Soziale Ökologie und Transdisziplinarität in der universitären Lehre

Schwerpunkt: Technikfolgenabschätzung und Bildung

Soziale Ökologie und Transdisziplinarität in der universitären Lehre

[1]

von Diana Hummel und Immanuel Stieß, ISOE, Frankfurt a. M.

Soziale Ökologie als Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen hat sich in den vergangenen Jahren als ein neues transdisziplinäres Wissenschaftsgebiet in außeruniversitären Forschungsbereichen und mehr und mehr auch im akademischen Feld etabliert. Der strukturelle Wandel der Hochschulen eröffnet neue Chancen für die Soziale Ökologie, auch in der Lehre einen festen Platz zu erhalten. Der Beitrag reflektiert anhand des neuen Masterstudiengangs Umweltwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität und anhand von umweltwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen an der TU Darmstadt die Anforderungen an die Lehre einer transdisziplinären Wissenschaft. Verdeutlicht wird dies am Problem der Integration unterschiedlicher Problemsichten, Fachkulturen und Wissensbestände.

Seit geraumer Zeit wird von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowie internationalen und nationalen Gremien eine stärkere Nachhaltigkeitsausrichtung des Wissenschaftssystems gefordert. „Sustainability Science“ bezeichnet dabei eine neue Dimension der Forschung: Ziel dieses neuen wissenschaftlichen Gebiets ist es, die Wechselbeziehungen zwischen sozialen und natürlichen Prozessen besser zu verstehen sowie Visionen für eine nachhaltigere Gestaltung von Entwicklungsprozessen bereitzustellen. Beansprucht wird dabei eine enge Kooperation zwischen Wissenschaft, Technologieentwicklung sowie wirtschaftlicher und sozialer Praxis. Die Verbindung zwischen Forschung und Lehre ist dabei von zentraler Bedeutung. „A particular challenge is how to transform the educational system and process to make this possible. The goal of sustainability education (Education for Sustainable Development) is to equip the younger generation with leadership skills, management capabilities, and the broad knowledge needed to create the new systems that can lead to global sustainability.” (Steinfeld, Mino 2009, S. 1). Auf der im April 2009 in Bonn abgehaltenen UNESCO-Konferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wurden die Universitäten aufgefordert, ihre Studiengänge im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung neu zu gestalten und über Innovationen in der Lehre nachzudenken (Deutsche UNESCO-Kommission 2009). Eine zentrale Herausforderung sieht die aus 15 profilierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Nachhaltigkeitsforschung bestehende „Gruppe 2004“ in ihrem Memorandum „Hochschule neu denken“ in der besseren Verbindung der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften mit den Natur- und Technikwissenschaften: „Diese Integration ist die Voraussetzung dafür, aus der bisher vorherrschenden Multi- und günstigenfalls Interdisziplinarität eine transdisziplinäre, problemorientierte Mensch-Umwelt-Wissenschaft werden zu lassen.“ („Gruppe 2004“ 2004, S. 14) Eine solche Wissenschaft müsse fähig sein, die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen für die Menschen und ihre Mitwelt nicht nur als Problem zu analysieren, sondern auch angemessene Lösungskonzepte und Zukunftsperspektiven bereitzustellen. Erforderlich seien dafür eine bessere Kombination verschiedener Wissenstypen (Erklärungs-, Handlungs- und Orientierungswissen) und deren gesellschaftliche und politische Nutzbarmachung (ebd.).

