Forschungsfelder und wissenschaftliche Risikodiskussion. Zusammenfassende Darstellung und Einordnung der Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms

Schwerpunkt: Mobilfunk - Risikodiskurse in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Forschungsfelder und wissenschaftliche Risikodiskussion

Zusammenfassende Darstellung und Einordnung der Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms

von Wolfgang Weiss und Rüdiger Matthes,BfS Oberschleißheim,
sowie Christoph Revermann, TAB Berlin

Das Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm (DMF) diente der Aufklärung gesundheitlicher Risiken des Mobilfunks. Mit einer Analyse, zu der auch ein multidisziplinärer Interpretationsansatz gehörte, wurde allen Hinweisen nachgegangen, die in der wissenschaftlichen Literatur anzutreffen waren. Beteiligt waren alle einschlägigen naturwissenschaftlich / technischen, biologisch / medizinischen sowie epidemiologischen Fachdisziplinen. Erstmals wurden im DMF auch Fragen der Wahrnehmung möglicher Risiken in der Bevölkerung, der Vermittlung einschlägiger Informationen an die Bedarfsträger sowie Möglichkeiten der Prävention und Schlichtung von Konflikten gezielt verfolgt. Die im DMF erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse haben insgesamt die bestehenden Grenzwerte bestätigt. Für die zukünftige Forschung haben zwei Fragen Priorität: Welche Langzeitrisiken bei Handynutzungszeiten von mehr als zehn Jahren sind zu erwarten? Reagieren Kinder empfindlicher auf die Felder des Mobilfunks als Erwachsene?[1]

1     Forschung und Standardsetzung für den gesundheitlichen Strahlenschutz

Die Festlegung von Standards zum Schutze vor gesundheitlichen Gefahren und Risiken ionisierender und nicht-ionisierender Strahlung ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der auf der Bewertung aller vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse basiert. Im Bereich der elektromagnetischen Felder des Mobilfunks wurden in den letzten Jahrzehnten einige zehntausend einschlägige wissenschaftliche Originalpublikationen veröffentlicht. Diese werden von internationalen und nationalen Fachgremien wie der ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection), der WHO (World Health Organization) und der SSK (Strahlenschutzkommission) in regelmäßigen Abständen überprüft, um sicherzustellen, dass die Grenzwerte zum Schutze der Bevölkerung im Allgemeinen sowie am Arbeitsplatz dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Wesentliche Anforderung bei der Bewertung der Forschungsergebnisse ist die Publikation in gutachtergestützten Zeitschriften und die unabhängige Reproduktion von zentralen Ergebnissen durch Dritte. Durch die jeweils in Zeiträumen von fünf bis zehn Jahren erfolgende Neubewertung des Stands der Wissenschaft wird u. a. der Tatsache Rechnung getragen, dass die jeweils neuesten technischen Entwicklungen des Marktes berücksichtigt werden. Zum anderen entwickelt die Wissenschaft immer neue Möglichkeiten zur Erweiterung und Ausdifferenzierung des Erkenntnisstands.

Diese grundsätzlich positive Entwicklung bringt aber auch Probleme mit sich – insbesondere bei der öffentlichen Vermittlung dieser Ergebnisse. Die biomedizinische Forschung eröffnet in zunehmendem Maße Möglichkeiten zur Untersuchung hochspezifischer biologischer Effekte z. B. mithilfe komplexer biochemischer oder genetischer (Analyse-)Verfahren. Während die Einordnung der beobachteten Effekte und insbesondere die gesundheitlichen Konsequenzen der beobachteten Effekte in vielen Fällen in der Wissenschaft kontrovers und ergebnisoffen diskutiert werden, werden diese – in unserer offenen Kommunikationsgesellschaft – in der Bevölkerung oftmals bereits als Beweise für gesundheitliche Gefahren wahrgenommen. Die Vermittlung von wissenschaftlichen Unsicherheiten bei komplexen wissenschaftlichen Sachverhalten an die Öffentlichkeit stellt deshalb ein zunehmendes Problem dar.

