. 17–22). Entscheidend für die Beurteilung sind letztlich natürlich Argumente, aber das Wissen darum, wie hoch der Einsatz ist, führt zu einem geschärften Verantwortungsbewusstsein nicht zuletzt bei der Prüfung der vorgebrachten Argumente. Eine kritische Prüfung darf auch ideologiekritische und diskurssoziologische Aspekte umfassen, so wenn gefragt wird, wer bestimmte CE-Optionen offensiv propagiert.

Die Schemata des technischen und ökonomischen Verstandes müssen daher durch ein diskursethisches Schema ersetzt werden. Dieses muss in der Wirklichkeit des Diskurses selbst seine Überlegenheit unter Beweis stellen. Ein solcher Denkrahmen wird im ersten Teil dieses Aufsatzes skizziert. Im zweiten Teil werden Argumentationsmuster versammelt, die für und gegen eine bestimmte Einsatzvariante von CE sprechen. Im dritten Teil wird dann eine vorläufige Stellungnahme gewagt.

2 Diskursanalytischer Denkrahmen

Ein analytisches Schema von einzelnen Komponenten von CE-Optionen umfasst eine Reihe von Unterscheidungen. Die erste Unterscheidung verortet CE in der übergreifenden Problematik des Klimawandels. Maßnahmen, den Klimawandel und seine Folgen zu begrenzen, unterscheiden sich in die Triade von a) Emissionsvermeidung (mitigation), b) Anpassung an den Klimawandel (adaptation) und c) climate engineering (CE). Diese Dreiecksbeziehung verlangt es, die einzelnen Teilrelationen zu bestimmen. Hierzu werden häufig Vokabeln wie „komplementär“, „einander nicht ausschließend“, „unterstützend“ verwendet. Allerdings ist eine statische Betrachtung dieser Teilrelationen unzureichend. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, die politische Dynamik dieses Beziehungsgefüges zu konzipieren. So könnte CE verbaliter als allenfalls kurzfristige Ergänzung zu mitigation bestimmt werden, während CE sich realiter zur Alternative entwickelt. Die Bestimmung der Teilrelationen ist relevant, wenn es darum geht, Bedingungen zu formulieren, unter denen CE erlaubt sein könnte.

Die zweite Unterscheidung differenziert zwischen Typen des CE. Hier hat sich die Unterscheidung zwischen Carbon Dioxide Removal (CDR) und Solar Radiation Management (SRM) eingebürgert. Beide Typen lassen sich weiter nach Unterformen differenzieren. Alle Subtypen von CE können bereits jetzt in ihren Grundzügen charakterisiert werden. Wir kennen gleichsam das Grundprofil der CE-Typen, wenngleich sicherlich nicht alle Details. Als Beschreibungsfolien bieten sich Machbarkeit, Wirksamkeit, d. h. Effektivität („Klimapotenzial“), Forschungsprofil, Risiken, Ungewissheiten, involviertes Akteursnetzwerk und dergleichen an. Beschreibungen sollen (möglichst wertfrei) verdeutlichen, womit wir es jeweils zu tun haben. Ausgehend hiervon sollten Wissensdefizite und Forschungsfragen identifiziert werden.

CDR stehe ich in Forschung und Anwendung aufgeschlossen gegenüber. Einzelne Formen wie etwa Aufforstung, Moorschutz, Schutz des Kohlenstoffs in Böden etc. weisen viele Querverbindungen zu kluger Anpassung sowie zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt auf. Forschungen zu derartigen ökologischen und naturschutzaffinen CDR-Optionen sollten verstärkt gefördert werden (siehe dazu Achternbosch et al. in diesem Heft). Wie kann und soll ein globales und naturschutzaffines CDR-Management konzipiert und realisiert werden, das zugleich die Resilienz der Böden, Wälder, Moore etc. stärkt und große temporäre C-Speicher anlegt? Langfristig könnten Verbindungen aus nachhaltiger Biomassenutzung und CCS interessant sein, um so die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zu verringern. Auch die Querverbindungen aus Anpassung und CDR verdienen eine deutlich verbesserte Forschungsförderung. Vornehmlich die DFG sollte eine solche transdisziplinäre Umwelt-, Naturschutz- und Klimaforschung verstärkt fördern.