Der Bologna-Prozess und die damit verknüpfte Modularisierung von Studiengängen sowie die Einführung gestufter Studienabschlüsse eröffnen neue Möglichkeiten für Innovationen in der nachhaltigkeitsbezogenen Lehre und für die Einrichtung dezidierter problemorientierter Studiengänge (Schneidewind 2009). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Innovationen in der universitären Bildung auf unterschiedliche Aspekte der Lehre beziehen: auf ihre Struktur (z. B. Integration in Studiengänge und -programme), ihre Zielsetzung (z. B. Kompetenzorientierung), ihre Didaktik und Methodologie (z. B. inter- oder transdisziplinäre Projektorientierung), ihre Verankerung (z. B. Verbindlichkeit und Prüfungsrelevanz), ihren Inhalt sowie die systematische Verknüpfung dieser Bereiche (Michelsen 2009, S. 19). In unserem Beitrag möchten wir am Beispiel der Sozialen Ökologie als transdisziplinärem Wissenschaftsgebiet diese neuen Chancen und Probleme in diesen verschiedenen Bereichen darstellen und diskutieren. Zwischen der Sozialen Ökologie und der TA bestehen mehrere Überschneidungen: Beide Forschungsfelder verfolgen eine explizite Gestaltungsorientierung und greifen auf transdisziplinäre Methoden zurück. Beide stehen damit vor der Aufgabe, unterschiedliche disziplinäre Wissensbestände, Methoden und Theorien aufeinander zu beziehen. Beide richten ihre Fragestellungen an gesellschaftlichen Problemlagen aus und müssen das Erfahrungswissen sowie unterschiedliche Wertvorstellungen und Interessen gesellschaftlicher Akteure im Forschungsprozess berücksichtigen. Und nicht zuletzt spielen Verfahren der „Wirkungsfolgenabschätzung“ in vielen transdisziplinären Forschungsvorhaben eine wichtige Rolle (Rip et al. 1995; Bergmann et al. 1999). Für die TA-Community lohnt es sich daher, sich mit den Erfahrungen aus der Lehre der Sozialen Ökologie zu befassen.

Zunächst werden wir die Akzentuierungenvon Sozialer Ökologie als transdisziplinärer Wissenschaft im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung skizzieren (Kap. 1). Vor diesem Hintergrund stellen wir Ansätze der Verankerung der Sozialen Ökologie in der Hochschullehre und Erfahrungen aus der Lehre dar (Kap. 2). Daran anschließend reflektieren wir Anforderungen und Voraussetzungen fürdie weitere Etablierung der Sozialen Ökologie als transdisziplinäre Wissenschaft in Forschung und Lehre (Kap. 3).

1     Soziale Ökologie als transdisziplinäre Wissenschaft

Die Soziale Ökologie ist ihrem Selbstverständnis nach Teil der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung, doch stellt sie weder eine Disziplin noch ein akademisches Fach dar. Als transdisziplinäres Forschungsgebiet begreift sie sich als eine problembezogene angewandte Wissenschaft, deren Forschungsfragen sich aus lebenspraktischen gesellschaftlichen Anforderungen ergeben. Zugleich wird eine starke theoretische Orientierung verfolgt. Zentrale Merkmale transdisziplinärer Forschung sind demnach Problemorientierung, Interdisziplinarität und Selbstreflexivität (Jahn 2008, S. 25ff.; Jahn, Keil 2006, S. 309ff.). In Deutschland ist die Entwicklung der Sozialen Ökologie eng mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt a. M. verknüpft. Hier wird die Soziale Ökologie forschungsprogrammatisch als Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen konzipiert. Damit ist eine komplexe theoretische Problematik verbunden, die in der Forschung mit spezifischen Begriffen, Methoden und Untersuchungstechniken bearbeitet wird (Becker, Jahn 2006). Mit dem Konzept der „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“ wird die Perspektive der Nachhaltigkeitsforschung auf MenschUmwelt-Beziehungen erweitert und zugleich fokussiert auf Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen naturalen Vorgängen (z. B. Wasser, Boden, Klima) und verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsbereichen (z. B. Ressourcennutzung) auf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Skalen. Den Ausgangspunkt bildet dabei der Sachverhalt, dass sich Veränderungen dieser Wechselbeziehungen zu Krisen aufschaukeln können. Dies hat Konsequenzen für den Prozess der Wissenserzeugung und die ihn antreibenden Probleme: Es geht nicht nur darum, die Wechselbeziehungen besser zu verstehen, sondern Ziel der Forschung ist es zugleich, Wissen zu generieren, um in diese Wechselbeziehungen eingreifen zu können sowie Handlungskonzepte und Entscheidungsgrundlagen zu entwickeln, die es ermöglichen, dass Krisen in neue, wünschenswerte Entwicklungen münden. Als Problemwissenschaft stellt die Soziale Ökologie dabei heraus, dass insbesondere in der Umweltforschung die Fähigkeit zur Lösung sozial-ökologischer Probleme entscheidend vom Umgang mit einer spezifischen Wissensproblematik abhängt.