Es gibt in der Wissenschaft ein allgemein akzeptiertes Vorgehen bei der Ermittlung von gesundheitlichen Gefahren: Es muss eine eindeutige Beziehung zwischen einer gesundheitlichen Gefahr und dem Auslöser der Gefahr, im Falle des Mobilfunks hochfrequente elektromagnetische Felder (EMF), existieren. Außerdem muss ein biologisch plausibler Wirkungsmechanismus bekannt sein. Sind beide Kriterien erfüllt, spricht man von einem wissenschaftlichen Beweis für die Gefahr bzw. das Risiko. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zu den Wirkungen der Felder des Mobilfunks führen zu einer Beziehung zwischen gesundheitlichen Gefahren und dem Auslöser, die Schwellencharakter hat. Dies bedeutet konkret, dass unterhalb von bestimmten Basisgrenzwerten der „Spezifischen Absorptionsrate“ (SAR) der Schutz vor thermischen und vor nicht-thermischen Effekten sichergestellt ist. In den letzten Jahren wurden in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder Hinweise dafür publiziert, dass auch unterhalb der Grenzwerte biologische Effekte auftreten können. Zum Teil werden hier auch „Endpunkte“ wie Krebs postuliert, für die bisher kein plausibler biologischer Wirkungsmechanismus bekannt ist (Hansson et al. 2003).

Eine zentrale Schwierigkeit der wissenschaftlichen Forschung besteht darin, dass ein Beweis für die Ungefährlichkeit eines Agens, hier der Mobilfunkfelder, grundsätzlich nicht möglich ist. Für die Frage nach möglichen Langzeitrisiken der Felder des Mobilfunks bedeutet dies z. B., dass die Aussagen der Wissenschaft derzeit auf die maximal mögliche Beobachtungsdauer beschränkt sind. Im konkreten Fall des Mobilfunks beträgt die Nutzungsdauer der Technologie in etwa zehn Jahre. Die Weiterentwicklung des Stands von Wissenschaft und Technik im Bereich Mobilfunk erfordert einen multidisziplinären Analyse- und Interpretationsansatz. Zu diesem Zwecke werden Forschungsprogramme mit einem breiten Themenspektrum konzipiert und durchgeführt. Das von 2003 bis 2008 durchgeführte Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm (DMF) stellt eines der größten Forschungsprogramme dieser Art weltweit dar.

2     Forschungsfelder und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Zentrale Forschungsfelder eines multidisziplinären Ansatzes zur Verbesserung der Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken der Felder des Mobilfunks unterhalb bestehender Grenzwerte sind die zuverlässige Bestimmung von Expositionen, die Untersuchungen von Mechanismen für direkte oder indirekte Wirkungen der Felder bei akuter und bei chronischer Exposition sowie die unmittelbare Ermittlung von Risikofaktoren für den Menschen. Diese Forschungsfelder lassen sich etablierten Wissenschaftsrichtungen zuordnen. So gehört die Expositionsermittlung zum Kernbereich der Ingenieur-und Naturwissenschaften (z. B. Elektrotechnik, Physik, numerische Mathematik). Die Untersuchungen von Wirkmechanismen sind überwiegend in den Bereichen Biologie und Medizin mit all ihren auf Spezialisierung ausgerichteten Fachrichtungen angesiedelt. Die Epidemiologie schließlich befasst sich mit der Ermittlung von Risikofaktoren für den Menschen, sie untersucht die Ursachen und Folgen sowie die Verbreitung gesundheitsbezogener Zustände und Ereignisse bei Individuen und Populationen. Mithilfe der sozialwissenschaftlichen Verfahren wird analysiert, wie die vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse in den gesellschaftlichen Gruppen rezipiert und diskutiert werden. Ausgehend von den sozialwissenschaftlichen Interpretationen dieser Analysen werden Verfahren vorgeschlagen, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der allgemeinen Öffentlichkeit vermittelt werden können.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus all diesen Forschungsfeldern ist eine unabdingbare Voraussetzung, um den (neuen) wissenschaftlichen Hinweisen auf mögliche Risiken der EMF-Felder zielgerichtet nachgehen und offene Fragen beantworten zu können. Dies im Rahmen von Forschungsprogrammen sicherzustellen, ist eine nicht triviale Aufgabe, da die Denk- und Arbeitsweisen in den einzelnen Wissenschaftsrichtungen doch sehr unterschiedlich sind. Eine weitere Schwierigkeit bei der Konzeption und Durchführung solcher Forschungsprogramme ergibt sich aus der Notwendigkeit zur Reproduktion von publizierten wissenschaftlichen Hinweisen. Forschung ist zumeist innovativ und nicht reproduktiv. Insbesondere ist das deutsche universitäre Forschungssystem ganz auf Innovation fokussiert. Dies ist im Sinne der „reinen Forschung“ zu begrüßen; im Sinne der Notwendigkeit zur Reproduktion von Hinweisen aus der Literatur stellt diese Arbeitsweise aber eine ernsthafte Erschwernis dar.