Es ist bezeichnend, dass CDR zwar immer genannt, aber nur selten propagiert wird. Zumeist wird gesagt, CDR wirke zwar positiv, aber leider (zu) langsam. Das ist richtig, zeigt aber, dass eine Kombination aus strikter Vermeidung, kluger und gerechter Anpassung sowie ergänzenden, naturschutzorientierten CDR-Maßnahmen eine kohärente, konsistente und klimaethisch attraktive globale Strategie darstellt (Ott 2009), deren Zeitfenster sich noch keineswegs geschlossen hat. Was SRM-Protagonisten von naturschutzaffinen CDR-Maßnahmen halten, geht aus folgendem Zitat hervor: „Most people probably don’t think of planting trees as geoengineering. I doubt whether most of you would have come if this program were on afforestation.“ (Schelling 1996, S. 305) Der Ausdruck „program” bezieht sich auf die Tagung, auf der Schelling seine Vorschläge zu (unilateralem) SRM unterbreitete. Bezeichnend ist dies, weil Schelling offenbar an einen Hintergrundkonsens appellieren konnte, dass es bei CE letztlich um SRM gehe.

SRM kann differenziert werden nach a) weltraumgestützten Reflektoren, b) technischer Erzeugung von Wolken und c) Einbringen großer Mengen von Sulfaten in die Stratosphäre. Es dürfte weitgehend Konsens bestehen, dass die Beschreibungen der Sulfat-Option ein Eigenschaftsprofil ergeben, aufgrund dessen man die These vertreten kann, dass diese Option die eigentliche ethische Versuchung darstellt (Royal Society 2009; Ott 2010; Leisner, Müller-Klieser in diesem Heft). Das Einbringen von Sulfaten in die obere Atmosphäre verspricht eine schnelle Wirkung auf die Erdtemperatur, ist technologisch machbar, verursacht vergleichsweise geringe direkte Kosten der Einbringung und ist unilateral durchführbar. Somit kann man affirmativ geltend machen, es handele sich um eine effektive, effiziente und machbare Lösung, die von allen großen Staaten entschlossen durchgeführt werden könnte. Im Folgenden wird daher diese Option fokussiert.

Die dritte Unterscheidung betrifft das Verhältnis von Forschung und Einsatz. Hier ist zwischen theoretischer Forschung (Modellierung), Experimenten unter Laborbedingungen, Freilandversuchen und dem wirklichen Einsatz etwa der Sulfat-Option zu unterscheiden. Besonders umstritten sind großmaßstäbliche Feldversuche mit Sulfaten in der Atmosphäre. Solche Versuche erscheinen aber erforderlich, wenn man belastbare Aussagen über die Klimawirksamkeit treffen möchte. Feldversuche, die einen messbaren Nachweis auf das Klima haben sollen, müssten so großmaßstäblich sein, dass es sich im Grunde bereits um den Einsatz der betreffenden Technologie handelte (Blackstock, Long 2010, S. 527). Direkte Eingriffe mit realen Konsequenzen stehen jedoch unter wissenschaftsethischen Prinzipien wie dem einer wohlinformierten Zustimmung der hiervon Betroffenen. So wäre es vielleicht durch das Prinzip der territorialen Souveränität gedeckt, wenn USA, Russland und Kanada beschlössen, einen begrenzten Feldversuch mit Sulfaten über, sagen wir, Alaska, Jakutien oder Manitoba durchzuführen, wenn andere Nationen hiervon nicht betroffen wären. Ein entsprechender Feldversuch in tropischen Gebieten hingegen bedürfte der Zustimmung der dortigen Staaten.

Eine vierte Unterscheidung bezieht sich auf den epistemischen Hintergrund des CE-Diskurses. Mindestens ebenso wichtig wie die Frage nach der naturwissenschaftlichen Basis (Theorien, Modelle, Experimente) ist auch die Frage, welche sozialwissenschaftlichen Annahmen herangezogen werden, um die politische Dimension von CE zu beleuchten. Hierbei ist an Theorien internationaler Beziehungen (Neorealismus versus Institutionalismus), Spiel- und Entscheidungstheorie, Governance-Theorien etc. zu denken. Derartige Theorieangebote sind niemals wertfrei, da sie häufig über den involvierten Rationalitätsbegriff mit normativen Fragen in Verbindung stehen. Es handelt sich um performative Theorien, die politische Wirklichkeiten nicht einfach abbilden, sondern vielmehr diese beeinflussen und prägen. Auch sind die Konzepte, mittels derer Risiken abgeschätzt werden sollen, niemals wertfrei (Skorupinski, Ott 2000). Die ethischen Wertungen werden in einigen Risikotheorien durch das Konzept der subjektiven Erwartungswerte verdeckt.

Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidungen geht es also darum, einer problematischen Handlungsoption (Sulfateinbringung in die obere Atmosphäre) mit Gründen einen deontischen Operator (verboten, geboten, erlaubt) zuzuordnen, diese Zuordnung dann an Bedingungen zu knüpfen, hinsichtlich der Unterscheidung von Recht und Moral zu differenzieren usw. Um dies ethisch verantwortlich tun zu können, müssen zunächst die einschlägigen Argumente betrachtet werden.

3 Argumentationsmuster Pro und Contra

In einem ersten Schritt müssen substantielle Pro- und Contra-Gründe gesammelt und geprüft werden. Die Prüfung umfasst eine interne Analyse der jeweiligen Voraussetzungen und eine Zuordnung einzelner Argumente zueinander. Die bloße Anzahl der Gründe ist natürlich unwesentlich, deren Güte bzw. Gewicht ist entscheidend. Freilich haben Gründe kein messbares spezifisches Gewicht wie materielle Stoffe. Güte und Gewicht von Gründen stellen sich eher während des Diskurses sukzessive heraus. Da der CE-Diskurs noch in den ersten Anfängen steht, kann über das Gewicht einzelner Gründe hier nicht endgültig befunden werden. Allenfalls kann man zuletzt einige vorläufige Einschätzungen zu Güte und Gewicht einzelner Gründe anbieten. Zunächst geht es um eine Sichtung im Überblick, die noch stärker als es im Folgenden geschieht, auf die Unterscheidung von Feldversuchen und Einsatz bezogen werden müsste.

3.1 Die zentralen Argumente der Befürworter

Auf der Seite der Befürworter finden sich im Wesentlichen folgende Argumente:

Diese pro-Argumente verdienen Beachtung, da sie die eingangs erwähnten Intuitionen konterkarieren. Es ist fair zu sagen, dass diese Argumente vor allem in den USA vertreten werden. Daher treten sie gleichsam im Gewande von (burschikosen) Mentalitäten auf, die manche Europäer schätzen, andere hingegen nicht. Es fragt sich daher, ob es sich um universalisierbare Gründe handelt. Um dies herauszufinden, müsste die SRM-Debatte globalisiert werden, was bislang nicht der Fall ist. Vielfach scheint in den USA der Glaube vorzuherrschen, alles, was sich nach westlichen Standards als „top science“ qualifizieren lasse, sei das weltweit höchste und verlässlichste Wissen überhaupt. Es könnte sich hierbei um einen epistemischen Imperialismus handeln, der innerhalb des US-Wissenschaftssystems gar nicht mehr als problematisch empfunden wird. Einige der genannten Gründe, nämlich das Easiness-, Innovation- und Do-it-alone-Argument scheinen eher partikularistischer Natur zu sein: Nicht für alle lockt dieses Innovationspotenzial, nicht alle Nationen könnten allein handeln und nicht alle Bürger aller Nationen verfügen über so viel Wohlstand wie im Easiness-Argument unterstellt wird.

3.2 Die kritischen Einwände

Auf der Contra-Seite lassen sich im Wesentlichen folgende Gründe versammeln:

Sicherlich ist dies alles zunächst nur eine oberflächliche Ansammlung von Argumenten, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, ob, und wenn ja, unter welchen Bedingungen entweder großmaßstäbliche Feldversuche mit oder die Einbringung von Sulfaten in der Stratosphäre zulässig sein könnten. Vollständigkeit wird nicht beansprucht; vielmehr ist damit zu rechnen, dass in Zukunft noch weitere Argumente vorgebracht werden. Wichtig dabei ist, dass die genannten Gründe auf Voraussetzungen beruhen, die derzeit keineswegs transparent sind. Eine Präsuppositionsanalyse, d. h. eine Explikation aller Voraussetzungen der skizzierten Argumente ist also noch ein Desiderat. Auch die Beziehungen der Argumente zueinander sind nicht befriedigend geklärt. Dies aber ist (noch) nicht schlimm, da SRM weder in Bezug auf Feldversuche noch in Bezug auf einen Dauereinsatz akut ist und selbst SRM-Befürworter meinen, dass ein rasches Handeln, das vollendete Tatsachen schüfe, nicht ratsam sei. Der Diskurs beginnt insofern noch zur rechten Zeit.

