Zielhorizont 2050: Systemische Innovationen verbessern die Chancen der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt

Schwerpunkt: Foresight für die Umwelttechnik von morgen

Zielhorizont 2050: Systemische Innovationen verbessern die Chancen der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt

von Silke Beck, Harald Hiessl, Thomas Kluge, Christian Sartorius und Engelbert Schramm[1]

Sowohl in Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in den meisten Industrieländern besteht ein hoher Investitions- und Erneuerungsbedarf im Bereich der Wasserver- und -entsorgung. Aufgrund des weltweiten Investitionsbedarfs ist mit einem rasant wachsenden Markt für Wasser- und Abwassertechnologien zu rechnen. Das Verbundvorhaben „Wasser2050“ zielt darauf ab, die deutsche Wasserbranche besser auf diesen Zukunftsmarkt vorzubereiten. Im Mittelpunkt steht das Konzept der „nachhaltigen Systeminnovationen“, das sowohl den globalen Veränderungen (Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung) als auch den Spezifika verschiedener Zielländer Rechnung tragen und gleichzeitig ein großes Exportpotenzial eröffnen könnte. Anhand verschiedener Szenarien wird gezeigt, wie das Konzept umgesetzt werden könnte und welche Schlussfolgerung für Politik und Wirtschaft daraus zu ziehen wären.

1     Ausgangslage

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich mit den Milleniumzielen dazu verpflichtet, bis 2015 den Anteil der Weltbevölkerung ohne Zugang zu sauberem Wasser und hygienischer Abwasserversorgung zu halbieren sowie bis 2025 den dauerhaften Zugang zu Trinkwasser und zu sanitären Einrichtungen weitgehend für alle Menschen zu sichern. Bis heute ist nicht deutlich geworden, ob und wie sich diese Zielstellung erreichen lässt und es sind auch nur unzureichende Bemühungen erkennbar, diese Ziele wirklich umzusetzen. Neben der Verpflichtung, weltweit den Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung zu verbessern, besteht auch in der Siedlungswasserwirtschaft der meisten Industrieländer hoher Investitions- und Erneuerungsbedarf (Köhn 2008): Große Teile der dort vorhandenen öffentlichen und häuslichen Wasser- und Abwasserinfrastruktur sind erneuerungsbedürftig. Angesichts dieses globalen Investitionsbedarfs ist mit einem rasant wachsenden Markt für Wasser- und Abwassertechnologien und mit neuen Absatzchancen auch für Know-how und Technologien aus Deutschland zu rechnen (BMU 2007; Köhn 2008).

Das Verbundvorhaben „Wasser2050: Nachhaltige wasserwirtschaftliche Systemlösungen – künftige Chancen für die deutsche Wasserwirtschaft“ zielt darauf ab, die deutsche Wasserbranche (Versorgungsunternehmen, Sanitärhersteller, Technologiebereitsteller und Beratungsunternehmen) besser auf diesen Zukunftsmarkt vorzubereiten.[2] Die Ausgangsthese ist, dass Lösungen dann besonders interessant sind, wenn sie sowohl marktfähig als auch nachhaltig sind. Deutsche Anbieter von Wassertechnologien haben langfristig große Chancen auf dem Weltmarkt, wenn sie – außer auf technologische Einzelkomponenten – auch auf integrierte Systemlösungen setzen. Systemlösungen, die Trinkwasser-, Abwasser-, Abfall- und Energietechnologien kombinieren und optimieren, verfügen über ein beträchtliches Potenzial zur Bewältigung globaler Probleme: Sie tragen dazu bei, gleichzeitig Probleme der Wasserknappheit und -verschmutzung zu lösen, durch den geringeren Energie- und Ressourcenverbrauch Ressourcen zu schonen und Kosten einzusparen sowie nachhaltige Infrastrukturen und Kapazitäten aufzubauen. Diese Faktoren werden angesichts des sich verschärfenden Klimawandels und dem ständigen Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise an Gewicht gewinnen. Dazu gehört auch, dass sie langfristig einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und politischen Zielen (wie Effizienzsteigerung im Ressourcenverbrauch und wirtschaftlicher Entwicklung) ermöglichen und damit auch die Synergiepotenziale zwischen unterschiedlichen Zielen (Modernisierung der Infrastruktur, Ressourcen- und Kosteneffizienz, Umweltschutz) realisiert werden können. Der Aufwand zur Entwicklung und Markterschließung kann bei Systemlösungen zunächst höher als bei der Verfolgung konventioneller Strategien sein. Aufgrund ihrer Synergiepotenziale können Systemlösungen jedoch auf Dauer volkswirtschaftlich überlegen sein, so dass sie sich mittel- bis langfristig nicht nur flächendeckend auf den Zielmärkten (wie China und Indien) durchsetzen, sondern von dort auch auf andere, benachbarte Märkte expandieren werden, ohne dass überproportionale Markterschließungskosten anfallen.

