Pharmazeutisches Gehirntuning. Bericht zur Präsentation von Empfehlungen zum verantwortungsvollen Umgang mit pharmazeutischem Neuro-Enhancement (Berlin, 12. Oktober 2009)

Tagungsberichte

Pharmazeutisches Gehirntuning

Bericht zur Präsentation von Empfehlungen zum verantwortungsvollen Umgang mit pharmazeutischem Neuro-Enhancement
Berlin, 12. Oktober 2009

von Arnold Sauter, ITAS / TAB

Ein „Bloggewitter“ in den Scilogs brach sofort aus, als die Zeitschrift „Gehirn & Geist“ das Memorandum „Das optimierte Gehirn“ bereits drei Tage vor der Präsentation in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ins Netz stellte – kein Wunder, denn die Denkschrift von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus vier anerkannten Forschungseinrichtungen stellt die bisher wohl pointierteste und für viele vermutlich provokanteste Stellungnahme zum Thema Neuro-Enhancement im deutschsprachigen Raum dar. Entsprechend gefüllt war dann auch der Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in den die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler als Koordinatorin des vom BMBF geförderten Projekts „Potentiale und Risiken des pharmazeutischen Enhancements psychischer Eigenschaften“ zur Vorstellung der Ergebnisse des dreijährigen Forschungsvorhabens eingeladen hatte.

Weniger Papier schafft mehr Aufmerksamkeit: Normalerweise resultiert die Arbeit der Europäischen Akademie in umfangreichen Monographien, deren Präsentation meist deutlich weniger Resonanz hervorruft, als es die neun konzentrierten Seiten in dem populärwissenschaftlichen „Magazin für Psychologie und Hirnforschung“ aus dem Verlag „Spektrum der Wissenschaften“ bewirkt haben. Die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, Direktorin des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster, betonte denn auch die bewusste „Holzschnittartigkeit“ der Darstellung im Memorandum; zugänglich ist das Memorandum in leicht erweiterter Form auf zwölf Seiten unter http://www.gehirn-undgeist.de/memorandum.

Es waren (und sind) aber wohl weniger die selbstauferlegte Beschränkung auf das Format einer ausführlicheren Zusammenfassung üblicher Projektberichte, sondern vielmehr die vorgetragenen Einschätzungen und Forderungen zum weiteren wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umgang mit psycho- und neuropharmakologischen Stoffen in Beruf und Alltag, die Zündstoff für eine kontroverse Debatte boten (und bieten). Weil der Leiter des Gesamtvorhabens, Thorsten Galert von der Europäischen Akademie, die Inhalte des Memorandums in der kommenden Ausgabe dieser Zeitschrift ausführlicher vorstellen wird, werden im Folgenden nur zwei zentrale Thesen der Präsentation und einige Punkte der anschließenden Diskussion herausgegriffen, die Interesse wecken sollen an einer vertieften Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe.

1     Prophylaktisches Verbot nicht begründbar

Thorsten Galert wies eingangs darauf hin, dass die Stellungnahme das Ergebnis einer interdisziplinären Prüfung der Frage sei, ob ein Verbot von hypothetischen, wirksamen und nebenwirkungsarmen Neuro-Enhancement-Präparaten (NEPs) legitimiert werden könne. Was spräche dann gegen eine Nutzung?

Als mögliche, in der Debatte angeführte Gründe für ein Verbot der Entwicklung und Nutzung solcher NEPs seien Besorgnisse u. a. zu den Aspekten Persönlichkeitsveränderung / Authentizität, Abhängigkeitserscheinungen, Widernatürlichkeit, sozialer Druck und Verteilungsgerechtigkeit in der Arbeitsgruppe umfassend diskutiert worden. Das Ergebnis der philosophischen und rechtsethischen Analyse, zu der neben Bettina Schöne-Seifert und Thorsten Galert Davinia Talbot (Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster) sowie Reinhard Merkel (Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg) und sein Mitarbeiter Christoph Bublitz beigetragen haben, ist, dass sich in einem liberalen Rechtsstaat ein Verbot nicht rechtfertigen lasse, weil weder die Folgen absehbar (nur) negativ, noch die Zwecke moralisch, sozial oder politisch verwerflich seien. Dies zeige sich allein schon bei einer Betrachtung anderer Stoffe (legale Stimulanzien), Technologien (digitaler Art oder kosmetische Eingriffe) oder Verhaltensweisen (Lern- und Entspannungstechniken), die in ähnlicher Weise für eine (tatsächliche oder vermeintliche) Leistungssteigerung oder sonstige Selbstoptimierung benutzt und gesellschaftlich nicht (mehr) in Frage gestellt würden.

