Nanomaterialien und Gesundheit. Bericht vom Workshop "Possible Health Effects of Manufactured Nanomaterials" (Wien, 24. September 2009)

Tagungsberichte

Nanomaterialien und Gesundheit

Bericht vom Workshop “Possible Health Effects of Manufactured Nanomaterials”
Wien, 24. September 2009

von Angelika Nester, AGES[1]

Welche gesundheitlichen Auswirkungen können durch künstlich hergestellte Nanomaterialien verursacht werden? Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich der Workshop “Possible Health Effects of Manufactured Nanomaterials”, der vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften organisiert wurde. Die Veranstaltung im Rahmen des Projekts „NanoTrust“ war eine Fortsetzung der Workshops der vergangenen zwei Jahre. Damals wurden Themengebiete der Risiko-Governance („Risk Governance of Nanotechnologies: The International State-of-the-Art“, 2007) sowie aktuelle Rechtsvorschriften in einigen Bereichen wie Sicherheit am Arbeitsplatz, KonsumentInnenschutz und Verwendung chemischer Substanzen („Nanotechnologies – The Present State of Regulation“, 2008) behandelt. Dieses Jahr stellten mögliche Gesundheitsauswirkungen den Schwerpunkt der Veranstaltung dar. Dies geschah mit dem Ziel,einen aktuellen Überblick über den Wissens-stand, die Wissenslücken und den wichtigsten Forschungsbedarf zu diesem Thema zu geben. Dabei sollten das europäische Forschungsprogramm zu „Sicheren Nanotechnologien“, Ansätze zur Bewertung, analytische Methoden und neueste toxikologische Erkenntnisse von Nanomaterialien vorgestellt werden.

Die englischsprachige Veranstaltung richtete sich an WissenschaftlerInnen, Behörden, EntscheidungsträgerInnen sowie Interessensvertretungen. Das internationale Publikum bestand aus etwa 80 ZuhörerInnen und war heterogen zusammengesetzt: Verschiedene Stakeholder wie WissenschaftlerInnen, VertreterInnen von Forschungsförderungsstellen bis hin zu Verbraucherschutzorganisationen waren anwesend.

1     Europäisches Forschungsprogramm zu „Sicheren Nanotechnologien“

Den TeilnehmerInnen wurde einleitend von Georgios Katalagarianakis, Vertreter der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission, ein Überblick über die Projekte der Europäischen Union des 6. und 7. Rahmenprogramms zum Thema „Sichere Nanotechnologien“ gegeben. Etwa 30 Projekte befassen sich derzeit mit der Sicherheit und Standardisierung von Nanomaterialien und deren Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Die neuen potenziellen Risiken der Nanotechnologien stellten in jeglicher Hinsicht eine Herausforderung dar; der Vortragende betonte jedoch, dass solche nicht zum ersten Mal bewältigt werden müssten. Schwierigkeiten für die Abschätzung von Risiken würden sich nicht nur aus den Wissenslücken ergeben, Probleme lägen auch in den Organisationsstrukturen im Umgang mit diesen Risiken. Beispielsweise würde eine globale Strategie und Koordination fehlen, Ergebnisse könnten nicht verifiziert und miteinander verglichen werden und rechtlich geschützte Daten blieben unveröffentlicht. Das Projektcluster für Nanosicherheit, in dem derzeit vorwiegend das Gebiet der Nanotoxikologie behandelt wird, sei ein erster Schritt, um Synergien zu nutzen, Strategien vorzugeben und internationale Kooperationen aufzubauen. Zukünftige Forschungsprioritäten für die nächsten Jahre liegen unter anderem im Bereich der Erfassung von Nanopartikeln in Produkten, ArbeitnehmerInnenschutz, Prozesssicherheit und Expositionsabschätzung.