Das Vorhaben untersucht daher aufbauend auf einer Analyse der gegenwärtigen Situation mögliche Entwicklungen bis zum Jahr 2050 und entwickelt Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik.

2     Grundverständnis und Vorgehensweise

Ähnlich der eng mit ihnen verbundenen Branche des Maschinen- und Anlagenbaus (Feucht 2009) orientieren sich die deutschen Unternehmen der Wasser- und Abwasserwirtschaft in der Ressourcenbewirtschaftung schon seit längerem bewusst am Nachhaltigkeits-Leitbild (Kraemer, Kahlenborn 1999). Allerdings weist der Wasser- und Abwassersektor eine Reihe von Besonderheiten auf, welche die Implementierung und Verbreitung umwelttechnischer Innovationen hinsichtlich Ausrichtung und Dynamik deutlich beeinflussen.

  1. Wasserver- und Abwasserentsorgung funktionieren hierzulande in den meisten Fällen auf der Grundlage einer netzförmigen, zentralen Infrastruktur, die über Gebietsmonopole geschützt wird. Um zu verhindern, dass diese Monopole unwirtschaftlich arbeiten, unterliegen sie hinsichtlich ihrer Preisbildung staatlicher Aufsicht.
  2. V. a. die Abwasserentsorgung, aber auch die Wasserversorgung sind Teile der staatlichen Daseinsvorsorge, die verhindern soll, dass durch das Fehlen oder die mangelhafte Funktion der Infrastruktur die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gefährdet werden.
  3. Gleichzeitig führen die Bedeutung kommunaler Verwaltungsstrukturen in der Wasserwirtschaft sowie die regionalen Unterschiede in der Ressourcensituation gerade in Deutschland zu einer eher kleinräumigen Strukturierung des Sektors.
  4. Aufgrund der erforderlichen Investitionen in Leitungsnetz und Aufbereitungstechnologie ist der Sektor sehr kapitalintensiv. Zusätzlich führen Abschreibungsfristen von 50 Jahren und mehr zu einer langfristigen Bindung des Kapitals und im Falle notwendiger Veränderungen zu hohen „versunkenen“ Kosten. Die Folge ist eine hohe Pfadabhängigkeit des Sektors.

Die intensive Regulierung (siehe oben Punkt 1 und 2) der Wasserver- und Abwasserentsorgung führt dazu, dass Innovationen weniger durch Wettbewerb induziert werden als durch politische Gesetzgebung und andere regulatorische Interventionen – wie veränderte behördliche Anforderungen an die Versorgungsunternehmen. Dabei hat die regionale Differenzierung (Punkt 3) zur Folge, dass abgesehen von einigen großstädtischen Versorgern der Wasser- und Abwassersektor in Deutschland eher kleinräumig strukturiert ist. Die Pfadabhängigkeit (Punkt 4) ist schließlich dafür verantwortlich, dass sich der technische Fortschritt über weite Strecken auf die in Deutschland vorhandenen Ausprägungen von Wasser- und Abwasserinfrastrukturen bezieht. Die deutsche Wasser- und Abwasserinfrastruktur ist folglich technisch sehr anspruchsvoll und erfüllt hohe Umwelt- und Verbraucherstandards, gleichzeitig besteht eine starke Tendenz zu zentralen Strukturen. Dezentrale Verfahrensansätze und Teilstrombehandlungen führen bisher ein Nischendasein.

