Informations- und Kommunikationstechnologien vor ethischen Herausforderungen

TA-Projekte

Informations- und Kommunikationstechnologien vor ethischen Herausforderungen

von Michael Rader, ITAS

Techniken entwickeln sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit unterschiedlichen Zielrichtungen. Jede Entwicklung jeder Technologie bringt Chancen und Risiken mit sich; im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien und ihrer -anwendungen entwickeln sich z. B. derzeit neue soziale Kommunikationsnetzwerke, die auch unser Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenhalt und die Vorstellung neuer Partizipationsmöglichkeiten prägen. Die frühzeitige Erkennung von solchen Technikfolgen, um über Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten in die weitere Technikentwicklung zu verfügen, ist eine schon seit Langem bestehende Anforderung an die Technikfolgenabschätzung. Sie gehört letztlich auch zu den Zielen des EU-Projekts ETICA („Ethical Issues of Emerging ICT Applications”), das Ende April 2009 angelaufen ist. Das Projekt wird von Bernd Carsten Stahl von der De Montfort University in Leicester (UK) koordiniert and besteht aus fünf zusammenhängenden „Arbeitspaketen“. Das ITAS wirkt als leitende Institution eines Arbeitspakets an ETICA mit.[1]

1     Was will ETICA?

Ziel ist es, wichtige zukünftige Technologien bzw. Anwendungen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (wie beispielsweise „Facebook“ oder „Twitter“) aufzuspüren und offene ethische Fragestellungen in Angriff zu nehmen, bevor sie zu gesellschaftlichen Problemen werden. Obwohl die Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) in dieser Hinsicht weniger spektakulär sind als etwa die Gentechnik oder die Nanotechnologie, haben sie mittlerweile eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren sämtlicher Bereiche moderner Gesellschaften erlangt und durchdringen damit das tägliche Leben. Es besteht denn auch eine Vielzahl von „Visionen“ für den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in Teilbereichen der Gesellschaft, die auch als „Meilensteine“ auf dem Weg zur vollendeten „Informationsgesellschaft“ – die vielleicht die übergreifende mächtige Vision darstellt – interpretiert werden können: „Ambient Intelligence“, „Ubiquitous Computing“, „Ambient Assisted Living“, „The Internet of Things“ usw. gehören dazu. Während die ethischen Aspekte konkreter Anwendungen von Technik relativ leicht aufzuzeigen sind, sind sie für solche Visionen oder grundlegende neue Technologien wie Quantumrechner nur mit Schwierigkeiten präzise auszumachen.

2     Arbeitsteilung unter den Partnern

Ziel des ersten Arbeitspakets, das von einer Gruppe der staatlichen finnischen Forschungsorganisation VTT (Veikko Ikonen) angeleitet wird, ist es, eine Bestandsaufnahme neu entstehender Informations- und Kommunikationstechniken durchzuführen. Dafür werden in erster Linie bereits bestehende Quellen wie Foresightstudien, Roadmaps oder staatliche Programme herangezogen und Suchheuristiken entwickelt, um eine möglichst umfassende Identifikation neu entstehender IuK-Techniken zu ermöglichen. Diese Heuristiken werden angewendet, um aus der Analyse von Dokumenten die „Landschaft“ neu entstehender IuK-Techniken aus der europäischen Perspektive zu kartieren. Aus dieser Landschaft werden die entstehenden Techniken abschließend im Hinblick auf mögliche Anwendungen und wahrscheinliche normative Problematiken betrachtet. Ein wichtiges Instrument in dieser Phase ist eine Datenbank, die gegenwärtig noch erstellt wird. Besondere Aufmerksamkeit wird vor allem einer Auswahl repräsentativer, von der Europäischen Union geförderter Projekte gewidmet.

Das zweite Arbeitspaket hat die Aufgabe, mögliche Anwendungsfelder von entstehenden IuK-Techniken und damit verbundene normative Fragestellungen zu beleuchten. Dafür wird vor allem Literatur aus dem Bereich der IuK-Ethik herangezogen. Die Arbeiten zu diesem Komplex werden von Jeroen van den Hoven von der Technischen Universität in Delft angeleitet. Derzeit wird ein Ansatz auf der Grundlage bibliometrischer Verfahren entwickelt, um die Verbindung zwischen spezifischen Anwendungen von IuK-Techniken und spezifischen ethischen Fragestellungen zu verdeutlichen sowie Ähnlichkeiten von Anwendungen aufzuzeigen. Die Arbeiten zu diesem Komplex werden größtenteils parallel zu den bereits beschriebenen Aktivitäten des ersten Arbeitspakets durchgeführt.

