Neue Medien und ihr Einfluss auf die kulturelle Entwicklung der Gegenwart

Tagungsberichte

Neue Medien und ihr Einfluss auf die kulturelle Entwicklung der Gegenwart

Cottbus, 27.–29. September 2009

von Heinrich Ganthaler, Universität Salzburg

Wie beeinflussen Neue Medien die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft und welchen Einfluss haben sie auf die Identität einer Gesellschaft? Welche Möglichkeiten des Wissenstransfers eröffnen sie und welche Gefahren sind damit verbunden? Fragen dieser Art stehen im Zentrum der Forschungsaktivitäten des European Research Networks on Cultural Diversity and New Media (CULTMEDIA). Ziel der Tagung in Cottbus, an der Wissenschaftler aus sechs Ländern (Deutschland, Finnland, Österreich, Polen, Slowakische Republik und Tschechische Republik) teilnahmen, war es, die Ergebnisse der bisherigen Tätigkeit des Netzwerks zu reflektieren sowie neuere Entwicklungen im Medienbereich und deren kulturelle Auswirkungen zu thematisieren. Organisiert wurde die Tagung von Irene Krebs von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU), eröffnet wurde sie vom Präsidenten der BTU, Walther Chr. Zimmerli.

1     Rückblick auf die bisherige Tätigkeit des Netzwerks

Wie der Organisator des Netzwerks, Gerhard Banse (ITAS, Karlsruhe), in seiner Einführung rückblickend hervorhob, gingen der Cottbuser Tagung insgesamt acht Veranstaltungen (Tagungen oder Workshops) in verschiedenen Ländern Europas voran.[1] Thematisch konzentrierten sich die Beiträge dieser Veranstaltungen ebenso wie der Tagung in Cottbus auf vier Schwerpunkte bzw. Forschungsfelder: Privatheit und Öffentlichkeit (Erforschung der soziopolitischen Dimension des Einflusses neuer Medien), Identität und Gemeinschaft (Erforschung der sozial-kulturellen Dimension des Medieneinflusses), Wissen und Wirtschaft (Erforschung der sozioökonomischen Dimension bzw. des Einflusses neuer Medien auf das Verhältnis von Wissen und Wirtschaft) sowie (Un-)Sicherheit und Vertrauen (Thematisierung von Sicherheitsfragen im Hinblick auf elektronische Signaturen, Diebstahl von Identitäten, unautorisierte Veränderungen von Medieninhalten etc.).[2]

2     Beiträge zur Tagung in Cottbus

Wie Reima Suomi (Turku School of Economics, Finnland) in seinem Einleitungsreferat hervorhob, hat das Internet die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso stark verändert wie die Erfindung der Dampfmaschine das 19. Jahrhundert und die Entwicklung von Autos, Flugzeugen, Telefon, Radio und Fernsehen das 20. Jahrhundert. Die Entwicklung des Internets hat v. a. zu einem Informationsüberfluss beigetragen, den wir heute kaum mehr bewältigen können, und auf den Menschen in unterschiedlicher Art und Weise – nicht wenige durch Rückzug aus sozialen Beziehungen und Verweigerung von Teamarbeit (social loafing) – reagieren. Um diese negativen Auswirkungen des Informationsüberflusses zu verhindern, sei es wichtig zu verstehen, wie soziale Netzwerke funktionieren und Gegenstrategien gegen die erwähnten Rückzugstendenzen zu entwickeln.

Daniela Fobelova und Pavel Fobel (Matej Bel-Universität Banská Bystrica, Slowakische Republik) wiesen in ihrem Vortrag darauf hin, dass die modernen Kommunikationstechnologien wesentlich zur Vermischung verschiedener Kulturen und zur Auflösung nationaler Identitäten in einer globalen und multikulturellen Welt beitrügen. Es stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie in einer globalen Welt die Spezifik und Diversität nationaler und lokaler Kulturen gewahrt werden und dennoch so etwas wie ein multikultureller Dialog, ein Fortschreiten der Menschheit zu mehr Humanismus und Demokratie gefördert werden könne. Dies sei nur möglich, wenn die traditionelle Kultur des Monologs durch eine Kultur des Dialogs ersetzt werde, wozu die Angewandte Ethik einen wesentlichen Beitrag leisten könne.

