ITAS-News
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ITAS ist Forschungspartner bei „InnoEnergy“
Das European Institute of Innovation and Technology (EIT) erteilte dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Dezember letzten Jahres den Zuschlag für „InnoEnergy“. InnoEnergy ist eine von insgesamt drei „Wissens- und Innovationsgemeinschaften“. Sie soll die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Bereich nachhaltiger Energietechniken durch die Vernetzung von Forschung, Lehre und Innovation stärken. ITAS war an der Antragstellung beteiligt und wird sich im Rahmen von InnoEnergy insbesondere im Kontext von Foresight, Innovationsforschung und Energiesystemanalyse engagieren.
Das EIT ist eine neue Initiative auf EU-Gemeinschaftsebene, die zum Aushängeschild der europäischen Innovationspolitik werden soll. Das Konzept zielt darauf ab, Synergien zwischen den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation durch Förderung und systematischen Aufbau regional verankerter Cluster und internationaler Netzwerke der leistungsfähigsten Institute, Universitäten und industriellen Forschungszentren zu stärken.
TA-Projekt zur Entwicklung einer Klimaanpassungsstrategie für Santiago de Chile
Ausgangspunkt des Projekts ist die Annahme, dass der Klimawandel die Entwicklung der Metropolenregion Santiago de Chile und ihrer Bevölkerung zukünftig verstärkt beeinflussen wird und die extreme Konzentration von Wirtschaftskraft und zentralen Funktionssystemen sowie der hohe Ressourcenbedarf im besonderen Maße die Einleitung von Anpassungsmaßnahmen erfordern. Ziel des Projekts ist die Erarbeitung solcher Klimaanpassungsmaßnahmen für die Metropolregion Santiago de Chile in den Schlüsselbereichen Energie, Wasser und Flächennutzung. Es soll eine Abschätzung der wesentlichen Klimaänderungen mit Schwerpunkt auf der stadtregionalen Ebene vorgenommen werden sowie eine Abschätzung der daraus resultierenden Folgen und Wirkungen.
Im Rahmen eines Beteiligungsprozesses („Runder Tisch Klimaanpassung“) sollen Vertreter entscheidender Verwaltungen der regionalen und nationalen Ebene Maßnahmen zur Klimaanpassung entwickeln, bewerten, priorisieren und deren Umsetzung planen. Mit der Einbindung von Entscheidungsträgern aus weiteren Städten der Region Lateinamerika sollen die Aktivitäten in ein regionales Lernnetzwerk eingebunden werden. Das Projekt leistet damit einen Beitrag zur Kompetenz- und Kapazitätsbildung der Praxispartner, der Beteiligten des Runden Tisches und des Lernnetzwerks. Gleichzeitig will es die Sensibilisierung der Bevölkerung für den Klima- und Ressourcenschutz unterstützen und zur Minderung von Risiken insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen beitragen.
ITAS hat im Projekt die Verantwortung für die Wirkungsabschätzung der Sektoren Wasser und Energie und wird an der Maßnahmenentwicklung und -umsetzung sowie am Regionalen Lernnetzwerk Lateinamerika mitwirken. Koordinator des Gesamtprojekts ist das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung.
Personalia
Oliver Hurtig ist seit 1. Dezember 2009 Doktorand am ITAS. Er hat an der RWTH Aachen und der Universität Karlsruhe sowie an der Universität Versailles und den „Ecole Nationale Supérieure d’Arts et Métiers“ (ENSAM) in Metz und Paris Maschinenbau studiert und sein Studium im Mai 2009 abgeschlossen. Während der Diplomarbeit bei „Würth Solar“ hat er neue Testverfahren für Dünnschichtsolarzellen untersucht. In seinem Dissertationsvorhaben wird er sich mit dem Vergleich des Einsatzes verschiedener Energieträger aus Biomasse (Strom, SNG = Erdgas-Substitut und Fischer-Tropsch-Kraftstoff) im Pkw-Bereich beschäftigen.
Sophie Kuppler ist seit 1. Januar 2010 Doktorandin am ITAS. Sie hat ihr Bachelorstudium an der BTU Cottbus und der Yarmouk University, Irbid (Jordanien), in Umwelt- und Ressourcenmanagement absolviert und im September 2005 abgeschlossen. Im August 2008 schloss sie ihr Masterstudium an der Universität Roskilde (Dänemark) in Technischer und Sozioökonomischer Planung mit Schwerpunkt Umweltpolitik ab. In ihrem Dissertationsvorhaben wird sie sich mit den Effekten deliberativer Elemente in der nuklearen Entsorgungspolitik in Deutschland und der Schweiz beschäftigen.
