Die Ethisierung der Technik und ihre Bedeutung für die Technikfolgenabschätzung

Tagungsberichte

Die Ethisierung der Technik und ihre Bedeutung für die Technikfolgenabschätzung

10. Österreichische TA-Konferenz, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Wien, 31. Mai – 1. Juni 2010

von Katharina Mader und Georg Kamp, Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler

Bereits zum zehnten Mal richtete das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) seine Jahrestagung aus. Zum Jubiläum lag der Schwerpunkt auf der ethischen Perspektive technischer Möglichkeiten und der Frage, ob sich in Forschung und Entwicklung eine „Ethisierung“ der Technik zeige. Aus Sicht der Veranstalter verteidigten Befürworter wie Gegner technischer Entwicklungen ihre Positionen zunehmend häufiger mit Hilfe moralischer Argumente. Die TA müsse sich daher einem ethischen Diskurs stellen. Dies beträfe beispielsweise die Frage, welche ethischen Standards für neue wissenschaftlich-technische Entwicklungen wie die Synthetische Biologie oder die Nanotechnologie gelten oder ob mit zunehmender Interventionstiefe neuer Technologien neue Standards notwendig werden.

Auf der zweitägigen Konferenz mit über hundert Teilnehmenden wurde das Verhältnis zwischen Ethik und TA aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. In den Sessions des ersten Tages wurde dies unter Überschriften wie „Ethik und TA“, „Ethik und Governance“ oder „Ethisierung als Trend?“ theoretisch und anhand konkreter Beispiele diskutiert. Am zweiten Tag wurden Auswirkungen einzelner technischer Entwicklungen und die angemessene wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Reaktion im Rahmen von Workshops bearbeitet. Im Einzelnen standen „Ethische Aspekte der synthetischen Biologie“, „Nano-Governance in Österreich“ sowie „E-Partizipation und Klimaschutz“ auf dem Programm. Ein weiterer Workshop „Wikipedia und TA“ war der Diskussion um Möglichkeiten zur angemessenen Darstellung von Stichworten und Konzepten der TA im Internet gewidmet.

Dieser Tagungsbericht stellt nur einige ausgewählte Beiträge vor. Alle Vortragsfolien der Veranstaltung finden sich zum Download auf der Homepage des ITA (http://www.oeaw.ac.at/ita).

1     Eröffnung

Im Rahmen der Eröffnungsvorträge analysierte zunächst Wolfgang van den Daele (Wissenschaftszentrum Berlin) die Rolle moralischer Argumente in politischen Konflikten um den angemessenen Umgang mit technischen Neuerungen („Moralisierung in Technikkonflikten“).

Liberale Diskussionsteilnehmer lägen in Debatten, die auf Kompromisse zielen, gegenüber Vertretern moralischer Standpunkte, die ihre Überzeugungen schnell gefährdet sehen, per se im Vorteil: Daher sei – auch für Debatten in Ethik-Kommissionen und Ethikräten durchaus typisch – sehr viel eher der rationale Dissens zu erwarten als eine Annäherung im Austausch ethischer Argumente. Gerade darum aber, so van den Daele, sollten moralische Konflikte in Interessenkonflikte „rückübersetzt“ werden und vermehrt das Verhandeln an die Stelle des Austauschs moralischer Positionen treten, der nur allzu oft in Machtdiskurse verschoben würde.

Nicole C. Karafyllis (Arab Emirates University, Abu Dhabi) ging im zweiten Teil der Eröffnung auf das Verhältnis von Ethik und Technik in der arabischen Welt (Schwerpunkt Vereinigte Arabische Emirate) ein. Sie illustrierte durch aufschlussreiche Beispiele, dass unser Verständnis von TA nicht ohne Weiteres auf andere Kulturen übertragen werden sollte und forderte neben einem interdisziplinären auch einen internationalen und interkulturellen Ansatz für die weitere TA-Forschung. Dieser – so ließe sich im Sinne des Konferenztitels formulieren – sensibilisiere für die unterschiedlichen moralischen Positionen auch über die Kulturgrenzen hinweg und helfe, rationale Strategien zum angemessenen Umgang mit Konflikten auch zwischen unterschiedlichen technischen Kulturen zu entwickeln.

2     Ethik und TA

Armin Grunwald (ITAS, Karlsruhe) mahnte in seinem Vortrag „Ethische Aufklärung statt Moralisierung: Ethik in der TA“ eine begriffliche Unterscheidung zwischen „Ethisieren“ und „Moralisieren“ an. Gerade weil die Beurteilung technischer Entwicklungen nach Maßgabe vorfindlicher moralischer Kategorien von „gut“ und „böse“ sich oft als konfliktverschärfend erweise, bedürfe es eines aufklärerischen ethischen Diskurses, der sich in der professionalisierten akademischen Disziplin namens Ethik auch schon vor Jahrzehnten entwickelt habe. Insofern jedoch die in Frage stehenden Probleme nicht nur das individuelle, sondern auch und gerade das gesellschaftliche Handeln beträfen, bedürfe es eines Zusammenspiels von Ethik und TA, in dem gerade TA als eine Form der ethischen Aufklärung betrieben werde, die der Moralisierung und den daraus entstehenden gesellschaftlichen Kommunikationsstörungen und Handlungsblockaden entgegenwirke.

Weitere Beiträge in diesem Workshop versuchten, die „Ethik als Mittel zum Nachweis widersprüchlicher Erwartungen im Technikumfeld“ fruchtbar zu machen (Štefan Riegelink, ÖAW, Wien) oder die normativen Grundlagen der TA „Jenseits von Ethik“ aus der Bezugnahme auf den Nachfrager („Auftraggeber“) von Gesellschaftsberatung und die Gelingensbedingungen des Beratens zu gewinnen (Marc Dusseldorp, TAB, Berlin). In einer Detailbetrachtung eines aktuellen Beitrags zum Human Enhancement wollte schließlich Peter Wehling (Universität Augsburg) aufweisen, dass die professionalisierte Ethik, der doch sonst eher die Rolle eines „Schiedsrichters“ zukomme, zunehmend die Rolle eines „Mitspielers“ in Technisierungsprojekten einnehme. In den von Armin Grunwald entwickelten Kategorien ließe sich dieser Vorwurf wohl umformulieren in den, dass die Ethiker, wenn sie „proaktiv“ (Wehling) für eine technische Entwicklung argumentieren, eher eine Moral vertreten als Ethik betreiben.

3     Ethik und Governance

In der Session „Ethik und Governance“ ging es um die Frage, wie sich Konflikt-, Politik- und Legitimationsmuster ändern, wenn Technologien aus ethischer Perspektive statt unter den Aspekten von Risiko und ökonomischem Nutzen thematisiert werden.

Bettina-Johanna Krings (ITAS, Karlsruhe) sprach über das allmähliche Verschwinden sozialethischer Standards aufgrund von Re-Organisation globalisierter Arbeit seit den 1990er Jahren. Der ständige Wandel von Unternehmensstrukturen und eine zunehmende Technisierung von Arbeitsprozessen hätten immer differenziertere und demzufolge immer monotonere Arbeitsprozesse zur Folge. Dadurch herrschten einerseits inzwischen meist günstigere infrastrukturelle und physische Bedingungen für Arbeitende, auf der anderen Seite führten Fusionierungen zu mangelnder Berufsidentität und bisherige Standards würden mehr und mehr in Frage gestellt. Krings forderte deshalb eine Thematisierung von ethischen Fragen der Lebens- und Arbeitsgestaltung, da der derzeitige technologische Fortschritt kaum Möglichkeiten biete, emanzipatorische Bedingungen menschlicher Existenz (z. B. nach Kant) auszuloten.

In einem weiteren Vortrag kritisierte Martin Döring (Universität Hamburg) den Begriff „obesogenic environments“ (Umgebungen, die Übergewicht und Bewegungsmangel fördern) in der Stadt- und Raumplanung, die durch gesundheitsfördernde Maßnahmen verändert werden sollen. Laut Döring komme es in wissenschaftlichen Debatten zunehmend zu einer Diskriminierung Übergewichtiger (Fettleibigkeit als Bedrohung der globalen Gesundheit und als Zeichen des gesellschaftlichen Verfalls). Er bemängelte diesbezüglich das Fehlen von Daten, woraus er ein unbegründetes Problematisieren der Fettleibigkeit bei Ernährungsphysiologen und Humangeographen schlussfolgerte.

Zum Abschluss der Session stellte Michael Decker (ITAS, Karlsruhe) am Beispiel der Pflege im Gesundheitssystem die Frage, ob Roboter Menschen ersetzen könnten bzw. sollten und ob Roboter unter Umständen moralischer als Menschen „handeln“ könnten. Er verwies dabei auf den Einsatz von Robotern in ausgewählten Situationen, um menschlichen Pflegekräften mehr Ressourcen für empathische Tätigkeiten einzuräumen. Decker merkte an, Roboter ließen sich auch programmieren, sich ethisch akzeptabel zu verhalten, in dem die Darstellung von Gefühlen „antrainiert“ wird. Decker forderte, TA müsse hier diskutieren, inwiefern das gewünscht sei.