Mit ethischen Aspekten der Massenkommunikation, v. a. im Hinblick auf die Entwicklung des Internets, befasste sich Heinrich Ganthaler (Universität Salzburg, Österreich). Im Unterschied zu herkömmlichen Massenkommunikationsmitteln (Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen) zeichne sich das Internet dadurch aus, dass jeder Rezipient ein potenzieller Kommunikator sei, was zu neuen Verantwortungszuschreibungen führe. Das Internet erfordere zwar nicht unbedingt die Entwicklung einer neuen Ethik, wohl aber neue Strategien, um die Einhaltung ethischer Grundsätze zu kontrollieren und den Missbrauch dieses Mediums einzudämmen. Nicht zuletzt bedürfe es dazu auch gesetzlicher Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Repräsentation von Kulturen in Suchmaschinen wie „Google“ war Gegenstand des Referats von Karsten Weber (Technische Universität Berlin). Suchmaschinen stellten so etwas wie „Fenster im Netz“ dar und bestimmten wesentlich mit, was durch sie gesehen werden könne. Wie aber können ein Minimalstandard an „Sichtbarkeit im Internet“ und damit individuelle Meinungsvielfalt, politische Teilhabe und kulturelle Repräsentanz gewährleistet werden? Sollte es neben privatwirtschaftlich betriebenen Suchmaschinen auch staatliche oder öffentlich-rechtliche Alternativen geben? Die Antworten auf Fragen dieser Art lägen nach Weber nach wie vor im Nebel bzw. unter einem Schleier des Nichtwissens.

Fragen der kulturellen Identität und Gemeinschaftsbildung standen im Zentrum der Beiträge von Urszula Z.ydek-Bednarczuk, Andrzej Kiepas, Tadeusz Miczka, Mariola Su?kowska und Bogdan Zeler (alle Schlesische Universität Katowice, Polen) sowie Wendy Drozenová (Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag) und Alexander Unger (Universität Magdeburg). Wie Urszula Z.ydek-Bednarczuk aufzeigte, führten der mediale Diskurs im Internet und insbesondere die Verwendung von Hypertexten in mehrfacher Hinsicht zu einer Veränderung des Sprach- und Kulturverhaltens. Lineares Textlesen werde durch das Navigieren in Hypertexten ersetzt, wodurch sich Kommunikation im Internet als wesenhaft prozessual, strategisch, kognitiv und interaktiv erweise. Der mediale Diskurs im Internet führe auf diese Weise nicht nur zur Veränderung von Wertsystemen, sondern auch zu Veränderungen im sozialen Leben von Menschen.

Andrzej Kiepas setzte sich in seinem Beitrag mit dem menschlichen Subjekt und seiner Beziehung zur virtuellen Welt auseinander. Konnte im Rahmen der traditionellen Philosophie noch klar zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Realität und Virtualität unterschieden werden, so bilde sich durch die neuen Medien mehr und mehr eine neue Art der Wirklichkeit, eine Kultur der realen Virtualität heraus, in welcher auch die klassische Trennung zwischen Subjekt und Objekt keine so bedeutende Rolle mehr spiele, wie sie es bisher getan habe.

Ähnlich wie sich durch das Internet die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt und dadurch die Identität des Menschen verändere, ändere sich nach Tadeusz Miczka durch das Internet und den dadurch ermöglichten Zugriff auf eine nahezu unbegrenzte Menge an Informationen auch die Beziehung zwischen Bürgern und Staaten. Dies mache es erforderlich, den Begriff der politischen Identität neu zu bestimmen. Die Verwaltung von Informationen durch Firmen wie Google berge darüber hinaus die Gefahr eines Einbruchs in die Privatsphäre von Internetnutzern.

Zu einer eher positiven Einschätzung der durch das Internet gegebenen neuen Kommunikationsmöglichkeiten gelangten Mariola Su?kowska und Bogdan Zeler. Nach Mariola Su?kowska sei mit der Entwicklung einer neuen Kunstform, der „net.art“, welche sich durch ihre immaterielle, ephemere, interaktive und hypertextuelle Form von traditionellen Kunstformen unterscheide, eine neue Form von Freiheit verbunden, welche zunehmend auch in den öffentlichen Raum Einzug hält. Bogdan Zeler wiederum sah in der Nutzung des Internets einerseits eine Gefahr für die Religion, andererseits aber auch ein geeignetes Mittel, um religiöse Inhalte zu verbreiten und damit einer neuen religiösen Identität von Menschen zum Durchbruch zu verhelfen.