4 Auch die Pro-Argumente könnten sich wandeln. Vorläufige Stellungnahme

Man kann Argumente nicht als Argumente verstehen, ohne zu ihnen Stellung zu nehmen. Das gilt auch unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit der Stellungnahme. Bis auf weiteres sehe ich auf der Pro-Seite allein das Arming-the-Future-Argument als Argument von Gewicht. Es legitimiert nur modelltheoretische Forschung und Forschungen unter Laborbedingungen. Diese Forschungen sollten betrieben werden; die Grenze liegt bei großmaßstäblichen Feldversuchen. Zu diskutieren wäre, ob kleinmaßstäbliche Versuche zulässig wären (wenige Quadratmeilen, wenige Tonnen). Man kann gegen kleinmaßstäbliche Versuche natürlich „slippery-slope“-Argumente anführen. Hier wäre zu fragen, ob eine Selbstverpflichtung der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft die slippery-slope-Befürchtungen entkräften könnte. Sicherlich wären dann maßstäbliche Festlegungen zu treffen, die weder logisch noch wissenschaftlich abgeleitet werde können.

Was das Lesser-Evil-Argument anbetrifft, so ist es trivial, dass von zwei unvermeidbaren Übeln immer das kleinere zu wählen ist. Weniger trivial ist es, sich zu fragen, was getan werden müsste, wenn eines von beiden Übeln noch vermieden werden kann, sich also die Situation der Übelabwägung in der Zukunft nicht notwendigerweise stellen muss. Ob das Lesser-Evil-Argument auch noch zutrifft, wenn eine Reihe von Strategien miteinander verglichen wird, mitigation, adaptation, naturschutzkonformes CDR und SRM zu kombinieren, ist unklar. Die Vertreter des Lesser-Evil-Arguments sind in der Bringschuld, das Argument genauer zu explizieren. Es scheint auf der Voraussetzung zu beruhen, dass die internationale Klimapolitik zum Scheitern verurteilt ist (s. u.).

Das Efficiency-Argument gewinnt an Stärke, wenn lediglich die Einsatzkosten der Sulfat-Option mit den Vermeidungskosten von Emissionen verglichen werden. Betrachtet man die (sehr groben) Kosten-Nutzen-Analysen einiger CE-Protagonisten wie Lee Lane vom American Enterprise Institute (Lane, Bickel 2009), so trifft man auf sämtliche Probleme von Kosten-Nutzen-Analysen. So werden indirekte Kosten der Sulfateinbringung auf Niederschläge, Ernte, Ökosysteme usw. von Lane und Bickel als monetär schwer bezifferbar angesehen. Der Umstand, dass die indirekten Kosten schwer eindeutig monetarisierbar sind, wird von Lane den Kritikern der Sulfat-Option als mangelnde Wissenschaftlichkeit angekreidet („ill defined“). Am Ende darf man diese Kosten offenbar vernachlässigen. Das wäre ein Fehlschluss, da dann das, was nicht monetär beziffert werden kann, letztlich doch beziffert wird: nämlich mit null Dollar. Eine kritische Reflexion auf Kosten-Nutzen-Analysen, mittels derer der ökonomisch optimale Klimapfad berechnet werden sollte, wurde mehrfach durchgeführt (etwa Schröder et al. 2002, Kap. 3). Es fragt sich daher wissenssoziologisch, aus welchen Gründen den Kosten-Nutzen-Analysen ungeachtet aller Einwände immer noch eine derartige Bedeutung zuerkannt wird.[3]

Das Easiness-Argument wäre ethisch nur von Belang, wenn ernsthaft Unzumutbarkeiten hinsichtlich mitigation geltend gemacht werden könnten. Andernfalls bezieht es sich nur auf fehlende Motivation, das zu tun, was auch nach Ansicht der meisten SRM-Befürworter das Bessere wäre. Dieses Argument supponiert einige stille Prämissen aus einer ökonomischen Theorie demokratischer Wahlen, in denen Wahlentscheidungen als Tausch von Stimmen gegen kurzfristige ökonomische Vorteile modelliert werden.