Len Piltz ist seit dem 1. März 2010 bei ITAS als Informationsmanager tätig. Er hat Bibliothekswesen an der Fachhochschule Hamburg studiert und war als Web-Producer bei der Firma SinnerSchrader angestellt.
Kai Sartorius ist seit 1. Dezember 2009 Doktorand am ITAS. Er hat an der TU Darmstadt Chemie studiert und sein Studium im Februar 2009 abgeschlossen. In seiner Diplomarbeit hat er sich mit neuen Herstellungsverfahren für konjugierte Linolsäuren beschäftigt. In seinem Dissertationsvorhaben wird er Potenziale von kleinen und mittelgroßen Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerken mit „schwierigen“ Brennstoffen untersuchen.
Anna Schleisiek ist seit 1. Januar 2010 Doktorandin am ITAS. Nach dem Studium der Soziologie an der Freien Universität Berlin ist sie seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ITAS und hat hier vor allem zum Thema Wissens- und Technologietransfer in der Materialforschung geforscht. Mit ihrem Dissertationsvorhaben „Ökonomische Prinzipien und wissenschaftliche Praxis. Fallbasierte Untersuchung von Materialforschungsgruppen im Bereich neue Materialien“ nimmt sie Transformationsprozesse in der Wissenschaft in den Blick.
Lehrveranstaltungen
Prof. Dr. Armin Grunwald bot im Wintersemester 2009/10 am Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Philosophie, eine Veranstaltung mit dem Titel „Ethische Fragen und technische Verbesserung des Menschen“ an. Im Seminar wurden zunächst die naturwissenschaftlichen Visionen eines „Human Enhancement“ eingeführt und anschließend involvierte ethische Fragen rekonstruiert.
Gotthard Bechmann lehrte im Winter 2009/10 Gesellschaftstheorie an der Moskauer Staatlichen Lomonossow Universität. In der Veranstaltung „Technik und neuzeitliche Wissenschaftskritik – Edmund Husserl, Jürgen Habermas, Niklas Luhmann“ wurden gesellschaftstheoretische Ansätze zur Beschreibung der Funktion von Wissenschaft und Technik in der Moderne vergleichend beschrieben.
Prof. Dr. Michael Decker bot im Wintersemester 2009/10 ein Oberseminar zum Thema „Inter- und Transdisziplinäre Forschung“ an. Ausgehend von den Rahmenkonzepten der „postnormal science“ sowie der Mode-2-Wissensproduktion wurden konzeptionelle und methodische Aspekte der inter- und transdisziplinären Forschung diskutiert.
Prof. Dr. Vitaly Gorokhov hat im Februar und März 2010 Vorlesungen an der International University of Nature, Society and Man in Dubna (Provinz Moscow Oblast, Russland) abgehalten. Die Vorlesungen beschäftigten sich mit Konzeptionen der Wissenschaftsentwicklung in der modernen Wissenschaftsphilosophie und richteten sich an postgraduierte Studenten. Außerdem lehrt Professor Vitaly Gorokhov in der Vorlesungszeit Februar bis Mai 2010 an der Moskauer Staatlichen Lomonossow Universität (Fakultät für Philosophie) „Technikgeschichte und Geschichte der Technikphilosophie“.
Dr. Helmut Lehn bot im Rahmen seines Lehrauftrags im Ethisch-Philosophischen Grundlagen-Studium am Geographischen Institut der Universität Heidelberg wieder eine Veranstaltung mit dem Titel „Wasser – elementare und strategische Ressource des 21. Jahrhunderts. Nachhaltiges Ressourcenmanagement als ethische Herausforderung“ an.
PD Dr. Rolf Meyer hat im Wintersemester 2009/2010 an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen des Moduls „Risk assessment, biosafety and patent law“ des Masterstudiengangs „Agrobiotechnology“ Vorlesung und Seminar zum Teil „Technology assessment and sustainable development“ gehalten. Themenbereiche dieses Teils der Lehrveranstaltung waren TA Basics, TA Approaches, Sustainable Development, Case Study Food Chains and Food Groups sowie Case Study Genetically Modified Organisms.