Im globalen Vergleich sind die deutschen Rahmenbedingungen recht speziell und bedürfen zwecks Verbesserung des Exportpotenzials einiger Anpassungen. Dies gilt v. a. auch, weil der Erfolg in hohem Maße von einer guten Einbettung innovativer Lösungen in das jeweilige wirtschaftliche, institutionelle und gesellschaftliche Umfeld abhängt – Bedingungen, die von Land zu Land und von Kultur zu Kultur stark variieren können und sich teilweise grundlegend von den hierzulande vorherrschenden unterscheiden (vgl. Beck 2004).

Ausgehend von diesem Grundverständnis zielte das Projekt „Wasser2050“ zunächst darauf ab, durch die Identifizierung wahrscheinlicher zukünftiger Problemlagen (z. B. Bevölkerungsentwicklung, Urbanisierung, Industrialisierung, Klimawandel) und die vergleichende Bewertung verschiedener grundlegender technischer Ansätze (im Rahmen einer Technologievorausschau) die technischen Potenziale abzustecken, mit deren Hilfe den globalen Herausforderungen im Jahr 2050 nachhaltig begegnet werden kann. Anschließend wurden durch die Einbettung dieser technischen Potenziale in regional spezifische, wirtschaftliche, institutionelle und gesellschaftliche Kontexte Szenarien geschaffen, die zeigen, wie Lösungen im Detail aussehen und welche Rolle deutsche Unternehmen dabei spielen könnten. Schließlich wurde unter Verwendung der Methode des Backcasting[3] analysiert, wie diese wünschenswerten Zukünfte erreicht werden können, welche politischen Interventionen und technologischen Sprünge erforderlich sind und welche Beiträge deutsche Akteure leisten müssten, damit die deutsche Industrie die entsprechenden Marktchancen nutzen kann. Insgesamt gestattet es dieses Vorgehen, ein verbessertes Verständnis der zukünftigen Herausforderungen und Aufgaben zu erlangen und eine langfristig ausgerichtete Exportorientierung der deutschen Wasserindustrie zu stimulieren.

Abb. 1: Innovationen im Wassersystem und ihre Stellschrauben

Abb. 1: Innovationen im Wassersystem und ihre Stellschrauben

Quelle: Eigene Darstellung

3     Lösungen für Problemlagen: Zukunftsmärkte für Wassertechnologien

Nach Ansicht vieler Experten scheinen bereits heute zahlreiche Problembereiche für die Wasserwirtschaft auf, die sich zukünftig in einer verstärkten Nachfrage nach geeigneten Lösungen niederschlagen werden (Köhn 2008). Bisher wurden diese Probleme zumeist in mittelfristig ausgerichteten Szenarien betrachtet, die Zeiträume bis 2025 oder 2030 umfassen. Angesichts der Langlebigkeit der Wasserinfrastruktur kann aber nur eine längerfristige Perspektive – etwa bis zum Jahr 2050 – ausreichend Orientierung für die künftige Marktentwicklung bieten. Daher hat der Verbund „Wasser2050“ die von verschiedenen internationalen Forschungsprojekten vorgelegten mittelfristigen Szenarien bis zum Jahr 2050 verlängert (Alcamo et al. 2007; Gallopin et al. 2000; Lienert et al. 2006).Ihnen zufolge werden sich langfristig voraussichtlich die folgenden Trends abzeichnen:

Die aufgeführten Probleme können sich in einigen Fällen sogar noch gegenseitig verschärfen, wenn beispielsweise die Konkurrenz von Stadt und Land um Wasser nicht durch die Wiederverwendung des Abwassers entschärft oder durch das Fehlen einer Abwasserinfrastruktur die Situation der Bewohner in städtischen Slums nach stärkeren Niederschlägen zusätzlich verschlechtert wird.