Ein zentrales Merkmal der Probleme, die in der sozial-ökologischen Forschung bearbeitet werden, ist ihr hybrider Charakter: Beim Klimawandel, dem Rückgang der Biodiversität oder Wasserknappheit verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen dem „Natürlichen“ und dem „Gesellschaftlichen“. Zudem handelt es sich um komplexe Wirkungsprozesse, die auf unterschiedlichen zeitlichen, räumlichen und sozialen Skalen ablaufen. In der sozialökologischen Forschung werden überdies wissenschaftliche Problemstellungen bearbeitet, die sich auf gesellschaftliche Handlungsprob-leme beziehen und Wissensdefizite sichtbar machen, die aus diesen Handlungsproblemen entstehen. Es handelt sich also um Forschungsprobleme, in denen gesellschaftliche Probleme zugleich Wissensprobleme darstellen, umgekehrt sind die wissenschaftlichen Probleme durch ihre gesellschaftliche Relevanz mitgeprägt. Diese spezifische Struktur sozialökologischer Probleme erfordert in der Forschung einen neuen Umgang mit dem problemspezifischen Wissen, denn Kategorien wie Unsicherheit, (wissenschaftliches) Nicht-Wissen oder strittiges Wissen werden im Forschungsprozess selbst zu zentralen Größen der Problembearbeitung (Jahn 2008, S. 25).

Für die transdisziplinäre Forschung, die wissenschaftliche Probleme mit lebensweltlichen Problemen verknüpft, stehen damit Integrationsprobleme im Mittelpunkt, die verschiedene, miteinander verwobene Dimensionen umfassen: Kognitiv geht es einerseits um das Unterscheiden und Verknüpfen verschiedener fachlich-disziplinärer, naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Wissensbestände, andererseits um die Integration von alltagspraktischem und wissenschaftlichem Wissen. In einer sozialen Dimension steht das Unterscheiden, Aufeinanderbeziehen und Ausgleichen von unterschiedlichen, sich möglicherweise widerstreitenden Interessen und Aktivitäten der Forschenden im Zentrum. In einer kommunikativen Dimension geht es schließlich um das Erarbeiten von Praktiken der Verständigung, die eine gemeinsame Redepraxis ermöglichen. Die inter- und transdisziplinäre Forschung setzt somit eine hohe Lernbereitschaft voraus (Jahn 2008). Wie wir weiter unten aufzeigen möchten, spiegeln sich diese für die transdisziplinäre Forschung charakteristischen Integrationsprobleme auf eine spezifische Weise auch in der universitären Lehre wider.

Je stärker sich die Soziale Ökologie im akademischen System etabliert, umso wichtiger und dringlicher wird die Frage der Nachwuchsbildung und Qualifizierung junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Als „Werkstätten des Erkenntniszuwachses“ („Gruppe 2004“ 2004, S. 20) sind Hochschulen nicht nur Forschungseinrichtungen, sondern auch Ausbildungsstätten; die Lehre ist hier einerseits eine zentrale Arena, in der das in der sozialökologischen Forschung erzeugte Wissen zur kritischen Diskussion gestellt und erneuert wird, andererseits bildet die Lehre eine wesentliche Voraussetzung dafür, Studierende bereits früh mit Grundkonzepten und Forschungsansätzender Sozialen Ökologie vertraut zu machen.

2     Soziale Ökologie in der Lehre

Soziale Ökologie als Gegenstand der Lehre wurde in Deutschland über lange Zeit ausschließlich an der Universität Frankfurt a. M. betrieben und war (und ist) zudem stark personalisiert. Anders als die Nachhaltigkeitsforschung wurde die Soziale Ökologie in diesem Zusammenhang bemerkensweiterweise als Thema der Lehre ursprünglich nicht im Bereich der Umweltforschung angeboten, sondern in der Wissenschaftsforschung.[2] Durch die Einrichtung von Nachwuchsforschungsgruppen im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunkts „Sozial-ökologische Forschung“ (SÖF) wurden dann an einzelnen Universitäten – vorwiegend an sozialwissenschaftlichen Fachbereichen – spezifische Themenbereiche sozial-ökologischer Forschung in Lehrveranstaltungen eingetragen. Diese Lehrveranstaltungen sind jedoch an einzelne Personen, laufende Projekte und Lehraufträge gebunden und stellen in der Regel keinen festen Bestandteil des Curriculums dar.