Mit der Bedeutung Tomáš G. Masaryks (1850-1937) für die Entwicklung der tschechischen nationalen Identität und seinem Einfluss auf das tschechische Wissenschaftsverständnis befasste sich in mehr historischer Absicht schließlich Wendy Drozenová. Alexander Unger untersuchte in seinem Beitrag das Phänomen der virtuellen Vergemeinschaftung am Beispiel von sog. Modding-Communities, d. h. Computerspiel-Gemeinschaften, die sich auf die Modifikation von Original-Computerspielen und deren Erweiterung spezialisieren. Sie sind für Unger ein Beleg dafür, dass das Internet – entgegen der klassischen Manipulationsthese – auch Raum für die Ausbildung selbstorganisierter Gemeinschaftsformen bietet, die sich in der Folge auch zunehmend mit „realer“ Sozialität verbinden.

Dem Themenkreis „Wissen, Wirtschaft und Verwaltung“ zuzuordnen sind die Beiträge von Irene Krebs und Justyna Patalas-Maliszewska (Universität Zielona Góra, Polen). Das Internet lasse sich, wie Irene Krebs in ihrem Vortrag zeigte, hervorragend zur Schaffung effizienterer Verwaltungsstrukturen sowie zur Erzielung größere Bürgernähe durch verschiedene Formen der ePartizipation und des eGovernments einsetzen. Diese Ziele würden u. a. durch die neuen EU-Dienstleistungsrichtlinien angestrebt, deren Umsetzung jedoch nicht nur beträchtliche finanzielle Ressourcen, sondern auch eine verstärkte Zusammenarbeit und Vernetzung auf kommunaler Ebene erfordere. Justyna Patalas-Maliszewska stellte ein formales Innovationstransfermodell zur Überprüfung und Messung des Innovationsgrades von Unternehmen und eine entsprechende empirische Untersuchung über das Innovationsniveau kleiner und mittelständischer Unternehmen in Polen vor. Wie sie darlegte, gäbe es, was Investitionen in Forschung und innovative Projekte betrifft, zwar generell einen starken Konkurrenzkampf unter verschiedenen Unternehmen, allerdings kaum unter kleinen und mittelständischen Unternehmen, und dies, obwohl ein entsprechender Wissenstransfer für jedes Unternehmen einen Gewinn darstelle und dessen Konkurrenzfähigkeit erhöhe. Durch eine entsprechende Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen bei ihrer Innovationstätigkeit und die Anwendung effektiver Innovationstransfermechanismen könnte diese Situation wesentlich verbessert werden.

Dem Thema „Sicherheitskulturen“ waren die Beiträge von Gerhard Banse, Lucia Belyová (Bergische Universität Wuppertal) und Falk Peters (Berlin) gewidmet. Ausgehend vom Begriff der Techniksicherheit und der Analyse der zahlreichen Beziehungen zwischen Kultur und Technik befasste sich Gerhard Banse mit dem Konzept der Sicherheitskulturen. In Anlehnung an eine Definition der Kommission für Anlagensicherheit könne eine Sicherheitskultur als Teil einer Unternehmens- und Organisationskultur, welche den Aspekt der Sicherheit in Normen, Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der Beschäftigten widerspiegele, verstanden werden. Der Begriff der Sicherheitskultur werde in diesem Sinne benutzt, um kulturbedingte Verhaltensmerkmale, die für die Gewährleistung technikbezogener Sicherheit von Bedeutung sind, zu beschreiben. Dabei gelte es nach Banse, die Probleme und Schwierigkeiten, die durch kulturelle Differenzen verursacht würden, zu analysieren und Strategien zu entwickeln, wie man damit effektiv und effizient umgehen könne.