4     Systemisches Verständnis verbessert die Exporterfolge

Um solche Verstärkungseffekte weitgehend zu verhindern und die langfristige Bewältigung der zugrunde liegenden Probleme sicher zu stellen, wurde bei der Auswahl von Lösungsansätzen darauf geachtet, dass es sich um nachhaltige Systemlösungen handelt. Dabei wird dem Leitbild der Nachhaltigkeit v. a. durch den sparsamen Umgang mit Ressourcen Rechnung getragen, während sich der Systemcharakter in der ganzheitlichen Analyse verschiedener Teilsysteme niederschlägt. Letzteres bedeutet z. B., dass nicht für alle Verwendungszwecke Trinkwasser verwendet, sondern die Art der Verwendung von Wasser schon bei dessen Aufbereitung berücksichtigt wird. Im Einzelnen sind folgende Aspekte von Bedeutung:

Der systemische Ansatz zur Erzielung von Nachhaltigkeit wird im Projekt „Wasser2050“ aber nicht allein im Kontext der technischen Funktionsweise von Innovationen verfolgt. Wichtig sind hier auch Gewohnheiten, Normen und Werte der Nutzer/Betreiber von Technologien, ihr Wissen, die institutionellen und politischen Rahmenbedingungen einschließlich ökonomischer Anreize sowie die allgemeinen Randbedingungen.

Wird eine derart umfassende Perspektive auf die Technik und auf ihren Anwendungskontext eingenommen, lässt sich die Realisierbarkeit von Innovationen weit über die technischen Aspekte hinaus abschätzen. Beispielhaft sei hier die Rolle des verfügbaren Wissens dargestellt. Dort, wo eine technische Anlage, beispielsweise eine Kläranlage, installiert worden ist, sollten Betreiber vor Ort das Wissen besitzen oder erwerben können, wie die Anlagen betrieben und Wartungs- und Reparaturarbeiten ausgeführt werden müssen. Dies stellt sicher, dass die Anlagen langfristig funktionsfähig bleiben und keine Investitionsruinen entstehen. Diese lokalen Fachleute können außerdem in der Folge auch als Multiplikatoren bzw. Vermittler fungieren, die eine weitere Ausbreitung fördern und ggf. auch ausländische Unternehmen beim Vertrieb ihrer Anlagen unterstützen können. Natürlich müssen längerfristig auch Anreize vorhanden sein, ausgebildete Fachleute vor Ort zu halten und einen Braindrain zu verhindern.

Für die Organisation und Planung einer Wasser- bzw. Abwasserinfrastruktur und die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen ist schließlich die Einbeziehung und Überzeugung der lokalen Verwaltung und Politik von zentraler Bedeutung. Gerade wenn es darum geht, nachhaltige Systemansätze zu verwirklichen, die einen Großteil ihrer Vorteile erst mittel- und längerfristig offenbaren, ist die Politik gefordert, diesen Nutzen zu erkennen und die Systeme in der Verwaltung durchzusetzen. Hier kann entsprechende Unterstützungs- und Überzeugungsarbeit von Seiten der Entwicklungspolitik der Exportländer sehr förderlich sein. Gleichzeitig können dadurch den einschlägigen Exportunternehmen gute Voraussetzungen für den Markteintritt im jeweiligen Empfängerland geschaffen werden. Sind alle diese Bedingungen erfüllt, d. h. es besteht der politische Wille, die neue Infrastruktur zu installieren, die Verwaltung erhält Anreize zur Umsetzung und Aufrechterhaltung, das notwendige Wissen ist vor Ort vorhanden und die Nutzer sehen einen Vorteil, dann kann der Betrieb der Infrastruktur langfristig erfolgreich sein. Die installierte Infrastruktur kann Vorbildcharakter erlangen und auf diese Weise ein signifikantes Potenzial für den Export in dieses und andere Länder erschließen.

5    Backcasting: Wege zu systemischen Innovationen

Um die Marktpotenziale systemischer Innovationen besser abschätzen zu können, wurden für die Marktregionen Nordchina, Südindien und westlicher Maghreb langfristige Marktszenarien entwickelt. Dabei wurden die eher konventionellen Einzellösungen der systemischen Variante gegenübergestellt. Anschließend wurde mit Hilfe eines „Backcastings“ für diese auf das Jahr 2050 zielenden Marktszenarien analysiert, mit welchen strategischen Maßnahmen und Methoden diese Zukunft erreicht werden kann. Die Untersuchung der aufeinander aufbauenden Schritte hin zur Realisierung der Marktszenarien gestattet es zudem, Schlussfolgerungen für mögliche Änderungen im Innovationsmanagement sowohl einzelner Anbieter als auch wichtiger Schlüsselakteure (wie etwa dem Exportnetzwerk German Water Partnership oder der Bundesregierung) zu ziehen.