Ob das Do-it-alone-Argument überhaupt ein Pro-Argument ist, ist mehr als fraglich, denn die Möglichkeit von Alleingängen technisch hochgerüsteter Nationen ist kein Legitimationsgrund. Hier könnte die reale Möglichkeit unilateralen Handelns in Verbindungen mit den Legitimitätsproblemen eines solchen Handelns auch dazu führen, das Argument von der Pro- auf die Contra-Seite zu rücken. Zu dieser Verschiebung des Do-it-alone-Argumentes neige ich auch angesichts der umwerfend zynischen Begründung von Schelling (1996, S. 305), unilaterales Handeln werde ein kompliziertes Vermeidungsproblem in ein leicht lösbares Verteilungsproblem bezüglich der anfallenden SRM-Kosten verwandeln.

Die meisten Pro-Argumente beruhen auf der Prämisse, dass Vermeidungsstrategien zwar wünschenswerter sein mögen als SRM, dass aber Erfolge nicht zu erwarten sind. Diese Voraussetzung extrapoliert das Scheitern der bisherigen Bemühungen in die Zukunft und nimmt es als ein Fa(k)tum hin. Diese Voraussetzung scheint auf den ersten Blick eine Prognose zu sein, die sich bewahrheiten kann oder nicht. Es könnte sich aber hierbei auch um eine Strategie handeln, darauf hinzuwirken, dass SRM irgendwann als das kleineres Übel geltend gemacht werden kann. Es könnte natürlich auch sein, dass die SRM-Optionen überwiegend als so riskant empfunden werden, dass die Staaten in Zukunft die Anstrengungen zur Emissionsvermeidung verstärken werden, um SRM vermeiden zu können. Auch sind die Möglichkeiten eines neuen Multilateralismus längst nicht ausgelotet (WBGU 2010) und selbst die USA beginnen, Klimapolitik zu betreiben.

Wenn man einige Prämissen der Zukunftsverantwortung akzeptiert (Ott 2004) und eine pauschale Diskontierung zukünftiger Ereignisse ablehnt (Ott 2003), dann sind auf der Gegenseite Risk-Transfer-, Termination-Problem- und Moral-Hazard-Argument von besonderem Gewicht. Wir sind demnach verpflichtet, zukünftige Generationen nicht ohne Not in mögliche Dilemmata von globalem Ausmaß zu bringen. Die Sulfat-Option ist ohne eine klare „Exit“-Strategie nicht verantwortbar (Royal Society 2009). Hier zeigen sich auf Seiten der Befürworter Unstimmigkeiten. Während die einen behaupten, die Sulfat-Option sei nur zeitlich befristet erlaubt, räumen andere ein, diese Lösung wäre dauerhaft, sofern ihr Einsatz dazu führen werde, dass Vermeidungsbemühungen reduziert oder eingestellt würden. Mitigation ist ohnehin schwierig, wird aber bei der Realisierung von SRM tendenziell sinnlos. Genau dann entsteht ein Szenario äußersten Risikos: „A world with both rising CO2 concentrations and geoengineered climate stabilization is comparable to an unstable equilibrium held in balance by two opposing forces that grow as a function of time.“ (Matthews, Caldeira 2007, S. 9952) Eine solche Welt zu hinterlassen, ist meinen moralischen Überzeugungen zufolge unverantwortlich.