2     Erforschung besserer Neurowirkstoffe nötig

Dass sich die sieben Verfasserinnen und Verfasser des Memorandums aber doch bei weitem nicht nur mit den hypothetischen, wirksamen und nebenwirkungsarmen NEPs befasst haben, wurde spätestens durch den Beitrag von Isabella Heuser (Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Universitätsklinik Charité) deutlich. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter Dimitris Repantis im Rahmen des Projekts den Stand des Wissens zu den bislang als Neuroenhancer genutzten Medikamentenklassen Antidepressiva, Stimulanzien und Antidementiva umfassend erhoben und aufgearbeitet. Heuser betonte in ihrer Präsentation, dass es über die leistungssteigernde Wirkung dieser (zugelassenen) Pharmaka gar keine tiefer gehenden Erkenntnisse geben könne, weil sie nicht systematisch an Gesunden getestet würden (bzw. nur im Rahmen der Arzneimittelzulassung zum Nachweis der Sicherheit). Lediglich im militärischen Bereich würden diesbezügliche Untersuchungen vorgenommen; verblüffend sei dabei die offene Informationspolitik des US-Verteidigungsministeriums.

Aus dieser mangelnden Datenlage leitet die Arbeitsgruppe einen umfassenden Forschungsbedarf ab: Die Pharmaindustrie solle neue Substanzen bereitstellen; deren Wirksamkeit müsse durch unabhängige Forschung belegt werden; Langzeitfolgen zu untersuchen sei wiederum Aufgabe des Staates, wozu dann auch eine Dauerbeobachtung der Nutzung (ähnlich der Pharmakovigilanz bei Medikamenten) gehöre. Grundsätzlich seien höheren Wirksamkeits- und Sicherheitsstandards anzulegen, hinzu komme eine erhöhte Aufklärungspflicht. Bei der Nutzung von NEPs sollten Ärzte eine begleitende, beratende Rolle einnehmen, ähnlich wie es derzeit bei der Schwangerschaftsverhütung oder der kosmetischen Chirurgie gehandhabt werde.

3     „Wieso ist Enhancement kein Doping?“ Andere Fragen des Publikums

In der anschließenden Diskussion, für die leider etwas wenig Zeit zur Verfügung stand, wurde vom Publikum eine Reihe von Fragen und Anmerkungen vorgebracht, die sich auf mögliche Leerstellen der Argumentation – oder zumindest der Präsentation – bezogen. Auf die Nachfrage nach dem Votum der Arbeitsgruppe, nicht von Hirndoping (oder von Medikamentenmissbrauch) zu sprechen, erklärte Reinhard Merkel, Doping im Sport sei aufgrund seiner betrügerischen Absicht zweifellos zu verurteilen, aber deshalb auch nicht vergleichbar mit dem Phänomen Neuro-Enhancement. Auf mögliche Parallelen insbesondere im Bereich des Freizeitsports sowie zur Haltung des Staats gegenüber dem Einsatz von Medikamenten zur körperlichen Leistungssteigerung wurde nicht eingegangen.

Wie ex ante mögliche Langzeitrisiken, z. B. zum Abhängigkeitspotenzial, aber auch ganz allgemein zum Bereich indirekter Wirkungen (die bei kognitiv, motivational oder emotional wirksamen Stoffen vermutlich besonders unvorhersehbar sein könnten), untersucht oder zumindest verlässlich abgeschätzt werden können, blieb von den Autoren unbeantwortet. Insgesamt konnte auch die Diskussion kaum zur Erhellung der Frage beitragen, wie denn höhere Wirksamkeits- und Sicherheitsstandards von NEPs gegenüber therapeutischen Medikamenten aussehen müssten oder könnten.

Dass es derzeit kaum konsensfähige Begründungen gibt, die Nutzung von NEPs perspektivisch zu verbieten, macht das Memorandum der sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sicher für viele plausibel. Wolfgang van den Daele vom Deutschen Ethikrat wies unter Verweis auf Kommunikations- und Vertriebswege wie das Internet darauf hin, dass es schon angesichts der globalen sozialen Praxen naheliege, nicht auf nationaler Ebene sinnlose Verbote auszusprechen. Der frühere Staatssekretär im BMBF, Wolf-Michael Catenhusen, ebenfalls Ethikratmitglied, hinterfragte allerdings die Fokussierung der Argumentation auf die Verbotsfrage und damit das Ausblenden intermediärer Regulierungsansätze jenseits des Strafrechts.

Stimmen und Fragen aus dem Publikum drehten dann die Frage der Arbeitsgruppe grundsätzlich um: Was spreche denn aber dafür, Psychopharmaka einzunehmen, um kognitive Fähigkeiten oder die emotionale Befindlichkeit über das „normale“ Maß hinaus zu verbessern? Worauf genau sollten denn eigentlich die hypothetischen NEPs wirken, und woher sollten sie kommen? Hierauf bietet das Memorandum sicher keine hinreichende Antwort – aber das war auch nicht der Anspruch der Verfasser, die mit ihrer Arbeit eine wirkungsvolle Anregung der Debatte und mannigfaltige Hinweise auf zukünftigen Forschungs- und Diskussionsbedarf wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Art geliefert haben.