Die Marktszenarien für die einzelnen Regionen und das Backcasting verdeutlichten, dass die Nachfrage nach systemischen Innovationen auch bei hohem Problemdruck nicht automatisch gegeben ist, sondern in hohem Maße situativ geprägt ist und von der spezifischen Akteurskonstellation und den regionalen Rahmenbedingungen abhängt.

Der Vergleich der Marktszenarien für die drei ausgewählten Zielregionen zeigt etwa, dass Märkte für systemische Innovationen vor allem dann erschlossen werden können, wenn die wasserwirtschaftlichen Institutionen der betroffenen Länder vom Nutzen der Systemlösungen überzeugt werden. Die Modernisierung der Infrastruktur eröffnet ein window of opportunity für die Nachfrage nach Systemlösungen, da sich hier Synergien im Hinblick auf die Ressourceneffizienz in den Bereichen Wasser und Energie technisch relativ einfach realisieren lassen und große Kostenersparnisse und damit auch Skaleneffekte zu erwarten sind. Kurzfristig müssen überzeugende Pilotprojekte und Leuchttürme auf den Weg gebracht werden, die als Referenzprojekte in die entsprechende Zielregionen ausstrahlen. Unter weniger günstigen Governance-Bedingungen wird dies nur langfristig und mit erheblichen zusätzlichen Anstrengungen möglich sein.

Grundsätzlich besteht ein hohes Potenzial für mittel- und langfristige strategische Partnerschaften zwischen deutschen Technologieanbietern und den Nachfragern in den Zielregionen. Diese tragen dazu bei, Koordinierungsschwierigkeiten zu überwinden sowie Wissen, Kompetenzen und Leistungen zu „poolen“, um gemeinsam den Markt zu erschließen und zu durchdringen. Die Markteintrittsbedingungen können sich verbessern, wenn tendenziell einfachere Technologien in den Zielregionen selbst produziert werden und nur das komplexere Know-how dorthin exportiert wird.

Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung auf unterschiedlichen Ebenen können in den Zielländern die Entwicklung von Kompetenzen fördern, die den langfristigen Betrieb systemischer Lösungen ermöglichen und ihrer Verbreitung Vorschub leisten. Neben den bewährten Bildungsmaßnahmen durch die wasserwirtschaftlichen Fachverbände und den durch die Bundesregierung geförderten speziellen Studiengängen für Wasserwirtschaftler aus anderen Ländern werden weitere Maßnahmen zum „capacity development“ auf der Ebene von politischen Administrationen und Multiplikatoren relevant.

Die systemischen Innovationen müssen nach den Ergebnissen der Marktszenarien künftig keineswegs auf Nischen beschränkt sein. Vielmehr lassen sie sich vermutlich unter geeigneten Rahmenbedingungen auch flächendeckend durchsetzen. Es zeigt sich aber auch, dass der Koordinationsaufwand für die Implementierung systemischer Innovationen deutlich höher sein wird als das Verfolgen konventioneller Ansätze. Ursache dafür ist nicht nur die größere Zahl der Anbieter, sondern auch die Notwendigkeit, andere Stakeholder – insbesondere die Anwender – zu integrieren. Diese komplexe Koordinationsleistung bedeutet höheren Aufwand, aber auch Wettbewerbsvorteile. Systemische Innovationen setzen sich dabei nicht alleine über den Preis, sondern z. B. durch die im Vorfeld bereits entwickelte Kundenbindung durch (Lindstädt, Hauser 2004, S. 33).