Auch das Moral-Hazard- und das Informed-Consent-Argument erscheinen vom Grundsatz her schwer bestreitbar. Das Informed-Consent-Argument schließt die Legitimität von unilateralen Aktionen oder von Aktionen einer „coalition of the willing“ aus. Die UN sind das geeignete Forum für CE-Debatten. Hier darf ich ein persönliches Erlebnis einflechten: Auf einer Podiumsdiskussion vor der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ versuchte Lee Lane mir gegenüber das Informed-Consent-Argument zu entkräften, indem er sagte, seiner „cynical perspective“ (wörtlich) zufolge würde die Anerkennung des Arguments nur bedeuten, dass sich die Länder des Südens ihre Zustimmung zu SRM teuer würden abkaufen lassen. Diese präsumtive Entkräftung des Informed-Consent-Prinzips beruht somit auf einer dezidiert zynischen Perspektive, in der die Einwände aus den Ländern des Südens gar nicht mehr als solche angehört und berücksichtigt werden müssen, sondern nur noch als Versuche interpretiert werden, den Preis der Zustimmung in die Höhe zu treiben. Ich sehe aber nicht, wie die Einnahme einer zynischen Perspektive das Informed-Consent-Argument sollte widerlegen können.

Das Loss-of-Intangible-Argument bedeutet mir viel. Das Blau des Himmels erscheint mir als ein Aspekt der Lebenswelt, der uns dadurch in seiner Schönheit und in seinem Glanze bewusst wird, dass wir seiner durch technisches Handeln verlustig gehen könnten. Über die Lebenswelt dürfen Naturwissenschaftler und Berufspolitiker nicht verfügen. Es wäre sachwidrig, dieses Problem der Farbe des Himmels als eine Angelegenheit ästhetischer Präferenzen zu behandeln. Auch hier sind die Stimmen anderer Völker gefragt, weil über die menschheitliche Bedeutung der „lieblichen Bläue“ des Äthers (Hölderlin) nicht in Ökonomie-Departments befunden werden darf. Die Tatsache, dass wir durch Smog die Farben des Himmels über einzelnen urbanen Regionen verändern, ist kein Grund, die Farbe des Himmels generell verändern zu dürfen.

5 Fazit und Positionierung

Die gegenwärtig verfügbaren diskursiven Konstellationen ernst nehmend, halte ich dafür, dass auf der Contra-Seite weitaus mehr Argumente von Gewicht stehen. Die Befürworter verfügen derzeit über wenig gute Gründe. Ob Befürworter eine Kosten-Nutzen-Analyse ernsthaft als Entscheidungsgrundlage vorlegen werden, bleibt abzuwarten. Die Pro-Gründe gewinnen aber dann an Gewicht, wenn Vermeidungsstrategien auch zukünftig scheiterten. Daraus ergibt sich für die Befürworter von SRM die mögliche Strategie, ihre Position zu stärken, indem sie Erfolge von mitigation aktiv ver- oder behindern. Es stellt sich daher sogar die Frage, ob Akteursnetzwerke, die gegen Vermeidung politisch agieren, nicht ipso facto jegliches moralische Recht verwirken, SRM zu betreiben. Das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen ist allerdings zweifellos Wasser auf die Mühlen der SRM-Befürworter. Klimapolitisch besonders fatal wäre es, wenn sich die geheimen Koalitionäre gegen anspruchsvolle mitigation-Strategien, nämlich die USA und China, zu einer SRM-Koalition verbündeten, was angesichts der chinesischen Tradition der technischen Manipulation des Wetters kulturell denkbar erscheint.

Zuletzt möchte ich mein persönliches Bekenntnis nicht verleugnen, das auch mit dem Hybris-Argument zu tun hat. Edward Teller, der „Vater“ der Wasserstoffbombe und Stratege der nuklearen Abschreckung, hat in seinen letzten Lebensjahren Berechnungen zu SRM angestellt. Teller und Mitautoren vertreten folgende Position zur Klimapolitik: „…active management of the radiative forcing of the temperature profiles of the Earth’s atmosphere and oceans by the Sun is an obvious gambit. Indeed, it’s likely the most overall practical approach to this particular issue” (Teller et al. 2002, S. 1). In diesem Artikel werden die Grundzüge der Sulfat-Option dargelegt; insofern ist diese Option Tellers Vermächtnis. Erinnern wir uns auch daran, dass Hans Jonas (1979, S. 76) gemahnt hat, bei Risiken von globaler Bedeutung der Unheilsprophetie mehr Gehör zu geben als den Versicherungen der Heilspropheten, alles werde gut ausgehen. Es wäre angesichts der SRM-Wagnisse besser, mit Hans Jonas zu fürchten als mit Edward Teller zu hoffen.