2     Herausforderungen für die Bewertung von Nanotechnologien

Wie wichtig valide und zuverlässige Daten für die Risikobewertung von Nanomaterialien sind, bestätigte Mats-Olf Mattsson, Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses SCENIHR (Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks) der Europäischen Kommission. Dieses ExpertInnengremium beschäftigt sich unter anderem mit der Risikobewertung von neuen Technologien und deren möglichen Auswirkungen auf die Konsumentensicherheit oder öffentliche Gesundheit. Der Vortragende strich heraus, dass Risiken auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse transparent und unabhängig vom Risikomanagement bewertet würden und erörterte die aufwändige Vorgehensweise des Komitees. Trotz der Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen seien viele Daten nicht für eine adäquate Risikobewertung geeignet. Stellungnahmen würden anhand von belastbaren Forschungsergebnissen und wissenschaftlich relevanten Literaturstellen erarbeitet. Zum Thema Nanotechnologien veröffentlichte SCENIHR bislang vier Studien[2]. Die neueste Stellungnahme, die im Januar 2009 herausgegeben wurde, befasst sich mit der Risikobewertung von Nanoprodukten. Aufgrund der derzeitigen lückenhaften Datenlage und der fehlenden geeigneten Literatur zur Risikobewertung, empfahl der Referent eine Fall-zuFall-Bewertung von Nanomaterialien.

3     Messmethoden und -techniken für Nanopartikel

Die analytische Erfassung und Charakterisierung der Nanopartikel stellt eine Grundlage für Toxizitätstest und in weiterer Folge für eine adäquate Risikobewertung dar. Der Frage, welche Methoden und Techniken zur Messung von Nanopartikeln geeignet sind, widmete sich der Vortrag von Hermann Stamm vom Joint Research Center der Europäischen Kommission in Ispra[3]. Zur Verfügung stünden zwar einige Messinstrumente, ein universell einsetzbares Gerät für die Erfassung der Nanopartikel und für die Charakterisierung ihrer Eigenschaften existiere derzeit jedoch nicht. Die verschiedenen Geräte eigneten sich nur für bestimmte Aspekte der Charakterisierung von Nanopartikeln und seien unter spezifischen Bedingungen einsetzbar, stoßen jedoch mit ihrer Verwendung auch an Grenzen und bringen Schwächen mit sich. Der Vergleich einiger Messgeräte zeige, dass für eine volle Charakterisierung der Nanopartikel eine Kombination verschiedener Techniken notwendig wäre. Abschließend bekamen die TeilnehmerInnen einen Ausblick, an welchen analytischen Themengebieten (wie z. B. Detektion und Charakterisierung von Nanomaterialien in Matrices, Entwicklung von Referenzmaterialien, Harmonisierung und Standardisierung) zukünftig vertieft geforscht und gearbeitet werden sollte. Wissenschaftliche Ergebnisse zu Nanopartikeln sollen in der Datenbank NAPIRAhub öffentlich zugänglich bereit gestellt werden.[4]

4     Erkenntnisse von In-vitro-Untersuchungen von Nanomaterialien

Das Projekt Nanocare, gefördert vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), beschäftigte sich mit der Erzeugung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über mögliche gesundheitliche Auswirkungen von Nanopartikeln sowie der Etablierung einer strukturierten und interpretierten Informationsbasis. Die Zusammenarbeit von den im Projekt beteiligten Universitäten, anderen Forschungseinrichtungen sowie der Industrie stellte laut Katja Nau vom Karlsruher Institut für Technologie (Institut für Angewandte Informatik) zu Beginn eine organisatorische Herausforderung dar. Die Vortragende referierte über die Ergebnisse des abgeschlossenen Projekts und den aktuellen Stand der In-vitro-Forschung. Anhand von elf ausgesuchten Nanomaterialien, zwölf Zelllinien und verschiedenen Analysemethoden wurden in mehreren Labors zelluläre Reaktionen abhängig von Partikelkonzentration, -größe, chemischer Zusammensetzung und Partikeloberfläche untersucht und miteinander verglichen. Für kommende Forschungsprojekte, so Katja Nau, wäre es wichtig, dass nicht nur Ergebnisse der Untersuchungen, sondern auch Schwierigkeiten, die sich aufgrund der speziellen Eigenschaften und Wechselwirkungen der Nanopartikel ergeben können, aufgezeigt und publiziert würden. Die Untersuchungen hätten ergeben, dass die Toxizität der einzelnen Nanopartikel variiert und abhängig ist von Partikelgröße und Agglomerationszustand sowie von verwendetem Zelltyp und Testmethode. Auf der Homepage des im Juli dieses Jahres abgeschlossenen Projekts[5] sollen zukünftig systematisch Untersuchungsergebnisse gegenwärtig in Anwendung befindlicher Nanomaterialien veröffentlicht werden.