6     Nachhaltige Technologiepolitik und Schaffung von Leit-Märkten

Für eine Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Wasserwirtschaft erweist sich weder die klassische Industriepolitik noch eine technologieorientierte Umweltpolitik als förderlich, weil sie sich in erster Linie an einzelnen Technologien oder Branchen orientieren. Um nicht zuletzt in weit entfernten Regionen mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen eine nachhaltige Verbesserung der Wasserver- und Abwasserentsorgung zu erreichen, ist es notwendig, einen Systemansatz zu verfolgen, der nicht nur das technische System umfassend berücksichtigt, sondern auch die Gestaltung von institutionellen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einbezieht. Ein solcher Governance-basierter Ansatz (s. Tab. 1) unterscheidet sich von der traditionellen umwelt- und industrieorientierten Technologiepolitik nicht nur in seiner stärkeren Berücksichtigung sozialer und kultureller Gesichtspunkte, sondern auch in der stärkeren Nachfrageorientierung und in der zusätzlichen Integration der Bildungs- und Entwicklungspolitik.

Tab. 1: Unterschiede zwischen technologieorientierter Umweltpolitik, generischer Industriepolitik und governancebasierter Technologiepolitik

  technologieorientierte Umweltpolitik generische Industriepolitik Governance von systemischen Innovationen
Ziele Vorsorgeprinzip
Externe Kosten
Wettbewerbsfähigkeit Umweltverträglichkeit
Wettbewerbsfähigkeit
Sozialverträglichkeit/Well-being
Ziele der politischen Steuerung öko-effiziente Technik entwickeln & anwenden nationale Wettbewerbsfähigkeit stärken, Marktzugang schaffen integrierte Systemlösungen entwickeln, internationale Marktdurchdringung
Zeithorizont kurz- und mittelfristig mittel- und langfristig langfristig
Ansatzpunkt Angebot Angebot Kopplung von Angebot und Nachfrage
Ansatztiefe technische Einzellösungen/Branchen Rahmenbedingungen integrierte und systemische Innovationen
Rahmenbedingungen (Systemwechsel)
Hauptakteure Umweltministerium, Wirtschaft, Umweltverbände Wirtschaftsministerium
Sozialpartner
Politik, Industrie, Forschung, Sozialpartner
Koordination mit Politikfeldern Wirtschaft
Verkehr, Energie
Wirtschaft Forschung/Technologie/Bildung
(Außen-)Wirtschaft
Entwicklung

Quelle: Modifizierte Darstellung nach Jacob 2009

Um den Technologieexport politisch besser zu flankieren und Synergien gemeinsam mit den Akteuren aus der Wirtschaft herzustellen, werden Initiativen zur Integration und Vernetzung dieser Aktivitäten notwendig. Dies erfordert die Kooperation von exportorientierten Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Hochschulen, partnerschaftlichen Fachverbänden und Landesinitiativen sowie den betroffenen Ministerien. Darüber hinaus gewinnen Initiativen wie „German Water Partnership“ an Bedeutung.

Der nachhaltige Systemansatz ist für die außenwirtschaftliche Entwicklung deutscher Technologien in der Wasserwirtschaft von großer Bedeutung. Es spricht viel dafür, künftig systemische Innovationen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Dies v. a. aufgrund folgender Hypothesen:

Angesichts der globalen Konkurrenz in der Wasserwirtschaft wird es zunehmend darauf ankommen, neben technologischen Einzelkomponenten abgestimmte Systemlösungen in Europa und auf den Märkten der Schwellen- und Entwicklungsländer anzubieten. Ein Innovationsmanagement, welches zu einem frühzeitigen Austausch zwischen Anbietern und potenziellen Nachfragern führt, wird den Marktzugang begünstigen.

Wo sich nach den Analysen von „Wasser2050“ deutsche Unternehmen derzeit noch nicht als wettbewerbsfähige Anbieter für systemische Innovationen erweisen, können breitenwirksame Fördermaßnahmen einen Anreiz zur Neuausrichtung schaffen.