Anmerkungen

[1]  Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen geringfügig überarbeiteten Text, der in ähnlicher Form im Jahrbuch Ökologie 2011 erscheinen wird.

[2]  Eine gründliche Analyse des Arming-the-Future-Arguments findet sich bei Gardiner 2010.

[3]  Das Political-Economy-Argument bietet hier eine Antwort: Die Neoklassik eignet sich als Legitimationswissenschaft für die Interessen der Kapitalakkumulation in spät-fordistischen, energieintensiven Volkswirtschaften.

Literatur

Apel, K.-O., 1990: Diskurs und Verantwortung. Frankfurt a. M.

Blackstock, J.; Long, L., 2010: The Politics of Geoengineering. In: Science 327 (2010), S. 527

Boldt, J.; Müller, O.; Maio, G., 2009: Synthetische Biologie. Bern

Committee – Asilomar Conference’s Scientific Organizing Committee, 2010: Statement, 26. March 2010

Gardiner, S.M., 2010 (i. E.) Is „Arming the Future“ with Geoengineering Really the Lesser Evil. In: Gardiner, S.; Caney, S.; Jamieson, D.; Shue, H. (Hg.): Climate Ethics. Oxford

Grunwald, A., 2002: Technikfolgenabschätzung – Eine Einführung. Berlin

Grunwald, A., 2010: Der Einsatz steigt. In: Politische Ökologie 120 (2010), S. 37–39

Jonas, H., 1979: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M.

Keith, D.W.; Parson, E.; Morgan, G., 2010: Research on Global Sun Block Needed Now. In: Nature 463 (2010), S. 426–427

Lane, L.; Bickel, J., 2009: Solar Radiation Management and Rethinking the Goals of COP-15. In: Lane, L.; Bickel, E.; Galiana, I.; Green, C. (Hg.): Copenhagen Consensus on Climate: Advice for Policymakers. Copenhagen, S. 15–21

Matthews, H.; Caldeira, K., 2007 Transient Climate-carbon Simulations of Planetary Geoengineering. In: PNAS 104/24 (2007), S. 9949–9954

Morrow, D., 2010: Ethical Principles for Trials of Climate Intervention Technologies. Paper presented at the Asilomar Conference on Climate Intervention Technologies, March 23, 2010

Ott, K., 1997: Ipso Facto. Zur ethischen Rekonstruktion normativer Implikate wissenschaftlicher Praxis. Frankfurt a. M.

Ott, K., 2003: Reflections on Discounting: Some Philosophical Remarks. In: International Journal of Sustainable Development, Special Issue 6 (2003), S. 7–24

Ott, K., 2004: Essential Components of Future Ethics. In: Döring, R.; Rühs, M. (Hg.): Ökonomische Rationalität und praktische Vernunft. Würzburg, S. 83–108

Ott, K., 2005: Technikethik. In: Nida-Rümelin, J. (Hg.): Angewandte Ethik. Stuttgart, S. 568–647

Ott, K., 2009: Grundzüge der Klimaethik. In: Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (Hg.): Natur und gebaute Umwelt. Düsseldorf, S. 57–64

Ott, K., 2010: Die letzte Versuchung. In: Internationale Politik 65 (2010), S. 58–69

Royal Society, 2009: Geoengineering the Climate. London

Schelling, T., 1996: The Economic Diplomacy of Geoengineering. In: Climatic Change 33 (1996), S. 303–307

Schröder, M. et al., 2002: Klimavorhersage und Klimavorsorge. Berlin

Skorupinski, B.; Ott, K., 2000: Technikfolgenabschätzung und Ethik. Zürich

Teller, E.; Hyde, R.; Wood, L., 2002: Active Climate Stabilization: Practical Physics-based Approaches to Prevention of Climate Change. Lawrence Livermore National Laboratory, April 18, 2002

WBGU – Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, 2010: Klimapolitik nach Kopenhagen. Berlin

Kontakt

Prof. Konrad Ott
Botanisches Institut
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Grimmer Straße 88, 17487 Greifswald
Tel. +49 3834 864121
E-Mail: ott∂uni-greifswald.de