2.1   Der Masterstudiengang Umweltwissenschaften an der Universität Frankfurt

Erst durch den an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. im Wintersemester 2007 / 2008 eingerichteten Masterstudiengang „Umweltwissenschaften“ hat die Soziale Ökologie als Gegenstand der Lehre Eingang in eine Studienordnung gefunden und damit einen festen Platz im Curriculum erhalten. Bislang wurden an der Goethe-Universität Frankfurt umweltwissenschaftliche Fragestellungen in der Lehre vorwiegend disziplinär bzw. fachbereichsbezogen behandelt. Mit dem Masterstudiengang „Umweltwissenschaften“ wird Studierenden nun ein fachbereichsübergreifender Studiengang angeboten, der forschungsorientiert ist und zugleich eine praxisnahe Ausbildung gewährleisten soll. Vier Fachbereiche führen gemeinsam den Studiengang durch: Geowissenschaften / Geographie, Bio-wissenschaften, Chemie und Gesellschaftswissenschaften. Ungewöhnlich ist, dass mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) eine außeruniversitäre Einrichtung an der Lehre im Masterstudiengang Umweltwissenschaften beteiligt ist. Der Studiengang richtet sich an Absolventen und Absolventinnen eines naturwissenschaftlichen Bachelor- bzw. Diplomstudiums (z. B. der Geographie, Meteorologie und Physik). Er soll die akademische Qualifizierung für Tätigkeitsfelder im Bereich Wirtschaft und Verwaltung sowie Wissenschaft, Forschung und Lehre gewährleisten. Mögliche Arbeitsfelder für Absolventinnen und Absolventen liegen beispielsweise bei Umweltämtern, Wasserbehörden, biologischen Bundes- und Landesanstalten, Laboratorien (z. B. Umweltanalytik, Lebensmittelanalytik) im industriellen Bereich (z. B. Forschung und Produktion, Umweltbeauftragte, Forensik) oder im Ingenieur- und Consultingbereich. Die Regelstudienzeit beträgt vier Semester; die jährliche Aufnahmekapazität liegt bei ca. 20 Studierenden (Goethe-Universität 2008).

Die Umweltwissenschaften befassen sich laut Studienordnung mit den Vorgängen in der Biosphäre, Geosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre sowie deren Beeinflussung durch den Menschen. Ziel des Studiengangs ist es, Verständnis für diese Vorgänge und insbesondere für Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Kompartimenten zu wecken. „Eine besondere Herausforderung besteht darin, die natürlichen von den anthropogen bedingten Veränderungen zu differenzieren und nach Möglichkeit auch zu quantifizieren.“ (Goethe-Universität 2008, S. 4) Den Studierenden soll daher ein hohes Maß an Prozessverständnis vermittelt werden. Dieses Prozessverständnis reiche aber in der Regel nicht aus, um die als schädlich erkannten Umweltveränderungen korrigieren zu können, da eine solche Korrektur zumeist auch der Verhaltensänderung der an den Prozessen beteiligten Menschen bedarf. Daher werden in den Studiengang gesellschaftswissenschaftliche Aspekte wie Konsumverhalten und Nachhaltigkeit im Sinne eines transdisziplinären Ansatzes einbezogen (ebd.). Dies geschieht insbesondere in den Wahlpflichtmodulen (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Modulstruktur des Masterstudiengangs „Umweltwissenschaften“

      Pflichtmodule
  • Basismodule: z. B. Statistik, Einführungsveranstaltungen (1. und 2. Semester)
  • Forschungsprojekt: Forschungspraktikum in einem Arbeitskreis und Erarbeitung eines Exposés für die Masterarbeit (3. Semester)
  • Masterarbeit (4. Semester)
      Wahlpflichtmodule (zwei bis drei aus der Liste):
  • Biologie / Ökologie
  • Atmosphärenwissenschaften
  • Bodenkunde / Hydrologie
  • Stoffkreisläufe / Stoffflüsse
  • Umweltchemie
  • Soziale Ökologie