Zu Beginn des DMF im Jahr 2002 lagen aus der wissenschaftlichen Literatur folgende Hinweise[2] auf mögliche Wirkungen der elektromagnetischen Felder des Mobilfunks unterhalb der Grenzwerte vor:

Zudem wurden Hypothesen diskutiert, nach denen eine Exposition zu einer verringerten Melatoninsynthese,[4] Einflüssen auf das Hörsystem, Einflüssen auf das visuelle System und zu Wirkungen aufgrund einer Demodulation von gepulsten HF-Feldern führen könnte. Diesen aus wissenschaftlicher Sicht z. T. wenig belastbaren Einzelhinweisen standen zahlreiche Erfahrungsberichte (subjektiv) betroffener Personen gegenüber. Diese Erfahrungsberichte, die im Einzelfall massive gesundheitliche Beschwerden dokumentierten und die vor allem nach (vermuteten) Expositionen gegenüber Mobilfunk-Basisstationen, aber auch DECT-Basisstationen und Handys verfasst wurden, gaben zur öffentlichen Besorgnis Anlass.

3     Konzeption und zentrale Ergebnisse des DMF

Vor dem Hintergrund der oben geschilderten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Situation wurde das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Jahr 2001 vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) beauftragt, eine Konzeption für das DMF zu erarbeiten. Einzelheiten sind dem Abschlussbericht des DMF zu entnehmen (BfS 2008). Wichtigstes Ziel des DMF war eine umfassende Überprüfung der existierenden Grenzwerte. Zu diesem Zweck mussten u. a. die oben genannten Hinweise überprüft und auf allen Forschungsfeldern innovative Forschungsansätze realisiert werden, um weitere Grundlagen für die Beantwortung der zentralen wissenschaftlichen Fragen zu erarbeiten und bestehende Unsicherheiten zu verringern. Insgesamt umfasste das DMF 54 Einzelvorhaben, die in vielfältiger Weise miteinander vernetzt waren.

Integraler Bestandteil des DMF waren Vorhaben zur Risikokommunikation. Die zentralen Anliegen dieses Teils des Forschungsprogramms waren auf eine systematische Analyse der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Mobilfunkthematik sowie eine differenzierte Aufarbeitung der Erkenntnisse über den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Thema ausgerichtet. Ziel war es, praxistaugliche Empfehlungen zur Verbesserung der Risikokommunikation zu erarbeiten (siehe auch den Beitrag von Christiane Pölzl in diesem Schwerpunkt).