Prof. Dr. Liselotte Schebek bot im Wintersemester 2009/10 am Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion des Karlsruher Institut für Technologie die Vorlesung „Stoffstromanalyse und Life Cycle Assessment“ an. Die Vorlesung führte in systemtheoretische und modelltechnische Grundlagen der Stoffstromanalyse ein. Im Anschluss daran wurde die Methodik des Life Cycle Assessments vorgestellt. Des Weiteren lehrte Professor Schebek am Fachbereich Bauingenieurwesen und Geodäsie der TU Darmstadt „Grundlagen der Umweltwissenschaften“. Thematisiert wurden die Erkenntnis von Veränderungen der natürlichen Umwelt, die Entstehung von Umweltproblemen sowie die Entwicklung von Handlungsstrategien aus den verschiedenen fachlich-disziplinären Sichtweisen.
Neue Veröffentlichungen
Buchpublikation: Ökobilanzierung 2009
Ansätze und Weiterentwicklungen zur Operationalisierung von Nachhaltigkeit
Eine nachhaltige Entwicklung ist Lebensgrundlage aller Menschen, besondere Herausforderung der führenden Industrienationen und gleichermaßen entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb. Das Streben nach Nachhaltigkeit erfordert unter anderem eine Operationalisierung in Form entscheidungsunterstützender Bewertung als Grundlage für zielgerichtetes Handeln. Eine etablierte Methode zur Umweltbewertung von Produkten und Prozessen ist die Ökobilanzierung, die einerseits eines der wenigen standardisierten Werkzeuge in diesem Kontext ist, andererseits einer permanenten Weiterentwicklung zur Anpassung an aktuelle Fragestellungen unterliegt. Die Ökobilanz-Werkstatt des Deutschen Netzwerks Lebenszyklusdaten versteht sich als kommunikative Plattform für Nachwuchswissenschaftler, deren Fokus auf die Anwendung und Weiterentwicklung der Ökobilanzierung gerichtet ist. Unterstützung im Sinn einer Nachwuchsförderung wird zudem durch Expertenreferate und Diskussionsrunden unter Beteiligung von „senior scientists“ geleistet. Die Beiträge der Experten und der Nachwuchswissenschaftler zur fünften Ökobilanz-Werkstatt sowie die wissenschaftlichen Diskussionen im Rahmen dieser Veranstaltung sind in diesem Buch zusammengefasst.
Bibliografische Angaben: Silke Feifel, Wolfgang Walk, Sibylle Wursthorn, Liselotte Schebek (Hg.): Ökobilanzierung 2009: Ansätze und Weiterentwicklungen zur Operationalisierung von Nachhaltigkeit Tagungsband der fünften Ökobilanz-Werkstatt, Campus Weihenstephan, Freising, 5. bis 7. Oktober 2009. Karlsruhe: Universitätsverlag Karlsruhe 2009, ISBN 978-3-86644-421-8, 295 S., € 32,00
Drei Dissertationen erschienen
Die Dissertationen von Andreas Graefe, Robert Hauser und Hans-Jürgen Link sind inzwischen veröffentlicht. Während die Dissertation von Robert Hauser als Buch im „trafo Wissenschaftsverlag“ erschienen ist, sind die beiden anderen Disssertationen als Online-Publikationen verfügbar. Die bibliografischen Angaben lauten:
Andreas Graefe: Prediction markets versus alternative methods. Empirical tests of accuracy and acceptability. Karlsruhe: Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Karlsruhe(TH) 2009; http://www.itas.fzk.de/deu/lit/2009/grae09a.pdf
Robert Hauser: Technische Kulturen oder kultivierte Technik? Das Internet in Deutschland und Russland. Berlin: trafo Wissenschaftsverlag 2010, Reihe e-Culture, Bd. 14, ISBN 978-3-89626-889-1, 462 S., € 42,80
Hans-Jürgen Link: Die Fragen der Metaethik. Eine Untersuchung zum Aufbau der Ethik. Karlsruhe: Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Institut für Philosophie 2008; http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/1000015370
Wissenschaftlicher Bericht
Jens Schippl, Armin Grunwald, Nicola Hartlieb, Juliane Jörissen, Ursula Mielicke, Oliver Parodi, Volker Stelzer, Nora Weinberger, Christian Dieckhoff: Roadmap Umwelttechnologien 2020 – Endbericht. Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe 2009, Wissenschaftliche Berichte, FZKA 7519, ISSN 0947-8620
Vorstellung eines neuen Dissertationsprojektes
Analyse von Wissenspolitik am Beispiel Nanotechnologie
von Simon Pfersdorf, ITAS
1 Hintergrund
In den bisherigen sozialwissenschaftlichen Ausführungen zu Wissenspolitik gelten die drei Theoretiker Nico Stehr, Peter Wehling und Werner Rammert als einschlägig. Im Anschluss an die Ergebnisse einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen stellen sie die Diagnose, dass sich die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft gewandelt hat. Diese gesellschaftliche Transformation könnte es ermöglichen, dass über gesellschaftliche Prozesse wirksam in die Produktion von Wissen sowie dessen Anwendung eingegriffen wird.