Lucia Belyová stellte eine Studie vor, welche die Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten in Unternehmen mit qualitätsorientierten Unternehmensstrategien zum Gegenstand hatte. Wie sie aufzeigte, würden Sicherheitsaspekte in den betreffenden Unternehmen trotz gesetzlicher Vorschriften in der Praxis nur unzureichend berücksichtigt. Dies zeige, dass die Einführung eines Managementsystems (wie etwa ISO 9001) alleine noch nicht hinreichend sei, um die Umsetzung aller Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Es komme vielmehr darauf an, dass entsprechende Sicherheitskulturen in einem Unternehmen auch gelebt würden.

Falk Peters befasste sich mit der Problematik des Datenschutzes aus der Sicht der Rechtsinformatik am Beispiel der von der Deutschen Bundesregierung geplanten Einrichtung von Bürgerportalen. Ziel der Einrichtung von Bürgerportalen sei die Schaffung eines einheitlichen, staatlich überwachten Kommunikationsraumes als Ausdruck eines bürgerfreundlichen Deutschlands. Wie Peters in seinem Referat hervorhob, bestünden dagegen aus datenschutzrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken. Diese Bedenken seien umso schwerwiegender, als die Rechtsentwicklung im Bereich des Datenschutzes bereits jetzt hinter den informationstechnischen Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung hinterherhinke.

Eine vergleichende empirische Studie zur Internetnutzung Studierender wurde abschließend von Hans-Joachim Petsche und Antje Zapf (Universität Potsdam) vorgestellt. Wie die Studie zeigt, nutzen Studierende das Internet vorwiegend zur Informationssuche und zum Versenden und Empfangen von E-Mails oder zu Studienzwecken und zur Organisation des Alltags. Wesentliche Motive für die Studierenden zur Nutzung des Internets sind die Pflege bestehender Kontakte über weite Entfernungen und das Bestreben, sich intellektuell auszutauschen. Daraus lasse sich folgern, dass das Internet zu einer neuen Qualität der Informationsvermittlung von Mensch zu Mensch führe und wesentlichen Anteil am Umbau der Welt habe. Es beeinflusse die Konstituierung sozialer Milieus, da es Lebensstile verändere und neue Lebensstile hervorbringe. Die Befürchtung, dass das Leben in der virtuellen Welt die sozialen Interaktionen in der realen Welt ersetze, werde in dieser Studie jedoch nicht bestätigt.

3     Zusammenfassung und Ausblick

Die Tagung bot eine interessante Mischung von theoretischen und empirischen Beiträgen zu den bereits in früheren Tagungen und Workshops des CULTMEDIA-Netzwerks aufgegriffenen Forschungsschwerpunkten. Die internationale Besetzung und die Einbeziehung von NachwuchswissenschaftlerInnen gaben der Tagung eine besondere und in mancher Hinsicht zukunftsweisende Prägung. Bleibt zu wünschen, dass die Arbeit des Netzwerks eine Fortsetzung in den kommenden Jahren findet und die internationale Zusammenarbeit noch intensiviert werden kann. Geplant sind bereits weitere Workshops, so 2010 in Katowice (Polen) und 2011 in Prag (Tschechische Republik).

Anmerkungen

[1]  September 2003: Symposium „Kultur und/oder/als Technik – Zur fragwürdigen Medialität des Internets“ (Potsdam, Deutschland), Oktober 2003: Workshop „Informationsgesellschaft, Kultur, Identität, Globale Kommunikation“ (Katowice, Polen), April 2004: Workshop „Netzbasierte Kommunikation und das Verhältnis von Identität und Gemeinschaft“ (Donostia-San Sebastian, Spanien), Oktober 2004: Workshop „Internet and Security“ (Budapest, Ungarn), Dezember 2005: Workshop „New Media in the globalising world. Economic, social and cultural dimensions“ (Tychy, Polen), Dezember 2007: Workshop „Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Kulturelle Vielfalt und neue Medien“ (Klagenfurt, Österreich), Juni 2008: Workshop „Pluralität und kulturelle Diversität durch Medien“ (Katowice, Polen) und September 2008: Tagung „Topoi der Rationalität. Technizität – Medialität – Kulturalität“ (Potsdam, Deutschland)

[2]  Als Ergebnis der bisherigen Veranstaltungen liegen insgesamt 13 Buchpublikationen in einer eigenen Buchreihe (e-Culture/Cultural Diversity and New Media, trafo Verlagsgruppe, Berlin) und zwei Zeitschriftenbände zu den genannten Forschungsbereichen vor.