Zur Klärung der Fragen der Gültigkeit der Grenzwerte wurden im Rahmen der Forschungsprojekte des DMF die unten aufgeführten Vorhaben durchgeführt und folgende Ergebnisse erarbeitet:

Die wichtigsten Ergebnisse zur verbesserten Expositionsabschätzung sind:

  1. Es gibt keine Überschreitung der Grenzwerte bei gleichzeitigem Sendebetrieb einer großen Anzahl von Mobiltelefonen auf engem Raum.
  2. Mobiltelefone (im GSM-Netz) erreichen entgegen früherer Erwartungen je nach Netzversorgung durchschnittlich während fünf bis 30 Prozent der gesamten Gesprächsdauer den maximalen Sendeleistungspegel; bei schlechter Netzversorgung lag der zeitlich gemittelte Sendeleistungspegel bei 70 Prozent des maximal möglichen Pegels; bei UMTS deutlich niedriger.
  3. Die fühlbare Erwärmung am Kopf ist bei Handynutzung primär auf verminderte Konvektion und nicht auf Absorption[8] hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung zurückzuführen.
  4. WLAN-Installationen und Bluetooth-USB-Sticks in Haushalt und Büro führen auch bei ungünstigen Anwendungsszenarien nur zu geringen Expositionen.
  5. Die Entwicklung von anatomischen, hoch aufgelösten Körpermodellen von Versuchstieren verbessert hinsichtlich der Exposition die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen.
  6. Die Verfeinerung existierender menschlicher Modelle mit Fokus auf besonders empfindliche oder exponierte Organe (Pinealdrüse, Auge, Innenohr) ermöglicht eine verbesserte Expositionsbestimmung für diese Organe.
  7. Modellberechnungen zur Mikrodosimetrie im subzellulären Bereich zeigen, dass die Energieabsorption in der Zellmembran von deren geschichteter Struktur und richtungsabhängigen Eigenschaften abhängt; der resultierende Temperaturanstieg in der Zellmembran ist jedoch gering.
  8. Für die verbesserte Expositionsabschätzung bei epidemiologischen Studien wurden Rechenverfahren entwickelt und eingesetzt, um möglicherweise höher oder niedriger exponierte Personen auszuwählen.

4     Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

Die hier beschriebenen Einzelergebnisse des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms können wie folgt zusammengefasst werden: Das DMF hat dazu beigetragen, die Datenlage bezüglich gesundheitlicher Risiken von EMF-Feldern entscheidend zu verbessern und vormals bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten auszuräumen bzw. weiter zu reduzieren. Die tatsächlichen Expositionen im Alltag sind wesentlich genauer bekannt als zu Beginn des DMF. Wiederholungsstudien konnten ernstzunehmende frühere Hinweise durchgehend nicht bestätigen. Auch lieferten die Studien keine Hinweise auf bisher unbekannte Wirkungen, weder im Tiermodell noch in epidemiologischen Studien. Auf der Basis des derzeitigen Wissens kann deshalb gesagt werden, dass – falls gesundheitliche Risiken der Felder des Mobilfunks unterhalb der Grenzwerte bestehen

– diese so gering sind, dass sie mit den derzeit zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methoden qualitativ und quantitativ nicht ermittelt werden können. Die jetzt vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse haben insgesamt die bestehenden Grenzwerte bestätigt. In dieser klaren fachlichen Einschätzung stimmen das BfS und die SSK überein. Das BMU hat sich diese Einschätzung zu eigen gemacht.

Das BfS sieht die Notwendigkeit, nach Abschluss des DMF gezielt zu schauen, in welchen Bereichen aussagekräftige Studienansätze notwendig und möglich sind, um bestimmte Fragen gezielt weiter zu verfolgen. Im Augenblick haben zwei Themen Priorität: zum einen die Frage möglicher Langzeitrisiken für Handynutzungszeiten von mehr als zehn Jahren, zum anderen die Frage, ob Kinder stärker als Erwachsene durch hochfrequente elektromagnetische Strahlung belastet sind bzw. ob sie empfindlicher reagieren.

Da in diesen Fragen weiterhin Wissenslücken bestehen, hält das BfS auch weiterhin Maßnahmen der Vorsorge, die die Grenzwertregelungen ergänzen, für unabdingbar. Diese sind:

5     Konsequenzen für die Risikokommunikation

Vor dem Hintergrund der aus Sicht der Wissenschaft sehr klaren Ergebnisse des DMF mag es gelegentlich verwundern, wie diese Erkenntnisse in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung aufgenommen wurden. Die folgende Analyse beruht auf den Erkenntnissen aus der Abschlussveranstaltung zum DMF, insbesondere der Podiumsdiskussion am Nachmittag des ersten Tages, sowie der Auswertung des umfangreichen Medienechos im Zusammenhang mit der Abschlussveranstaltung.