Quelle: Eigene Darstellung

Für das Schwerpunktfach „Soziale Ökologie“ sind der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität sowie das ISOE gemeinsam verantwortlich. Die Lehrveranstaltungen des Moduls sind auch offen für Studierende der Gesellschaftswissenschaften. In der Modulbeschreibung heißt es: „In aktuellen Umweltproblemen treten in aller Regel eng miteinander verknüpfte normative, kulturelle und soziale Aspekte auf. Ihre Ausprägung und gegenseitige Bedingtheit zu analysieren ist Voraussetzung für die Gestaltung anschlussfähiger Lösungsvorschläge.“ (Goethe-Universität 2008, S. 55) Diese Problematik soll insbesondere für die Themenbereiche Versorgungssysteme für Wasser, Nahrung und Energie sowie nachhaltige Konsum- und Nutzungsmuster behandelt werden. Dabei werden im Modul sowohl sozialwissenschaftliche als auch sozial-ökologische thematische Zugänge sowie die für transdisziplinäre Forschungsprozesse erforderlichen Konzepte und Methoden vermittelt. „Das Lernziel des Moduls ist es, den Studierenden ein kritisches Verständnis für die mehrdimensionale Struktur von Umweltproblemen und die daraus resultierenden Anforderungen an eine transdisziplinäre Umweltforschung zu vermitteln.“ (ebd.) Das Schwerpunktfach umfasst verschiedene Veranstaltungen, in welchen die theoretischen und methodischen Grundlagen der Sozialen Ökologie vermittelt werden: Neben einer für alle Studierenden verpflichtende Vorlesung „Einfüh-rung in die Soziale Ökologie“ belegen Studierende des Schwerpunktfachs Soziale Ökologie die drei folgenden Seminare: „Sozialwissenschaftliche Umweltforschung“, „Strukturaspekte von Umweltproblemen“ sowie „Sozial-ökologische Problemanalyse an Fallbeispielen“. Darauf aufbauend erhalten die Studierenden im Rahmen des im Studium zu absolvierenden Praktikums sowie des Forschungsprojekts die Gelegenheit, Fallstudien durchzuführen, und deren Ergebnisse an Beispielen aus der aktuellen Forschungspraxis zu überprüfen.

2.2   Der interdisziplinäre Studienschwerpunkt Umweltwissenschaften an der TU Darmstadt

Auch im Kontext des interdisziplinären Studienschwerpunkts Umweltwissenschaften der TU Darmstadt, welcher am Centrum für interdisziplinäre Studienprogramme (CISP)[3] institutionell verankert ist, werden am Beispiel der Sozialen Ökologie theoretische, methodische und praktische Fragen einer transdisziplinären Forschung bearbeitet. Gemeinsam mit dem Arbeitsbereich Pädagogik der Natur- und Umweltwissenschaften wurde erstmals im Wintersemester 2008 / 2009 ein Seminar „Soziale Ökologie – Theorie, Methodologie und Praxis der transdisziplinären Forschung“ angeboten. Ziel des Seminars wares, grundlegende Begriffe der Sozialen Ökologie vorzustellen und die Besonderheiten der sozialökologischen Forschungspraxis am Beispiel konkreter Themen (wie Ernährung oder Wasserversorgung) zu erläutern. Ausgehend von einem allgemeinen Modell wurden charakteristische Phasen und Anforderungen des transdisziplinären Forschungsprozesses herausgearbeitet. Am Beispiel von zwei sozial-ökologischen Forschungsprojekten wurden Einblicke in die Forschungspraxis gegeben und ein vertiefendes Verständnis zentraler Kriterien und Methoden der Wissensintegration vermittelt.

Die Soziale Ökologie und die ihr zugrunde liegende Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse wurden dabei als Modell für eine konzeptgeleitete kognitive Integration von Wissensbeständen in der Umweltforschung dargestellt. Im Sommersemester 2009 wurde die Zusammenarbeit zwischen dem ISOE und der TU Darmstadt mit dem Studienprojekt „Integrierte ökologische Planung und Beratung: Klimafreundliche Martin-Niemöller-Schule“ fortgesetzt. In dem Studienprojekt wurde anhand einer konkreten Aufgabenstellung transdisziplinäres wissenschaftliches Arbeiten vermittelt und reflektiert. In Zusammenarbeit mit einer Schule wurde ein Konzept erstellt, das sowohl baulich-technische als auch verhaltensbezogene Aspekte umfasste und das konkrete Empfehlungen enthielt, wie das Thema Klimaschutz im schulischen Alltag und im Lehrplan verankert werden könne.