Untersuchungen zum Innovationsgeschehen zeigen, dass die Nachfragestruktur zu dem entscheidenden Faktor wird, der die Dynamik von Leitmärkten bestimmt (Porter, Linde 1995). Leitmärkte zeichnen sich dadurch aus, dass sich eine Innovation auf einem nationalen oder regionalen Markt schnell entwickelt und Trends setzt, die dann von anderen Märkten übernommen werden. Die Voraussetzungen für die Etablierung nachhaltiger Systeminnovationen im Bereich der Wasser- und Abwassertechnologien sind im Heimatmarkt Deutschland nicht schlecht, aber noch ausbaufähig. Für eine Etablierung in den Zielregionen ist aber entscheidend, dass den dort herrschenden Rahmenbedingungen Rechnung getragen wird. Teilweise können diese Rahmenbedingungen z. B. durch die Politik aktiv beeinflusst werden. In den meisten Fällen müssen jedoch die Technologien den dortigen Bedingungen angepasst werden. Wichtig ist auch, dass rechtliche und politische Strukturen geschaffen bzw. bestehende rechtliche Leitlinien systematisch umgesetzt werden, die es deutschen Unternehmen erleichtern, auf den Märkten Fuß zu fassen.

Damit verbunden sollten von deutscher Seite verstärkt Projekte gefördert werden, welche die Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen in den Exportländern so beeinflussen, dass die dortigen Versorgungssysteme in eine nachhaltige Richtung gelenkt werden.

Anmerkungen

[1]  Silke Beck arbeitet beim UFZ Leipzig. Harald Hiessl und Christian Sartorius sind am FhG-ISI. Vom ISOE sind Thomas Kluge und Engelbert Schramm.

[2]  An dem vom BMBF 2006 bis 2009 geförderten Vorhaben arbeitete das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Eine Buchpublikation ist in Vorbereitung (Kluge et al. 2010/i. E.).

[3]  Backcasting ist eine Szenariotechnik, bei der ausgehend von einem zukünftigen gewünschten Zustand, Strategien zur Zielerreichung entwickelt werden. Die European Environment Agency (EEA) beschreibt dies im Rahmen folgender Definition: „Backcasting scenarios reason from a desired future situation and offer a number of different strategies to reach this situation.“ (Greeuw et al. 2000, S. 8).

Literatur

Alcamo, J.; Flörke, M.; Märker, M., 2007: Future Long-Term Changes in Global Water Resources Driven by Socio-Economic and Climatic Changes. In: Hydrological Sciences Journal 52/2 (2007), S. 247–275

Beck, S., 2004: Localizing Global Change in Germany. In: Jasanoff, S. et al. (Hg.): Earthly Politics: Local and Global in Environmental Governance. Cambridge, Ma, S. 173–194

BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.), 2007: GreenTech made in Germany. Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland. München

Feucht, N., 2009: Green Production Technology: Grün-Anlagen der ökologischen Art. In: VDMA-Nachrichten 10 (2009), S. 4045

Gallopín, G.C.; Rijsberman, F., 2000: Three Global Water Scenarios: In: International Journal of Water 1 (2000), S. 16– 40

Greeuw, S.C.H.; van Asselt, M.B.A.; Grosskurth, J. et al., 2000: Cloudy Crystal Balls: An Assessment of Recent European and Global Scenario Studies and Models. Environmental Issues Series 17, European Environment Agency (EEA), Copenhagen

Jacob, K., 2009: Ökologische Industriepolitik – wirtschafts- und politikwissenschaftliche Perspektiven. In: Umweltbundesamt (UBA): Ökologische Industriepolitik. Wirtschafts- und politikwissenschaftliche Perspektiven. Berlin, S. 1–12; http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3796.pdf

Kluge, Th. et al., 2010 (i. E.): Wasser 2050. Chancen für die deutsche Wasserwirtschaft. München

Köhn, R., 2008: Der unterschätzte Rohstoff. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. August 2008, S. 19

Kraemer, R.A.; Kahlenborn, W., 1999: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland. Berlin

Lienert, J.; Monstadt, J.; Truffer, B., 2006: Future Scenarios for a Sustainable Water Sector. A Case Study from Switzerland. In: Environmental Science and Technology 40 (2006), S. 436–442

Lindstädt, H.; Hauser, R., 2004: Strategische Wirkungsbereiche des Unternehmens. Spielräume und Integrationsgrenzen erkennen und gestalten. Wiesbaden

Porter, M.E.; van der Linde, C., 1995: Green and Competitive: Ending the Stalemate. In: Harvard Business Review 73 (1995), S. 120–134

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Dr. Engelbert Schramm
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