Das Presseecho war uneinheitlich. Einige Überschriften thematisierten das wesentliche Ergebnis aus wissenschaftlicher Sicht nüchtern mit „Grenzwerte-sicher“; andere Meldungen konzentrierten sich dagegen auf die Notwendigkeit weiterer gezielter Forschung (Kinder, Langzeitrisiken für Nutzungsdauer >10 Jahre) und von Vorsorge. Beide Aspekte sind aus rein fachlicher Sicht richtig; in der allgemeinen Öffentlichkeit wurden sie aber als Gegensätze aufgefasst. Die Begründung hatte die Form: „Falls die Grenzwerte sicher sind, wieso dann weitere Forschung und Vorsorge?“

Hier besteht nach wie vor ein hohes Maß an Aufklärungsbedarf, will man nicht riskieren, dass die nach den Erkenntnissen des DMF in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung bestehende Besorgnis gegenüber den EMF-Feldern bestehen bleibt oder sich gar noch vergrößert. Ein Teilnehmer der Podiumsdiskussion stellte zutreffend fest, dass die Arbeit zur Vermittlung der Ergebnisse des DMF jetzt erst richtig beginne. Die zukünftige Ausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit des BfS und der Arbeit des „Runden Tisches“ des DMF wird sich mit hoher Priorität dieser Frage widmen müssen. Grundlagen hierzu wurden im Rahmen des DMF erarbeitet, z. B. durch die Identifikation und Charakterisierung spezifischer und unterschiedlich motivierter Informationsbedürfnisse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Die Umsetzung dieser Grundlage in Handlungskonzepte stellt eine dauerhafte Herausforderung für alle am Kommunikationsprozess Beteiligten dar. Dabei kommt es wesentlich auf die Glaubwürdigkeit der handelnden Personen und Institutionen an. Die ehrliche Darstellung der Fakten ist eine unabdingbare Voraussetzung hierfür. Allerdings muss bei der Vermittlung von faktischem Wissen darauf geachtet werden, dass dies auch von der Öffentlichkeit verstanden und angenommen wird. Die oftmals gestellte einfache Frage Besteht-Gefahr-oder-nicht? ist anhand der Faktenlage oftmals nicht mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Die knappe Antwort „nein“ aber ist auch nicht immer geeignet, Besorgnisse abzubauen.

Welche verborgenen Ängste hier zu überwinden sind, mag man exemplarischen Stellungnahmen von Teilnehmenden der Podiumsdiskussion der DMF-Abschlussveranstaltung entnehmen. Da wurde z. B. gesagt:

Diese beispielhaften Aussagen zeigen eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den Aussagen der Wissenschaft, die – wie die Ergebnisse der Befragungen im Rahmen des DMF ergeben haben – offensichtlich in der Bevölkerung weitverbrei-tet ist. Die Feststellung „Wissenschaft vereinfacht, das Leben ist komplizierter“ zeigt klar die Grenzen der Vermittelbarkeit von reinem Faktenwissen der Wissenschaft in Situationen auf, in denen es jenseits der Aufnahme nüchterner Fakten auch um die Verarbeitung von Befürchtungen, Empfindungen und Ängsten geht.

Was bedeutet dies nun für die Wissenschaft und die Risikokommunikation? Zunächst ist es eine klare Forderung an die Wissenschaft, auch weiterhin hoch differenziert und nach den besten Qualitätsmaßstäben die offenen Fragen zu klären. Je klarer die wissenschaftlichen Aussagen und je geringer die damit verbundenen Unsicherheiten sind, desto leichter fällt es, die berechtigten Fragen nach den Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnisfähigkeit und der Belastbarkeit der Ergebnisse zu vermitteln. Dies allein ist aber nicht hinreichend, um die nach wie vor skeptische Einstellung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen zu überwinden. Hierzu bedarf es vielmehr dauerhafter Anstrengungen zum Dialog zwischen den Repräsentanten der Wissenschaft, der beteiligten Institutionen und Behörden und den Betroffenen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dies ein langwieriger und schwieriger Prozess ist, für den es allerdings keine Alternative gibt.