4     Fallstudien zur Ethisierung

In dieser Session stand die Frage nach tragfähigen normativen Prinzipien für die Regulierung technischen Handelns im Vordergrund. So stellte Mathias Boysen (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin) den Versuch vor, durch ethische Expertise und Technikfolgenabschätzung Chancen und Risiken der Grünen Gentechnik zu bewerten und sah dabei, dass sich hinter dem Konflikt um den Einsatz der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung auch Zielkonflikte darüber verbergen, welche Erwartungen Landwirtschaft und Ernährung zu erfüllen hätten.

TA und ethische Bewertungen griffen in der Bewertung der Grünen Gentechnik ineinander, wobei letztere je nach Grundüberzeugung variierten: Einem globalen, marktwirtschaftlichen Leitbild folgend, betrachte man Gentechnik als Fortschritt und Innovation, einem regionalen, ökologischen Ansatz folgend, erscheine Gentechnik als Element eines falschen Grundansatzes, der traditionell angepasste Wirtschaftskreisläufe außer Acht lasse. Boysen wies auf die Janusköpfigkeit jeden technischen Fortschritts hin, so dass jeweils eine fallweise Abwägung erforderlich sei.

5     Ethische Aspekte der Synthetischen Biologie

Einer der zur Vertiefung einzelner Themen angebotenen Workshops war der aktuellen Debatte um die Synthetische Biologie gewidmet. Joachim Boldt (Universität Freiburg) unterstrich in seinem Vortrag die ethische Relevanz dieser Forschungsrichtung, da man sich mit der Erzeugung neuartiger Organismen, also nach verbreiteter Auffassung mit der Schaffung von Leben, befasse. Die Forschenden setzten sich damit dem – auch in der politischen Debatte wiederholt erhobenen – Vorwurf aus, „Gott zu spielen“. Boldt wies darauf hin, dass nicht nur harte, kurzfristige Risiken (z. B. Bioterrorismus), sondern auch weiche, langfristige Problemstellungen (z. B. die Frage der Würde) der umsichtigen Diskussion bedürfen. Dabei müssten sich Ethik und TA wechselseitig ergänzen. Gerade in diesem Zusammenspiel aber liege die Herausforderung.

Markus Schmidt (International Dialogue and Conflict Management, Wien) stellte noch einmal die Neuartigkeit dieser Forschungsrichtung heraus, in der Teilbereiche von Biologie und Ingenieurwissenschaften verschmelzen und präsentierte die Ergebnisse einer Studie, die das schnell wachsende Engagement öffentlicher Förderorganisationen in diesem Gebiet nachzeichnet und dokumentiert. In dem insgesamt disparaten internationalen Förderverhalten spiele die Aufmerksamkeit auf die normative Begleitforschung im sog. ELSA-Bereich (Ethical, Legal and Social Aspects) zwar eine unterschiedlich große, insgesamt aber größer werdende Rolle, so Schmidt.

Zum Abschluss dieses Workshops verglichen Helge Torgersen und Karen Kastenhofer (beide ITA, Wien) Synthetische Biologie und Systembiologie. Letztere stehe – im Gegensatz zu Ersterer – weitgehend außerhalb des Aufmerksamkeitskegels der Ethik. Dabei seien beide hinsichtlich ihrer Risiken durchaus miteinander vergleichbar. Da jedoch die Synthetische Biologie eine offensichtlichere Nutzenorientierung aufweise (z. B. Generierung neuer Medikamente), gelte die Systembiologie mit ihrem modellierenden Charakter als anwendungsferner. Das mache sie ethisch allerdings keineswegs unproblematischer.

6     Wikipedia und TA

Die Workshops am zweiten Tagungstag dienten neben der Themenvertiefung auch der praktischen Orientierung. So zeigte Christoph Breitler (Wikimedia Österreich) in seinem Beitrag „Wikipedia und Input aus Fachcommunities“ anhand des Online-Lexikons, wie TA-Forschende das Internet zur Veröffentlichung von Informationen nutzen können. Die kooperativ entwickelte Enzyklopädie „Wikipedia“ ist das derzeit größte Online-Nachschlagewerk mit mehreren tausend aktiven Benutzerinnen und Benutzern im deutschsprachigen Raum. Breitler war der Einladung der Wikipedia-Arbeitsgruppe des Netzwerks TA gefolgt, die derzeit in einem „WikiProjekt“ an einer Überarbeitung und Erweiterung des derzeitigen Eintrags „Technikfolgenabschätzung“ im Online-Lexikon arbeitet.

Für die inhaltliche Ausgestaltung dieses Online-Angebots und für weitere Diskussionen über die Leistungsfähigkeit einer Ethik der Technik hat die TA’10-Tagung viele Anregungen geliefert, in dem sie einen interessanten und gewinnbringenden Einblick in den Stand der Ethikdebatte im Rahmen der TA bot.