Die drei Sozialwissenschaftler entwerfen verschiedene inhaltliche Foki wissenspolitischer Regulierung. Stehr versteht Wissenspolitik als ein Politikfeld, das sich seine Regulierungsansätze aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern rekrutiert. Seiner Meinung nach steht dabei als übergreifendes Thema die Überwachung und Kontrolle wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft im Mittelpunkt. Wehling stimmt Stehrs Einschätzung in weiten Teilen zu. Er betont darüber hinaus, dass die Politik das Recht, etwas nicht wissen zu müssen, als individuelles und soziales Recht etablieren sollte, selbst wenn dies einen Eingriff in die Autonomie der Wissenschaft zur Folge haben könnte. Werner Rammert hingegen sieht politische Akteure in der Verantwortung für die Wissenspolitik. Deren Ziel sollte in der Unterstützung der Entwicklung wissenschaftsbasierter Innovationen liegen. Dazu sollten Möglichkeiten zur Kooperation zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren geschaffen werden (Bechmann, Stehr 2004; Rammert 2003; Stehr 2003; Wehling 2007).
2 Aufgabenstellung der Dissertation
Das Dissertationsprojekt verfolgt die Aufgabenstellung, die Konzepte der Wissenspolitik einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Mit den thematischen Schwerpunktbildungen, die die vorgestellten Ansätze vornehmen, sind unterschiedliche Konzeptionen des Verhältnisses von Wissen, Politik und Moral impliziert. Diese Entwürfe aus einer einheitlichen Perspektive zu schematisieren und miteinander zu vergleichen, ist ein Ziel des Dissertationsprojekts.
Zudem liefern die bisherigen sozialwissenschaftlichen Beiträge zu Wissenspolitik entweder theoretische und normative Konzepte oder unsystematische empirische Studien in unterschiedlichen Wissensfeldern (siehe TATuP-Schwerpunkt 3/04, dort insb. Bechmann et al. 2009). Der bisherigen Diskussion mangelt es also an einer systematischen empirischen Erfassung wissenspolitischer Praktiken. Dazu passt einerseits die Feststellung Wehlings, dass „bisher noch nicht recht erkennbar [ist], wie, nach welchen Kriterien und von welchen Akteuren“ Wissenspolitik umgesetzt werden könnte (Wehling 2003, S. 511). Andererseits ist es empirisch auch in Frage zu stellen, inwiefern ein Eingriff in die Produktion und in die Anwendung wissenschaftlichen Wissens gegeben sein könnte. Diese empirischen Leerstellen zu bearbeiten und dabei die Ideen der Wissenspolitik zu hinterfragen, ist ein weiterer Fokus der Dissertation.
3 Forschungsperspektive
Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen diskutierten Ansätze zu untersuchen, muss eine einheitliche Perspektive angelegt werden. Diese soll in der Dissertation aus verschiedenen grundlegenden Beschreibungen des Verhältnisses von Wissen, Politik und Moral gewonnen werden. Als Ausgangspunkte dienen hierfür die soziologische Literatur zur Unterscheidung von Ideologie und Wahrheit und die Beschreibungen der Bedeutung der Moral in der Gesellschaft.
Um die Möglichkeit der empirischen Beobachtbarkeit und analytischen Überprüfung sicherzustellen, ist ein Forschungsansatz notwendig, der die unterschiedlichen Foki der theoretischen Konzepte einfängt. Reiner Kellers Überlegungen zur Wissenspolitik, die er im Rahmen seiner Ausarbeitung des Forschungsprogramms der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) leistet, erfüllen diesen Anspruch. Keller geht davon aus, dass die Macht gesellschaftlicher Diskurse schon immer soziale Wissensbestände beeinflusst hat (Keller 2008). Dementsprechend könnte auch, spezifiziert auf das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, Wissenspolitik als eine diskursive Regulierung der Produktion und der Anwendung wissenschaftlichen Wissens verstanden werden. Ansätze zur Regulierung könnten also, so die Arbeitshypothese, durch Diskursanalyse beobachtet werden.