Es hat sich gezeigt, dass die kommunikativen und sonstigen persönlichen Voraussetzungen sowie die Einsicht in die Notwendigkeit solcher Prozesse bei vielen Beteiligten aus Wissenschaft, Bevölkerung und behördlichen Institutionen oft wenig ausgeprägt sind. Die Aus- und Fortbildung in den einschlägigen Fähigkeiten ist jedenfalls nicht Gegenstand der klassischen naturwissenschaftlichen Ausbildung an Hochschulen oder an sonstigen Fortbildungseinrichtungen. Das Schließen der Kommunikationslücke zwischen den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften ist deshalb eine zentrale Aufgabe der Zukunft, will man sich ernsthaft der hier angesprochenen Problematik stellen. Das BfS ist derzeit dabei, entsprechende innerbehördliche Konzepte zu entwickeln und wird sich diesen Fragen in Zukunft aktiv stellen.

Anmerkungen

[1]  Auf eine umfassende Zusammenstellung einschlägiger Fachpublikationen wird an dieser Stelle verzichtet. Informationen zum Thema gesundheitliche Risiken des Mobilfunks sowie alle 60 wissenschaftlichen Originalpublikationen aus dem DMF sind dem Abschlussbericht des DMF zu entnehmen (BfS 2008).

[2]  Eine umfassende Zusammenstellung ist dem Anhang 2 des Abschlussberichts des DMF zu entnehmen (BfS 2008).

[3]  Anzahl der Neuerkrankungen an Tumoren des Lymphgewebes in einer Bevölkerungsgruppe definierter Größe in einem Jahr.

[4]  Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse (Epiphyse) – einem Teil des Zwischenhirns – aus Serotonin produziert wird und den Schlaf-Wach-Rhythmus des menschlichen Körpers steuert.

[5]  Als Beleg gilt hier eine Drei-Generationen-Studie mit chronischer GSM- bzw. UMTS-Exposition ab Zeugung mit 0,4 W/kg.

[6]  Als Beleg gelten hier Untersuchungsergebnisse mit vier Mäusegenerationen, die chronisch mit UMTS-Signalen „befeldet“ wurden.

[7]  Das internationale wissenschaftliche Projekt untersucht, ob die Nutzung des Mobiltelefons das Risiko für seltene Hirntumore steigert (http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/Zentrale%20Institute/IWT/FWG/Handystrahlung/InterphoneStudie.html; download 11.12.08).

[8]  Durch die Positionierung des Handys unmittelbar am Ohr wird der Austausch von Wärme zwischen dem Kopf und der umgebenden Luft vermindert; dadurch entsteht ein „Wärmestau“ im Kopf. Dieser Effekt tritt auch ohne Einwirkung (Absorption) elektromagnetischer Felder auf.

Literatur

BfS – Bundesamt für Strahlenschutz, 2008: Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms (DMF). Bewertung der gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks (Stand 15.5.2008), Salzgitter (Bd. BfSSG-08/08; Fachbereich Strahlenschutz und Gesundheit im Bundesamt für Strahlenschutz, Juni 2008)

Hansson, M.K.; Hardell, L.; Kundi, M.; Mattsson, M.O., 2003: Mobile Telephones and Cancer: Is There Really No Evidence of an Association? In: International Journal of Molecular Medicine 12/1 (2003), S. 67-72

Kontakt

Dr. Wolfgang Weiss
Bundesamt für Strahlenschutz
FB Strahlenschutz und Gesundheit
85762 Oberschleißheim
Tel.:+49 3018 333-2100
E-Mail: wweiss∂bfs.de