Das ITAS ist Koordinator eines aus mehreren Projektpartnern bestehenden Arbeitspakets zur Evaluation und Priorisierung von Kombinationen von Technik und ethischen Fragestellungen, die in den ersten Phasen des Projekts identifiziert wurden. Neben dem ITAS wirken an diesen Aufgaben die Steinbeis-Universität (Berlin, Rafael Capurro und Michael Nagenborg) mit besonderer Zuständigkeit für ethische Fragestellungen, die Universität Łódź (Elźbieta Oleksy, Wieslaw Oleksy) mit besonderer Berücksichtung der Gleichstellungsproblematik sowie das Eötvös Kárloy Public Policy Institute aus Budapest (Máté Szabó und Iván Székely) mit besonderer Zuständigkeit für rechtliche Aspekte und die Belange der neuen Mitgliedsstaaten der EU. Die Mitglieder dieses Teams haben gemeinsam die Aufgabe, aus den Kombinationen von neuen Technologieanwendungen und normativen Fragestellungen diejenigen herauszusuchen, deren Behandlung am dringlichsten aus Sicht der im Projektteam vertretenen Perspektiven erscheinen. Dafür soll ein Konsens über Kriterien zur Prioritätensetzung hergestellt und ein Leitfaden zur einheitlichen Berichterstattung entwickelt werden. Eine Annahme dabei ist, dass in den vorhergehenden Arbeitsphasen zu viele Kombinationen von Technologieanwendungen und dringenden ethischen Fragestellungen identifiziert werden, um sie samt und sonders abzuarbeiten.

Philippe Goujon und Catherine Flick von der Universität Namur befassen sich im Rahmen des vierten Arbeitspakets mit der Frage, wie das Governance ethischer Aspekte von Anwendungen der IuK-Techniken gegenwärtig organisiert wird. Dazu untersuchen sie vor allem die europäischen Projekte, die in den früheren Phasen von ETICA identifiziert wurden. Die Ergebnisse ihrer Analyse werden auf die Ergebnisse der Evaluationsphase, der Prioritätenliste, angewendet, um Strukturen für Governance ethischer Problemstellungen im Zusammenhang mit Anwendungen der IuK-Technik erfolgreich zu behandeln.

3     Kooperationen und nächste Schritte

Die Ergebnisse aller Phasen des Projekts werden in Politikempfehlungen einfließen, deren Entwicklung von der De Montfort University (Bernd Stahl, Kutoma Wakunuma) koordiniert wird. Im fünften Arbeitspaket werden außerdem die Öffentlichkeitsarbeit von ETICA und weitere Aktivitäten (wie zwei Konferenzen, eine Summer School, Präsentationen für Entscheidungsträger etc.) organisiert. Vorgesehen sind außerdem Fokusgruppen und Umfragen zur Einbeziehung wichtiger Akteursgruppen.

Ein wichtiges Element zur Validierung der Ergebnisse von ETICA stellt der wissenschaftliche Beirat dar, der aus Ursula Huws (Analytica Social and Economic Research, London), Mark Wells als Vertreter von EurExcel, einem Verband zur Unterstützung innovativer Initiativen von kleinen und mittleren Unternehmen, Kjell Petersen vom Teleregions-Netzwerk, das eine Verbesserung der Chancen von Regionen in der Informationsgesellschaft zu Ziel hat, sowie Roger Dean von der European Association for E-Identity and Security (EEMA), das Mitgliedern neuste Informationen über Sicherheitsaspekte von IuK-Techniken bietet.

Noch im Dezember 2009 werden erste Veranstaltungen mit Fokusgruppen in Tampere und London durchgeführt, die Aufschluss darüber geben sollen, welche ethischen Aspekte der Benutzung von IuK-Techniken „Normalbürger“ besonders berühren. Im März findet in Verbindung mit der ETHICOMP-Konferenz am 13. April 2010 in Tarragona die erste ETICA-Konferenz mit dem Titel „The Future as we see it – Emerging ICTs and resulting ethical issues“ statt.

Anmerkung

[1]  ETICA hat eine eigene Webseite: http://www.etica-project.eu. Dort gibt es eine Presseerklärung vom Beginn des Projekts und die im Juli 2009 erschien die erste Nummer eines Newsletters.

Kontakt

Dr. Michael Rader
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe