Wissenschaftlicher Nachhaltigkeitsdialog zwischen Polen und Deutschland

Tagungsberichte

Wissenschaftlicher Nachhaltigkeitsdialog zwischen Polen und Deutschland

Bericht von der III. Polnisch-Deutschen Konferenz „Nachhaltige Entwicklung – von der wissenschaftlichen Forschung zur politischen Umsetzung“
Katowice, Polen, 25.–27. November 2009

von Marta Wachowiak, Deutsch-Polnisches Netzwerk Wissenschaftler für nachhaltige Entwicklung, FEST Heidelberg

1     Politischer Hintergrund

Die deutsch-polnische Nachhaltigkeitsdebatte besitzt inzwischen eine längere Geschichte. Eine erste Konferenz zum Thema fand im Jahr 2003 in Katowice statt, bevor Polen Mitglied der Europäischen Union wurde. Heute besteht eine regelmäßige wissenschaftliche Debatte über die Umsetzung der Lissabon-Strategie[1] im Hinblick auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele zwischen den an die gleichen EU-Richtlinien gebundenen Nachbarn.

Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung geht mit seinem Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ (FONA) und dem 4. Forum für Nachhaltigkeit 2007 in Leipzig auf die Ziele und Themen dieser Strategie ein. Ergebnis dieses Forums etwa war die „Lisbon to Leipzig Declaration – Deklaration für ein nachhaltiges und wettbewerbsfähiges Europa“, die u. a. von forschungspolitischen Vertretern Polens, Rumäniens und Tschechiens unterzeichnet wurde. In diesem Kontext sind die EU-Mitgliedsstaaten allgemein sowie die Nachbarländer Deutschland und Polen im Speziellen dazu angehalten, an der Umsetzung der Lissaboner Richtlinien mitzuwirken. Dabei stehen die drei großen Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung im Vordergrund. Die Steigerung der Innovationskraft Europas erfordert eine ausgewogene Wechselwirkung zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen – entsprechend dem integrativen Nachhaltigkeitskonzept.

Das Jahr 2009 zeigte eine positive Dynamik im bilateralen Nachhaltigkeitsdialog. Die polnischen und deutschen Wissenschaftler hatten sich im Juni in Białystok auf der internationalen Konferenz „Voraussetzungen und Mechanismen der nachhaltigen Entwicklung“ getroffen. Danach folgte eine Konferenz im Oktober zum Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in Jelenia Góra, und zu guter Letzt im November 2009 dann die III. Polnisch-Deutsche Konferenz „Nachhaltige Entwicklung – von der wissenschaftlichen Forschung zur politischen Umsetzung“ in Katowice.[2] Veranstaltet wurde sie vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) (Armin Grunwald, Gerhard Banse) und dem Institut für Philosophie der Schlesischen Universität Katowice (Andrzej Kiepas), diesmal in Kooperation mit dem Fraunhofer-Zentrum für Mittel- und Osteuropa in Leipzig (Thorsten Posselt) und der Oberschlesischen Handelshochschule Katowice (Ryszard Janikowski). Eingeladen waren zahlreiche Mitglieder des Deutsch-Polnischen Netzwerks „Wissenschaftler für nachhaltige Entwicklung“ (http://www.deutsch-polnisches-netzwerk.de), aber auch weitere internationale Gäste, unter anderem aus Österreich (Klagenfurt), der Slowakischen Republik (Banská Bystrica, Košice), der Tschechischen Republik (Vsetin) und aus Rumänien (Alba Iulia). Die Veranstaltung hatte zum Ziel, den Erfahrungsaustausch vor allem zwischen Vertretern der Forschung, der Wirtschaft und Politik aus beiden Ländern zu stärken. Gleichzeitig wurden die Kooperationsideen und Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, v. a. in den Grenzregionen diskutiert.

2     Beiträge und Diskussion

Die Konferenz knüpfte einerseits an die in beiden Ländern aktuell diskutierten Themen wie Klimaschutz, nachhaltige Ressourcenschonung, Biodiversität und Energie an, andererseits wurden neue Herausforderungen hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung diskutiert. Die drei Leitthemen der Konferenz waren deshalb:

Eröffnet wurde die Konferenz, an der mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie zahlreiche Studierende teilnahmen, von den Rektoren der zwei beteiligten Katowicer Hochschulen Wiesław Banyś und Krzysztof Szaflarski.

Im ersten, als Einführung und Überblick angelegten Panel trugen zunächst Andrzej Kiepas und Ryszard Janikowski zum Thema Informationsgesellschaft und Kulturkapital im Bezug auf nachhaltige Entwicklung vor. Anschließend referierte Martin Knapp (ITAS) über das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger im Projekt „WWViews – World Wide Views on Global Warming“. Der einleitende Überblick wurde vervollständigt durch Vorträge zu Problemen eines nachhaltigen Konsums (Tadeusz Borys, Ökonomische Akademie, Wrocław) und zum Zusammenhang von „Verletzlichkeit“ der Gesellschaft und nachhaltiger Entwicklung (Andreas Metzner-Szigeth, Universität Münster).

Der zweite Tag diente der vertiefenden Diskussion des in den einführenden Überblicksreferaten Dargelegten. Dabei ging es um die institutionellen Umsetzungsinstrumente der Nachhaltigkeitsstrategien in Deutschland (Jens Boysen), die technische und regionale Foresight als ein Instrument der Nachhaltigkeitspraxis (Leszek Woźniak, Technische Hochschule Rzeszów), die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung im Kontext der Globalisierung (Eugeniusz Kośmicki, Landwirtschaftsakademie Poznań) und die nachhaltige Entwicklung als „Klubgut“ (Jost Platje, Universität Opole). Berichtet wurde außerdem von der jeweiligen regionalen Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategien in Rumänien (Ildiko Tulbure), der Slowakei (Oto Hudec) und Tschechien (Jiri Trezner), dabei wurde der Fokus jeweils auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gelegt. Es zeigte sich, dass bei gleicher Zielstellung und weitgehend analogen Problemlagen differente Ansätze und Vorgehensweisen bestehen.

Bei dem darauffolgenden Panel „Probleme der Implementierung von Strategien nachhaltiger Entwicklung bezogen insbesondere auf Energie und nachhaltige Ressourcennutzung“ referierte Andrzej Graczyk (Ökonomische Akademie, Wrocław) zur nachhaltigen Energieversorgung im Sinne neuer europäischen Rechte und Renate Hübner (Universität Klagenfurt) über die versteckte, sog. „graue“ Energie.

Für viele polnische Teilnehmer war die Erhaltung der Biodiversität im östlichen Teil Polens wichtiges Thema, v. a. unter dem Aspekt der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung (Bau von Autobahnen etc.). Bazyli Poskrobko (Białystok) verwies in Bezug auf diese Problematik auf die Rolle des Naturkapitals und seine Bedeutung für eine ausgewogene nachhaltige Entwicklung.

Der zweite Tag wurde mit einer ausführlichen Debatte über die Bedeutsamkeit von Bildung für nachhaltige Entwicklung komplettiert. Die Vereinten Nationen haben für die Jahre 2004 bis 2014 die Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen. Vor diesem Hintergrund wurden unterschiedliche Erfahrungen dargelegt. Verena Holz (Universität Lüneburg) und Markus Will (Fachhochschule Zittau) referierten über bildungspraktische Ansätze der Nachhaltigkeit, auch im Hinblick auf die Komplexität, Perspektivität und Retinität des Konzepts in der Lehre.

Der letzte Tag widmete sich innovativen Lösungen bei dem Klimaschutz, zum Beispiel bei der Zementherstellung (Gerhard Sardemann, ITAS).

3     Fazit

Anliegen der Konferenz war, durch schon existierende, aber auch durch neu zu knüpfende Kontakte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Institutionen in den beteiligten Ländern zu einer besseren Nutzung der Möglichkeiten einer wissenschaftlich unterstützten politischen Umsetzung nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Neben dem, im Rahmen der Veranstaltung selbst möglichen Wissens- und Erfahrungsaustausch, bestand die Zielsetzung v. a. darin, zum einen den Informationsaustausch zwischen beiden Ländern zum Thema nachhaltige Entwicklung und ihrer politisch-gesellschaftlichen Umsetzung zu verbessern und zum anderen, Kooperationen auf Projekt- und anderen Ebenen zu initiieren.

Wie die Klimakonferenz in Kopenhagen gezeigt hat, ist die internationale Zusammenarbeit notwendig, um dem anthropogenen Klimawandel entgegen zu wirken. Durch eine gezielte Netzwerkarbeit – auch wenn nur im kleineren bilateralen Umfang – verbessern sich die Kommunikation und der Informationsfluss zwischen den Teilnehmern. Durch den aktiven Austausch von Know-how können neue Problemfelder und Querschnittsthemen identifiziert, gemeinsame Forschungsarbeiten initiiert und eine deutlichere Botschaft nach außen formuliert werden, z. B. zu Fragen von Nachhaltiger Entwicklung und Kultur, zu grenzüberschreitenden Lösungen im Energie- und Müllbereich.

Die Vorträge und Ergebnisse aus den Diskussionen sowie der Erfahrungsaustausch zwischen Vertretern aus Deutschland, Polen und den anderen beteiligten Ländern werden einen Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte leisten, der für die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung in unterschiedlichen Bereichen von zentraler Bedeutung ist.

Zwei Publikationen mit den Beiträgen je in deutscher und polnischer Sprache werden noch in diesem Jahr im Verlag edition sigma erscheinen.

Anmerkungen

[1]  Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat, 23.–24. März 2000, Lissabon finden sich unter http://www.europarl.europa.eu/summits/lis1_de.htm.

[2]  Vgl. zu den beiden Vorgängerkonferenzen: Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung: Von der wissenschaftlichen Forschung zur politischen Umsetzung. Berlin: edition sigma 2005; Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Zrównoważony rozwój: Od naukowego badania do politycznej. Berlin: edition sigma 2005 (poln.); Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung in Polen und Deutschland. Landwirtschaft – Tourismus – Bildung. Berlin: edition sigma 2007; Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Zrównoważony rozwój: Od naukowego badania do politycznej strategii. Rolnictwo – turystyka – edukacja. Berlin: edition sigma 2009 (poln.)