5     Untersuchungen von Nanopartikeln am lebenden Organismus

Im Anschluss an die In-vitro-Untersuchungen standen die gesundheitlichen Auswirkungen von Nanopartikeln im lebenden Organismus im Mittelpunkt des Vortrags von Wolfgang Kreyling (Helmholtz Zentrum München). Er ging der Frage nach, ob und in welchem Ausmaß sich bestimmte Nanopartikel im Körper ausbreiten und in speziellen Organen ablagern können. Bestätigt werden konnte, dass sich kleine Mengen von Nanopartikeln im Körper von Ratten verteilen und Auswirkungen auf Herzfunktion und Leber haben sowie im Fötus wiedergefunden werden können. Die gefundenen Mengen an Nanopartikeln hingen von ihrer Größe, ihrem Material und der Beschaffenheit ihrer Oberfläche und im Übrigen auch vom Aufnahmeweg (oral, inhalativ, intravenös) ab. Eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Nanopartikel im Körper und Akkumulierung in den Organen sollten laut Wolfgang Kreyling Proteine spielen. Offen sei momentan die Frage nach dem Mechanismus der Translokation und Akkumulation der Nanopartikel. Daran solle zukünftig vertieft gearbeitet werden; weiters sollten Langzeitstudien durchgeführt werden, um die Auswirkungen einer längerfristigen Exposition und Akkumulierung zu erforschen.

Die Zusammenfassung von Ille Gebeshuber (University Kebangsaan, Malaysia) mit den wichtigsten Erkenntnissen und Kernaussagen aller Präsentationen rundete den Tag ab.

6     Fazit

Abschließend ist festzuhalten, dass – im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen – bei diesem Workshop nicht die zahlreichen Wissenslücken bei der Analytik, der Toxikologie und den gesundheitlichen Auswirkungen sowie bei der Bewertung von Nanomaterialien im Mittelpunkt standen. In den Vorträgen wurde der aktuelle Wissensstand aufgezeigt und darauf basierend wurden Perspektiven geboten und erläutert, an welchen Themengebieten zukünftig vertieft geforscht werden sollte. Im Laufe des Tages wurde klar ersichtlich, dass Forschungsstrategien in einem ganzheitlichen Ansatz zu sehen sind, Ergebnisse von Untersuchungen in Datenbanken gesammelt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden und an der Sicherheitsforschung von Nanomaterialien intensiv gearbeitet wird. Die TeilnehmerInnen bekamen einen Einblick, wie wichtig eine Gesamtstrategie und das Nutzen von Synergien sind. Aus diesen Aspekten ergeben sich spezifische Herausforderungen: Einerseits müssen Fachwissen und fachliche Kompetenzen stärker vernetzt, andererseits muss auch die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie stärker forciert werden.

Das Ziel, einen aktuellen Überblick zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen von Nanomaterialien zu vermitteln, wurde mit der Veranstaltung nicht nur erreicht, es wurde auch genügend Zeit für Diskussionen und Fragen bereit gestellt. Diese Gelegenheit nutzten die TeilnehmerInnen, warfen reichlich Fragen auf, brachten ihrerseits Aspekte ein und beteiligten sich rege am Gespräch. In dieser Hinsicht war es nicht nur eine Informationsveranstaltung, sondern es entwickelte sich ein lebhafter Dialog zwischen den Vortragenden und dem Publikum.

Jüngste Pressemeldungen zeigen gerade wieder, wie wichtig objektive und transparente Informationen über das aktuelle Wissen und die möglichen Wissenslücken sind, um Fehlmeldungen und Unsicherheiten in der Bevölkerung vorzubeugen. In diesem Sinne lieferte die Veranstaltung „Mögliche Gesundheitsauswirkungen von künstlich hergestellten Nanomaterialien“ einen guten Einblick in den aktuellen Wissens-stand und leistete so einen Beitrag zu einem vorsorgenden Umgang mit möglichen Risiken.

Anmerkungen

[1]  AGES ist die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (http://www.ages.at)

[2]  Die vier Stellungnahmen sind unter http://ec.europa.eu/health/ph_risk/committees/09_scenihr/scenihr_opinions_en.htm#nano einsehbar.

[3]  Nähere Informationen unter http://www.jrc.ec.europa.eu.

[4]  Die Datenbank ist unter http://napira.jrc.ec.europa.eu/ verfügbar.

[5]  Weitere Informationen unter http://www.nanopartikel.info/.