3     Integrationsprobleme

Das starke Interesse von Studierenden, an Lehrveranstaltungen zu Themenfeldern der Sozialen Ökologie teilzunehmen, sowie daraus resultierende Abschlussarbeiten und Prüfungen zeigen, dass eine große Nachfrage nach Qualifizierungsmöglichkeiten und einem kontinuierlichen Lehrangebot im Bereich der SozialenÖkologie besteht. Dafür bedarf es besonderer Voraussetzungen sowohl für die Lehrenden als auch für die Studierenden, die mit spezifischen Integrationsproblemen und -anforderungen verknüpft sind.

Besondere Probleme sozialer Integration resultieren daraus, dass die Veranstaltungen von Studierenden unterschiedlicher Studiengänge aus sozial-, geistes- und natur- bzw. technikwissenschaftlichen Fächern wahrgenommen werden (z. B. Master Umweltwissenschaften, Lehramtsstudierende Diplom- und Bachelor bzw. Masterstudiengänge in Soziologie oder Politikwissenschaft). Hinzu kommen unterschiedliche Voraussetzungen hinsichtlich Alter und Semesterzahl sowie Erfahrungen mit Projektarbeit (z. B. im Rahmen eines Empiriepraktikums). Dies hat zur Folge, dass je spezifische Anforderungen für Prüfungsleistungen und Arbeiten innerhalb der Seminare (z. B. Kurzreferate, Gruppendiskussionen) berücksichtigt werden müssen. Mit dieser Heterogenität der Studiengebiete gehen andererseits spezifische Probleme der kommunikativen Integration einher: Aus ihrem jeweiligen Fachstudium bringen die Studierenden sehr unterschiedliche Erfahrungen und Methoden der Aneignung und Aufbereitung von Lerninhalten mit. Studierende naturwissenschaftlicher Fächer sind häufig wenig vertraut mit dem Lesen längerer theoretischer und diskursiver Texte. Umge-kehrt haben Studierende sozialwissenschaftlicher Fächer nur selten Erfahrung mit dem experimentell-analytischen Zugang naturwissenschaftlicher Disziplinen. In den Lehrveranstaltungen geht es in dem Zusammenhang darum, zunächst gemeinsame Arbeitsformen zu entwickeln, ohne die unterschiedlichen Problemzugänge der beteiligten Studienfächer auszublenden. Beispiele dafür sind Gruppendiskussionen, Planspiele und die Arbeit in interdisziplinär zusammengesetzten Kleingruppen zur gemeinsamen Vorbereitung von Unterrichtseinheiten. Für die Lehrenden bedeutet dies, die Lehrinhalte so aufzubereiten, dass die beteiligten Disziplinen aufgenommen werden können, die behandelten Konzepte, Themen und Methoden anschlussfähig sind (sowohl an das sozial- als auch an das naturwissenschaftliche Wissen) und so Kohärenz hergestellt werden kann. Sowohl für die Studierenden als auch die Lehrenden ist dafür eine hohe Lernbereitschaft erforderlich. Sie müssen bereit sein, sich auf neue Themen, Begriffe und didaktische Methoden einzulassen. Als ein erfolgreicher Einstieg hat sich beispielsweise die gemeinsame Reflexion über die Methoden des jeweils eigenen Faches bewährt. An einem ausgewählten Forschungsgegenstand werden in einer interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe typische Herangehensweisen und Fragestellungen der verschiedenen Disziplinen herausgearbeitet und zur Diskussion gestellt. Die Explizierung typischer Zugänge und Methoden der beteiligten Fächer stärkt die eigene Methodenkompetenz und lässt zugleich die Grenzen der verschiedenen Disziplinen deutlich werden. Durch die Reflexion auf einzelne Grundbegriffe der Sozialen Ökologie lassen sich zudem exemplarisch Verfahren der kognitiven Integration erarbeiten.

Eine Besonderheit der Sozialen Ökologie besteht darin, dass sie neben formalen Methoden (wie Szenarien und Systemmodellen) auch einen begrifflichen Rahmen für diskursive Formen der kognitiven Integration zur Verfügung stellt. Anhand einer kritischen Rekonstruktion von ausgewählten Fallbeispielen aus der Forschung lassen sich die Besonderheiten des transdisziplinären Forschungsprozesses (Akteurs- und Problemorientierung, Wissensintegration etc.) herausarbeiten. Dies ermöglicht es, die Übersetzung von lebensweltlichen Problemen in wissenschaftliche Forschungsfragen, die Anwendung von Methoden der Wissensintegration oder die In-Wert-Setzung der erarbeiteten Forschungsergebnisse exemplarisch zu illustrieren. Aus der Rekonstruktion und Reflexion dieser Einzelvorhaben werden gemeinsam mit den Studierenden dann Verallgemeinerungen über transdisziplinäre Forschungsprozesse, Methoden und Integrationsinstrumente getroffen.[4] Ähnlich wie beim Case-study-Ansatz der ETH Zürich erfolgt das Lernen anhand von Fallbeispielen. Im Unterschied zum ETH-Ansatz erfolgt die Vermittlung jedoch durch die Rekonstruktion von Fallbeispielen aus der Praxis der sozial-ökologischen Forschung im Rahmen üblicher Seminarprogramme. Wie die Erfahrungen in Frankfurt a. M. und Darmstadt zeigen, werden auf diese Weise anspruchsvolle sozial-ökologische Inhalte an Studierende mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen vermittelt und von diesen produktiv gemeinsam bearbeitet.

4     Ausblick

Die Lehre der Sozialen Ökologie steht wie andere Formen der Hochschulbildung im Kontext nachhhaltiger Entwicklung vor der Herausforderung, Wissen unterschiedlicher natur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen in spezifische Zusammenhänge einzuordnen, auf wissenschaftliche sowie lebensweltliche Probleme zu beziehen, theoretische Fragestellungen mit praktischen Lösungsansätzen zu verknüpfen und Gestaltungskompetenz zu vermitteln. Durch die strukturellen Veränderungen im deutschen Wissenschaftssystem eröffnen sich neue Chancen für eine bessere Etablierung der Sozialen Ökologie in der universitären Lehre. Eine breitere Verankerung und Implementierung in die unterschiedlichen Curricula wird angestrebt. Die im Kontext des Bologna-Prozesses entstehenden neuen, konsekutiven Studiengänge bieten eine Möglichkeit, sozial-ökologische Themen in der Lehre besser zu verankern.[5] Neben dem Angebot an Lehrveranstaltungen in sozialwissenschaftlichen Fächern (vorwiegend Soziologie und Politikwissenschaften) ist die Einbindung der Sozialen Ökologie in den stark naturwissenschaftlich dominierten Umweltmasterstudiengang ein sinnvoller Ansatz zur Vermittlung integrierten Wissens über ökologische Probleme und Konflikte. Dies unterstützt Bestrebungen, die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung an den Hochschulen zu stärken und öffnet die Forschung für Probleme nachhaltiger Entwicklung. Zugleich wird so ermöglicht, exemplarisch transdisziplinäres Arbeiten zu erlernen; damitgeht die Lehre der Sozialen Ökologie über das Thema nachhaltige Entwicklung hinaus. Voraussetzung ist jedoch, dass solche Lehrangebote als Teil von verschiedenen Studiengängen akkreditiert und anerkannt werden, damit die von interessierten Studierenden erworbenen Studien- und Prüfungsleistungen auch angerechnet werden können. Perspektivisch sind auch Masterstudiengänge einer Sozialen Ökologie denkbar, ähnlich wie sie an den Universitäten Klagenfurt (http://www.iff.ac.at) oder Basel (http://www.programm-mgu.ch) etabliert sind.

Anmerkungen

[1]  Wir danken Thomas Jahn, Engelbert Schramm und Egon Becker (Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt a. M.), Katrin Feld (Centrum für interdisziplinäre Studienprogramme der TU Darmstadt) sowie Richard Beecroft (Hochschule Darmstadt) für wertvolle Hinweise und Kommentare.

[2]  Dieser Umstand verweist auf die starken Wurzeln der Sozialen Ökologie in der Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskritik. An der Goethe-Universität in Frankfurt a. M. bot Egon Becker bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 regelmäßig Lehrveranstaltungen zurSozialen Ökologie im Rahmen seiner Professur für Wissenschafts- und Hochschulforschung am Fachbereich Erziehungswissenschaften an. Diese Seminare und Vorlesungen waren stets disziplinübergreifend angelegt und richteten sich an Studierende aus sozial- und geisteswissenschaftlichen sowie naturwissenschaftlichen Fächern (Becker 1998; Becker 2000).

[3]  Siehe http://www.cisp.tu-darmstadt.de.

[4]  Siehe dazu auch Krohn 2008 und Stauffacher et al. 2006.

[5]  Konsekutive Studiengänge sind inhaltlich aufeinander abgestimmte Studienprogramme, die einen Bachelor als grundständiges Studium und einen darauf aufbauenden Master als postgraduales Studium umfassen.

Literatur

Becker, E., 1998: Therapien gegen das Veralten der Universität. In: Olbertz, J.H. (Hg.): Zwischen den Fächern – über den Dingen? Universalisierung versus Spezialisierung akademischer Bildung. Opladen, S. 35–71

Becker, E., 2000: Politik an der Universität. Oder: Wissenschaft und Demokratie. Eine Abschiedsvorlesung in der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.. In: Frankfurter Rundschau Nr. 36 vom 12.2.2000, S. 24

Becker, E.; Jahn, Th. (Hg.), 2006: Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Frankfurt a. M.

Bergmann, M.; Schramm, E.; Wehling, P., 1999: Kritische Technikfolgenabschätzung und Handlungsfolgenabschätzung – TA-orientierte Bewertungsverfahren zwischen stadtökologischer Forschung und kommunaler Praxis. In: Friedrichs, J.; Hollaender, K. (Hg.): Stadtökologische Forschung. Theorien und Anwendungen. Berlin, S. 443–464

Deutsche UNESCO-Kommission, 2009: Bonner Erklärung. Bildung für nachhaltige Entwicklung; http://www.unesco.de/bonner_erklaerung.html?&L=0 (download 8.12.09)

Gruppe 2004, 2004: Hochschule neu denken. Neuorientierung im Horizont der Nachhaltigkeit. Ein Memorandum. Frankfurt a. M.

Goethe-Universität, 2008: Ordnung für den Masterstudiengang Umweltwissenschaften 11.06.2008. Frankfurt a. M.; http://www.geo.uni-frankfurt.de/iau/Studium/pdf/Master_UW_Ordnung_und_Modulbeschr_.pdf (download 8.12.09)

Jahn, Th., 2008: Transdisziplinarität in der Forschungspraxis. In: Bergmann, M.; Schramm, E. (Hg.): Transdisziplinäre Forschung. Integrative Forschungsprozesse verstehen und bewerten. Frankfurt a. M., S. 21–37

Jahn, Th.; Keil, F., 2006: Sozial-ökologisches Problemverständnis. In: Becker, E.; Jahn, Th. (Hg.): Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Frankfurt a. M., S. 309–318

Krohn, W., 2008: Epistemische Qualitäten transdisziplinärer Forschung. In: Bergmann, M.; Schramm, E.: Transdisziplinäre Forschung. Integrative Forschungsprozesse verstehen und bewerten. Frankfurt a. M., S. 39–67

Michelsen, G., 2009: Innovationsfeld Hochschule. Nachhaltige Entwicklung und universitäre Bildung.In: Ökologisches Wirtschaften 3/2009, S. 19–20

Schneidewind, U., 2009: Nachhaltige Wissenschaft. Plädoyer für einen Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. Marburg

Rip, A.; Misa, Th.J.; Schot, J., 1995: Managing Technology in Society: The Approach of Constructive Technology Assessment. London

Stauffacher, M.; Walter, A.I.; Lang, D.J. et al., 2006: Learning to research environmental problems from a functional socio-cultural constructivism perspective: the transdisciplinary case study approach. In: International Journal of Sustainability in Higher Education 7/3 (2006), S. 252–75

Steinfeld, J.I.; Mino, T., 2009: Education for sustainable development: the challenge of transdisciplinarity. Special feature: Editorial. In: Sustainability Science 4 (2009), S. 1–2

Kontakt

Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE)
Hamburger Allee 45, 60486 Frankfurt a. M.
Internet: http://www.isoe.de

Dr. habil. Diana Hummel
E-Mail: hummel∂isoe.de

Dr. Immanuel Stieß
E-Mail: stiess∂isoe.de