Der gesellschaftliche Diskurs über die Regulierung der Nanotechnologie in Deutschland wird in der empirischen Untersuchung als Gegenstand herangezogen. Den Nanowissenschaften sowie nanotechnologischen Innovationen wird das Potenzial zugeschrieben, die ökonomischen, technologischen, moralischen, politischen etc. Grundlagen der Gesellschaft tiefgreifend zu verändern. Damit dient das Thema als ein gutes Beispiel zur Charakterisierung des aktuellen Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
In den gesellschaftlichen Diskurs über die Nanotechnologie bringen unterschiedliche gesellschaftliche Akteure vielfältige Vorschläge ein. Es werden u. a. Argumente, Hinweise oder Überlegungen vorgebracht, welche Bereiche erforscht werden sollen, welche nicht und wie mit den erlangten Ergebnissen umzugehen sei. Durch die Untersuchung des gesellschaftlichen Diskurses zur Regulierung der Nanotechnologie können, folgt man dem Ansatz Kellers, die Akteure der Wissenspolitik im Bereich der Nanotechnologie aufgezeigt werden. Als Akteure werden in der Diskursanalyse dann jene ausgemacht, die Sprecherpositionen einnehmen. Deren im Diskurs generierte Praktiken sind dementsprechend als die Instrumente der Wissenspolitik zu verstehen. Das Datenmaterial der Diskursanalyse besteht aus Dokumenten.
Sollten die Theoretiker der Wissenspolitik Recht behalten, müssten sich dann deren konzeptualisierte Problemstellungen als Streitthemen im Diskurs wieder finden: die Überwachung und Kontrolle des Wissens (Stehr), die Besonderheiten des Nichtwissens (Wehling) und die Notwendigkeit innovativer Produkte und institutioneller Vorschläge zu deren Erzeugung (Rammert). Ausgehend von den Ergebnissen der Diskursanalyse soll der weiterführenden Frage nachgegangen werden, inwiefern der rekonstruierte Diskurs Einfluss auf die Produktion und Anwendung wissenschaftlichen Wissens genommen haben könnte. Die WDA verweist für solche Fragestellungen auf das Konzept des Dispositivs. Dahinter steht die Annahme, dass jeder Diskurs Vergegenständlichungen bildet, die potenziell andere Diskurse, diskursexterne Akteure durch Subjektivierungen sowie diksursexterne Praktiken beeinflussen. Die These, die in der Dissertation verfolgt wird, geht jedoch eher von der wissenssoziologischen Argumentation der WDA aus und erweitert diese. Es wird die These vertreten, dass der gesellschaftliche Diskurs zur Regulierung der Nanotechnologie nur dann Einfluss auf den wissenschaftlichen Diskurs und auf wissenschaftliche Praktiken nehmen könnte, wenn dieser wissenschaftliche Semantiken verwendet. Der Regulierungsdiskurs könnte auch die Anwendung wissenschaftlichen Wissens über die Verwendung ökonomischer bzw. politischer Semantiken beeinflussen. Aus dieser Perspektive wäre Wissenspolitik ein beispielhaftes Phänomen zur Beschreibung der Selbststeuerung der Gesellschaft.
Diese weitere Problemstellung soll in der Dissertation thesenhaft bearbeitet werden. Als empirisches Material dienen hierfür Interviewtranskripte.
Literatur
Bechmann, G.; Gorokhov, V.; Stehr, N., 2009: The Social Integration of Science. Institutional and Epistemological Aspects oft he Transformation of Knowledge in Modern Society. Berlin
Bechmann, G.; Stehr, N., 2004: Wissenspolitik - ein neues Forschungs- und Handlungsfeld? In: TATuP 13/3 (2004), S. 5–14
Rammert, W., 2004: Zwei Paradoxien innovationsorientierter Wissenspolitik: Die Verknüpfung heterogenen und die Verwertung impliziten Wissens. In: Soziale Welt 54 (2004), S. 483–508
Stehr, N., 2003: Wissenspolitik. Die Überwachung des Wissens. Frankfurt a. M.
Keller, R., 2008: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden
Wehling, P., 2007: Wissenspolitik. In: Schützeichel, R. (Hg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz, S. 694–703
Wehling, P., 2003: Reflexive Wissenspolitik: Das Aufbrechen tradierter Wissensordnungen der Moderne. Anmerkungen zur Werner Rammerts „Zwei Paradoxien einer innovationsorientierten Wissenspolitik“. In: Soziale Welt 54 (2004), S. 509–517